36
Chewbacca flog als Kopilot mit Blue. Nach den Erfahrungen, die sie auf Skip 6 gemacht hatten, war Han nicht bereit, weitere Risiken einzugehen. Er kannte Blue zwar schon so lange wie Kid, aber bei weitem nicht so gut.
Daß seine alten »Freunde« ihn verraten hatten, tat weh, ganz gleich wie man versuchte, ihre Handlungen zu rechtfertigen. Er saß im Luftatmersektor von Nandreesons Skipper. Dieser Skipper war größer und schlanker als der von Blue und verfügte im Unterdeck über einen Teich. Aber weder Han noch Lando verspürten die geringste Lust, jemals wieder auch nur in die Nähe von schlammigem Wasser zu kommen. Sie saßen im oberen Teil des Schiffes in einem winzigen Raum, der mit alten angeschimmelten Sitzmöbeln (bei denen Han vermutete, daß sie aus trockengelegten Tümpeln stammten) und mit von Schimmel bedeckten Tischen bestückt war.
Lando ruhte sich neben ihm aus. Sein alter Freund hielt die Augen geschlossen. Lando hatte abgenommen, und seine sonst stets wie aus dem Ei gepellte Kleidung war völlig durchgeweicht.
Han seufzte und ließ die letzten Ereignisse noch einmal Revue passieren. Aber wie er es auch drehte und wendete, er hätte nicht anders handeln können. Kid und Zeen hatten ihn in der Absicht begleitet, ihn zu verraten. Sie waren nicht seine Freunde, das hatten sie gleich bei seiner Ankunft klargemacht. Vielleicht hatten sie da sogar versucht, ihn zu warnen und ihn dazu zu veranlassen, diesen gefährlichen Boden wieder zu verlassen.
Jetzt war auch klar, wie Nandreesons Leute ihn auf Skip 5 hatten finden können.
Chewbacca hatte gesagt, seiner Ansicht nach hätte Wynni ihnen vielleicht geholfen, wenn er ihr nicht die kalte Schulter gezeigt hätte. Han war da nicht so sicher. Vermutlich wußte sie, daß Chewie seiner Frau unverbrüchliche Treue hielt, sonst hätte sie sich wahrscheinlich schon vor Jahren von Chewie zurückgewiesen gefühlt. Wenn man mit Wynni zu tun hatte, gab es immer Komplikationen, weil sie nie das tat, was man von einer Wookiee erwartete.
Nicht einmal, wenn das Ende nah war.
Han fragte sich, wie sie sich fühlen mochte, so allein in Nandreesons Bau.
Aber er war froh, daß sie wenigstens noch am Leben war. Der Tod von Zeen und Kid würde, ganz gleich, was sie ihm getan hatten, für alle Zeiten auf seinem Gewissen lasten.
»Du hattest keine andere Wahl«, sagte Lando. Seine Stimme klang rauh, und seine Erschöpfung war nicht zu übersehen. Er hatte sämtliche für Menschen bestimmten Vorräte in Nandreesons Skipper aufgegessen und Wasser in solchen
Mengen getrunken, als hätte er nicht gerade erst eine halbe Ewigkeit im Wasser zugebracht.
»In welcher Hinsicht?« wollte Han wissen.
»Da fragst du noch?« Lando schlug die Augen auf und stützte sich auf die Ellbogen. Sein Gesicht war jetzt nicht mehr ganz so grau wie vorher. »Wegen Kid und Zeen. Sie waren nie deine Freunde.«
»Hör auf, mich zu trösten.«
»Das tue ich gar nicht. Ich möchte ja nur, daß du die Dinge richtig siehst.« Lando lehnte den Kopf an die Stahlwand. »Du hast nie hierhergehört, Han. Das haben wir alle gewußt. Kid und Zeen haben von Anfang an versucht, dich umzukrempeln. Wahrscheinlich dachten sie, sie könnten aus dir so jemanden machen, wie sie selbst sind. Aber für dich gab es da einfach Grenzen. Und das hat sie wahrscheinlich so wütend auf dich gemacht.«
»Ich habe doch alles getan, was sie wollten«, sagte Han.
»Nein, hast du nicht. Für dich war der Profit nie das aller- wichtigste. Das wolltest du dir zwar nicht anmerken lassen, aber man hat es einfach irgendwie gespürt. Und das war es auch, was dich damals dazu gebracht hat, dich mit Luke Skywalker auf dieses Himmelfahrtskommando einzulassen. Er hat mir davon erzählt. Du hättest jederzeit aussteigen können - aber das hast du nicht getan.«
»Das war eine Ausnahme.«
»Nein, das war die Regel. Erinnerst du dich an diese Geschichte mit dem Wookieesklaven, den du gefunden hast?«
»Chewbacca zählt nicht. Das waren außergewöhnliche Umstände.«
»Ja-ah«, brummte Lando. »Genauso außergewöhnlich wie sonst auch immer. Und diese Typen hat das wütend gemacht, Han. Mit jedem Atemzug, den du getan hast, hast du ihnen gezeigt, daß das Leben, das sie führten, schmutzig, häßlich und von Haß erfüllt war.«
Han spürte die Leidenschaft in Landos Worten und drehte sich zu ihm um. Er sah, daß Lando ihn anstarrte. »Hast du mich auch gehaßt?«
»Nein«, erwiderte Lando. »Aber ich habe mich oft geschämt.«
Er stemmte sich von der Pritsche und ging ein paar Schritte. Dann stieß er einen Schrei aus, bückte sich und griff an seine Waden. Sein Gesicht war auf einmal wieder ganz grau geworden. Han stand auf und half Lando dabei, sich wieder auf die Pritsche zu setzen.
»Wer hätte gedacht, daß man vom Wassertreten Wadenkrämpfe kriegt?«
»Jeder, der einmal Gymnastik betrieben hat«, meinte Han. »Du hättest Nandreeson bitten sollen, daß er dir ein paar Minuten Zeit für ein Aufwärmtraining gibt, ehe er dich in diesen Tümpel befördern ließ.«
»Sehr komisch.«
Han machte sich an Landos Bein zu schaffen, streckte es massierte
die Muskeln. »Jetzt übertreibe es bloß nicht, Kumpel. Kannst von Glück reden, daß du noch am Leben bist.«
»Ich bin zäh«, sagte Lando.
»Ich würde eher sagen, du bist dumm. Was hast du dir eigentlich dabei gedacht, als du wieder in den Run gekommen bist?«
»Ich mußte dich finden, Han.« Lando streckte sein anderes Bein aus. »Du kannst jetzt aufhören.«
»Warum? Was ist denn so wichtig, daß du dein Leben dafür riskierst?«
»Jemand hat es auf dich abgesehen, alter Freund«, antwortete Lando leise. »Jemand, der es so hinzustellen versucht, als wärst du für das Bombenattentat auf die Senatshalle verantwortlich.«
»Während Leia an einer Sitzung teilnahm? Jeder, der mich kennt, weiß, daß ich so etwas niemals tun würde.«
Lando lächelte. »Kid und Zeen würden dem wahrscheinlich zustimmen. Aber die meisten Imperialen im Senat kennen dich nicht. Im Imperium war so etwas ganz normal.«
»Man würde aber doch ziemlich massive Beweise brauchen, damit man mir die Schuld in die Schuhe schieben könnte.«
Lando schüttelte den Kopf. »Massiv ist nicht so wichtig wie die richtige Art von Beweisen. Du hast Glück, daß ich vorher bei Leia war.« Dann erzählte er Han von der Spicy Lady und von der Nachricht, die er an Bord des Schiffes gefunden hatte.
Han seufzte. »Jarril ist also tot?«
Lando nickte. »Das war kein schöner Anblick.«
»Ich glaube, er hat so etwas befürchtet, als er zu mir kam. Ich glaube, er hat gespürt, daß ihm nicht mehr viel Zeit blieb.«
»Vielleicht war er Teil des Komplotts.«
Han schüttelte den Kopf. »Dazu war er zu verstört. Er hat versucht, mich auf die Schmugglerart um Hilfe zu bitten, indem er mir Geld anbot, aber ich wollte nicht. Und dann bat er direkt darum.«
»Vielleicht weil er mußte.«
»Vielleicht hatte er keine andere Wahl. Vielleicht wußte er, daß sie schon hinter ihm her waren. Sie haben ihn ja allem Anschein nach auch gefunden und auf Coruscant getötet, Jarril hätte so eine Nachricht nie abgesetzt.«
Lando schüttelte den Kopf, »Jarril ist tot. Seine Motive sind jetzt unwichtig. Wichtiger ist, daß jemand dich da hineinziehen wollte.«
»Meinst du, es waren die Imperialen im Senat, um Leia loszuwerden?«
»Kommt mir eigentlich nicht sehr wahrscheinlich vor, weil sie dann ihre eigenen Leute in die Luft gesprengt hätten, meinst du nicht auch, Han?«
»Und diese Verkäufe von altem imperialem Kriegsgerät haben auch damit zu tun«, sagte Han.
Lando schloß die Augen. »Elast du jemals von Almania gehört?«
»Erst von dir«, antwortete Han.
»Ich auch nicht«, erklärte Lando. »Seltsam, findest du nicht?«
»Seltsam?«
»Jemand hat sich große Mühe gegeben, einen Ort praktisch unsichtbar zu machen, von dessen Existenz wir nicht mal wußten. Wenn jemand sich solche Mühe gibt, etwas zu verstecken, dann lohnt es sich meistens, ein wenig genauer nachzusehen.«
»Da hast du recht«, nickte Han. »Vielleicht sollten wir dort als nächstes Station machen.«
»Vorausgesetzt daß wir noch unsere Schiffe haben«, schränkte Lando ein.
»Das werden wir«, sagte Han. »Das verspreche ich dir.«
Luke schlüpfte zwischen den Zähnen des weißhaarigen Monstrums hindurch und zog die Beine in dem Augenblick an, als es zubiß. Sein Maul war riesengroß und an der Oberseite flach und von Furchen durchzogen. Selbst jetzt, da es die Zähne zusammengepreßt hatte, war noch Platz genug darin.
Wenn die Zunge nicht gewesen wäre. Sie stieß Luke immer wieder klatschend gegen den harten Gaumen, als wollte sie ihn in den Rachen schubsen und hinunterwürgen. Jedesmal, wenn er auf das Maul des Ungeheuers zuglitt, schmetterte ihn die Zunge wieder gegen den Gaumen. Er hatte das Gefühl, daß diese Kreatur ihre Nahrung gewöhnlich unzer- kaut verschlang.
Alles im Innern dieses Mauls war schleimig. Es gab nichts, woran er sich festhalten konnte. Und als die riesige Zunge ihn das nächste Mal gegen den Gaumen drückte, krallte er sich mit beiden Händen in das Gaumensegel.
Das Monstrum jaulte auf und stieß ihn hart mit der Zunge an. Luke ließ los, die Kiefer klappten auf, und er segelte durch die Luft, prallte gegen die Wand und rutschte daran zu Boden.
Das Monster ragte über Luke auf, irgendwie wirkte sein riesiges Gesicht beleidigt. Es tastete mit seiner Pranke nach ihm, die Klauen ausgefahren, so daß er sich nicht einfach wegrollen konnte. Es drehte ihn auf den Rücken und beschnupperte ihn erneut, als könnte es gar nicht glauben, daß etwas so Winziges ihm solche Schmerzen zugefügt hatte.
Luke streckte beide Hände aus und drückte damit gegen die Nase des Monstrums, versuchte, es wegzuschieben. Die Bestie schnüffelte und leckte ihn dann ab, als wollte sie seine
Verwendbarkeit als Nahrung testen. Lukes ganzer Körper roch jetzt so, wie es im Innern des Monstrums gerochen hatte, eine Kombination aus rohem Fleisch, schmutzigen Zähnen und Geifer. Und er konnte unmöglich entkommen.
Das Monstrum tappte ein paar Schritte zurück, betrachtete Luke einen Augenblick lang und versetzte ihm dann einen so heftigen Hieb, daß er über den Holzboden rutschte und gegen die Wand auf der anderen Seite krachte. Holzsplitter von der Größe eines Taschenmessers steckten in seinen Armen und im Rücken. Er hatte sich von seinem letzten Sturz noch nicht erholt, nicht einmal richtig Atem schöpfen können, und war jetzt wie benommen, unfähig, sich zu bewegen, und triefnaß.
Aber er mußte sich bewegen. Dieses Ding durfte ihn nicht besiegen. Ein Jedi-Ritter würde nicht auf so schreckliche Weise sterben Schließlich hatte er ganz allein gegen einen riesigen Rancor und gegen Tusken-Räuber gekämpft. Er konnte alles überleben.
Alles.
Wieder kam das Monstrum auf ihn zu. Luke richtete sich langsam auf und zog einen der Splitter aus seinem Arm. Als sich die Franke des Monstrums wieder hob, rammte Luke den Splitter in den weichen Ballen an deren Unterseite.
Das Monstrum stieß ein schauerliches Gebrüll aus und schüttelte seine verletzte Tatze. Die weißen Haare fielen ihm aus wie Schnee. Jetzt stand die Bestie auf drei Beinen und biß in die Pranke des vierten.
Luke hatte nicht vor abzuwarten, was als nächstes geschehen würde.
Er rannte, so schnell sein verletzter Knöchel das zuließ, um das Monstrum herum auf die Pritsche zu. Aber er fand keine Möglichkeit, sich zu verstecken. Das Gitter in der Decke war zu hoch, als daß er es mit dem verletzten Knöchel erreichen konnte, und wenn er sich unter die Pritsche zwängte, würde das Monstrum dort sicherlich zuerst nachsehen.
Luke humpelte in den nächsten Raum, der erst recht kein geeignetes Versteck bereithielt. Er brauchte einen Moment, bis seine Augen sich an die Dunkelheit angepaßt hatten, dann stellte er fest, daß die Räume sich offenbar immer weiter fortsetzten, Raum um Raum ... und irgendwo aus dieser unbekannten Tiefe mußte das Monstrum gekommen sein Vielleicht warteten dort weitere seiner Artgenossen.
Aber eine dieser Kreaturen war mehr als genug. Die bloße Vorstellung eines ganzen Rudels glich einem Alptraum.
Das Monster wimmerte im Nebenraum. Luke konnte durchaus verstehen, wie ihm zumute war. Er nutzte die kurze Atempause, um die restlichen Splitter aus seinem Fleisch zu ziehen. Er reihte sie wie lange Messer neben sich auf, die einzige Waffe, die ihm gegen diese Bestie zur Verfügung stand.
Mit Ausnahme seines Verstandes.
Dieses riesige Lebewesen schien es nicht darauf abgesehen zu haben, ihm etwas zuleide zu tun. Es war erst unangenehm geworden, als Luke angegriffen hatte. Allem Anschein nach versuchte die Bestie herauszubekommen, mit wem oder was sie es zu tun hatte. Wenn es Luke gelang, sie davon zu überzeugen, daß er nicht der Kategorie Nahrungsmittel angehörte, hatte er vielleicht eine Chance.
Die Frage war bloß, wie er das anstellen sollte.
Das Monstrum hatte jetzt aufgehört zu wimmern und bewegte sich abermals schnuppernd auf Luke zu. Offenbar hatte es den Splitter aus seiner Tatze gezogen. Luke verteilte seine provisorischen Dolche kreisförmig um seinen Körper. Er würde damit lediglich Zeit gewinnen, aber Zeit war etwas, was er dringend brauchte.
Er hatte nicht vor, sich von diesem haarigen Ungeheuer umbringen zu lassen.
Diese Genugtuung wollte er Kueller nicht verschaffen.