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Das war alles ein Trick?
Sabine hatte ihn immer wieder gewarnt. Ich habe immer einen Plan, hatte sie gesagt. Bei mir ist nichts so, wie es scheint.
Das war seine Chance, Omort zu vernichten, aber als er das Schwert von ihr entgegennahm, beherrschte ihn ausschließlich die Frage, ob sie ihre Gefühle für ihn auch nur vorgetäuscht hatte.
Nein. Er kannte diese Frau und fühlte mit jeder Faser seines Körpers, dass sie seine Liebe erwiderte. »Sabine …«
»Erst töten … später reden. Bitte.«
Er nickte feierlich und wandte sich dann an Lanthe. »Komm her, nimm Sabine.«
Sie kam herbeigeeilt und schloss Sabine in die Arme.
»Wenn du deine Fähigkeiten zurückhast, dann heile sie«, sagte Rydstrom.
»Ich bin fix und fertig, vollkommen leer. Ich kann Sabine nicht helfen, ich kann die Feuerdämonen nicht davon abhalten, irgendwann die Türen aufzubrechen, und ich kann Omort nicht erstarren lassen, sodass du ihm einfach den Kopf abschlagen kannst. Ich habe ihm verboten, Zauberei auszuüben, aber er kann sich immer noch gegen dich verteidigen.«
Rydstrom packte das Schwert mit festem Griff und erhob sich, um einen Hexenmeister zu erschlagen. Omorts gelbe Augen schienen beim Anblick der Waffe aus ihren Höhlen hervorzutreten.
»Wie hast du das hier hereingeschafft? Sabine?« Für einen kurzen Augenblick schien er am Boden zerstört zu sein, ehe der irre Ausdruck in seine Augen zurückkehrte. »Du hast sie gezwungen, dies zu tun«, sagte er zu Rydstrom. »Sie würde mich niemals aus freien Stücken verraten.«
Omort zog aus seiner Scheide ein Schwert mit einer mystischen Klinge konzentrierten Feuers. »Selbst ohne meine Magie werde ich dir den Kopf abschlagen! Ich freue mich schon darauf, dir erneut im Kampf gegenüberzustehen – und ich kämpfe für sie.«
Ich ebenso. »Unter anderen Umständen würde ich es genießen, dich zu töten.« Rydstrom näherte sich Omort. »Aber so oft ich mir diesen Kampf schon ausgemalt habe, nun bleibt mir einfach keine Zeit dafür.« Nie hätte er sich vorstellen können, dass er nicht um die Krone gegen Omort kämpfen würde, sondern um das Leben der Frau, die er liebte.
Sie begannen einander zu umkreisen. Omort schlug als Erster zu, aber Rydstrom wehrte den Schlag mit Leichtigkeit ab, wobei sein Schwert bei der Berührung mit Omorts Waffe Funken sprühte.
»Es war tatsächlich mein Bruder Groot, der dieses Schwert schmiedete«, sagte Omort. »Meines schneidet für gewöhnlich durch jegliches Metall hindurch.« Wieder griff er an und schlug mit wahnsinniger Geschwindigkeit zu.
Rydstrom wehrte ihn erneut ab. Omort war überraschend gut – genauso wie vor fast einem ganzen Jahrtausend. Er war schnell, seine Augen verrieten nichts. Keine seiner Bewegungen war vorherzusehen.
Wieder umkreisten sie einander, suchten beim anderen nach Schwächen. Omort preschte vor und versuchte mithilfe seiner Schnelligkeit hinter Rydstrom zu gelangen. Rydstrom wirbelte herum, das Schwert hoch erhoben, um den Schlag abzublocken. Der Hexenmeister besaß Geschicklichkeit und Technik, aber Rydstrom ebenfalls. Und er konnte seine Stärke Omorts Geschwindigkeit entgegensetzen.
Als Rydstroms Schwert auf Omorts traf, legte er seine ganze Kraft in diesen Gegenhieb, sodass die Waffe des Hexers in dessen Händen vibrierte. Dieser unerbittliche Hieb schien Omort tief zu erschüttern.
Wieder und wieder klirrten ihre Schwerter aufeinander. Doch dann traf eine Finte von Rydstrom Omort völlig unerwartet, sodass dessen Schwert von einem besonders harten Hieb getroffen wurde. Omort geriet ins Taumeln, sein Körper wurde schwächer. Doch als Rydstrom angriff, um dem Ganzen ein Ende zu bereiten, riss sich Omort seinen Umhang vom Leib und warf ihn Rydstrom über den Kopf.
Seines Sehvermögens beraubt, sprang Rydstrom rasch zurück, während er gleichzeitig an dem hinderlichen Stoff herumzerrte. Dadurch entging er gerade noch der Hauptwucht von Omorts nächstem Schlag, sodass die Klinge aus Feuer nur sein Hemd zerschnitt und eine rote Linie auf seiner Brust hinterließ.
Gerade als der Hexenmeister zum entscheidenden Schlag ausholte, konnte Rydstrom wieder sehen. Er wechselte die Schwerthand, wirbelte blitzschnell herum und schlug mit der Rückhand zu. Der Hieb traf genau ins Ziel. Omorts Kopf fiel zu Boden. Seine Leiche sackte auf die Knie, ehe sie auf dem Boden in sich zusammenfiel.
Ich muss zu Sabine. Aber Rydstrom durfte auf gar keinen Fall den Fehler wiederholen, den er bei seinem letzten Aufeinandertreffen mit diesem Feind gemacht hatte. Er zwang sich, die Dauer von einigen Herzschlägen lang abzuwarten.
Diese Augenblicke fühlen sich länger an als die neunhundert Jahre, die ich hierauf gewartet habe …
Doch diesmal regenerierte sich der Hexenmeister nicht wieder. Die ringsum an den Wänden hängenden Tafeln fielen mit lautem Getöse herab und zerbrachen in tausend Stücke. Nach dem Tod ihres Meisters fielen auch die Wiedergänger um sie herum in sich zusammen.
Rydstrom umklammerte dankbar den Schwertgriff, als er nun auf Sabine zueilte. Die Waffe hatte ihre vom Schicksal bestimmte Aufgabe erfüllt.
Lanthe murmelte: »Nicht länger unsterblich …«
In dem Moment fingen die großen Türen des Thronsaals an, sich unter dem Angriff der Feuerdämonen nach innen zu wölben. Rydstrom kam schlitternd zum Stehen und drehte sich ruckartig um, bereit für den nächsten Kampf.
»Immer noch nichts?«, fragte er Lanthe über die Schulter hinweg.
»Nein, aber wenn wir hier lebend herauskommen, können wir zu der Alten gehen und …«
Die Türen begannen erst zu rauchen und dann zu brennen. Kurz darauf stürmten die verbliebenen Krieger des Pravus, hauptsächlich Feuerdämonen, herein. Doch der Ansturm ließ nach, als sie Omort den Unsterblichen geköpft neben seinem Thron ausgestreckt sahen.
Sogleich wurde unter den Feuerdämonen der Ruf laut, die Burg einzunehmen. Sie umzingelten Rydstrom und richteten ihre von Flammen erfüllten Handflächen gegen ihn. Wenn so viele ihre Feuerkraft vereinten, konnten sie ihn töten. Zu viele …
Rydstrom hörte Sabine aufschreien, als der Schmerz erneut einsetzte …
Plötzlich zog etwas hinter Rydstrom die Aufmerksamkeit der Feuerdämonen auf sich.
»Brauchst du vielleicht Hilfe?«, rief Cadeon.
Als Rydstrom sich umdrehte, standen sein Bruder und Cadeons gesamte Söldnertruppe dort, und sie wirkten überaus blutdürstig.
Schlagartig erkannte Rydstrom, dass Cadeon mit Omorts Tod seine Fähigkeit zur Translokation zurückgewonnen und seine Männer hergeführt hatte.
In dem Augenblick, als die Söldner angriffen, schrie Sabine wieder. Rydstrom stürmte auf sie zu, wobei er jeden Gegner, der es wagte, sich ihm in den Weg zu stellen, einfach umrannte. Als er sie erreichte, schob er das Schwert in den Gürtel und nahm sie vorsichtig auf die Arme. Sie hatte das Bewusstsein verloren.
»Wir müssen die Alte finden!«, sagte Lanthe. »Sie ist die Einzige, die sie heilen kann.«
Rydstrom machte sich auf der Stelle auf den Weg, mit Sabine in seinen Armen. Über die Schulter hinweg brüllte er noch: »Cadeon! Ich suche Hilfe für sie!«
»Hab alles im Griff!«, brüllte sein Bruder zurück, während er hingebungsvoll auf seine Gegner eindrosch. »Mit diesen Arschlöchern hab ich Erfahrung! Jetzt werden die Feuerdämonen bluten!«
Lanthe folgte Rydstrom auf dem Fuße, als dieser auf den Ausgang zurannte. »Dämon, du musst in den Kel…«
Ihr wurde unsanft das Wort abgeschnitten. Als sich Rydstrom umdrehte, sah er sie über den Boden schlittern.
Die wild dreinblickende Hettiah hatte sie angegriffen und blockierte jetzt den Weg zur Tür. »Dafür werden deine Schwester und du bezahlen!«
Lanthe schnappte sich ein Schwert von einem der gefallenen Wiedergänger. »Nimm Sabine! Geh!«
Rydstrom drehte sich erneut um und nahm die Stufen am Ende des Ganges, so schnell er nur konnte, bis ihm einfiel, dass er sich jetzt ebenfalls wieder translozieren konnte. Er brachte Sabine tief in die Eingeweide der Burg. Aber dort erwartete ihn eine überwältigende Vielzahl von Kammern, die durch ein sich windendes Labyrinth von Gängen verbunden waren. Er drehte sich einmal um sich selbst und brüllte: »Alte Hexe, wo zur Hölle bist du?«
»Hier drin«, rief sie.
Er folgte dem Klang ihrer Stimme bis zu einem Gemach, das genauso aussah, wie er sich das Laboratorium einer Giftmischerin vorgestellt hatte. Auf langen Tischen befanden sich zerteilte Tiere, gärende Tränke und blubbernde Gebräue. Von der Decke hingen Fledermausflügel und Froschbeine.
Die Hexe hingegen sah keineswegs so aus, wie er erwartet hatte. Statt der hässlichen Alten stand eine hübsche brünette Elfe vor ihm – dieselbe Frau, auf die er schon früher einmal einen kurzen Blick hatte werfen können.
Und sie war dabei zu packen.
»Rette sie …«, bat Rydstrom heiser. »Du musst sie retten.«
»Und warum sollte ich das tun?«, fragte sie, ohne aufzusehen.
»Weil ich Omort besiegt habe. Und sein Tod bedeutet die Freiheit für dich.«
»Na ja, das ist wahr.« Sie sah ihm in die Augen. »Seit fünfhundert Jahren warte ich darauf, dass der Fluch des Hexers endet. Leg Sabine auf den Tisch.«
Sie wühlte in einem Schrank und zog schließlich zwei hölzerne Kästchen heraus. Als sie das erste öffnete, lag eine Phiole vor ihnen, die eine schwarze Flüssigkeit enthielt.
Als sie ihm das Gegengift hinhielt, nahm Rydstrom es an. Dann stützte er Sabine, sodass sie in eine sitzende Position kam, und hielt ihr die Phiole an die bleichen Lippen. Er sah zur Hexe hinüber.
»Schwörst du, dass dies sie heilen wird?«
»Heilung von dem Morsus? Ja, das schwöre ich. Aber gegen ihre Gehässigkeit kann ich leider nichts tun.«
Nach einem finsteren Blick auf die Frau träufelte er den Inhalt des Fläschchens zwischen Sabines Lippen.
Warten … nichts …
»Warum passiert denn nichts?«, fuhr er die Hexe an.
Sie schüttelte verwirrt den Kopf. »Es müsste längst wirken. Es ist wahrscheinlich zu spät.«