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»Hättest du gerne ein Kind von mir?«, fragte er sie, nachdem er sie in die Arme geschlossen hatte, um sie vor der kühlen Nacht zu schützen. Seine Hand glitt unter den Umhang und ihren Rock, bis sie auf ihrem flachen Bauch liegen blieb. »Dämon hin oder her?«

»Solange es nur kein elender Mistkerl wie du ist«, murmelte sie träge, um gleich darauf einzuschlafen.

Elender Mistkerl. Und wenn er mit jeder seiner Handlungen etwas zwischen ihnen zerstörte? Tu nichts Unwiderrufliches. Heute Abend hatte sie »Ich hasse dich!« geschrien.

In all den langen Stunden, in denen er sie gequält und am Rande der Erlösung gehalten hatte, hatte sie sich ihm nicht ergeben. Sie war vollkommen außer sich gewesen; ihr Körper hatte sich in Ekstase gekrümmt. Sie hatte ihm die Hüften entgegengereckt, ihn verlockt, seinen Eid zu brechen. Als er ihr wunderschönes Geschlecht erblickt hatte, wie es glänzte, darauf wartete, gefüllt zu werden … Nichts hatte ihn je mehr erregt.

Aber jetzt waren die zwei Nächte vorbei. Morgen würde er sie dazu bringen, sich ihm vollkommen zu ergeben. Nachdem er sie dann genommen hätte, würde er auch endlich die Kontrolle über sich selbst zurückgewinnen – und das war dringend nötig.

Aufgewühlt und tief verunsichert schlief er schließlich ein.

Im Morgengrauen schlug Rydstrom die Augen auf und sah, dass er sich mitten in einer Illusion befand. Hirngespinste, die Sabine im Schlaf erschuf. Waren das etwa ihre Träume?

»Erhitzen, schlagen, hämmern und biegen. Drehen, wenden, küssen und lieben …«, sang eine Frau, die eine Handvoll goldener Ketten an ihre Wange drückte. Das war die Frauenstimme von letzter Nacht, nur dass er sie jetzt auch sehen konnte.

Eine Seidenmaske umrahmte ihre Augen, die einen gehetzten Eindruck machten. Ihr Kopfschmuck reichte auf beiden Seiten fast einen halben Meter bis hinter ihren Kopf – Fortsätze wie Flügel, jeder mit einer Vielzahl von Saphiren besetzt. Ihr pechschwarzes Haar darunter wirkte verfilzt.

»Gold ist Leben. Es ist Perfektion. Dieses Element existiert allein für uns.« Nachdem sie die Halsketten in einen übervollen Kasten auf ihrem Toilettentisch hatte fallen lassen, vergrub sie ihre Hände in einem Haufen Goldmünzen und ließ sie durch die Finger rieseln.

Als sie sich dem Spiegel zuwandte, konnte Rydstrom darin zwei kleine Mädchen sehen, eines mit rotem und eines mit schwarzem Haar. Es waren Sabine und Melanthe, beide noch sehr jung, die die Frau fasziniert mit großen Augen beobachteten. Es war ihre Mutter. Und offensichtlich war sie wahnsinnig …

»Biege es als Panzer über dein Herz, und nie wirst du dein Lebensblut verlieren. Vergolde dir Haar, Gesicht und Haut, und kein atmender Mann kann dir widerstehen. Eine Zauberin kann niemals zu viel stehlen, und wer es ihr wehrt«, ihre Miene wurde eiskalt, »den bringt sie um.«

Die Sorceri beten Gold an, hatte Sabine ihm erzählt. Er hatte gedacht, das wäre nur eine Ausrede für deren Gier, aber sie war überzeugt davon, dass es weit mehr bedeutete. Ihm fiel ihr Blick wieder ein, als er ihren Kopfschmuck ins Wasser geworfen hatte, und er fuhr sich mit der Hand über den Mund.

Ich werde ihr neuen Schmuck kaufen …

Als Sabines Augen hinter ihren Lidern hin- und herschossen und sie leise Schreie ausstieß, streckte Rydstrom die Hand nach ihrer Schulter aus, um sie zu wecken, zog sie aber gleich wieder zurück, als eine neue Szene erschien.

Ein Albtraum.

Sabine stand in einer stürmischen Nacht am Rand einer Grube, zusammen mit einer ganzen Reihe von Frauen rechts und links von ihr. Sie konnte kaum älter als vierzehn oder fünfzehn sein. Vor ihr stand ein Mann in schwarzen Gewändern, flankiert von einigen Gefolgsleuten mit Heugabeln in den Händen. Er forderte sie auf Latein auf, Abbitte für ihre bösen Taten zu leisten.

Sie setzte das höhnische Grinsen auf, das Rydstrom so gut kannte, und spuckte ihm ins Gesicht. Der Mann rächte sich mit einer gewaltigen Ohrfeige, die sie in die Grube – nein, es war ein Grab – beförderte.

Oh ihr Götter. Die anderen Männer bedrohten die Frauen mit ihren Heugabeln, bis diese auf Sabine drauffielen. Es folgte eine Schaufel voll Erde nach der anderen, das Gewicht erdrückte sie. Sie bekam nicht genug Luft …

Es schien eine ganze Ewigkeit zu vergehen, ehe eine gedämpfte Stimme von der Erdoberfläche rief. Ihre Schwester. »Erhebe dich, Abie! Steige empor und lebe!«

Bittere Gallenflüssigkeit stieg in Rydstroms Kehle auf, als Sabine begann, sich blindwütig ihren Weg an den Leichen vorbeizugraben. Sie hielt stur auf diese Stimme zu, bis ihre Schwester sie aus dem Grab ziehen konnte.

Kein Wunder, dass Sabine so hart war. Er hatte immer nur über ihre Heimtücke nachgedacht, nie begriffen, dass sie so geworden war, weil sie nichts anderes kannte. Wenn sie nicht so hart wäre, wäre sie längst tot. Und dann könnte sie jetzt nicht bei ihm sein. Sollte er vielleicht ausgerechnet die Eigenschaften verfluchen, die sie am Leben erhalten hatten, damit sie beide jetzt zusammen sein konnten?

Nein. Das hat jetzt ein Ende.

In der Illusion fiel sie auf die Knie und erbrach Erde. Lanthe kniete neben ihr und rieb ihr den Rücken. Als der Regen Sabine den Dreck aus den Haaren wusch, nahm Lanthe die neue weiße Strähne zwischen ihre Finger und weinte …

Seine Fäuste ballten sich, als kochende Wut in ihm aufstieg. Er musste für Sabine kämpfen, das Mädchen verteidigen, das einmal seine Frau sein würde. Ich würde alles dafür geben, zurückgehen und ihr das ersparen zu können …

Mit einem Mal zuckten seine Ohren bei einem nicht identifizierbaren Geräusch. Tief sog er die Nachtluft ein und witterte fremde Gerüche ganz in der Nähe. Schließlich vernahm er Schritte, die sich ihnen rasch näherten, aber als er die Umgebung absuchte, sah er nichts als ihren Traum. »Sabine!« Er rüttelte sie. »Wach auf!«

Ihre Illusion verdeckte ihm die Sicht auf die Realität. »Sabine, verdammt noch mal, wach …«

Sabine wurde von einem lauten Brüllen geweckt, als ein Kriegshammer auf Rydstroms Schädel traf. Der Dämon zuckte zurück, Blut spritzte von seinem Kopf. Mindestens sieben bewaffnete Teegloths griffen sie an – groteske Wesen, halb Mensch, halb Tier, mit großen Fängen, die ihnen aus dem Unterkiefer ragten, und reptilienartiger Haut.

Sie wollte an Rydstroms Seite springen, doch eines dieser Wesen schleuderte sie quer über die Lichtung. Halb betäubt blieb sie auf dem Boden liegen, rieb sich die Augen an ihrer Schulter und blinzelte wiederholt. Sie war völlig schutzlos und konnte sich nicht mithilfe ihrer Illusionen beschützen. Konnte Rydstrom nicht helfen …

Er war immer noch bei Bewusstsein! Als er sich mühsam auf die Beine rappelte, fauchte ihn einer der Angreifer an: »Wir nehmen uns jetzt die Frau.«

»Nicht solange ich am Leben bin.« Rydstrom war es gelungen, sich ihr zu nähern. »Komm hinter mich.«

Sie erhob sich etwas wackelig und schwankte auf ihn zu. Doch sie erreichte Rydstrom nicht, bevor die Kreaturen über ihn herfielen. Während er ihren geschwungenen Kriegshämmern immer wieder auswich, trieben sie ihn auf den Rand der Klippe zu. Eine Keule traf seinen Arm und zerschmetterte ihn. Das spitze Ende eines weiteren Hammers riss ihm den Oberschenkel auf. Als seine Beine nachgaben und seine Knie auf den Boden auftrafen, begann der Rand zu bröckeln, ja, sogar der Fels unter ihm zersplitterte.

Kurz bevor er endgültig nachgab, sah er ihr in die Augen. »Ich werde dich holen

Dann verschwand er in einer Lawine aus Staub und Felsentrümmern.

»Rydstrom!«, schrie sie und rannte auf den Abgrund zu. Oh ihr Götter! Zu dunkel … ich kann ihn nicht sehen!

Doch dann fiel ihr wieder ein, dass er ein gewaltiger, praktisch unzerstörbarer Dämon war und kein Sorceri. Er konnte das hier – und noch ganz anderes – überleben.

Wütend drehte sie sich zu den Angreifern um. »Warum habt ihr uns angegriffen? Seid ihr auf der Suche nach mir?« Vielleicht hatte Omort eine Belohnung auf sie ausgesetzt.

»Unser Land. Ihr Eindringlinge«, sagte einer von ihnen, während er Rydstroms Bündel plünderte und sein Schwert nahm. Er war der Größte von ihnen, also wahrscheinlich ihr Anführer. »Du Sklavenmarkt.«

Sklavenmarkt? Sie wussten nicht, dass sie zu den Sorceri gehörte; sie hatte weder ihre Kräfte zeigen können, noch war sie wie eine solche gekleidet. Sie trug keinen Schmuck, und die blauen Quasten an ihrem Gürtel sahen ganz und gar nicht nach Gold aus.

Soll ich ihnen sagen, dass ich eine Prinzessin von Omorts Hof bin oder dass ich die Königin des Dämonenkönigs bin?

In jedem Fall sollte sie rasch handeln. Die Teegloths waren nicht nur Sklavenhändler, sie waren außerdem Trophäenjäger, die die Körperteile ihrer besiegten Feinde an ihrer Kleidung befestigten. Ihre groben Lederwesten waren mit Fingern und Skalps geschmückt. Einer hatte ausschließlich Ohren an seiner Jacke und starrte ihre aus glänzenden Augen begehrlich an.

»Ich bin die Schwester von Omort von Rothkalina. Nach dem Gesetz seid ihr verpflichtet, Lösegeld für mich zu fordern.«

»Lösegeld – Sklavin verkaufen. Dasselbe«, sagte er in seiner primitiven Ausdrucksweise.

Sie hatte schon von den Sklavenmärkten gehört, deren Ausbreitung Omort gegen eine kleine Gewinnbeteiligung erlaubte.

»Das eben war König Rydstrom, den ihr angegriffen habt, und ich bin seine Frau. Er wird mich finden. Und wenn er sich über eure Kehlen hermacht, werde ich ihm über den Kopf streicheln.«

»Fesselt Frau?«, fragte einer der anderen.

»Das ist ein Spiel zwischen uns. Man kann wohl kaum erwarten, dass jemand wie du das begreift.«

Er schlug ihr ins Gesicht. Sie schwankte, den Mund voller Blut. Als sie ihn anspuckte, schlug er sie doppelt so fest, sodass alles vor ihren Augen verschwamm und sie ins Taumeln geriet. Er packte sie und warf sie sich über die Schulter. Als die Dämmerung einsetzte, brach die Meute auf.

Stunden später hatte Sabine immer noch kein Zeichen von Rydstrom entdeckt – oder von irgendeinem anderen Lebewesen, das ihr hätte beistehen können. Wieso ergab sie sich nicht jener eiskalten Wut, die sie so gut kannte? Wo waren die Übelkeit, das Bedürfnis zu handeln? Als sie begriff, woran es lag, war sie von sich selbst angewidert.

Ich erwarte, dass Rydstrom mich rettet.

Mit ihren gefesselten Händen griff sie nach der Rückseite ihres Gürtels, riss eine der blau-goldenen Quasten ab und ließ sie fallen, damit er ihrer Spur besser folgen konnte. Sie hoffte, dass er es zu würdigen wusste, dass sie seinetwegen mit Gold um sich warf. Aber das war vermutlich zu viel verlangt von diesem Weltverbesserer. Ihren Kopfputz hatte er schließlich weggeworfen wie einen faulen Apfel!

Als die Abenddämmerung anbrach, war sie davon überzeugt, dass sich jeder Tropfen Blut ihres Körper in ihrem Kopf angesammelt hatte. Außerdem hatte sie die Tatsache akzeptiert, dass Rydstrom möglicherweise nicht kommen und sie retten würde. Seine Verletzungen waren schwer gewesen, schon bevor er gestürzt war.

Jetzt drohte die Angst sie zu überwältigen. Und sie bangte nicht nur um sich selbst. Im verblassenden Sonnenlicht sah sie, dass der Sand felsigem Boden wich, während sie sich einem weiteren Berg näherten. Oh ihr Götter, sie brachten sie in die Felsen hinein, tief hinab in eine pechschwarze Mine.

Stundenlang war nun gar nichts mehr zu sehen, sie hörte lediglich das Keuchen und ein paar gegrunzte Wörter, während sie immer tiefer in den Berg vordrangen.

Endlich ließ sie der Teegloth im Finstern auf ihren Hintern plumpsen und sie konnte hören, wie die anderen sich in der Dunkelheit um sie herum bewegten.

Sie entzündeten ein Feuer, und sobald sie wieder etwas sehen konnte, wünschte sie sich fast, das wäre nicht der Fall. Während sie sich über ihr Abendessen hermachten – Knochen und blutiges Fleisch –, betrachteten sie Sabine mit neu erwachtem Interesse.

Sie musterte ihre Umgebung, hielt nach irgendetwas Ausschau, das ihr bei der Flucht helfen könnte. Sie befanden sich an einem Sammelpunkt verschiedener Schächte, an dem drei Korridore endeten. Die Mine sah genauso aus, wie man sich eine Mine vorstellte, mit hölzernen Deckenstützen und Gleisen am Boden.

Aber nirgendwo fanden sich liegen gelassene Hacken oder Schaufeln, an denen sie ihre Fesseln hätte aufscheuern können. Und Rydstroms Schwert befand sich zwischen ihren Habseligkeiten, die am Rande des Lagers willkürlich aufgestapelt waren – außer Reichweite.

Sobald die Teegloths mit dem Essen fertig waren, vergeudete der Anführer keine Zeit, sondern nahm sie zur Seite und zerrte sie unter sich. Sie konnte sich nicht wehren, mit den Fesseln war sie ihm hilflos ausgeliefert.

So hilflos war ich nicht mehr, seit ich ein kleines Mädchen war.

Ein dünner Speichelfaden hing im Mundwinkel des missgestalteten Mundes, der sich ihrem Gesicht näherte, während er ihren Umhang in Fetzen riss …