15
Rydstrom war von sich selbst angewidert. Ein Blowjob, und schon war er bereit gewesen, einfach zu kapitulieren. Sicher, es war der beste, den er je erlebt hatte, aber trotzdem …
Er schüttelte den Kopf. Es war nicht nur, was sie mit ihm gemacht hatte, sondern wie. Sie war alles, was er sich je erträumt hatte. Und als dann das ganze Zimmer in Flammen aufgegangen war und Sabine ihn die Intensität ihrer Gefühle sehen ließ … Welcher Mann würde nicht alles tun, um sie zu bekommen?
So kurz davor … Um ein Haar wäre er schwach geworden. Wenn Rydstrom sich geschlagen gab, könnte er sie schwängern. Und dann … was würde geschehen, wenn er nicht fliehen konnte, ehe sie versuchte, ihn umzubringen? Sein Kind würde von ihr und Omort aufgezogen und als Mittel zum Zweck eingesetzt werden. Sie hätten keine Ahnung von den Bedürfnissen eines Dämonenkindes. Als ob sie das interessieren würde. Niemals würde er sein Kind dieser Hölle auf Erden überlassen, die die beiden schaffen würden.
Sie forderte ein Gelübde, das Rydstrom nicht geben würde. Wenn ein König der Wutdämonen heiratete, erhob er seinen Anspruch auf die zukünftige Königin und legte zugleich ein feierliches Versprechen ab: »Ich nehme die Ehre, dich zu beschützen und zu bewahren, für mich in Anspruch. Du bist mein – meine Gefährtin, die ich berühren, beschützen und lieben werde. Du wirst an meiner Seite regieren und unsere Dynastie hervorbringen. Akzeptiere meinen Anspruch, und es wird so geschehen, jetzt und in Ewigkeit.«
Wenn seine Zukünftige ihn akzeptierte, dann waren sie von diesem Zeitpunkt an auf ewig vermählt. Aber unter Zwang konnte Rydstrom dieses Gelübde nicht ablegen. Er würde es tun, wenn er dazu bereit war. Und wenn sie sich als würdig erwiesen hatte.
Er hörte Schritte, es waren nicht ihre. Die Bediensteten waren bereits da gewesen, hatten seine Fesseln gelöst und ihn angekleidet. Eine Wachmannschaft, bestehend aus fünf Vampiren, materialisierte sich in seiner Zelle. Einer von ihnen war Lothaire, sein Erzfeind. Er war ein General der Horde gewesen, doch Rydstrom hatte seine Truppen nie angegriffen.
Rydstrom knurrte: »Was wollt ihr …?«
Sie fielen über ihn her wie ein einziger Mann. Ganz gleich, wie hart er kämpfte, nur mit seinen Hörnern und Fängen konnte er sie nicht abwehren und davon abhalten, ihm Hand- und Fußgelenke zusammenzuketten.
Nachdem sie sich mit ihm transloziert hatten, fand er sich im Thronsaal von Tornin wieder. Was Rydstrom dort zu sehen bekam, drehte ihm den Magen um.
Der Brunnen, dieser Quell reinster Macht, war von widerwärtigen Körperteilen übersät. Die bösartigsten Kreaturen der Mythenwelt hatten sich um ihn herum versammelt, Dutzende von Rassen: die Neoptera, geflügelte, insektenartige Humanoiden; die Alchemisten, uralte Männer mit langen, strähnigen grünen Bärten; die Cerunnos, Schlangen mit Widderköpfen …
In meinem Heim …
Omort saß auf einem goldenen Thron, ein höhnisches Grinsen im Gesicht. Als Rydstrom sich mit gefletschten Fängen auf ihn stürzen wollte, hielten ihn die Vampire fest. Kann mich nicht befreien …
»Willkommen an meinem Hof, Dämon. Jetzt sieht der mächtige Rydstrom gar nicht mehr so sagenhaft aus.«
»Kämpf mit mir, verdammter Feigling!«
Omort kam mit großen Schritten auf Rydstrom zu, blieb dann aber plötzlich stehen und richtete seine Aufmerksamkeit auf die Mitte des Saals, als ob er nicht anders könnte.
Rydstrom atmete entsetzt aus. Sabine! Sie war von einem Haufen Frauen umzingelt und blutete aus dem Mund. Sein Beschützerinstinkt flammte auf. Als er wieder begann, sich gegen die Vampire zu wehren, versetzte Lothaire ihm einen üblen Schlag in die Nieren.
»Ruhig, Dämon«, murmelte er mit schwerem Akzent.
»Hettiah wird Sabines Illusionen einfach auslöschen«, sagte einer von Lothaires Lakaien. »Ich wette zwanzig Sovereigns auf sie.«
»Ein Narr und sein Geld …« Lothaire seufzte. »Sabine wird sie zerschmettern. Sie verbrennt Zorn wie Kerosin.«
Sabines Augen wirkten glasig vor blinder Wut.
»Was ist hier los?«, verlangte Rydstrom zu wissen.
»Nur ein Streit unter Frauen. Hettiah, das ist die, die Sabine entfernt ähnelt, und ihre Freundinnen haben vor, deine Zukünftige zu ermorden. Sie sehen ihr Versagen bei dir als Schwäche an und werden sie immer wieder angreifen.« Mit leiser Stimme fügte Lothaire hinzu: »Du bringst sie um, Dämon.«
»Lasst mich los, damit ich sie beschützen kann!«
»Sieh einfach weiter zu.«
Es waren viel zu viele. Sie konnte es nicht mit einem ganzen Dutzend auf einmal aufnehmen. Eine von ihnen schlich mit einem Dolch hinter sie.
»Sabine!«
Blitzartig duckte sie sich und wich so der Klinge aus, wobei sie gleichzeitig mit dem ausgestreckten Bein einen Halbkreis beschrieb und ihre Angreiferin zu Fall brachte. Sobald die Frau auf dem Boden lag, schnappte sich Sabine den Dolch und hob ihren Fuß in den schweren Stiefeln, um das Gesicht ihrer Feindin mit dem Absatz zu zerschmettern.
Als sie sich hastig zu Rydstrom umdrehte, wirkte sie entsetzt, dass er anwesend war, bevor sie ihr Gesicht zu einer Maske erstarren ließ. Ihre Blicke trafen sich. Ihrer enthielt eine stumme Warnung. Er konnte nichts tun, um ihr zu helfen.
Im nächsten Augenblick erweckte sie den Anschein, als ob sich ihr Körper in Hunderte wild flatternder Fledermäuse verwandelte, während sie sich in den Deckmantel der Unsichtbarkeit hüllte. Hettiah erhob die Hände, um Sabines Illusion auszulöschen, aber es war schon zu spät. Als Sabine wieder sichtbar wurde, hatte sie ihre Klauen bereits in Hettiahs Kopfhaut gebohrt.
Während Sabine sie mit der einen Hand festhielt, holte sie mit ihrem anderen Panzerhandschuh aus, ballte ihn zur metallenen Faust und landete einen Hieb auf Hettiahs Nase. Knochen splitterte, und Blut spritzte, begleitet von Hettiahs Schreien.
Sabine ließ nicht locker, und zugleich drehte und wand sie ihren schlanken Körper, sodass Hettiahs Schläge ins Leere gingen. Mit der Handfläche ihrer anderen Hand zielte sie auf die herbeieilenden Gegnerinnen, genauso wie sie es mit ihm gemacht hatte, als sie seine Gedanken nach Geheimnissen durchstöbert hatte. Die Frauen kreischten in panischer Angst auf und versuchten, sich die eigenen Augen auszukratzen. Hatte sie ihre Albträume heraufbeschworen?
Dann wirbelte Sabine mit hoch erhobenem Fuß herum, sodass ihr Stiefel auf Hettiahs Unterkiefer landete. Deren Körper wurde zurückgeschleudert, wobei ein großes Stück Kopfhaut mitsamt Haaren in Sabines Klauengriff zurückblieb. Sie warf den Fetzen zu Hettiahs bewusstlosem Körper auf den Boden und machte sich gleich wieder unsichtbar.
Diejenigen ihrer Gegnerinnen, die noch standen, suchten ihre Umgebung mit hektischen Blicken ab, konnten sie aber nicht sehen. Auf einmal stand eine von ihnen mit einer klaffenden Wunde in der Kehle da. Einer anderen bohrte sich ein Messer in die Schläfe, sodass sie mit dem Gesicht nach unten auf den Boden stürzte.
Als sie auf diese Weise all ihre Gegnerinnen niedergestreckt hatte, machte sich Sabine wieder sichtbar. Rydstrom starrte sie mit offenem Mund an, so wie jeder andere Anwesende, bis auf Lothaire, der damit beschäftigt war, seine Gewinne einzusammeln.
Sie war von oben bis unten mit Blut bespritzt, vollkommen außer Atem und … sie lächelte. Bis sie Omort erblickte, der auf Rydstrom zustürmte, die Augen gelb vor Wut.
Rydstrom stieß ein gewaltiges Brüllen aus und warf sich nach vorne, um dem Griff der Vampire zu entkommen. Der Hexenmeister lachte nur. Mit einer einzigen kurzen Handbewegung schleuderte er Rydstrom gegen die Mauer und hielt ihn dort fest, von einer unsichtbaren Hand an der Kehle gepackt.
Mit einem Schulterzucken translozierten sich Lothaire und seine Vampirwachen davon.
»Plant Nïx, mich gefangen zu nehmen?« Omort verstärkte den Griff um Rydstroms Hals. »Sag mir, was sind ihre Schwächen?«
Was zum Teufel hatte Nïx denn jetzt schon wieder angestellt? Rydstrom biss die Zähne aufeinander, als die Knochen in seinem Genick zermalmt wurden. Er konnte keinen Finger rühren, um sich zu verteidigen.
»Antworte mir, Dämon!«
Der Druck ließ langsam nach. »Kämpfe gegen mich!« Dann wurde er erneut stärker. Schwarze Punkte begannen vor seinen Augen zu tanzen.
»Was tust du denn da?«, schrie Sabine, während sie sich ihren Weg durch die Menge bahnte. Sie war wie eine Furie in ihrem Zorn, mit Blut im Gesicht und den Haaren. Ihre Augen glühten wie heißes blaues Metall. Rydstrom konzentrierte sich nur auf sie. Bleib am Leben … bleib am Leben.
»Ich befrage meinen Gefangenen«, erwiderte Omort über die Schulter hinweg. »Bevor ich ihm die Arme ausreiße, für die Walküre.«
Ein weiterer Knochen zersprang, Rydstroms Rückgrat war gebrochen. Keinerlei Gefühl vom Hals abwärts. Omort würde so lange zudrücken, bis er ihm den Kopf vom Körper gequetscht hatte.
So wird es also enden. Seine Haut begann aufzureißen. Szenen aus einem langen, ermüdenden Leben blitzten vor seinen Augen auf. Keine Frau, keine Nachkommen. Sein einziges Vermächtnis war … Versagen.
»Lass – ihn – sofort – los!«
Omort wandte sich Sabine zu. Nach einem kurzen Augenblick plumpste Rydstrom zu Boden. Dort blieb er gelähmt liegen, sein Körper vollkommen leblos. Während seine Sehkraft langsam wieder zurückkehrte, schien es ihm, als ob der Boden sich neigte. Es polterte, und ein stürmischer Wind erfüllte den Saal. Sabines ungezähmtes Haar tanzte wild um ihr Gesicht.
Alle Anwesenden rannten, um Schutz zu suchen.
»Er ist mein Gefangener, Bruder. Und er steht unter meinem Schutz.« Obwohl sie im Vergleich mit Omort geradezu winzig war, sah die Zauberin ohne jede Furcht zu ihm auf. »Ich hatte dir doch deutlich zu verstehen gegeben, dass ich nicht wünsche, dass er verletzt wird.«
Omort machte zögernd einige Schritte auf sie zu. Sein verzückter Blick verriet seine Faszination.
Omort … begehrt sie? Als Geliebte?
»Verlass diesen Saal.« Sie befahl Omort zu gehen, weigerte sich, ihn auch nur anzusehen. Und der Hexenmeister drehte sich tatsächlich um und machte Anstalten, sich zu entfernen.
Es waren ihm Gerüchte über Inzest zu Ohren gekommen; man munkelte, dass Omort eine seiner Schwestern auf unnatürliche Weise liebte. Nicht sie. Nein, bitte nicht sie.
Doch Rydstrom konnte nicht leugnen, was so offensichtlich war – Omort begehrte Sabine.
Auch wenn Rydstrom nach wie vor kaum Luft bekam, lachte er bitter auf, dem Wahnsinn nahe. Meine Burg, mein Heim … meine Frau. Alles ist falsch, verdreht.
»Wie dich das quälen muss«, stieß er mit rauer, keuchender Stimme hervor. »Zu wissen, dass ein Dämon seinen Anspruch auf dein Eigentum erheben wird. Zu wissen, dass sie mich dir für alle Ewigkeit vorziehen wird.«
Sabines Augen wurden groß. Omort wirbelte herum. Nach einer weiteren knappen Handbewegung durchstieß eine unsichtbare Kraft Rydstroms Brust und ließ eine klaffende Wunde zurück.