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Niemals hätte Rydstrom gedacht, dass es ihn einmal so glücklich machen würde, eine Frau eifersüchtig zu sehen. Sabine war eifersüchtig auf Durinda. Das hatte sie im Verlauf der letzten beiden Tage mehrfach bewiesen. Dies war ein Anzeichen, dass seine Frau vielleicht doch etwas für ihn empfand – ein Anzeichen, das er niemals erwartet hätte.

Das Puzzle wurde schon wieder kniffliger.

Rydstrom verbrachte einen Großteil seines Tages mit der Dämonin, da sie ihm dabei half, die bevorstehenden Portaldurchquerungen zu organisieren. Die meisten würden in eine der wenigen Städte gehen, in denen die Mitglieder der Mythenwelt zahlreich vertreten waren, wie New York oder Savannah. Für ein bisschen zusätzliches Geld konnte man dem Portalwächter genaue Koordinaten geben. Es war gar nicht so einfach, so viele Mythenweltgeschöpfe in die menschliche Gesellschaft zu integrieren. Wenn mit einem Schlag tausend Dämonen in Savannah auftauchten, konnte das nicht unbemerkt vor sich gehen.

Während Rydstrom mit seinem Volk zusammenarbeitete und sie auf diese neue Welt vorbereitete, wuchs seine Scham darüber, dass er ihnen gegenüber zuweilen einen Groll gehegt und seine Verantwortung ihn gestört hatte. Wie er jetzt feststellen konnte, war sein Volk arbeitsam, fleißig und bodenständig.

Durinda war bei den Vorbereitungen für den Exodus eine unschätzbare Hilfe, aber Rydstrom genoss darüber hinaus auch ihre Gesellschaft. Sie war jemand aus seiner Vergangenheit, mit dem er Erinnerungen an Tornin in besseren Zeiten austauschen konnte. Er unterhielt sich gern mit ihr über die Burg, rief sie sich in all ihrer Pracht und Herrlichkeit ins Gedächtnis und versuchte auszulöschen, was er vor ein paar Tagen bei Hofe mitangesehen hatte.

Außerdem sprachen sie über Mia, Zoë und Cadeon. Durinda erzählte ihm, dass einer der Gründe, wieso sie sich so zu Puck hingezogen fühlte, der war, dass er sie sehr an Cadeon in diesem Alter erinnerte. Rydstrom ging es genauso.

Er erinnerte sich an den kleinen flachsblonden Jungen, der sein Bruder einmal gewesen war. Seine neuen Hörner hatten ihn fast wahnsinnig gemacht, da sie beim Wachsen juckten wie verrückt. Er war mit ihnen überall dagegen gerannt, sogar gegen die Mauern der Burg, und überall waren kleine Dellen in einem Meter Höhe zurückgeblieben.

Niemals hätte Rydstrom gedacht, dass er Cadeon einmal vermissen würde, aber genau das war der Fall. In all diesen Jahrhunderten hatten sie zusammen gegen andere gekämpft und immer wieder auch gegeneinander. Vor Sabine war Cadeon der Einzige gewesen, der Rydstrom wütend machen konnte. Er lachte laut auf. Die beiden würden perfekt miteinander auskommen.

Aber trotz aller Streitigkeiten zwischen Rydstrom und Cadeon waren sie nur selten getrennt gewesen. Sie waren so oft zusammen, dass man sie in der Mythenwelt allgemein nur die Woede-Brüder nannte. Zurzeit bewohnte Cadeon Rydstroms Poolhaus.

Heute hatte Rydstrom erfahren, dass viele der Rebellen sich aufgrund der Erfolge seines Bruders bei der Suche nach dem Schwert erneut zusammenschlossen. Er war stolz auf Cadeon. Schockiert, aber stolz.

Rydstrom und Durinda hatten auch noch etwas anderes gemeinsam. Sie verließ diese Ebene nur widerstrebend, um einen Mann zu heiraten, den das Schicksal ihr bestimmt hatte, weil sie sich weigerte, dies anzuerkennen.

»Zumindest ist er davon überzeugt, dass wir ein Paar sind«, hatte sie gesagt. »Ich bin mir da ganz und gar nicht sicher. Wir haben absolut nichts gemeinsam. Ich glaube nicht, dass sich zwei unterschiedlichere Geschöpfe als wir finden ließen.«

Durinda hatte ja keine Ahnung.

Rydstrom und Sabine waren nahezu vollkommene Gegensätze. Aber es bestand keinerlei Zweifel daran, dass Sabine die Seine war. Auch wenn Rydstrom darauf brannte, noch einmal mit seiner Zauberin ins Bett zu steigen – und sie mit seinem Mal zu versehen –, würde er es langsam angehen und erst einmal ihr Vertrauen verdienen.

Schließlich hatte Rydstrom noch die ganze Ewigkeit vor sich.

Mit jedem Tag, den sie hier war, fühlte sich Sabine gegen ihren Willen mehr zu dem Dämon hingezogen.

Als sie ihn jetzt dabei beobachtete, wie er sich zum Ausgehen fertig machte, wurde ihr klar, dass sie ihn nicht wahrhaftig als potenziellen Gefährten angesehen hatte, ehe er sich von seinen Ketten befreit hatte. Sie respektierte Macht, fühlte sich zu ihr hingezogen, und er war machtlos gewesen. Jetzt war er so eindrucksvoll, er hatte das Sagen, und das war wundervoll. Die Leute starrten ihn ehrfurchtsvoll an, wenn er sich zwischen ihnen bewegte.

Und doch, selbst wenn er sich unter so vielen seines Volkes befand, schien er immer noch … einsam zu sein. Ein königlicher Dämon, der sich von allem und jedem fernhält.

Unglücklicherweise wurden Sabines veränderte Gefühle nicht erwidert. Jeden Tag verbrachte Rydstrom mehr Zeit mit Durinda, und Puck ließen sie bei ihr zurück, um sie zu ärgern. Sie gingen wohl davon aus, dass der Junge immun gegen ihren Einfluss wäre, weil er sie nicht verstand. Und sie konnte den kleinen Mistkerl einfach nicht dazu bewegen zu gehen. Immer wieder betrat er voller Scheu ihr Zelt und brachte ihr jedes Mal ein »Geschenk« mit. An einem Tag erhielt sie eine vertrocknete Libelle, am nächsten einen Kieselstein.

Rydstrom begleitete Sabine immer noch jeden Morgen zu den heißen Quellen. Wenn sie an Durinda und ihren Freundinnen vorbeikamen – sie alle trugen dieselben blöden langen Röcke, die sie auch ihr aufgezwungen hatten –, ging die Dämonin immer sehr vertraut mit Rydstrom um, was Sabine immer wieder auf die Palme brachte.

Doch jede Nacht hielt er sie im Bett dicht an sich gedrückt. Da sie fünf oder sechs Stunden pro Nacht schlief, hatte sie mehrfach Albträume. Jedes Mal wenn sie erwachte, war er da und streichelte ihr zärtlich übers Haar.

In der letzten Nacht hatte er ihr zugeflüstert: »Schhhh, Kleines. Ich halt dich fest.« Sie bekam immer noch jedes Mal eine Gänsehaut, wenn sie sich daran erinnerte.

Aber er hatte nicht ein einziges Mal versucht, wieder mit ihr intim zu werden, obwohl sie seine Erektion fühlte, die sich in ihren Rücken bohrte. Seine Kasteiung beunruhigte sie sehr, und sie wünschte sich, sie könnte mit ihrer Schwester über sein Verhalten reden. Lanthe war eine Expertin für die Liebe. Sie würde verstehen, was Rydstrom bezweckte.

Bei den Göttern, sie vermisste ihre Schwester so sehr. Noch nie waren sie so lange voneinander getrennt gewesen. Aber genau wie er es versprochen hatte, ermöglichte Rydstrom es ihr, Lanthe zu schreiben.

Am zweiten Abend hatte der Dämon Sabine ein Stück Pergament und einen Federkiel gebracht. Aber wenn sie geglaubt hatte, es werde sich eine Gelegenheit zur Flucht ergeben, hatte sie sich getäuscht. Er hatte ihr eine Hand freigegeben und die andere hinter ihrem Rücken festgehalten, während er ihr über die Schulter hinweg beim Schreiben zusah.

»Sag ihr einfach nur, dass ich dich von dieser Ebene fortbringe«, hatte er gesagt. »Dieser Brief wird Tornin erst erreichen, wenn wir schon fort sind.«

»Sie wird wissen, dass du nach New Orleans gehst. Omort wird Assassinen dorthin schicken.«

»Ja«, hatte er einfach gesagt.

Als sie fertig war und Rydstrom sie wieder gefesselt hatte, hatte sie gesagt: »Fast wäre ich geneigt gewesen, dich zu umarmen, Rydstrom, aber leider bringen Umarmungen ohne Arme nicht so wahnsinnig viel. Stattdessen werde ich dir einen Gefallen tun. Ich werde dir mit deinem Bruder helfen.«

»Cadeon und mir kann auch eine Zauberin nicht helfen. Außerdem habe ich das für dich getan, weil du dich bei der Bestrafung dieser Jugendlichen kooperativ gezeigt hast. Und jetzt willst du mir auch wieder einen Gefallen tun? Ich möchte nicht, dass das bei uns zur Gewohnheit wird.«

»Warum nicht?«

»Weil du und ich … weil wir zusammen sind.«

In dem Moment hatte sie gedacht: Sind wir tatsächlich zusammen, und was genau bedeutet das? Sie hatte null Erfahrung mit Beziehungen.

»Oh, dann eben nicht«, sagte sie leichthin. »Ich wollte dir nur etwas sagen, was deine Verbitterung über die Vergangenheit vielleicht ein wenig mindert.«

»Dann rede«, sagte er unwirsch.

»Tornin wäre so oder so gefallen, ganz unabhängig von Cadeons Entscheidung.«

»Alles, was mein Bruder zu tun hatte, war, auf meine Botschaft zu antworten, sich auf den Weg zur Burg zu machen und innerhalb ihrer Mauern zu bleiben, bis ich von der Frontlinie gegen die Vampire zurückgekommen wäre. Stattdessen hat er mir den Rücken zugekehrt und ist lieber bei seiner Pflegefamilie geblieben. Ich weiß, dass du die Dringlichkeit dieser Angelegenheit nicht verstehst, aber königliche Präsenz auf Tornin war unerlässlich.«

»Oh, ich verstehe schon – wer auch immer Tornin beherrscht, beherrscht das Königreich. Aber das wusste Omort nur zu gut. Darum befahl er auch fünfhundert Männern, Cadeon aufzulauern und ihn zu ermorden.«

Rydstrom war ganz still geworden. »Was hast du gesagt?«

»Es spielte überhaupt keine Rolle, wie viele Wachen du zu Cadeons Schutz abgestellt hättest. Wenn dein Bruder deine Botschaft nicht ignoriert hätte, hätte er die Burg niemals lebend erreicht.«

»Woher soll ich wissen, dass du die Wahrheit sagst?«

»Warum sollte ich lügen?«

Als er gegangen war, hatte er wie ein Mann ausgesehen, der soeben einen Fausthieb mit einem Panzerhandschuh einstecken musste.

Jetzt machte er sich schon wieder bereit, um sie zu verlassen. Der Dämon trug einen dunkelgrünen Waffenrock, der die Farbe seiner markanten Augen zur Geltung brachte. Der gewebte Stoff schmiegte sich an seine breiten Schultern und die muskulöse Brust. Sein pechschwarzes Haar war so zerzaust wie immer.

»Wohin gehst du diesmal?«, erkundigte sie sich.

»Auf die Jagd.«

»Mh-mhh. Mit wem? Durinda?« Sie klang schon wie eine verschmähte Ehefrau. Ihr fehlten nur noch eine Zigarette im Mundwinkel und ein brüllendes Kind auf der Hüfte.

Er schnallte sich seinen Schwertgurt um die Taille. »Ganz genau.«

»Du meinst, es ist Frauen hier erlaubt, Pferde zu reiten?« Sie blinzelte in gespieltem Erstaunen. »Dürfen sie etwa auch Waffen berühren? Oder werden sie dann aus dem Clan des Bären verstoßen wie Ayla?« Als er nicht anbiss, fragte sie: »Was ist denn bloß so interessant an dieser Dämonin?«

»Es gefällt mir, dass sie die Sorge für andere über ihr eigenes Wohl stellt«, sagte er. »Und ich bewundere sie für ihre edle Gesinnung und ihre Tugend.«

Sabine schnaubte verächtlich. »Ich könnte auch tugendhaft sein, wenn ich wollte.«

»Du kennst doch nicht einmal die Bedeutung dieses Wortes«, sagte er in ungläubigem Tonfall.

»Aber sicher doch – es bedeutet, dass dein Stringtanga weiß sein muss.«

Er verdrehte die Augen in Richtung Zeltdecke und atmete tief ein, bestrebt, nicht die Geduld zu verlieren.

»Sieh mal, ich unterhalte mich einfach gern mit ihr. Es gefällt mir, ein Gespräch zu führen, das am Ende nicht in einen Kampf ausartet.«

»Ach so, dir gefallen also die Gespräche?« Sabine lief auf den Knien zu ihm. »Dann bin ich sicher, du wirst vergessen, was ich mit meinem Mund getan habe, wenn du nur genug Gespräche mit ihr bekommst.« Sie blickte zu ihm auf. »Konversation übertrumpft grundsätzlich exquisiten Oralsex. Du wirst dich kaum noch erinnern, wie heiß mein Mund war und mit welcher Gier ich über dich hergefallen bin.« Sie leckte sich über die Lippen.

Er schluckte und bekam vor ihren Augen eine Erektion. »Das habe ich nicht vergessen, Sabine. Ich denke ständig daran. Aber es ist auch sehr angenehm, sich in Gegenwart eines anderen einfach nur wohlzufühlen, ungezwungen und kameradschaftlich. Wenn ich all das mit dir haben könnte …«

»Ungezwungen?« Ihre Augen wurden zu schmalen Schlitzen. »Du hast mit ihr geschlafen?«

»Nein, das hab ich nicht! Warum sagst du das?«

»Wegen der Art, wie sie dich ansieht. Und mich.«

»Was stört dich an dieser Situation denn am meisten? Wie schnell dir der Junge ans Herz gewachsen ist oder wie sehr ich es genieße, Zeit mit einer anderen Frau zu verbringen?« Schon im Gehen sagte er noch: »Ich bin gegen Sonnenuntergang wieder da.«

Na wunderbar. Sie musste ihren Ehemann erregt und verärgert zu einer Verabredung mit einer anderen Frau gehen lassen.

Ihr blieb nichts anderes zu tun, als an das Zeltdach zu starren und über ihre Lage nachzugrübeln. Was würde sie tun, wenn sie Rydstrom entkommen könnte? Die Erzählungen über die Ungeheuer, die im Reich der Finsternis lebten, und ihre kürzliche Entführung durch die Teegloths hatten ihren Eifer, sich allein auf den Weg zu machen, eindeutig gedämpft. Andererseits fragte sie sich, ob irgendetwas schlimmer sein könnte als der Entzug des Morsus?

Wenn es ihr irgendwie gelänge, zurück nach Tornin zu kommen, ohne Kind im Bauch und ohne Dämon, würde Omort möglicherweise auf der Stelle über sie herfallen. Er könnte ihr sogar das Gift so lange vorenthalten, bis sie sich ihm hingab.

Ja, das musste der Grund sein, wieso sie zögerte, dem Dämon davonzulaufen – und nicht etwa ihre wachsende Zuneigung zu ihm. Und auch nicht, dass sie fast jedes Mal wenn sie seine festen Lippen betrachtete, darüber nachdachte, ihn zu küssen.

Es dauerte eine weitere Stunde, ehe Puck, der kleine Dämon, das Zelt betrat. Er hatte ihr ein weiteres Geschenk mitgebracht.

»Eine Eidechse. Die habe ich mir schon immer gewünscht.«

Als das Tierchen von seiner Hand aus in ihr Haar hüpfte, stieß Sabine einen Schrei aus und schüttelte heftig den Kopf, bis es wieder heruntersprang.

Puck lachte, und es hörte sich nicht wie dieses seltsame, schrille Kichern an, das sie bislang von Kindern kannte und das in ihr jedes Mal die Frage aufkommen ließ, wieso irgendjemand ein Kind kitzeln sollte, damit es dieses Geräusch von sich gab.

Er lachte stillvergnügt in sich hinein, und irgendwie geschah es, dass sie ihn daraufhin anlächelte. Er lief hinter der Eidechse her, wobei er immer wieder über die Schulter hinweg zu ihr hinsah und ihr zuwinkte, als ob er ihr versichern wollte, dass er das Geschenk schon wieder einfangen werde.

Sie verzog das Gesicht. Er ist der Einzige hier, der nett zu mir ist.

Auf Tornin war sie immer von ihren unterwürfigen Inferi umgeben gewesen. Höflinge krochen jedem in den Arsch, wenn sie dafür irgendetwas erwarten konnten. Hier hasst mich jeder ganz offen. Zum Glück machte ihr das nichts aus. Gar nichts.

»Hey! Setz dich doch einfach mal hin, Junge. Du machst mich noch ganz schwindelig.« Als er zögerte, wies sie mit einem Kopfnicken auf den Boden neben sich. »Setz dich.« Er ließ sich zu Boden fallen. »Wenn du mein einziger Freund an diesem gottverlassenen Ort bist, dann muss ich zusehen, dass du anfängst, für mich zu arbeiten. Und was dein kleines Messer angeht, das hab ich durchaus ernst gemeint.«

Unverständnis. Er begann schüchtern auf Dämonisch – oder wie sie gern sagte: Kauderwelschisch – zu reden.

»Bla, bla, bla. Ich spreche diese Sprache nicht, Dämonenjunge. Zudem möchte ich mir das Gehirn nicht verpesten, indem ich sie lerne. Also ist es Zeit, dass du meine Sprache lernst. Erste Lektion: Ich bin Sä-bien. Man beschreibt mich oft als wun-der-schön und ma-jes-tä-tisch

»Ai-bee«, sagte er.

Sie erstarrte. Mein Name, wie ihn meine kleine Schwester immer sagte. Die Schwester, die mir fehlt wie eine verlorene Gliedmaße. »Nenn mich nie wieder so!«

Er riss die Augen weit auf. Toll, jetzt würde sie auch noch ihre einzige Unterhaltung verlieren. »Haha, Sabine hat nur Spaß gemacht.«

Der kleine Dämon legte den Kopf auf die Seite. Sie wartete darauf, dass er sich aus dem Staub machte … Aber das tat er nicht. Sie runzelte die Stirn, als ihr bewusst wurde, dass sie tatsächlich die Luft angehalten hatte.