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Überall Wutdämonen.

Rydstrom und sie waren zwei Dämonen – Lagerwachen – gefolgt, bis sie gegen Sonnenuntergang ein Steilufer erreicht hatten, von dem aus man einen guten Überblick über ein Meer von Zelten hatte, die sich darunter ausbreiteten.

Als die Wachen sie entdeckt hatten, wollten sie zunächst einmal wissen, was sie außerhalb der Grenzen zu suchen hätten, »wo doch das ganze Ungeziefer unterwegs« sei.

Rydstrom hatte einfach nur verlangt, zu demjenigen gebracht zu werden, der das Kommando hatte. Er trug kein Hemd und war immer noch blutbeschmiert, aber er war äußerlich wenn nicht ruhig, so doch zumindest stabil.

Als Rydstrom und sie den Wachen nun hinunter zum Lager folgten, durch eine Ansammlung von Hunderten von Dämonen hindurch, sah Sabine sich fasziniert um.

Und die Dämonen starrten zurück. Überall wurde geflüstert; die Frauen schienen sich in erster Linie über ihren Mangel an Kleidung zu ereifern. Die Frauen hier zogen es offensichtlich vor, sich mit einer Unmenge davon zu bedecken, einschließlich unnötig langer Ärmel und Röcke.

Eine geringere Zauberin hätte sich von der Tatsache, dass sie lediglich mit einem Streifen Stoff, einem Mikromini und jeder Menge Sand bekleidet war – und ihr zudem noch die Hände gefesselt waren –, verunsichern lassen. Sabine blickte sich lediglich mit gelangweilter Miene um.

Als die Männer ihren Körper anzüglich anstarrten, verkrampfte sich Rydstroms Hand auf ihrem Arm, und seine Hörner begannen zu wachsen.

Sabine schnaubte frustriert, als sie sich umsah. Eine mittelalterliche Burg, ein mittelalterliches Königreich und ein mittelalterliches Volk. Wieso überraschte es sie eigentlich, dass dieser Ort wie ein Mittelaltermarkt aussah?

Die »Unterkünfte« bestanden aus Zelten, geschmückt mit einer Art reich verziertem Volant und diversen Wimpeln, die im Wind wehten. Sie erkannte die Farben einiger adliger Familien. Diese Dämonen stammten aus allen Ecken des Königreichs.

Die Wachen brachten sie zu einem runden Pavillon von beträchtlicher Größe, in dem eine ganze Anzahl gut gekleideter Männer, offensichtlich Adlige, geschäftig hin und her liefen.

Einer von ihnen fragte Rydstrom: »Was habt ihr außerhalb der Grenzen zu schaffen? Jedermann wurde vor den Gefahren dieses Ortes gewarnt.«

»Wir gehören nicht zu dieser Gruppe. Wir kamen von außerhalb.«

»Tja, wir haben hier jedenfalls keinen Platz mehr«, sagte der Mann. »Wir können auch so schon kaum noch alle Mäuler stopfen.«

»Dann schafft eben Platz. Ich bin Rydstrom, euer König

Der einsetzenden Stille folgte alsbald ein gewaltiger Tumult.

»Rydstrom hat sich schon seit Jahrhunderten nicht mehr auf dieser Ebene blicken lassen!«

»Aber die Narbe …?«

»Es gab Gerüchte, dass irgendeine Zauberin ihn gefangen genommen habe.«

»Nur irgendeine Zauberin?«, meldete sich Sabine zu Wort. »Ihr wolltet wohl sagen, die Zauberin …«

»Ich bin euer König«, übertönte Rydstrom sie. »Und ich bin das Ganze hier langsam leid.«

»Es ist wahr«, meldete sich eine Frau, die weiter hinten stand. »Er ist Rydstrom.« Eine Dämonin trat vor. Sie war wunderschön, mit langem kastanienbraunem Haar und zierlichen Hörnern, die gesund glänzten. Allerdings schien sie Pastellfarben zu bevorzugen, und damit war sie für Sabine für alle Zeit gestorben.

Rydstrom sah die Frau mit zusammengekniffenen Augen an. »Kenne ich dich?«

Sie schien überrascht. »Ich … oh ja, das tut Ihr. Ich bin Durinda. Ich war Zofe bei einer Eurer Schwestern auf Tornin.« Ein kleiner Dämonenjunge von vielleicht sechs Jahren streckte die Nase hinter ihren viel zu langen Röcken hervor. »Und dies ist Puck.« Sie zerstrubbelte ihm sein blondes Haar. »Er war der Sohn meiner besten Freundin.«

Puck hatte einen seiner Milchfangzähne verloren und starrte Sabine mit großen Augen an. Das schien diese Durinda zu stören, da sie ihn auf der Stelle nach draußen schickte.

Sabine war soeben der rosa Elefant in diesem Zelt geworden. Als mit einem Schlag alle Augen auf sie starrten, sagte Rydstrom: »Meine Gefangene, Sabine. Aus Burg Tornin.«

Mehr als ein Unterkiefer fiel nach unten, und erneut erhob sich ein gewaltiger Tumult.

»Omorts Schwester?«

»Die Königin der Illusionen?«

»Sie wird uns alle umbringen, während wir schlafen!«

Sabine sah Rydstrom mit vorgestrecktem Kinn an. »Ach, jetzt bin ich also einfach nur deine Gefangene? Warum hast du mich denn nicht als deine …«

»Schweig!« Er packte sie so fest am Arm, dass sie zusammenzuckte und vorläufig den Mund hielt.

»Ist dies der Ort, an dem sich die Portale öffnen, die von dieser Ebene wegführen?«, erkundigte sich Rydstrom bei dem offensichtlichen Anführer.

»Ja, mein Lord«, antwortete der Mann. »In vier Tagen.«

In diesem Augenblick fiel Sabine auf, dass Durinda von Rydstroms muskulöser Brust fasziniert zu sein schien. In den Augen dieser Dämonin lag etwas, das Sabine dazu veranlasste, näher an ihn heranzutreten und sich so eng an ihn zu schmiegen, dass er mit gerunzelter Stirn zu ihr hinabblickte.

Möglicherweise würde Sabine ihren Ehemann nicht behalten, aber im Augenblick gehörte Rydstrom ihr, und Sabine hatte nie gelernt zu teilen.

»Ich bin sicher, dass Ihr von Eurer Reise erschöpft seid, mein Gebieter«, sagte Durinda. »Ihr könnt mein Zelt haben, und wir werden auch einen Platz für … sie finden.«

»Sie bleibt bei mir«, befahl er.

Durindas Gesicht erblasste bei seinem schroffen Tonfall. »S-selbstverständlich.«

»Wir nehmen deine Gastfreundschaft gerne an, Durinda«, sagte Sabine. Wie es uns zusteht.

Obwohl sich die Schultern der Dämonin versteiften, geleitete sie sie zu einem geräumigen Zelt. Das Zelttuch war von einem matten Blau und die Volants waren mit einer stahlgrauen Bordüre verziert. Der Stoff besaß ein filigranes Muster, sodass alles überaus eindrucksvoll wirkte – und Reichtum verriet.

Das Farbschema wurde innerhalb des Zeltes fortgesetzt. In einer Ecke stand ein graues Bett, auf dem üppige blaue Steppdecken lagen. Von den Dachträgern hingen Papierlaternen, die mit dem passenden Muster verziert waren.

Sabines Pavillon würde in leuchtendem Blutrot und Pechschwarz gehalten sein, dazu ein goldener Saum. Aus echtem Gold. Weil ich es wert bin.

Die Dämonin ergriff ein paar Taschen und zögerte an der Eingangsöffnung.

»Das wäre alles, Durinda«, sagte Sabine kurz und bündig.

Mit einem entrüsteten Schnauben machte diese daraufhin auf dem Absatz kehrt.

»Musstest du dich so aufführen?«, fragte Rydstrom, sobald sich die Zeltklappe geschlossen hatte.

Sabine fuhr zu ihm herum. »Ja. Allerdings.« Das Weib hat meinen Ehemann angegafft!

»Sie tut uns einen Gefallen, indem sie uns hier schlafen lässt.«

»Von wegen. Sie glauben, dass du ihr König bist, was wiederum bedeutet, dass dieses Zelt und alles in diesem Lager und in dem ganzen verfluchten Königreich dir gehört. Da ich deine Königin bin, gehört das alles folglich auch mir. Warum sollte ich Dankbarkeit zeigen, wenn mir jemand überlässt, was mir sowieso schon gehört?« Er antwortete nicht. »Und warum hast du ihnen nicht gesagt, dass ich mit dir verheiratet bin?«, fragte sie, während er begann, die Laternen zu löschen.

Nach allem, was sie mitgemacht hatte, wollte er sie nicht einmal als seine Königin vorstellen? Ihr fielen Omorts Worte wieder ein: Wie enttäuscht der Dämon sein muss …

Schämte sich Rydstrom etwa für seine Frau? »Sie werden es sowieso herausfinden, also kannst du auch gleich zugeben, dass wir verheiratet sind.«

»Sabine, wir sind beide verletzt und erschöpft«, sagte er. Er ergriff ihre Hand und zog sie auf das Bett hinab. »Wir werden morgen über alles reden.«

Sabine war fix und fertig – in jeder Hinsicht. Sie waren weniger als vier Stunden von diesem Ort entfernt gewesen; da hätten sie auch gut auf ihren kleinen Trotzanfall verzichten können. Aber nein, sie hatte ein Recht darauf, nach wie vor wütend auf ihn zu sein wegen ihrer Behandlung und ihrer fortgesetzten Gefangenschaft …

Verdammt noch mal, bin ich ihm etwa peinlich?

Zwei Dinge waren ihr aufgefallen, während sie in den letzten Nächten neben ihm geschlafen hatte. Wenn er seine Arme um sie legte, dann hielt er sie so fest wie seinen größten Schatz. Und jedes Mal wenn er das tat, fiel sie in einen tiefen Schlaf.

Das kam ihr jetzt gerade recht. Die Hitze seines Körpers war so greifbar, dass sie sie in der Dunkelheit zu streicheln schien. Bald schon löste sich die ganze Welt einfach auf …

Mitten in der Nacht erwachte sie. Als sie blinzelnd die Augen öffnete, sah sie, dass er sie mit müdem Gesicht beobachtete.

»Keine schlechten Träume mehr, Liebste.«

Hatte er ihren Traum gesehen? Sie erinnerte sich nicht mehr daran …

Er drückte ihr einen Kuss aufs Haar. »Du bist jetzt in Sicherheit.« Ganz langsam näherte sich seine Hand ihrem Gesicht, und er berührte ihre Wange mit der sanftesten Liebkosung, die sie je erfahren hatte. Es war fast so, als ob er geübt hätte, sie nicht zu erschrecken.

Ihr letzter Gedanke, bevor der Schlaf sie wieder übermannte: Wenn ich nicht vorsichtig bin, könnte ich mich daran gewöhnen, einen Dämon zum Ehemann zu haben …