38

Als Rydstrom das nächste Mal ins Schlafzimmer gegangen war, um nach ihr zu sehen, hatte er sich hinabgebeugt, um ihr übers Haar zu streichen. Doch sie war nichts als eine Illusion gewesen. Einige Augenblicke lang hatte er nur ungläubig vor sich hingestarrt.

Sie hat mich reingelegt. Offensichtlich hatte sie nie vorgehabt, hierzubleiben. Nur wieder eine weitere Lüge. Sie hatte ihn … verlassen.

Warum? Er war aus dem Haus gestürzt und mitten in ein Unwetter geraten. Immer wieder brüllte er ihren Namen. Wo zur Hölle steckt sie nur? Er fing ihren Duft auf, aus einer Entfernung von mehreren Meilen.

Sofort rannte er in diese Richtung los, nahm ihre Spur auf, folgte seinem Instinkt. Er lief durch Straßen, über die das Regenwasser in kleinen Bächen strömte, und bei jedem Schritt überwältigte ihn sein Zorn ein Stück mehr. Das rasende Verlangen, sie endlich mit seinem Mal zu versehen, fraß ihn förmlich auf.

Sie trägt mein Zeichen nicht … wir sind nicht vermählt.

Endlich entdeckte er sie – sie rannte durch Pfützen auf einen Park zu. Er kniff die Augen zusammen, um im Regen besser sehen zu können. In einiger Entfernung erspähte er einen Ort, an dem die Luft waberte – ein Portal. Und sie lief direkt darauf zu.

Ich darf sie nicht verlieren. Er erhöhte seine Geschwindigkeit, bis er ihr dicht auf den Fersen war. Dann warf er sich mit einem Satz auf sie. Er packte sie bei den Hüften und warf sie auf die schlammige Rasenfläche.

»Du hast mir gesagt, du willst bei mir bleiben!« Nach wie vor heftig atmend, warf er sie auf den Rücken. »Du hast mich dazu gebracht, dir zu glauben. Und jetzt rennst du zu Omort zurück

»Nein … ja … Rydstrom, du musst mir zuhören!« Sie blinzelte zu ihm empor, während ihr der strömende Regen aufs Gesicht prasselte.

Er zerrte sie unter sich und grub seine Klauen in ihre Hüften. »Warum? Jedes Wort, das aus deinem Mund kommt, ist eine Lüge! Wie oft werde ich mich noch von dir täuschen lassen?«

Sie hatte geglaubt, ihm entfliehen zu können? Dafür würde die verlogene Zauberin bezahlen.

Seine Augen glühten in der Nacht – zwei grausame Obsidiane. Der Regen strömte mit solcher Wucht auf sie herab, dass es schmerzte. Noch nie hatte Sabine so etwas gespürt. Die Tropfen prasselten so heftig in ihre Augen, dass sie kaum sehen konnte.

»Ich hatte mir vorgenommen, gut zu dir zu sein«, krächzte er. »Dich zu lieben. Aber damit ist es vorbei.«

Als er seinen Gürtel löste, riss sie die Augen auf. »Nicht so!«, schrie sie und zerkratzte ihm mit den Fingernägeln Gesicht und Brust.

Er brüllte vor Wut laut auf. Dann packte er ihre Handgelenke und fesselte sie ihr mit seinem Gürtel auf den Rücken.

»Rydstrom, nein! Es ist etwas passiert! Hör mich doch an, Dämon. Meine Schwester ist hier …«

»Deine Schwester ist nicht hier, sie ist auf Tornin! Auf meiner Burg! In meinem Heim!« Seine Hörner richteten sich drohend und dunkel auf. »Ich will deine Lügen nicht mehr hören!«

»Bitte! Lanthe ist in Gefahr …« Ihr blieben die Worte in der Kehle stecken, als sie versuchte, ihm alles zu erklären, während sie gleichzeitig nach Lanthes Stimme oder dem Klang großer Schwingen lauschte. »Und die Vrekener sind überall!«

Rydstrom war inzwischen fertig und drehte sie wieder auf den Rücken, sodass sie ihm ins Gesicht sah.

Er hört mich gar nicht.

»Ich muss zu ihr gehen!«, versuchte sie es noch einmal, aber mit ihm war nicht zu reden. Ich habe ihn gebrochen. Den Dämon, der immer so rational, so vernünftig gewesen war. »Wenn ihr irgendetwas zustößt …« Ihr Herz stand kurz davor, aus Angst um Lanthe zu explodieren. Diese Angst verwandelte sich erst in Übelkeit, dann in rasende Wut. »Du hast kein Recht, mich festzuhalten!«, schrie sie. »Kein Recht, mich anzugreifen und in den Dreck zu werfen!«

»Du hast gelogen. Und dafür wirst du bezahlen.«

»Runter von mir, du Tier! Du sollst mich loslassen, auf der Stelle!«

»Niemals, Sabine. Niemals.« Er packte sie, warf sie sich über die Schulter und stürmte zu seinem Haus zurück.

»Nein!«, schrie sie, als er sie vom Portal fortschleppte, weg von Lanthe. »Bring mich nicht zurück.« Obwohl der Regen nachließ, konnte sie ihre Schwester immer noch nicht wieder hören.

»Ich werde sie behalten, ganz egal, was ich dafür tun muss«, murmelte Rydstrom zu sich selbst. »Ans Bett gekettet, wenn’s sein muss. Der Dämon in mir wird noch heute Abend befriedigt werden.«

Sie warf einen Blick über seinen Arm hinweg und erschauerte. Wo war ihre Schwester? Sabine musste zu ihr gelangen, sie musste Rydstrom entkommen.

Als das Unwetter zu Ende war, versuchte sie noch einmal, ihm von Lanthe zu erzählen, aber genauso gut hätte sie mit einer Wand reden können. Er hörte ihr einfach nicht zu, nicht einmal, nachdem sie zum Haus zurückgekehrt waren, nicht einmal, als er sie entkleidete. Nicht einmal, als er das Zimmer verließ und Ketten holte, mit denen er ihren Körper an das Bett fesselte.

Es gibt nur einen Weg, mit einer Frau wie ihr fertigzuwerden. Rydstrom hörte kaum etwas von dem, was sie sagte. Er wollte auch keine Lügen mehr hören. Muss sie nur mit meinem Mal versehen.

Sie lag auf dem Bett, ihr feuchtes rotes Haar wie ein Fächer um ihren Kopf ausgebreitet, ihr blasser Körper ausgestreckt und zitternd. Er zog sich die Hose aus und stieg zu ihr ins Bett.

Ihre Augen wurden groß. »Du musst mich gehen lassen!«, rief sie. »Ich muss zurück!«

Tue nichts Unwiderrufliches … Aber er musste es tun, weil sie sonst nicht bleiben würde. Markiere sie.

Er kniete sich zwischen ihre Beine. »Ich hatte vor, dich ganz langsam zu nehmen.« Als er auf ihr lag, umfasste er mit beiden Händen ihr Gesicht. Sein Schwanz pulsierte an ihrem heißen Geschlecht.

Muss mich unter Kontrolle bringen. Sie macht mich verrückt. Ich fühle mich innerlich so verdreht …

»Tu mir das nicht an, Dämon!« Sie blickte ihn mit flehenden Augen an.

»Du hast mir gesagt, du würdest bleiben. Ich habe dir geglaubt.«

»Rydstrom, ich muss Lanthe helfen, meiner Schwester. Wenn ich nicht zurückkehre, werden sie sie umbringen. Ich werde zu dir zurückkommen, vertrau mir.«

»Hast du gedacht, es wäre aus mit uns, sobald du zu Omort zurückgehst? Ich würde dich holen kommen.« Während er seinen Schaft an sie presste, näherte sich sein Mund ihrem Ohr. »Wenn wir je getrennt sein sollten, cwena, dann nur deshalb, weil ich mir den Weg zu dir noch nicht freigekämpft habe.«

»Wenn wir das hier tun, wirst du mich dann gehen lassen?«, fragte sie in ihrer Verzweiflung. »Dann nimm mich, zeichne mich mit deinem Mal. Tu, was auch immer du tun musst, aber lass mich einfach gehen.«

»Du musst meinen Biss ertragen.«

»Dann tu es!«

»Du weißt, was du zu sagen hast, Zauberin.«

»Du willst, dass ich bettle, Dämon? Dann tu ich es. Ich flehe dich an …«

»Nein!« Er drückte ihr die Hand auf den Mund. Er wollte das nicht. Wollte nicht, dass sie brach. Als sie still wurde, zog er die Hand zurück.

»D-das ist es doch, was du wolltest, oder nicht?«, fragte sie.

»Ja … nein!« Er rückte von ihr ab, setzte sich auf den Bettrand und massierte sich die Stirn. Denk nach.

»Was dann?«, rief sie und wand sich in ihren Ketten.

Er stand auf, begann auf und ab zu gehen. Denk …

»Was soll ich für dich tun, Dämon? Was willst du?«

»Ich weiß es nicht!«, brüllte er und durchschlug mit der Faust die Wand. »Ich will, dass du etwas fühlst. Für mich.« Und dann war er wieder über ihr und umfasste ihren Nacken. »Weil du mir mit deinen Klauen mein verdammtes Herz aus der Brust reißt!«

»Ich fühle doch etwas für dich, Dämon. Nimm mich, zeichne mich mit deinem Mal als die Deine. Für alle Zeit.«

Worte aus einem Traum. Er war nicht fähig, die unterschwelligen Botschaften zu entziffern, konnte nicht voraussehen, was für ein neuer Trick das jetzt wieder war. Ihre seidene Zunge sagte ihm genau das, was er hören wollte. Die Zauberin besänftigte das Tier in ihm.

»Aber dann musst du mich gehen lassen. Ich werde zu dir zurückkommen!«

Kann nicht denken … nichts Unwiderrufliches … Wieder stand er auf und stolperte ins Badezimmer. Dort stützte er Stirn und Handflächen gegen die Wand, grub seine Klauen in sie hinein, während er um seine Selbstbeherrschung rang –

In diesem Augenblick vernahm er den unverkennbaren Lärm von Cadeons altem Truck in der Einfahrt. Mit einem Fluch schlüpfte Rydstrom rasch in eine Jeans und lief los, um seinen Bruder abzufangen, ehe dieser seinen Schlüssel benutzen konnte.

Als Rydstrom die Tür einen Spaltbreit öffnete, war er in Gedanken immer noch bei Sabine, doch er registrierte flüchtig, dass Cadeon erschöpft wirkte.

»Rydstrom?«, stieß Cadeon ungläubig aus.

Er konnte sich vorstellen, wie er auf seinen Bruder wirken mochte. Er trug weder Hemd noch Schuhe und schloss gerade noch den Knopf seiner Hose. Cadeons Blick streifte seinen verkrampften Kiefer, seine angespannten Schultern und die dünnen Rinnsale aus Blut, die ihm über Brust und Wange liefen.

»Willst du mich hier draußen stehen lassen? Mach schon die Tür auf.«

Rydstrom warf einen Blick zurück ins Haus. Dieser Traum. Sie wollte ihn ihm wegnehmen. Dafür könnte er sie hassen.

»Ich mach mir echt Sorgen um dich, Mann. Lass mich rein und erzähl mir, was passiert ist. Das Letzte, was ich gehört hab, war, dass dich Sabine gefangen genommen hat.«

Als Rydstrom nicht antwortete, fuhr Cadeon fort: »Sie hat dich nach Tornin gebracht, stimmt’s? Hast du gegen Omort gekämpft, um zu entkommen?«

Endlich schüttelte Rydstrom den Kopf.

»Wie zum Teufel bis du dann freigekommen? Niemand entkommt aus Tornin.«

»Ich hatte noch ein Ass im Ärmel«, sagte er mit rauer Stimme. Was muss ich tun, damit sie bleiben will?

»Du klingst gar nicht gut. Alles in Ordnung mit dir?«

»Es wird schon wieder.« Wieder blickte Rydstrom über seine Schulter hinweg zurück. »Bald.«

»Ich hab das Schwert«, sagte Cadeon und hielt es ihm hin. »Und ich hab Groot erledigt.«

Rydstrom nahm die Waffe entgegen, ohne ihr mehr als einen flüchtigen Blick zu schenken. Sie ist vor mir davongelaufen. Nachdem sie mich glauben ließ, dass sie mit mir zusammen sein möchte.

Cadeon war verwirrt. »Das ist das Schwert, das Omort töten wird«, sagte er langsam.

»Im Frühjahr ziehen wir in den Krieg. Halte dich bereit.«

»Das ist alles, was du dazu zu sagen hast? Wo bleibt deine tiefe Dankbarkeit oder zumindest ein Klaps auf die Schulter?« Cadeons Stimme wurde mit jedem Wort lauter. »Wenn du wüsstest, was ich durchgemacht habe, um dieses gottverdammte Ding in die Finger zu kriegen. Was ich meiner Frau zugemutet habe … Oh, und falls es dir noch nicht aufgefallen ist, dein Veyron ist weg, und er wird auch nie wieder nach Hause kommen, verdammt no…«

»Ist da draußen jemand?«, schrie Sabine. »Oh ihr Götter, helft mir!« Sie rüttelte an den Ketten. »Ich werde gegen meinen Willen hier festgehalten!«

»Ist das … Sabine?«, fragte Cadeon fassungslos. »War sie dein Ass?«

»Bitte helft mir!«

Rydstrom musterte ihn prüfend, als ob er Cadeon sagen wollte: Wag es ja nicht, dich einzumischen.

Cadeon bemühte sich um einen beiläufigen Tonfall, als er sagte: »So, dann hast du also eine bösartige Zauberin da an dein Bett gekettet, wie?«

Rydstrom wusste, was sein Bruder glaubte. »Sie gehört mir.« Er schien vor Wut zu schäumen. »Und ich mache mit ihr, was ich will, verdammte Scheiße. Ich tue nichts, was nicht vorher mir angetan worden wäre«, fuhr er Cadeon an.

Nur zu gut erinnerte er sich an ihre Demütigungen. Die Erinnerung brannte umso schmerzlicher, da er vorgehabt hatte, gut zu ihr zu sein, ihr dieses Verhalten zu verzeihen. Seine Hände ballten sich zu Fäusten.

»Hey, hey, das ist doch kein Grund, mich zu verprügeln, Bruder. Jedem das Seine, okay?« Doch er musterte Rydstrom aufmerksam.

»Ich melde mich bei dir, sobald ich mit ihr fertig bin.«

Als er die Tür schloss, hörte er Cadeon noch vor sich hinmurmeln: »Scheiß drauf. Heißt das jetzt etwa, dass ich nicht mehr der böse Bruder bin …?«

Ehe Rydstrom das Schwert in seinem Waffenschrank einschloss, brachte er es ins Schlafzimmer, um Sabine seinen Schatz zu zeigen. »Dies ist das Schwert, das Omort töten wird.«

Es glitzerte im Licht, und ihr Blick folgte jeder seiner Bewegungen, als Rydstrom die Balance des Schwerts überprüfte und es in einem Kreis durch die Luft schwang.

»Bald werde ich nach Tornin zurückkehren und mir Omorts Kopf holen. Würde dir das gefallen? Wie fühlst du dich bei dem Gedanken an den Tod deines Bruders?«

»Als ob ich den Wetterbericht für eine Stadt höre, in der ich nicht lebe.«

»Beinahe wünschte ich mir, dass du ihm gegenüber loyal wärst.«

»Verstehst du denn nicht? Du wirst ihm niemals nahe genug kommen, um diese Waffe gegen ihn einsetzen zu können. Er verlässt Tornin so gut wie nie. Er hat seine Wachen und ist die ganze Zeit von magischen Fallen umgeben. Verdammt sollst du sein, Rydstrom!« Ihre Handgelenke bluteten. »Lass mich gehen!«

Er wandte sich von ihr ab und verließ das Zimmer. Auf dem Weg in sein Arbeitszimmer blickte er auf das Schwert hinab. Es war die außergewöhnlichste Waffe, die Rydstrom je gesehen hatte. Sie fühlte sich wie eine Verlängerung seines Arms an.

Das Schwert war alles, was er gewollt hatte, und jetzt gönnte er ihm kaum einen Blick. Sein Bruder hatte sein Leben aufs Spiel gesetzt, um es für ihn zu besorgen, und Rydstrom hatte nicht ein Wort des Dankes geäußert.

Cadeon hatte ihn gerade angesehen, als ob er den Verstand verloren hätte.

Ich glaube, das hab ich auch.