9

Ohne ein Wort stieg Sabine zu dem Dämon ins Bett. Auch wenn sie spürte, wie er sich augenblicklich versteifte, legte sie sich neben ihn auf den Rücken, ohne ihn zu berühren, aber nahe genug, um die Hitze zu fühlen, die von seinem gewaltigen Körper ausging.

Eine ganze Weile lagen sie so schweigend Seite an Seite, als ob sie einen unsicheren Waffenstillstand geschlossen hätten. Beide starrten an die Decke, darum ließ sie sie augenscheinlich verschwinden, und der Nachthimmel kam zum Vorschein.

Er verkrampfte sich noch mehr. »Deine Macht ist groß.« Seine Stimme war tief und knurrend.

Sie schien sie in der Finsternis spüren zu können. »Das ist sie.«

»Ist all das Illusion, oder hast du die Decke verschwinden lassen?«

»Meine Eitelkeit sagt mir, dass du von meiner göttinnengleichen Gabe beeindruckt und darum neugierig bist. Die Erfahrung sagt mir, dass du meine Stärken und Schwächen kennenlernen willst, damit du mich töten kannst.«

»Ich werde dein Leben verschonen, wenn du mich jetzt befreist«, sagte er. »Du hast mir übel mitgespielt, aber noch hast du mir nichts angetan, was nicht wiedergutzumachen wäre.«

»Gib mir Zeit, Dämon.« Wie konnte er nur so warm sein? Es war unglaublich, aber sie fühlte, wie sie sich entspannte. »Um auf deine Frage zu antworten: Das alles ist Illusion. Sowohl optisch als auch akustisch.«

»Du kannst andere nicht dazu bringen, Dinge zu fühlen?«

»Ich vermag keine taktilen Illusionen zu schaffen – noch nicht. Und das ist eine Schande, denn mit meinen eingebildeten Pfeilen könnte ich ganze Armeen vernichten. Aber dennoch bin ich in der Lage, andere dazu zu bringen, bestimmte Dinge zu fühlen.«

»Wie?«

»Ich kann dich deine schlimmsten Albträume oder größten Wunschträume sehen lassen. Und ich kann sie kontrollieren.«

»Besitzt du noch weitere Fähigkeiten?«

»Dutzende«, log sie. Die einzige andere war ein Geburtstagsgeschenk, das Lanthe ihr vor langer Zeit gemacht hatte: die Fähigkeit, mit Tieren zu reden und sie zu hypnotisieren. »Ich verfüge über eine ganze Menge.«

Er schien darüber nachzudenken. Schließlich fragte er: »Hast du darüber nachgedacht, was du da anstrebst? Was es bedeuten würde, ein Dämonenkind zu gebären und aufzuziehen?«

In Wahrheit hatte sie überhaupt nicht großartig nachgedacht. Sie hatte sich verboten, sich ihre Schwangerschaft, die Geburt oder die Erziehung eines Dämonenprinzen auszumalen. Wenn sie doch einmal anfing, sich zu fragen, wie ihr Halbling wohl aussehen würde, zwang sie sich, an etwas anderes zu denken.

Ihr Ziel war klar umrissen, ihr Plan geschmiedet. Der Rest waren nur Details. Aber Omorts Besuch würde möglicherweise eine Planänderung nach sich ziehen.

Sie beantwortete die Frage des Dämons mit einer Gegenfrage. »Woher willst du denn wissen, ob ich nicht schon eine ganze Schar Dämonenkinder habe?«

»Und, hast du?«

»Nein, ich habe keine Kinder.«

»Was, wenn du ein Mädchen zur Welt bringst? Das Königreich von Rothkalina ist eine patrilineale Gesellschaft.«

»Erinnere mich bloß nicht daran. Weißt du, in der Sorceri-Septe können auch Frauen die Krone erben. Gegenwärtig ist Morgana die Kaiserin aller Sorceri.«

Sabine drehte sich auf die Seite. Er folgte ihrem Beispiel, auch wenn seine Arme immer noch hinter seinem Rücken gefesselt waren.

»Das Volk hier würde keine Frau akzeptieren. Ich frage mich, ob ich wohl lange genug am Leben erhalten werde für einen zweiten Versuch?« Eine Strähne seines dichten schwarzen Haars fiel ihm in die Stirn, aber er konnte nichts tun, um sie sich aus den Augen zu streichen.

»Es ist mein Schicksal, deinen Erben, einen gesunden Jungen, zu empfangen und zu gebären.«

»Ein Sohn.« War seine Stimme rau geworden? »Einen, den ich nie zu Gesicht bekommen werde, wenn es nach dir geht. Den ich nichts lehren oder niemals beschützen kann.«

Sie verstummte. Entgegen der landläufigen Auffassung fand Sabine keinerlei Gefallen daran, jemanden zu verletzen, der ihr nie etwas angetan hatte. Aber sie beherrschte nicht die Welt – noch nicht – und deshalb vermochte sie am Ausgang dieser Situation auch nichts zu ändern. Ein Dämon würde geopfert werden, damit Lanthe und sie endlich in Sicherheit leben konnten. Dieser Dämon neben ihr.

Ein Kollateralschaden, der nicht verhindert werden konnte.

»Warte mal … wenn du weißt, dass du einen gesunden Jungen auf die Welt bringen wirst, dann könntest du mich umbringen, sobald du sicher sein kannst, dass du schwanger bist.«

Sie hatte ihr Gesicht und ihr Mienenspiel hinter einer Illusion verborgen, darum sah er nicht, dass sie zur Seite blickte.

»Ich werde mein Kind nicht zurücklassen, damit es hier aufgezogen wird, zwischen Blut und Hass. Ich habe Gerüchte über die Verderbtheit auf Tornin gehört. Blutopfer und andere Perversionen. In meinem Heim.«

»Omort hat aber nun mal so viel Spaß an seinen Blutopfern.«

Dem Dämon blieb der Mund offen stehen. »Du solltest dich mal hören! Du bist so abgehärtet, dass du gar nicht mehr merkst, wie krank deine Welt ist.«

Sie kniff die Augen zu Schlitzen zusammen. Nur weil ich nicht zurückschrecke, heißt das noch lange nicht, dass ich blind bin.

Sabine wusste nur zu gut, wie krank das alles war. Darum war sie ja so fest entschlossen, es hinter sich zu lassen.

»Du wirst mein Gelübde niemals bekommen, Zauberin.«

»Ich werde nicht eher aufhören, bis ich es erhalte.«

»Hast du vor, mich die ganze Zeit angekettet zu lassen? Ich weiß schließlich am besten, dass es aus dieser Zelle kein Entkommen gibt.«

»Es geht nicht nur um die Sicherheit, wenn ich dich weiterhin fesseln lasse. Ich muss dafür sorgen, dass du auf keinen Fall den Dampf ablässt, den wir gemeinsam aufbauen, damit’s dir so richtig schlecht geht.« Als sie mit dem Finger über seinen Oberkörper fuhr, reagierten seine Muskeln prompt, indem sie sich zusammenzogen. »Aber mir scheint, wenn du so unerbittlich darauf bestehst, dass du hier keinerlei Nachkommenschaft zurücklassen willst, dann musst du wohl inzwischen akzeptiert haben, dass ich die Deine bin.«

»Hast du jemals einen Gedanken daran verschwendet, was das für dich bedeutet hätte? Wenn du nicht zu diesen Maßnahmen gegriffen hättest?«

»Du meinst, wenn wir uns unter anderen Umständen begegnet wären? Ob du gut zu mir gewesen wärst? Mir treu gewesen wärst?« Ihr Tonfall klang amüsiert. »Wenn von mir nicht verlangt worden wäre, dich gestern Abend gefangen zu nehmen, hätte ich vermutlich als Kellnerin in deinem Lieblingsrestaurant angefangen. Ich wäre die liebreizende, wenn auch vom Pech verfolgte Mythia gewesen, die Kleider mit Blümchenmuster trägt und nur ein klitzekleines bisschen Glück braucht, um dem Teufelskreis zu entkommen – oder aber einen Mann, der sie rettet.« Diese Vorstellung brachte sie zum Kichern. »Ich hatte vorgehabt, dir Kuchen zu servieren und dich dabei unter meinen Rock schauen zu lassen.«

»Wenn ich es nicht besser gewusst hätte, dann, ja, dann hättest du in mir wahrscheinlich einen ehrenhaften Mann getroffen, der gut zu dir und dir treu gewesen wäre.«

»Man sagt, dir kommt niemals eine Lüge über die Lippen.«

»Du klingst ungläubig.«

»Weil ich es bin. Mir ist noch kein Mann begegnet, der die Wahrheit nicht nach Belieben benutzt und sie nach Gutdünken verbogen und verändert hätte.«

»Ich tue das nicht.«

»Dann sag mir eins: Bin ich vom Äußeren her alles, was du dir erhofft hattest?«

Wieder blickte er ihr mit stummer Herausforderung in die Augen, bevor er antwortete. »Vom Moralischen her bist du es nicht. Ich hatte nicht erwartet, dass mir eine der bösartigsten Frauen der Mythenwelt aufgebürdet werden würde.«

Omorts Worte kamen ihr wieder in den Sinn. Wie enttäuscht der Dämon sein muss …

»Eine der bösartigsten? Nicht die Nummer eins?« Sie zog einen Schmollmund. »Na ja, jeder braucht wohl Ziele. Interessanterweise habe ich mich selbst nie als bööööse angesehen, nur weil ich gelegentlich etwas stehle.« Als er ihr einen finsteren Blick zuwarf, korrigierte sie sich. »Oder jemanden umbringe, der sich mir beim Stehlen in den Weg stellt.«

»Warum musst du überhaupt stehlen?«

Sie blickte verständnislos drein. »Wie sollte ich denn wohl sonst an Gold gelangen? Soll ich als Tippse arbeiten?«

»Vielleicht könntest du ohne auskommen.«

»Unmöglich. Jeder braucht Gold.« Gold ist Leben …

»Du wirst von mehr Kreaturen gehasst, als du dir vorstellen kannst.«

»Hasst du mich?«, fragte sie.

»Noch nicht, aber ich glaube, das ist unvermeidlich.«

Sie lachte leise. »Mich zu hassen, ist wie ein scharfes Schwert zu hassen, an dem du dich schneidest. Ich kann nichts dafür, wie ich gemacht bin.«

»Ein Schwert kann umgestaltet, umgeformt werden.«

»Aber erst, nachdem es zerbrochen wurde. Stell dir nur vor, wie schmerzhaft das Feuer der Schmiede und die Hammerschläge sich anfühlen würden – genauso schrecklich wie beim ersten Mal, als es geschmiedet wurde. Warum all diesen Schmerz wiederholen?«

»Um es diesmal richtig zu machen.«

Sie wechselte das Thema. »Du hast mich heute Nacht tassia genannt, als ich dich gerade liebkoste. Wenn das ›boshaftes Weib‹ bedeutet, gibt es denn dann auch ein männliches Äquivalent?«

»Du weißt es nicht? Du sprichst kein Dämonisch?«, fragte er ungläubig.

»Diese Sprache zu lernen gilt als ordinär, und zudem ist es verboten, sie hier auf der Burg zu sprechen. Außerdem beherrsche ich schon fünf andere Sprachen. Fünf ist mein Limit, mehr passt nicht rein.«

»Dann hast du mich also gar nicht verstanden, als ich dich verflucht habe?«

»Kein bisschen. Aber du hast mich oft genug böse und Miststück in unserer Sprache genannt, dass ich mir denken kann …«

In diesem Augenblick läuteten die Glocken der Burg, und der Klang drang aus der Ferne zu ihnen.

»Sie läuten jetzt um Mitternacht und um drei Uhr?« Seine Stimme ließ seine Abscheu erkennen. »Warum um drei? Heißt das vielleicht, dass es an der Zeit ist, einen widerwärtigen Gott anzubeten? Einen, der nach diesen Blutopfern giert?«

»Sollte ich lieber die Vernunft anbeten? Wie du es tust?«

»Das wäre nicht das Schlechteste.«

»Soll ich dir ein Geheimnis verraten, Rydstrom?«, fragte sie. »Ich bete die Illusionen an.«

»Was soll das heißen?«

Sie streckte die Hand aus und strich ihm das Haar aus der Stirn. »Die Illusion ist die scheue Geliebte der Realität, die sie anspornt, wenn sie Trübsal bläst. Die Illusion ist gerissen, wo die Realität über die Weisheit vieler Zeitalter verfügt, ihrem Wissen stellt die Illusion süßes Vergessen gegenüber, ihrem Mangel Großzügigkeit. Das ist es, was mir heilig ist.«

»Siehst du dich selbst als Illusion?«

Ein langsames Lächeln breitete sich auf ihrem Gesicht aus. »Möchtest du meine Realität sein?« Als sich seine durchdringenden grünen Augen auf ihre Lippen senkten, sagte sie: »Denkst du über unseren Kuss nach, Dämon? Ich hoffe es, weil er mir die ganze Zeit über nicht aus dem Kopf geht. Es hat mir gefallen, wie du mich geküsst hast.«

Die steile Falte zwischen seinen Brauen vertiefte sich. »Warum bist du heute Nacht hergekommen?«

Um den Ekel zu vertreiben, den Omort in mir hervorgerufen hat. »Um dich zu warnen. Bei unserer nächsten Begegnung werde ich die Samthandschuhe ausziehen.« Oder besser gesagt, sie anlegen. »Wenn ich das nächste Mal komme, werde ich keine Gnade walten lassen.« Das konnte sie sich nicht leisten, denn mit jedem Tag verringerte sich die Wahrscheinlichkeit, dass sie schwanger werden würde.

Die Sorceri waren einfach keine so fruchtbare Spezies wie viele andere in der Mythenwelt.

Der Dämon musterte ihr Gesicht sehr aufmerksam, als ob er hinter ihre Maske aus Illusionen blicken wollte. »Sabine, ich glaube nicht, dass du so schlecht bist, wie es scheint.«

»Bei mir ist nichts, wie es scheint. Es ist immer sehr viel schlimmer.«

»Nein. Ich glaube nicht, dass du mir oder meinem Volk all diese Dinge wirklich antun willst.«

»Was für Dinge? Nach mehr Macht zu streben? Einen Dämon gefangen zu nehmen?« Als er nicht antwortete, wurde ihre Stimme eisig. »Du glaubst, du könntest mich ändern, stimmt’s? Jemanden aus mir machen, der gut ist? Mich vielleicht rehabilitieren

»In meiner Lage muss ich das glauben. Du kannst eine neue Sicht auf die Dinge gewinnen. Ich kann dich lehren …«

Das ganze Verlies schien unter ihrer Wut zu erzittern, als sie sich erhob. An der Illusion des Himmels über ihnen leuchtete ein ganzer Regen von Sternschnuppen auf. »Den ersten Mann, der mich zum Guten bekehren wollte, habe ich geköpft.« An der Türschwelle angekommen, fügte sie hinzu: »Ich war zwölf.«