20
»Du hattest wohl keine Chance mehr, die, äh, Dusche abzusagen?«, fragte Lanthe telepathisch, sodass sie zur gleichen Zeit aus ihrem Kelch trinken und kommunizieren konnte.
»Leider nein.« Sabine probierte gerade ein Outfit vor ihrem übergroßen Spiegel an, in Vorbereitung auf eine weitere Nacht mit dem Dämon. »Und es ist ziemlich … schlecht gelaufen.«
»Schieß los.«
»Die Wirkung des Pulvers ließ langsam nach und Rydstrom griff die Inferi mit seinen giftigen Hörnern an.«
Das Trio hatte lediglich vorgehabt, ihn zu waschen, doch er war durchgedreht und hatte unter ihnen gewütet wie ein Tier.
»Einen meiner armen Inferi hat er vorübergehend gelähmt, bevor sie ihm endlich Einhalt gebieten konnten«, sagte Sabine. Sie wählte ein neues Top aus der Kollektion, die erst kürzlich für sie geschmiedet worden war. »Ich meine, ich wusste ja, dass es ihm ganz und gar nicht gefallen würde, von drei Männern angefasst zu werden, darum habe ich es ja befohlen, aber so zu reagieren? Der Gedanke, von fremden Frauen gewaschen zu werden, klingt für mich einfach nur prickelnd.«
»Und du gehst wieder zu ihm, nur drei Nächte später?«
»Mir bleibt keine Wahl.« Leider war sie nicht schwanger. Die alte Hexe konnte solche Dinge innerhalb weniger Tage erkennen, deshalb war Sabine an diesem Morgen tief in die Eingeweide der Burg hinabgestiegen, um die Alte zu befragen. Es hieß, sie sei einst eine wunderschöne Elfenmaid gewesen, die von einem Fluch getroffen worden war. Sabine hielt das für eher unwahrscheinlich.
Das Kellerlaboratorium der Alten wirkte schmutzig und abstoßend, mit all den geschlachteten Tieren. Sabine hatte zweimal baden müssen, um den Geruch nach gebratenen Fledermausflügeln von ihrem Körper zu waschen.
Die Frau hatte ihr Blut untersucht und ihr die Nachricht überbracht. Es war ein schwerer Schlag für Sabine, da sie sich dem Ende ihrer fruchtbaren Tage näherte.
Aus reiner Neugier – und aus keinem anderen Grund – hatte Sabine die Frau gefragt, ob Rydstrom durch das Morsus vergiftet worden wäre, wenn er ihr in den Hals gebissen hätte.
Die Alte hatte sie mit vom Alter trüben Augen angestarrt. »Nur wenn die Vergiftung akut ist. Also gibt es für dich keine Entschuldigung, dem Dämon etwas vorzuenthalten, was er tun muss. Das heißt, keine Entschuldigung außer deiner eigenen Selbstsucht«, hatte die Antwort gelautet – ein neuerlicher Beweis ihrer üblichen Unverschämtheit. »Du nimmst seinen Samen und gibst nichts …«
»Heute Abend fängt alles wieder von vorn an«, erklärte Sabine Lanthe. Hettiah würde nicht mehr lange außer Gefecht sein. »Ich muss schwanger werden, damit nicht am Ende noch Hettiah das Kind meines Ehemannes austrägt.«
Lanthe zuckte zusammen. »Klingt echt grauenvoll.«
»Das ist es auch! Nur über meine Leiche wird es dazu kommen. Und du weißt, dass ich so was nicht leichtfertig sage.«
»Hast du noch mal über Groots Schwert nachgedacht?«
Seit Sabine ihr davon erzählt hatte, waren die beiden unruhig und nervös. Sie sehnten sich danach, etwas auszuhecken, tätig zu werden, irgendetwas zu tun.
Ergebnisse und Möglichkeiten, Aktion und Reaktion. Obwohl ihr das Pläneschmieden für gewöhnlich sehr leicht fiel, war es in diesem Fall doch ein hartes Stück Arbeit für Sabine. Außerdem lastete die Erinnerung an Omorts Zorn, der sich über die Vampirarmee ergossen hatte, schwer auf ihnen.
»Ich ziehe die Sache mit dem Dämon durch.« Sabine hatte entschieden, dass die Möglichkeit, das Schwert in die Hände zu bekommen, viel zu gering war, um daraufhin einen Schlachtplan auch nur in Erwägung zu ziehen.
»Ich dachte, du hast dem Sex abgeschworen.«
»Ich werd’s noch mal versuchen«, sagte Sabine. Sie legte ein Oberteil mit Körbchen aus Metall an, die wie Pranken mit ausgefahrenen Klauen geformt waren. Da sie wusste, dass dem Dämon dies gefallen würde, schnürte sie die Lederbänder an den Seiten zu.
»Du empfindest wohl doch was für Rydstrom? Kannst du mir in die Augen sehen und sagen, dass du nichts für ihn fühlst?«
»Lanthe, du weißt ganz genau, dass ich jederzeit in der Lage bin, dir in die Augen zu sehen und dir eine faustdicke Lüge aufzutischen«, sagte sie. »Aber das werde ich nicht tun. Ehrlich gesagt, ja, ich fühle mich zu ihm hingezogen.«
In Sabines Kopf schien nichts anderes mehr Platz zu haben als die Gedanken an ihn. Sie sehnte sich nach seiner Wärme an ihrem Körper, seinem Duft, der sie umgab. Sie hatte im Bett gelegen und an die Decke gestarrt, während vom Meer die Winde hereingebraust kamen, und sich gefragt, wie es wohl wäre, mit ihm zusammen hier in ihrem Bett zu liegen. Ob er sie wohl am Anfang langsam und ruhig berühren könnte?
»Ich sehe in ihm meinen Ehemann. Es ist albern, dass ein paar Worte eine solche Wirkung auf mich haben können, aber schon die Vorstellung allein reicht, dass ich nur noch an meinen Besitzanspruch ihm gegenüber denken kann.«
»Du scheinst nicht allzu betrübt darüber zu sein, noch einmal mit ihm ins Bett steigen zu müssen.«
»Nachdem ich noch mal drüber nachgedacht habe, ist mir klar geworden, dass nicht alles schlecht war.«
Die Zeit vor dem Schmerz war unglaublich gewesen. Und von dieser Erregung wollte sie mehr, ja, sie sehnte sich geradezu verzweifelt danach. Sie war die geborene Hedonistin, von der Septe der Sorceri, die nach Genuss gierte. Und den konnte der Dämon ihr verschaffen.
Als sie letzte Nacht aufwachte, war eine Chimäre von Rydstrom in ihr Bett geschlüpft, mit diesem intensiven Blick und Handschellen in seinen Fäusten …
»Der Dämon Cadeon ist immer noch auf einem guten Weg?«, fragte Lanthe.
Sabine schüttelte sich innerlich. »Soweit ich weiß, gab es vier Kontrollpunkte, die er passieren musste, und er und das Gefäß haben schon drei hinter sich.« Sie setzte sich einen neuen Kopfputz auf ihre wilde Haarmähne und befestigte dessen Ende an ihrem Kragen. »Aber selbst wenn er das Schwert bekommt, wird er niemals nahe genug an Omort herankommen, um es zu benutzen.«
»Wir schon. Wenn du die Chance dazu bekämst, könntest du Omort persönlich ausschalten?«
Sabines Blick wurde eisig. »Kein Problem.« Sie zog ihre feinsten metallenen Netzstrümpfe die Schenkel hoch und befestigte sie mit engen Strumpfbändern. Dann bedeckte sie einen Großteil dieser Strümpfe mit verruchten Stiefeln, die Spitzen aus Stahl besaßen und bis über ihre Knie reichten.
»Aber du ziehst es immer noch nicht in Betracht, dich mit den Wutdämonen zu verbünden?«
Sabine schüttelte den Kopf. »Omort würde uns töten, ehe wir auch nur die geringste Chance hätten. Wie rasch wir seine Macht vergessen.« Sie drapierte einen Gürtel mit Dutzenden blau-goldener Quasten über ihrem kurzen Rock. »Außerdem – wenn wir uns mit ihnen zusammentäten, müssten wir erneut den Standpunkt wechseln und sie alle umbringen.« Lanthe hob fragend die Augenbrauen. »Oder wir landen draußen vor der Burg. Und ich bin nicht wild darauf zu teilen.«
»Nicht mal mit deinem Ehemann?«
Da war schon wieder dieses Wort. Sie zögerte. »Denk daran, was Rydstrom von uns verlangen würde: Gehorsam, Gesetzestreue. Sicher, es wäre besser als bei Omort, aber noch besser wäre es, wenn wir selbst die Herrschaft übernähmen.«
»Das stimmt.« Lanthe erhob sich, um in ihr Zimmer zurückzukehren. »Versuch heute Nacht an ein paar Informationen zu kommen. Vielleicht haben sie einen eigenen Plan.«
»Ich werd sehen, was ich rausfinden kann.«
Nachdem Lanthe gegangen war, machte sich Sabine vor ihrer Spiegelkommode fertig. Sie bemalte ihr Gesicht mit fließenden Streifen in Schwarz und Grau, die ihre Augen umrahmten und zu den Schläfen hin ausliefen.
Dann überprüfte sie noch einmal ihr Spiegelbild. War sie verlockend genug, um ihn von dem Zorn, den er sicherlich verspürte, abzulenken? Der Spiegel sagte Ja.
Doch mit einem Mal überkam sie ein erstaunlicher Gedanke. Oder eigentlich eher ein Impuls – den sie jedoch sofort wieder verwarf. Sie lachte nervös auf und blickte sich in ihrem Zimmer um.
Eine Sekunde lang hatte sie darüber nachgedacht, ihn … um Verzeihung zu bitten.
Obwohl er vor Wut auf sie kochte, wünschte sich Rydstrom doch zugleich, dass sie bei ihm wäre. Es war einfach nicht natürlich, auf diese Weise von ihr getrennt zu sein, das verstieß gegen seinen Dämoneninstinkt. Er gierte danach, sie mit seinem Mal zu versehen, ihre Haut mit seinem Duft zu markieren. Er sehnte sich danach, mit seinen Hörnern über ihren ganzen Körper zu fahren.
Seine Fäuste ballten sich. Verdammt noch mal, wann wird sie endlich zu mir zurückkehren?
Ein Mann materialisierte sich in seiner Zelle. Lothaire. Töten.
»Sieh mich nicht so an, als würdest du mir am liebsten die Kehle rausreißen«, sagte der Vampir mit starkem Akzent. »Ich kann dir zur Flucht verhelfen.« Er hielt einen Schlüssel in der einen und ein Paket in der anderen Hand hoch. »Deine Freiheit. Und Vorräte. Ich kann dich ins Reich der Finsternis translozieren, aber nicht von dieser Ebene fort.«
»Warum solltest du mir helfen?« Rydstrom fragte sich, welches Spiel Lothaire wohl spielte.
»Ich will etwas von dir. Du würdest mir gegenüber einen Eid ablegen müssen.«
»Einen Eid, was zu tun?«
»Wenn ich dich in der Zukunft um irgendetwas bitte, ganz gleich, was es ist, musst du es mir geben.«
»Verpiss dich!«
»Denk darüber nach. Deine Optionen sind zurzeit begrenzt.«
Das war nicht zu leugnen. Und in seinem gegenwärtigen Zustand fiel Rydstrom nichts ein, was Lothaire von ihm fordern könnte, das schlimmer wäre, als das zu verlieren, was er unzweifelhaft verlieren würde, wenn er hier gefangen blieb: seine Frau, sein Kind, sein Königreich und am Ende sein Leben.
»Und warum willst du mir ausgerechnet jetzt helfen?«
»Weil in genau diesem Moment Sabines Schwester Hettiah hierher hinkt, um dir ein Aphrodisiakum zu verabreichen. Und das kann ich nicht zulassen.«
»Doch nicht mit Sabines Zustimmung?«
»Das bezweifle ich ernsthaft.«
»Was du verlangst, ist zu viel, Vampir. Ich werde dieser Schwester und ihren Zaubertränken widerstehen.«
»Nicht wenn du bewusstlos bist.«
»Dazu wäre sie fähig?« Lothaire nickte. »Selbst wenn ich entkommen könnte, würde man mich aufspüren, noch bevor wir in der Lage wären, diese Ebene zu verlassen«, sagte Rydstrom schließlich mit heiserer Stimme.
»Wir?«
»Sabine und ich. Ich gehe nicht ohne sie.«
Der Vampir schüttelte entschieden den Kopf. »Du musst später zurückkehren und sie holen. Sonst fliegen wir auf, und Omort wird sie niemals gehen lassen.«
»Wohin auch immer ich gehe, dorthin geht auch Sabine. So wird es sein, von jetzt an bis zu meinem Tod.«
Lothaire maß ihn abschätzend und nickte endlich. »Dir bleiben noch ein paar Tage, bevor der Hexenmeister es schaffen kann, sämtliche illegalen Portale zu versiegeln – vor allem da diese Sicherheitsmaßnahme in meinen Aufgabenbereich fällt. Doch jetzt naht Hettiah.«
Die Vorstellung, dass diese Frau ihn unter Drogen setzen und ihn dann missbrauchen würde, während er bewusstlos war, ließ Rydstrom vor Ekel erschauern.
»Gib mir dein Wort, Dämon. Ich weiß viel über dieses Königreich. Und ich weiß viel über deine zukünftige Gefangene. Zum Beispiel, wie man sie vollkommen ihrer Macht beraubt.«
Diesmal zögerte Rydstrom nicht. »Du hast mein Wort. Jetzt verrat es mir.«
Es war beinahe ein Lächeln, was nun auf Lothaires Gesicht erschien. Es war kein schöner Anblick. »Sie kann ihre Illusionen nicht erschaffen – jedenfalls nicht absichtlich –, wenn ihr beide Hände auf den Rücken gebunden sind.« Er begann Rydstroms Ketten zu lösen. »Ihr Turm ist der westliche.«
»Ich weiß«, sagte Rydstrom mit wild schlagendem Herzen.
Lothaire packte sein Handgelenk und translozierte sie in ihr Gemach.
Sabine bewunderte sich gerade im Spiegel – das schönste Geschöpf, das Rydstrom je zu Gesicht bekommen hatte. Mein.
»Hallo, Prinzessin.«