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»Komm und sieh dir meinen kleinen Liebling von Nahem an«, forderte Sabine Lanthe auf, nachdem ihre Schwester vom Hof zurückgekehrt war. Sie lud sie ein, auf einem Stuhl Platz zu nehmen, während sie ihren Dienern dabei zusahen, wie sie den Dämon entkleideten.

Es waren ausschließlich Sabines zuverlässigste Bedienstete anwesend – Sorceri-Sklaven, die Inferi genannt wurden, was wörtlich so viel bedeutete wie »jene, die unten hausen«. Ihr standen Dutzende männlicher und weiblicher Sklaven zur Verfügung.

»Rasch!« Sabine klatschte in die Hände. »Bevor er aufwacht.« Zwei von ihnen zogen ihm die Jacke aus, während ein anderer ein Feuer im Kamin der Zelle schürte. Wieder ein anderer schenkte Sabine und Lanthe süßen Wein ein. Aus reiner Gewohnheit schnupperten beide Schwestern daran, um festzustellen, ob er vergiftet war, bevor sie tranken.

»Hast du es allen bei Hofe berichtet?«, fragte Sabine.

»Das habe ich«, sagte Lanthe. »Also, was ist hier passiert? Und warum hat er immer noch seine Kleidung an?«

Sabine fasste die Ereignisse zusammen. »Nachdem er versucht hat, mich zu erwürgen, hab ich ihm eine Prise Schlafpulver verpasst«, endete ihr Bericht.

»Du bist die Meisterin der Täuschung, und es ist ihm gelungen, dich hinters Licht zu führen?«

»Er kann außergewöhnlich gut küssen«, sagte sie zu ihrer Verteidigung.

»Du scheinst deswegen jedenfalls nicht allzu wütend zu sein.«

»Er hat nur getan, was ich in derselben Situation ebenfalls getan hätte. Eigentlich war ich durchaus beeindruckt, dass er so skrupellos handelte.« Sie ignorierte den nachdenklichen Blick, den Lanthe ihr über den Rand ihres Kelches hinweg zuwarf. »Dieser Dämon ist mit allen Wassern gewaschen«, fuhr Sabine fort. »Ich vermute, dass sowohl sein Verstand als auch seine Gelüste überaus komplex sind.«

»Ach was. Ich höre ihn förmlich sagen: ›Ich großer Dämon. Ich Sex haben.‹«

Sabine schüttelte den Kopf. »Nein, er ist … anders.«

»Versuche, in seine Gedanken einzudringen. Mach dir seine Fantasien zunutze.«

»Das hab ich versucht. Typisch Dämon – alles verrammelt und verbarrikadiert.«

»Glaubt er, dass du seine ihm bestimmte Gefährtin bist?«, fragte Lanthe.

»Ich denke, er fühlt es, leugnet es aber. Doch er wird nicht mehr lange dazu in der Lage sein.« Und das war von äußerster Bedeutung, denn schon jetzt lief ihr die Zeit davon. Sorceri-Frauen bekamen nur alle zwei Monate ihre fruchtbaren Tage und ihr Zyklus stand bereits kurz vor dem Ende.

»Ja, bringt ihn jetzt ins Bett«, rief sie ihren Bediensteten zu.

Das Bett bestand aus einer Matratze auf einer Plattform aus Titan. An Kopf- und Fußende waren Ketten mit Handschellen in den massiven Untergrund eingelassen.

»Passt auf die Hörner auf, wenn ihr ihn hochhebt.« Ihr war eingefallen, dass Dämonen aus den Enden ihrer Hörner Gift absondern konnten, welches einen Unsterblichen lähmen und einen Menschen töten konnte. Sobald sie ihn in die richtige Lage gebracht hatten, deutete sie auf seine Füße. Sie zogen ihm die Schuhe aus.

»Ich kann immer noch nicht fassen, dass er es nicht aus freien Stücken getan hat«, sagte Lanthe.

Sabine nahm einen großen Schluck von ihrem süßen Wein. »Er hat irgendwas von Verpflichtungen gefaselt, und von Verantwortung.«

»Wie ist er bloß auf die Idee gekommen, dass du ihm abnimmst, er würde wegen irgendwelcher Pflichten Sex mit einer schönen Frau ablehnen, die ihn geradezu darum anfleht? So einen Quatsch hab ich ja noch nie gehört. Könnte es sein, dass du langsam nachlässt, altes Mütterchen?«

»Du kannst mich mal, Lästerschwester. Die Verlockung war einfach noch nicht groß genug.«

»Soll ich dir vielleicht ein paar Tipps geben?«

Das war ein heikles Thema zwischen ihnen. Nachdem Sabine klar geworden war, dass sie in den kommenden Jahrhunderten mit keinem Mann richtig zusammen sein würde, hatte sie angenommen, dass auch Lanthe aus Solidarität Jungfrau bleiben würde. Als Sabine das zur Sprache gebracht hatte, hatte Lanthe gelacht. Laut. Man konnte es schon fast ein Wiehern nennen.

»Ich verfüge durchaus über einige Fähigkeiten.« Auch wenn Sabines Jungfernhäutchen immer noch intakt war, hatte sie so ziemlich alles andere ausprobiert.

»Ach ja, Sabine – Königin der Ill…«, Lanthe hielt kurz inne, »illegalen Blowjobs.«

Das war gar nicht mal so falsch, denn aufgrund des Verbotslebte jeder Mann gefährlich, der mit Sabine auf Tuchfühlung ging. Sie beneidete Paare, die den ganzen Tag gemeinsam im Bett faulenzen konnten, doch sie lebte in ständiger Furcht, dass Vrekener auftauchten oder Omort es herausfinden könnte.

Als die Inferi dem Dämon den dünnen Pullover ausgezogen hatten, stieß Lanthe einen leisen Pfiff aus. »Kein Gramm Fett am ganzen Leib.«

Als Sabine zum Bett hinüberging, um besser sehen zu können, folgte Lanthe ihr eifrig.

Der Dämon schien ganz und gar aus verborgener Stärke zu bestehen, aus langen, harten Muskeln, die sich unter seiner Haut abzeichneten. Und doch wirkte er nicht unförmig – zum Glück war er keiner von diesen Muskelprotzen ohne Hals.

Über seinem Bizeps trug er einen breiten Ring aus mattem Gold, den er offensichtlich nicht ablegen konnte. Vermutlich trug er ihn schon seit Jahrhunderten.

»Sieh dir mal das Tattoo an.« Sabine deutete auf einen Punkt unten an seiner Flanke, wo pechschwarze Tinte seine Haut bedeckte. »Es geht noch weiter.« Als sie ihn bewegte, um seinen Rücken sehen zu können, entdeckte sie das Bild eines Drachen, der sich um seinen Leib wand.

In der Ebene von Rothkalina, in einer Gegend, die auch das Reich der Düsternis genannt wurde, lebten angeblich Basilisken, uralte Drachen, die von den Dämonen verehrt wurden.

Männliche Dämonen trugen häufig Tätowierungen, allerdings hatte sie nicht erwartet, dass Rydstrom eine haben würde. Als Sabine mit einem Finger über das Bild strich, zuckten die unnachgiebigen Muskeln darunter.

»Dein Blick wirkt ziemlich begehrlich, Abie.«

»Und?«

»Und … wenn du seine ihm bestimmte Frau bist, dann fühlst du dich vielleicht auch zu ihm hingezogen. Vielleicht könntest du dich verlieben«, sagte sie mit großen, sehnsüchtigen blauen Augen.

Lanthe war ein Widerspruch in sich – eine böse Zauberin, die sich die Liebe wünschte. Sabine hatte nie jemanden getroffen, der sich dermaßen danach sehnte wie ihre Schwester. Sie schien von frühester Jugend an mit ihrem ganzen Sein danach zu suchen. Sie hatte schon Dutzende von Selbsthilfebüchern gelesen und verschlang tragische Liebesgeschichten auf DVD.

»Die einzige Liebe, zu der ich fähig bin, ich schwesterlich«, sagte Sabine. »Du Glückspilz.«

Sabine ging davon aus, dass, wenn es in den letzten fünf Jahrhunderten zu keiner romantischen Bindung gekommen war, es sicherlich auch in absehbarer Zeit nicht passieren würde. Sie hegte schon seit Langem den Verdacht, dass der Teil von ihr, der möglicherweise fähig gewesen wäre, einen Mann zu lieben, bei einem ihrer zahlreichen Tode für alle Zeit gestorben war. Außerdem würde sie niemals jemand anders als Lanthe vertrauen können, und sowohl die gängige Meinung als auch die Bücher ihrer Schwester besagten, dass es ohne Vertrauen keine Liebe gab.

»Jedenfalls bedeutet es noch lange nicht, dass er für mich bestimmt ist, nur weil ich für ihn bestimmt bin.« Die Sorceri glaubten nicht an das Schicksal, darum glaubten sie auch nicht an einen Lebensgefährten, der ihnen vom Schicksal zugeteilt wurde.

Trotzdem würde Sabine mit ihrer Beute vorsichtiger umgehen müssen. Zuneigung zu ihm, genauer gesagt zu seinem Körper oder seinen verführerischen Küssen, würde ihre Lage ziemlich … unangenehm machen, sobald sie mit ihm fertig war.

»Bereit für die Hose?« Lanthe klatschte in die Hände und rieb sie aneinander. »Dann lass uns mal sehen, ob die Gerüchte über Dämonenmänner wahr sind.«

»Oh, die sind wahr. Genau genommen denke ich, sind sie eher untertrieben.« Sabine biss sich auf die Unterlippe. Er war immer noch ziemlich hart, und sie war sich keineswegs sicher, ob sie wollte, dass ihn jemand so sah. »Geht«, wies Sabine ihre Bediensteten an.

Als Lanthe und sie allein waren, packte Sabine den Bund seiner tief sitzenden Hose, hielt aber beim Knopf über dem Reißverschluss inne. »Vielleicht sollte er die lieber anbehalten. Wenn ich sie ihm später ausziehen kann, ist der Effekt besser.«

Angesichts des besitzergreifenden Verhaltens ihrer Schwester hoben sich Lanthes Augenbrauen.

»Was?«, fragte Sabine abwehrend. »Ich will nur nicht, dass ihm kalt wird.« Sie begann, seine Handgelenke über dem Kopf anzuketten.

»M-hmm«, sagte Lanthe. »Ich werde das alles genauestens beobachten.« Sie befestigte die Fußfesseln an seinen Fußgelenken.

Als er fixiert war, trat Sabine neben Lanthe, und beide blickten auf den Dämon herab.

Seine breiten Schultern schienen die ganze Matratze einzunehmen, und sein starker Oberkörper bildete mit der schmalen Taille ein perfektes V. Die Härchen auf seinen Armen, der Brust und dem schmalen Streifen unter seinem Nabel waren schwarz, doch ihre Spitzen hoben sich blond von seiner gebräunten Haut ab.

»Er ist … Abie, er ist unglaublich«, hauchte Lanthe. »Dein eigener dämonischer Liebessklave, und du kannst mit ihm jederzeit machen, was du willst. Ich will auch so einen!«

»Sicher, aber jetzt muss ich ihm erst mal seine neue Rolle beibringen.«

Lanthe nickte nachdenklich. »Eins haben wir nicht bedacht … Was, wenn er der einzige Mann wäre, den wir je getroffen haben, dem seine Pflicht stets wichtiger ist als seine Begierden? Was wäre, wenn er seine Versprechen ohne Ausnahme hält?«

»So einen Mann gibt es nicht«, sagte Sabine, ohne zu zögern.

»Da bin ich mir nicht so sicher. Vielleicht steht er so unverrückbar auf der Seite des Guten, dass jemand, der dem Pravus angehört, ihn gar nicht in Versuchung führen kann

»Bezweifelst du etwa mein Geschick als Verführerin?« Schon Hettiah hatte sie öffentlich herausgefordert. »Wie wäre es denn mit einer kleinen Wette?«

»Von mir aus. Wenn du ihn nicht innerhalb der nächsten Woche verführen kannst, dann bekomme ich deinen schönsten Kopfschmuck.«

Sabines liebster Kopfschmuck bestand aus überaus seltenem blauem und weißem Gold, besaß zwei Flügel, die sich über die Ohren wölbten, und war mit spinnwebenfeinen Goldfäden versehen, die sich über die Stirn ergossen. Sie hatte ihn der Königin der Hellsichtigkeit gestohlen, zusammen mit deren Fähigkeit, Gegenstände zu berühren und dadurch ihre Geschichte zu lesen. Da dies eine Radixmacht war, hatten sie auf Leben und Tod darum gekämpft. Später hatte Sabine diese Gabe allerdings Lanthe überlassen und sich selbst gegenüber zugegeben, dass sie es eigentlich nur auf den Kopfschmuck abgesehen hatte.

Die Schwestern wetteten nicht leichtfertig um Gold. Ihre Mutter hatte oft Goldmünzen an ihrer Wange gerieben und dabei liebevoll gesagt: »Gold ist Leben! Es ist Perfektion! Lass einen goldenen Panzer dein Herz umschließen, und niemals wird dein Lebensblut fließen.«

Aber diese Wette konnte Sabine gar nicht verlieren. Sie war Rydstroms Schicksalsgefährtin. »Und wenn ich gewinne, musst du ein Jahr lang auf Sex verzichten. Vielleicht stehst du meiner traurigen Lage dann ein wenig verständnisvoller gegenüber.« Lanthe warf ihr einen ungläubigen Blick zu. »Oh ja, ich sagte ein Jahr. Du weißt genau, dass der Schmuck es wert ist.«

Lanthe setzte eine gequälte Miene auf, sagte aber nur: »Na schön, die Wette gilt.«

In diesem Augenblick murmelte Sabines Gefangener etwas auf Dämonisch. Seine festen Lippen formten einzelne grobe Silben.

»Dann mach, dass du wegkommst. Ich will hier allein mit ihm sein, wenn er wieder aufwacht.«

Als Lanthe fort war, setzte sich Sabine neben ihn aufs Bett und neigte den Kopf, um ihn genauer zu mustern. Seine Hörner faszinierten sie besonders, wie sie sich sanft nach hinten an seinen Kopf schmiegten, und wie glatt sie waren, nur an der Wurzel zeigten sich einzelne Furchen. Sein dichtes Haar bedeckte sie nahezu vollständig, und darum war er imstande, sich frei unter den Menschen zu bewegen, was vielen Dämonen nicht möglich war.

Sie dachte daran, wie sehr es ihm gefallen hatte, als sie sie berührt hatte, und fuhr mit den Fingern daran entlang. Obwohl er bewusstlos war, überlief ihn ein Schauder.

Als Nächstes ruhte ihr Blick auf seinem gut aussehenden Gesicht, dessen Züge wie gemeißelt wirkten – eine kräftige Nase, ein eckiges Kinn – und nur durch seine tiefe Narbe verunstaltet wurden. Offensichtlich war die Verletzung schwerwiegend gewesen, und sie fragte sich, wie er sie sich wohl zugezogen hatte.

Langsam wanderte ihr Blick tiefer. Der Dämon besaß einen Körper, wie sie ihn noch nie zuvor gesehen hatte. Sabine hatte immer Männer mit eher schlankem Körperbau bevorzugt. Die Männer, zu denen sie sich hingezogen fühlte, gehörten fast immer zu den Sorceri, waren elegant und lässig, vom Typ raffiniertes Schlitzohr. Rydstrom war alles andere als ein wortgewandter Hexer – er war pure Männlichkeit.

Das hieß allerdings noch lange nicht, dass sie wirklich scharf darauf war, mit ihm ins Bett zu steigen. Im Laufe der Zeit hatte sich herausgestellt, dass sie es ganz und gar nicht mochte, gebissen zu werden, und Dämonen versahen ihre Frauen mit einem Mal, wenn sie zum ersten Mal ihren Anspruch auf sie erhoben. Darüber hinaus veränderte sich sogar das Aussehen eines Dämons, während er Sex mit seiner Gefährtin hatte. Seine Züge wurden schärfer, seine Haut färbte sich dunkel, und seine oberen und unteren Fänge wuchsen.

Wie es wohl wäre, wenn Rydstrom sich in seiner vollständigen Dämonengestalt zeigte? Wenn er knurrend über ihr aufragte und in sie hineinstieß? Wenn dieser mächtige Körper den ihren zum Höhepunkt trieb? Wieder trank sie einen großen Schluck Wein.

Es war keine Lüge gewesen, als Sabine gesagt hatte, er solle um des späteren Effekts willen die Hose anbehalten – selbstverständlich hatte sie vor, ihm den Reißverschluss mit den Zähnen zu öffnen –, aber das bedeutete keineswegs, dass sie ihn nicht gerne sehen würde.

Sie stellte ihren Kelch auf den Nachttisch und zog langsam den Reißverschluss herunter. Angesichts dessen, was da zum Vorschein kam, biss sie sich auf die Unterlippe. Eine ganze Reihe von Narben zog sich über seinen Schaft. Er war gepierct gewesen, wenn er es auch jetzt nicht mehr war.

Sabine waren Gerüchte über archaische Initiationsriten unter den Männern zahlreicher Dämonarchien zu Ohren gekommen, aber sie hatte angenommen, dass die Wutdämonen diese schon vor zig Jahren abgeschafft hätten. Vielleicht hatte Rydstrom selbst die entsprechende Verfügung erlassen – schließlich war er dazu in der Lage gewesen.

Also, der Dämon trug einen fest sitzenden Reif über dem Bizeps, und er war tätowiert und gepierct. Wie es schien, war Rydstrom Woede der Typ Mann, dessen äußeres Erscheinungsbild rein gar nichts darüber verriet, was sich unter seiner Kleidung verbarg.

Ein Grinsen breitete sich über Sabines Gesicht aus, während sie den Reißverschluss wieder schloss. Was für eine Überraschung.