DAS SCHICKSAL STYRIENS
Da oben.« Monzas behandschuhter Zeigefinger und natürlich auch ihr kleiner Finger deuteten auf den Bergrücken.
Dort kamen weitere Soldaten über die Kuppe, etwa ein oder zwei Meilen südlich von dort, wo die ersten Talineser erschienen waren. Sehr viele. Offenbar hatte Orso einige Überraschungen eingeplant. Verstärkung durch seine unionistischen Freunde vielleicht. Monza bewegte die Zunge in ihrem bitter schmeckenden Mund hin und her und spuckte aus. Schwache Hoffnung verwandelte sich in keine Hoffnung. Ein kleiner Schritt, aber einer, den niemand gern geht. Wind erfasste die ersten Flaggen, und sie entfalteten sich für einen kurzen Augenblick. Monza betrachtete sie durch das Fernrohr, runzelte die Stirn, rieb sich die Augen, und sah noch einmal hin. Es war kein Irrtum möglich: Sie zeigten die Muschel von Sipani.
»Sipanier«, murmelte sie. Bis eben noch das neutralste Volk der Welt. »Wieso, verdammt nochmal, kämpfen sie für Orso?«
»Wer sagt, dass sie das tun?« Als sie sich zu Rogont umwandte, lächelte der Herzog wie ein Dieb, der die dickste Geldbörse seiner bisherigen Laufbahn in die Finger bekommen hat. Er breitete die Arme aus. »Freuen Sie sich, Murcatto! Da ist das Wunder, um das Sie gebeten haben!«
Sie blinzelte. »Sie sind auf unserer Seite?«
»Unbedingt, und direkt in Foscars Rücken! Und das Aberwitzige daran ist: Das alles ist Ihr Verdienst.«
»Meiner?«
»Ganz und gar! Erinnern Sie sich an die Versammlung in Sipani, die dieser aufgeblasene Langweiler, der König der Union, ins Leben rief?«
Die große Prozession durch die belebten Straßen, der Beifall, als Rogont und Salier vorüberritten, die Buhrufe, als Ario und Foscar folgten. »Was ist damit?«
»Ich hatte ebenso wenig die Absicht, Frieden mit Ario und Foscar zu schließen, wie sie mit mir. Mir war allein daran gelegen, den alten Kanzler Sotorius auf meine Seite zu ziehen. Ich versuchte ihn davon zu überzeugen, dass Herzog Orsos Gier, sobald der Achterbund zerstört sein würde, nicht an Sipanis Grenzen haltmachen würde, ganz gleich, wie neutral man sich dort zuvor gegeben hatte. Und dass, sobald mein junger Kopf vom Hals getrennt sein würde, sein alter Kopf als Nächster auf dem Richtblock läge.«
Das war mehr als wahrscheinlich. Neutralität schützte vor Orsos Eroberungslust ebenso wenig wie vor den Pocken. Sein Ehrgeiz hatte bisher keine Grenzen gekannt und weder an dem einen noch an dem anderen Flusslauf haltgemacht. Deswegen war er ja für Monza so ein guter Dienstherr gewesen, bevor er versucht hatte, sie umzubringen.
»Aber der alte Mann hing an seiner geliebten Neutralität, klammerte sich daran wie ein Kapitän an das Steuerrad seines sinkenden Schiffs, und ich sah schließlich keine Möglichkeit mehr, ihn davon abzubringen. Ich muss beschämenderweise zugeben, dass ich ganz und gar verzweifelte und ernsthaft darüber nachdachte, Styrien zu verlassen und an sonnigere Ufer zu fliehen.« Rogont schloss die Augen und wandte sein Gesicht der Sonne zu. »Und dann, oh glückseliger Tag, oh glücklicher Zufall …« Er öffnete die Augen wieder und sah Monza ins Gesicht. »Dann ermordeten Sie Prinz Ario.«
Schwarzes Blut quoll aus einer bleichen Kehle, ein Leichnam stürzte aus dem offenen Fenster, Feuer und Rauch überall in dem brennenden Gebäude. Rogont grinste mit der Selbstzufriedenheit eines Zauberkünstlers, der seinen neusten Trick erklärt.
»Sotorius war der Gastgeber. Ario stand unter seinem Schutz. Der alte Mann wusste, dass Orso ihm den Tod seines Sohnes niemals verzeihen würde. Er wusste, welches Schicksal Sipani bevorstand, wenn Orso nicht aufgehalten werden konnte. Wir kamen in derselben Nacht zu einer Übereinkunft, während Cardottis Haus der Sinnesfreuden noch brannte. Im Geheimen führte Kanzler Sotorius Sipani in den Neunerbund.«
»Neun«, flüsterte Monza, während sie beobachtete, wie die sipanischen Truppen stetig zu den Furten vorrückten, um Foscar in den kaum verteidigten Rücken zu fallen.
»Mein langsamer Rückzug aus Puranti, den Sie für eine so schlechte Idee hielten, diente dazu, ihm genug Zeit für die Vorbereitungen zu geben. Ich begab mich aus freien Stücken in diese kleine Falle, um so den Köder in einer weitaus größeren zu spielen.«
»Sie sind viel schlauer, als Sie aussehen.«
»Das ist nicht weiter schwierig. Meine Tante sagte mir stets, ich hätte ein echtes Schafsgesicht.«
Sie sah stirnrunzelnd zu den bewegungslos verharrenden Truppen auf dem Menzesberg hinüber. »Was ist mit Cosca?«
»Manche Männer ändern sich nie. Er ließ sich von meinen gurkhisischen Unterstützern eine fürstliche Summe dafür bezahlen, dass er sich aus der Schlacht heraushält.«
Plötzlich sah es so aus, als ob sie die Welt nicht annähernd so gut verstünde, wie sie geglaubt hatte. »Ich habe ihm Geld angeboten. Er wollte es nicht nehmen.«
»Unglaublich, wo doch Verhandlungsgeschick eine Ihrer großen Stärken ist. Er wollte von Ihnen kein Geld nehmen. Ischri spricht wohl mit süßerer Zunge. ›Krieg ist lediglich die scharfe Spitze der Politik. Klingen können Männer töten, aber nur Worte können sie bewegen, und gute Nachbarn sind der sicherste Schutz bei einem Sturm.‹ Ich zitiere aus Juvens’ Grundzüge der hohen Künste. Überwiegend Unfug und Aberglauben, aber der Band über die Ausübung der Macht ist sehr faszinierend. Sie sollten Bücher aus den verschiedensten Bereichen lesen, Generalin Murcatto. Ihr Bücherwissen ist doch etwas eingeschränkt.«
»Ich habe erst spät mit dem Lesen begonnen«, brummte sie.
»Ich stelle Ihnen gern meine ganze Bibliothek zur Verfügung, sobald ich die Talineser geschlagen und Styrien erobert habe.« Rogont lächelte glücklich zum Grund des Tals hinunter, wo Foscars Heer Gefahr lief, von allen Seiten eingeschlossen zu werden. »Wenn Orsos Truppen natürlich einen erfahreneren Befehlshaber gehabt hätten als den jungen Prinz Foscar, dann hätte alles auch anders ausgehen können. Ich bezweifle, dass ein Mann von General Ganmarks Kaliber mir derart auf den Leim gegangen wäre. Und vielleicht auch jemand mit so viel Erfahrung wie der Getreue Carpi nicht.« Er beugte sich ein wenig aus dem Sattel und kam ihr mit seinem selbstzufriedenen Lächeln noch näher. »Aber leider hat Orso, was seine Befehlshaber angeht, einige unglückliche Verluste hinnehmen müssen.«
Sie schnaubte, wandte den Kopf und spuckte aus. »Schön, dass ich Ihnen behilflich sein konnte.«
»Oh, ohne Sie hätte ich das alles nicht bewerkstelligen können. Jetzt müssen wir nur noch die untere Furt halten, bis unsere tapferen Verbündeten aus Sipani den Fluss erreichen, Foscars Männer aufreiben, und dann werden Herzog Orsos Ambitionen in den Untiefen untergehen.«
»So einfach ist das alles?« Monza sah mit gerunzelter Stirn zum Fluss. Die Affoianer, eine unordentliche rotbraune Gruppe am bisher vernachlässigten rechten Rand des Schlachtfelds, waren vom Ufer zurückgedrängt worden. Nur um zwanzig Schritt aufgewühlten Boden, aber das genügte, um den Talinesern einen kleinen Halt zu bieten. Nun waren offenbar ein paar Baoliten durch das tiefere Wasser flussaufwärts gewatet, um die Flanke der Affoianer anzugreifen.
»Das ist es, und es sieht so aus, als seien wir schon auf dem besten Weg … ah.« Rogont hatte es auch gesehen. »Oh.« Die ersten Männer wurden in die Flucht geschlagen und liefen den Berghang zur Stadt hinauf.
»Offenbar haben Ihre tapferen Verbündeten aus Affoia genug von Ihrer Gastfreundschaft.«
Die selbstzufriedene Jubelstimmung, die sich in Rogonts Hauptquartier breitgemacht hatte, als die Sipanier aufgetaucht waren, schwand schnell wieder, als immer mehr kleine Punkte aus den schiefen affoianischen Linien herausbrachen und in alle Richtungen flüchteten. Über ihnen fransten die Reihen der Bogenschützen allmählich aus, als viele der Männer nervös zur Stadt hinaufblickten. Sie hatten ganz offensichtlich keine Lust, auf Tuchfühlung mit den Leuten zu gehen, die sie während der letzten Stunde beschossen hatten.
»Wenn diese baolitischen Drecksäcke durchbrechen, dann werden sie Ihren Truppen in die Flanke fahren und die ganze Linie aufrollen. Sie werden sie erledigen.«
Rogont kaute an seiner Lippe. »Die Sipanier sind nicht einmal mehr eine halbe Stunde entfernt.«
»Schön. Dann kommen sie genau rechtzeitig, um unsere Toten zu zählen. Und danach ihre.«
Er sah nervös zur Stadt hinüber. »Vielleicht sollten wir uns bis hinter die Stadtmauern zurückziehen …«
»Sie haben keine Zeit, sich aus dem Gewirr dort unten zu lösen. Nicht einmal ein so erfahrener Rückzugsspezialist wie Sie könnte das bewerkstelligen.«
Dem Herzog war alle Farbe aus dem Gesicht gewichen. »Was können wir tun?«
Plötzlich hatte sie das Gefühl, die Welt perfekt zu begreifen. Monza zog mit einem leichten metallischen Klingen ihren Säbel. Einen Kavalleriesäbel, den sie aus Rogonts Waffenkammer ausgeliehen hatte – einfach, schwer und mörderisch gut geschärft. Seine Augen glitten zu der Waffe. »Ah. Das.«
»Ja. Das.«
»Ich nehme an, es kommt irgendwann die Zeit, in der ein Mann seine Vorsicht fahren lassen muss.« Rogont schob das Kinn vor, und die Kiefermuskeln arbeiteten. »Kavallerie. Zu mir …« Seine Stimme erstarb zu einem kehligen Krächzen.
Eine laute Stimme ist für einen General so wertvoll wie ein ganzes Regiment, hieß es bei Farans.
Monza erhob sich in den Steigbügeln und schrie aus vollem Hals: »Kavallerie! In Angriffsformation!«
Die Stabsoffiziere des Herzogs begannen zu kreischen, hierhin und dorthin zu zeigen und mit ihren Degen zu fuchteln. Berittene kamen von allen Seiten herbei und stellten sich in langen Reihen auf. Harnische klapperten, Rüstungen schepperten, Lanzen stießen gegeneinander, Pferde schnaubten und stampften auf den Boden. Die Männer fanden ihre Plätze, brachten ihre unruhigen Pferde in eine ordentliche Aufstellung, fluchten und schrien, zurrten ihre Helme fest und klappten die Visiere hinunter.
Die Baoliten brachen nun tatsächlich durch und quollen aus den immer größer werdenden Lücken in Rogonts aufgelöstem rechtem Flügel wie die Flut durch eine Mauer aus Sand. Monza hörte ihre schrillen Kriegsschreie, als sie den Abhang hinaufstürmten, sah ihre flatternden, ausgefransten Banner und das Schimmern von bewegtem Metall. Die Reihen der Bogenschützen lösten sich bei diesem Anblick völlig auf, die Männer warfen ihre Bogen weg und rannten zur Stadt, vermischten sich dabei mit fliehenden Affoianern und Osprianern, die inzwischen ebenfalls ihre Zweifel an dem ganzen Unterfangen hatten. Es hatte Monza stets fasziniert, wie schnell ein Heer auseinanderfallen konnte, sobald sich der erste Hauch von Panik darüber hinwegwehte. Es war, als schlüge man den Schlussstein unter einer Brücke weg, und das ganze Bauwerk zerfiel im nächsten Augenblick zu einer Ruine. Sie standen jetzt am Rande dieses Zusammenbruchs, das spürte sie.
Monza fühlte, dass ein Pferd sich neben ihres drängte, und Espe sah sie an, die Axt in der einen Hand, die Zügel und einen schweren Schild in der anderen. Er hatte sich nicht die Mühe gemacht, eine Rüstung anzulegen. Trug einfach nur das Hemd mit der Goldstickerei auf den Manschetten. Das, was sie für ihn ausgesucht hatte. Das, was auch Benna hätte tragen können. Jetzt schien es gar nicht mehr so gut zu ihm zu passen. Es wirkte wie ein Kristallhalsband am Hals eines Kampfhundes.
»Ich dachte, du wärst vielleicht schon auf dem Weg zurück nach Norden.«
»Ohne das viele Geld, das du mir noch schuldest?« Sein eines Auge sah ins Tal hinab. »Ich bin nie einem Kampf ausgewichen.«
»Gut. Schön, dass du da bist.« In diesem Augenblick meinte sie es wirklich so. Egal, wie die Dinge zwischen ihnen sein mochten, er hatte die höchst praktische Angewohnheit, ihr immer wieder das Leben zu retten. Sie sah wieder weg, als sie seinen Blick auf ihr fühlte. Und da war es schon an der Zeit zum Losreiten.
Rogont hob seinen Degen, und die Mittagssonne funkelte auf der spiegelhellen Klinge, als ob Blitze davon ausgingen. Wie in den Geschichten.
»Zum Angriff!«
Zungen schnalzten, Fersen trieben die Pferde an, Zügel klatschten. Gemeinsam, wie ein großes Tier, setzte sich die lange Linie von Berittenen in Gang. Erst in gemessenem Schritt, und die Pferde waren unruhig, schnaubten, wollten ausbrechen. Die Linie wand sich hin und her, als einzelne Reiter vorpreschten. Das Gebrüll der Offiziere holte sie wieder in die Linie zurück. Dann bewegte sie sich schneller und schneller, Rüstungen und Harnische klapperten, und Monzas Herz schlug ebenfalls immer heftiger. Die prickelnde Mischung aus Angst und Entzücken, wenn Denken nicht mehr wichtig ist und man nur noch handeln kann. Die Baoliten hatten sie gesehen und gaben sich alle Mühe, sich schnell zu einer Linie zu formieren. In den Augenblicken, in denen die Welt stillzustehen schien, konnte Monza ihre verkrampften Gesichter sehen, Männer mit wilden Haaren, in angelaufenen Kettenpanzern und zerlumpten Pelzen.
Die Lanzen der Reiter um sie herum senkten sich, die Spitzen schimmerten, und die Pferde fielen in leichten Trott. Der Atem fuhr kalt in Monzas Nase, biss in ihrer trockenen Kehle, brannte heiß in ihrer Brust. Kein Gedanke mehr an den Schmerz oder an die Spreupfeifen, die sie deswegen rauchte. Kein Gedanke daran, was sie getan oder versäumt hatte. Kein Gedanke an ihren toten Bruder oder an die Männer, die ihn umgebracht hatten. Sie konzentrierte sich mit aller Kraft auf ihr Pferd und auf ihren Säbel. Sah nur zu den Grüppchen Baoliten auf dem Abhang, die bereits wankten. Sie waren müde und ausgelaugt von dem Kampf im Tal, dem ständigen Aufwärtsklettern. Und ein paar hundert Tonnen Pferdefleisch, die einem entgegenstürmen, können selbst einen Mann in bester Verfassung dazu bringen, dass er die Nerven verliert.
Ihre halb geordnete Linie brach ein wenig ein.
»Angriff!«, bellte Rogont. Monza schrie mit ihm, hörte Espe neben sich brüllen, und von jedem in der Linie hinter ihr ertönten Rufe und Schreie. Sie stieß ihrem Pferd hart die Fersen in die Weichen, und das Tier brach leicht aus, kam dann wieder in die richtige Spur und galoppierte in aberwitzigem Tempo den Abhang hinunter. Die Hufe donnerten über den Boden, Erde und Gras spritzte auf, Monzas Zähne klapperten allein wegen der Geschwindigkeit. Das Tal hüpfte und schwankte unter ihr, der funkelnde Fluss kam auf sie zu. Ihre Augen brannten vom Wind, sie blinzelte die Feuchtigkeit weg, dann verschwamm die Welt um sie herum, bestand nur noch aus unscharfen Streifen und wurde plötzlich wieder klar. Sie sah, wie die Baoliten auseinanderspritzten und im Laufen ihre Waffen wegwarfen. Dann war die Kavallerie unter ihnen.
Ein Pferd, das der Gruppe vorausgeeilt war, wurde mit einem Speer aufgespießt, der Schaft bog sich und brach. Das Tier riss Speerkämpfer und Reiter mit sich, überschlug sich und rollte den Hang hinab, Zaumzeug und Harnisch schlugen hin und her.
Sie sah, wie eine Lanze einem Mann in den Rücken fuhr, ihn vom Hintern bis zu den Schultern aufschlitzte und seinen Leichnam herumschleuderte. Die fliehenden Baoliten wurden aufgespießt, zerschmettert, zertrampelt, vernichtet.
Einer prallte von der Brust eines Pferdes ab, bekam einen Degenstreich über den Rücken, schlug kreischend gegen Monzas Bein und wurde schließlich unter den Hufen von Rogonts Streitross totgetreten.
Ein anderer ließ seinen Speer fallen, wandte sich um, das Gesicht eine blasse Maske der Angst. Sie ließ den Säbel hinabsausen, fühlte die heftige Erschütterung in ihrem Arm, als die schwere Klinge seinen Helm in der Mitte mit einem hohlen Klonk eindellte.
Wind brandete um ihre Ohren, Hufe dröhnten. Sie schrie immer noch, lachte, schrie. Schlug noch einen Mann nieder, der zu fliehen versuchte, hieb ihm beinahe den Arm ab und ließ einen schwarzen Strahl Blut aufspritzen. Verfehlte einen anderen mit einem wilden Ausfall und blieb nur knapp im Sattel, da sie der Schwung fast mitgerissen hatte. Richtete sich noch gerade rechtzeitig wieder auf und klammerte sich mit der schmerzenden Hand an die Zügel.
Sie hatten sich durch die Baoliten hindurchgekämpft und zerstückelte und blutige Leichen zurückgelassen. Geborstene Lanzen wurden weggeworfen, stattdessen zog man die Degen. Der Abhang wurde ebener, als sie sich kämpfend dem Fluss näherten, und der Boden war übersät von toten Affoianern. Vor ihnen tobte ein enger und blutiger Kampf, der nun in all seinen Einzelheiten zu erkennen war. Mehr und mehr Talineser überquerten die Furt und erhöhten den wilden Druck auf die Ufer. Stangenwaffen schwankten und schimmerten, Klingen blitzten, Männer kämpften und quälten sich voran. Über den Wind und über den eigenen Atem konnte Monza es hören, wie einen weit entfernten Sturm, Metall und Stimmen, die sich miteinander verbanden. Offiziere ritten hinter den Linien hin und her, schrien vergebens und bemühten sich, irgendeine Art von Ordnung in den Irrsinn zu bringen.
Ein frisches talinesisches Regiment begann sich durch die Lücke zu zwängen, die von den Baoliten ganz rechts gerissen worden war – schwere Infanterie, gut bewaffnet. Die Soldaten wandten sich zur Seite und bedrängten nun das Ende der osprianischen Linie, während die Männer in Blau versuchten, sie zurückzuhalten, aber allmählich heftig in Unterzahl gerieten, als immer mehr Talineser über den Fluss nachrückten und die Lücke verbreiterten.
Rogont, dessen schimmernde Rüstung mit Blut befleckt war, wandte sich im Sattel um und deutete mit dem Degen auf diese Einheit, brüllte etwas, das niemand hören konnte. Es spielte keine Rolle. Es gab kein Halten mehr.
Die Talineser stellten sich rund um eine weiße Kriegsflagge in Keilformation auf, das schwarze Kreuz flatterte im Wind, und ein Offizier in vorderster Front stach wild auf die Luft ein, während er versuchte, seine Leute auf den Angriff vorzubereiten. Monza fragte sich kurz, ob sie ihm je begegnet war. Männer knieten sich hin, ein Haufen schimmernder Rüstungen an der Spitze des Keils, mit Stangenwaffen gespickt, während es weiter hinten rasselte und die Hälfte der Soldaten noch mit den Osprianern beschäftigt war, völlig miteinander verstrickt, ein Dickicht aus Klingen.
Monza sah eine Wolke aus Flachbogenbolzen aus dem Gedränge an der Furt aufsteigen. Sie verzog gequält das Gesicht, als sie auf sie zuflogen, und hielt grundlos und sinnlos den Atem an. Ein Pfeil ließ sich nicht davon aufhalten, dass man den Atem anhielt. Mit Rasseln und Pfeifen schossen die Bolzen hinab, trieben sich in den Boden, prallten klappernd von schweren Rüstungen ab, schlugen hart in Pferdefleisch.
Ein Pferd bekam einen Bolzen in den Hals, bäumte sich auf und stürzte auf die Seite. Ein anderes prallte in vollem Lauf dagegen, und der Reiter flog aus dem Sattel, schlug mit den Gliedern in der Luft, seine Lanze fiel zu Boden und ließ schwarze Erdklumpen aufspritzen. Monza lenkte ihr Pferd um das Durcheinander herum. Irgendetwas klapperte gegen ihren Brustpanzer und fuhr ihr ins Gesicht. Sie keuchte, zuckte im Sattel zusammen, Schmerz brannte auf ihrer Wange. Ein Pfeil. Sie hatte einen Kratzer abbekommen. Sie öffnete die Augen und sah einen Mann in einer Rüstung, der die Hand um einen Bolzen in der Schulter gekrallt hatte, zuckte und zuckte, dann zur Seite fiel und scheppernd hinter seinem wild davongaloppierenden Pferd hergeschleift wurde, weil sein Fuß im Steigbügel hängen geblieben war. Die anderen kämpften sich weiter voran, wichen den Gefallenen aus oder sprangen über sie hinweg, ließen sie zertrampelt zurück.
Sie hatte sich irgendwann auf die Zunge gebissen. Sie spuckte Blut aus, stieß wieder mit den Sporen zu und drängte ihr Reittier voran, die Lippen zurückgezogen, den Wind kalt in ihrem Mund.
»Wir hätten bei der Feldarbeit bleiben sollen«, flüsterte sie. Die Talineser marschierten ihr entgegen.
Espe hatte nie begriffen, woher in jeder Schlacht diese lebensmüden Verrückten kamen, aber irgendwie es gab immer genug Vollidioten, die um jeden Preis den großen Mann markieren wollten. Kerle, die ihre Pferde direkt vor die weiße Flagge trieben, genau der Spitze des Keils entgegen, wo die Speere bestens in Stellung gebracht worden waren. Das vorderste Pferd scheute kurz vor dem Ziel, bäumte sich auf und brach aus, und der Reiter konnte sich nur mit Mühe an ihm festklammern. Das Pferd dahinter prallte nun auf Ross und Reiter und drängte beide gegen die schimmernden Spitzen, bis Blut und Splitter flogen. Ein weiteres Tier knickte ein und warf seinen Reiter über den Kopf ab, so dass er in den Schlamm vor die feindliche Linie fiel und die Soldaten mit Begeisterung nach ihm stachen.
Besonnenere Reiter hielten sich seitlich, umschifften den Keil wie ein Fluss einen Felsen und griffen die weniger gut verteidigten Flanken an, aus denen keine Speere ragten. Kreischende Soldaten kletterten übereinander, als die Reiter sie bedrängten, bemühten sich mit aller Kraft, von der vordersten Front wegzukommen, und die Speere schwankten wild hin und her.
Monza ritt nach links, und Espe folgte ihr, sein Auge starr auf sie gerichtet. Vor ihnen sprangen ein paar Pferde über die umkämpfte erste Reihe in die Mitte des Keils, und die Reiter schlugen mit Säbeln und Streitkolben zu. Andere prallten gegen die Soldaten, zerquetschten, zertrampelten sie, und die Männer schrien, bettelten, flogen herum, während sich die Reiter über sie hinweg zum Fluss durchkämpften. Monza schlug im Vorbeireiten einen stolpernden Dummkopf nieder und hieb mit ihrem Säbel um sich. Ein Speerträger stach nach ihr und erwischte ihren Rückenpanzer, riss sie beinahe aus dem Sattel.
Die Worte des Schwarzen Dow fielen Espe wieder ein – um einen Mann zu töten, gibt es keine bessere Zeit als in einer Schlacht, und das gilt doppelt, wenn es sich um einen von der eigenen Seite handelt. Er gab seinem Pferd die Sporen und preschte hinter Monza her, stellte sich in den Steigbügeln auf und schwang die Axt hoch über ihrem Kopf. Er bleckte die Zähne. Dann schwang er die Waffe mit lautem Gebrüll und schlug sie dem Speerträger ins Gesicht, spaltete ihm den Kopf und ließ ihn tot zu Boden stürzen. Schnell ließ er die Axt auf der anderen Seite niederfahren, und sie krachte in einen Schild und schlug eine große Delle hinein. Der Mann, der ihn getragen hatte, geriet unter die schlagenden Hufe eines Pferdes.
Vielleicht war er einer von Rogonts Leuten, aber jetzt war keine Zeit, um darüber nachzudenken, wer zu welcher Seite gehörte.
Töte jeden, der nicht auf einem Pferd sitzt. Töte jeden auf einem Pferd, der dir in die Quere kommt.
Töte jeden.
Er ließ sein Kriegsgeheul ertönen, so wie er es vor den Mauern von Adua ausgestoßen hatte, als sie die Gurkhisen nur mit Geschrei in die Flucht geschlagen hatten. Jenes hohe Heulen aus dem eisigen Norden, obwohl seine Stimme jetzt rau und krächzend war. Er schlug um sich, achtete kaum darauf, was er traf, und die Klinge seiner Axt krachte, schepperte, knirschte, und Stimmen heulten, blubberten, kreischten.
Eine gebrochene Stimme brüllte auf Nordisch: »Stirb! Stirb! Zurück in den Schlamm, Arschlöcher!« Seine Ohren dröhnten vor wildem Gebrüll und Gerassel. Ein wogendes Meer zuckender Waffen, kreischender Schilde, schimmernden Metalls, zersplitternder Knochen, spritzenden Bluts, wilder und entsetzter Gesichter strömte um ihn herum, wogte und wand sich, und er hackte und schlug und spaltete wie ein verrückter Metzger, der über einen Kadaver herfällt.
Seine Muskeln brannten heiß, seine Haut stand bis zu den Fingerspitzen in Flammen, war schweißnass in der brennenden Sonne. Vorwärts, immer weiter vorwärts, mit der Meute mitlaufen, dem Wasser entgegen, hinter sich eine blutige Schneise aus gefällten Körpern, toten Männern und toten Tieren. Die Schlacht öffnete sich, und er war durch, die Soldaten vor ihm rannten in verschiedene Richtungen davon. Er trieb sein Pferd zwischen zwei Flüchtende, die das Ufer hinunterrannten und auf das flache Wasser zuhielten. Einen traf er zwischen die Schulterblätter, und mit der Rückhand versetzte er dem anderen eine tiefe Kerbe in den Hals, so dass er sich überschlug und ins Wasser stürzte.
Überall um ihn herum waren nun Reiter, die in die Furt drängten, und die Hufe wirbelten helle Gischt empor. Er erhaschte einen Blick auf Monza, die immer noch vor ihm ritt; ihr Pferd kämpfte sich jetzt durch tieferes Wasser, und die Säbelklinge glitzerte, als sie auf und nieder fuhr. Der Angriff verebbte. Schaumbefleckte Pferde kamen in den Untiefen ins Schwimmen. Reiter beugten sich hinab, schlugen zu, brüllten, Soldaten stachen mit Speeren zurück, hieben mit Degen nach den Beinen der Reiter und ihren Rössern. Ein Kavallerist zappelte verzweifelt im Wasser, die Kuppe seines Helms bereits eingedrückt, während Männer mit Streitkolben auf ihn einprügelten, ihn hin und her schubsten und tiefe Dellen in seine schwere Rüstung schlugen.
Espe keuchte, als ihn etwas um die Taille packte, er wurde zurückgeworfen, und das Hemd zerriss. Er ruderte mit dem Ellenbogen, konnte aber nicht gut ausholen. Eine Hand grabschte nach seinem Gesicht, Finger gruben sich in die vernarbte Hälfte, Nägel kratzten an seinem toten Auge. Er brüllte, trat, wand sich, versuchte mit dem linken Arm Schwung zu holen, aber auch den hatte jemand gepackt. Er ließ seinen Schild los, wurde zurückgezerrt, aus dem Sattel und zu Boden, zappelte im flachen Wasser, rollte sich zur Seite und dann wieder auf die Knie.
Neben ihm im Fluss stand ein junger Bursche in nietenbeschlagenem Lederwams, dem das nasse Haar ins Gesicht hing. Er starrte etwas an, das er in der Hand hielt, etwas Flaches und Glänzendes. Sah wie ein Auge aus. Die Emailschicht, die bis eben noch in Espes Augenhöhle gesessen hatte. Der Junge sah auf, und ihre Blicke trafen sich. Espe spürte etwas an seiner Seite, duckte sich, und Wind erfasste sein nasses Haar, als sein eigener Schild an seinem Kopf vorbeiflog. Er wirbelte herum, die Axt folgte ihm in einem weiten Bogen und schlug tief in irgendwelche Rippen; Blut spritzte hervor. Der Schwung drückte ihn zur Seite und riss ihn brüllend von den Beinen, und er schlug ein oder zwei Schritt entfernt in das aufspritzende Wasser.
Als er sich umdrehte, kam der Junge mit einem Messer auf ihn zu. Espe zuckte schnell zur Seite, konnte den Unterarm des Angreifers packen und festhalten. Sie kamen ins Stolpern, verhedderten sich und stürzten; kaltes Wasser umfing sie. Das Messer kratzte an Espes Schulter, aber er war viel größer, viel stärker und konnte sich nach oben wälzen. Sie rangen miteinander, verkrallten sich, schnaubten sich in die Gesichter. Er ließ den Schaft der Axt durch die Finger gleiten, bis er die Waffe direkt unter dem Blatt packte, und der Junge erwischte mit der freien Hand Espes Handgelenk, während ihm Wasser um den Kopf rauschte, aber er hatte nicht genug Kraft. Espe bleckte die Zähne und drehte die Axt, bis die schwere Klinge über den Hals seines Gegners rutschte.
»Nein«, hauchte der Junge.
Nein sagen konnte man vor der Schlacht. Espe drückte mit seinem ganzen Gewicht zu, keuchte, stöhnte. Die Augen des Jungen quollen vor, als das Metall langsam in seine Kehle biss, tiefer und tiefer, und die rote Wunde sich immer weiter und weiter öffnete. Blut quoll in klebrigem Schwall hervor, über Espes Arm, über sein Hemd, in den Fluss, von der Strömung weggewaschen. Der Junge zitterte kurz, den roten Mund weit geöffnet, dann erschlaffte er und starrte in den Himmel.
Espe richtete sich stolpernd auf. Sein zerfetztes Hemd behinderte ihn, schwer von Blut und Wasser, wie es war. Er riss es sich vom Körper, aber weil er die ganze Zeit den Schild so verkrampft festgehalten hatte, war seine Hand so ungeschickt, dass er sich dabei ein paar Brusthaare ausriss. Er sah sich wilden Blickes um, blinzelte in die gnadenlose Sonne. Männer und Pferde kämpften im schimmernden Fluss, verschwommen und unscharf. Er bückte sich und riss die Axt vom halb durchtrennten Hals des Jungen, und die Lederumwickelung des Griffs schmiegte sich in die Linien seiner Handfläche wie ein Schlüssel in das passende Schloss.
Er watete zu Fuß durchs Wasser, auf der Suche nach anderen. Auf der Suche nach Murcatto.
Das schwindelerregende Aufwallen von Kraft, das der Angriff ihr verliehen hatte, verebbte schnell. Monzas Kehle war wund vom Geschrei, ihre Beine brannten vom Antreiben ihres Pferdes. Die rechte Hand war ein verdrehter Knoten Schmerz an den Zügeln, ihr Schwertarm brannte von den Fingern bis zur Schulter, und das Blut pochte hinter ihren Augen. Sie fuhr herum, inzwischen unsicher, wo Osten und wo Westen war. Das spielte jetzt kaum noch eine Rolle.
Im Krieg, hieß es bei Verturio, gibt es keine geraden Linien.
In der Furt gab es gar keine Linien mehr, nur noch Reiter und Soldaten, die in hundert mörderische, sinnlose kleine Kämpfe verstrickt waren. Freund und Feind waren kaum voneinander zu unterscheiden, und da niemand so genau aufpasste, bestand zwischen beiden kaum noch ein Unterschied. Der Tod konnte aus jeder Richtung kommen.
Sie sah den Speer, aber zu spät. Ihr Pferd erschauerte, als die Spitze direkt neben ihrem Bein in seine Flanke fuhr. Der Kopf des Tieres fuhr herum, sie sah ein verdrehtes Auge und den Schaum, der sich an den gebleckten Zähnen zeigte. Monza krallte sich am Sattelknauf fest, als das Pferd zur Seite sank, sich den Speer noch weiter ins Fleisch rammte, und heißes Pferdeblut über ihr Bein floss. Mit einem hilflosen Schrei stürzte sie, die Füße noch in den Steigbügeln, der Säbel fiel ihr aus der Hand, als sie ins Leere griff. Wasser traf sie an der Seite, der Sattel bohrte sich in ihren Bauch und trieb ihr die Luft aus den Lungen.
Sie tauchte unter, den Kopf voller Licht, Luftblasen rund um ihr Gesicht. Kälte griff nach ihr und auch kalte Angst. Kurz schlug sie um sich und gelangte wieder an die Oberfläche, aus der Dunkelheit plötzlich ins grelle Licht, und der Kampfeslärm drang wieder an ihre Ohren. Keuchend atmete sie ein, bekam Wasser in die Kehle, hustete es aus, atmete wieder keuchend ein. Mit der linken Hand krallte sie sich an den Sattel und versuchte sich zu befreien, aber ihr Bein war unter dem Körper ihres um sich schlagenden Pferdes eingeklemmt.
Etwas schlug gegen ihre Stirn, und wieder tauchte sie kurz unter, schwindlig, schwach. Ihre Lungen brannten, ihre Arme waren wie aus Schlamm. Wieder kämpfte sie sich an die Oberfläche, aber dieses Mal schwächer, nur so weit, um kurz Luft zu holen. Blauer Himmel kreiselte, weiße Wolkenfetzen, wie der Himmel, als sie den Berghang von Fontezarmo hinabgestürzt war.
Die Sonne warf ihr flackerndes Licht auf sie, brennend hell, als sie wild Atem schöpfte, dann verschwommen funkelnd und mit ersticktem Gurgeln, als der Fluss wieder über ihr Gesicht schwappte. Keine Kraft mehr, um sich selbst aus dem Wasser herauszuwinden. Waren so die letzten Augenblicke des Getreuen gewesen, als er unter dem Mühlrad ertrunken war?
Das war Gerechtigkeit.
Ein schwarzer Umriss verdeckte die Sonne. Espe, der so, wie er neben ihr stand, zehn Fuß groß zu sein schien. In seiner Augenhöhle blinkte etwas. Langsam hob er mit finsterem Gesicht einen Stiefel aus dem Fluss, und das Wasser tropfte vom Rand der Sohle auf ihr Gesicht. Für einen Augenblick war sie überzeugt, dass er diesen Fuß auf ihren Nacken stellen und sie unter Wasser drücken würde. Doch dann setzte er ihn aufplatschend neben ihr ins Wasser. Sie hörte ihn schnaufen, als er sich an ihrem toten Pferd zu schaffen machte. Das Gewicht, das auf ihrem Bein lastete, gab erst ein bisschen nach, dann ein bisschen mehr. Sie wand sich, stöhnte, atmete Wasser ein und hustete es wieder aus, bekam dann endlich ihr Bein frei und tauchte prustend und zappelnd wieder auf.
Zitternd hockte sie auf Hände und Knie gestützt, bis zu den Ellenbogen im Wasser, das lustig und funkelnd an ihr vorbeisprudelte und – rauschte, und Tropfen rannen aus ihrem nassen Haar. »Scheiße«, flüsterte sie, und jeder Atemzug erschütterte ihre wunden Rippen. »Scheiße.« Sie brauchte einen Zug Spreu.
»Sie kommen«, hörte sie Espes Stimme. Dann spürte sie, wie er seine Hand unter ihre Achselhöhle rammte und sie hochzog. »Schnapp dir eine Klinge.«
Sie taumelte unter dem Gewicht der nassen Kleidung und Rüstung und stolperte zu einem Leichnam hinüber, der sich an einem Felsen verfangen hatte und in der Strömung auf und ab wippte. Ein schwerer Streitkolben mit Metallschaft hing noch an seinem Lederriemen am Handgelenk. Monza zog ihn mit ungeschickten Fingern ab und zerrte zudem ein Messer aus seinem Gürtel.
Gerade noch rechtzeitig. Ein Mann in schwerer Rüstung kam mit vorsichtigen Schritten auf sie zu und sah sie mit harten kleinen Augen über den Rand seines Schildes hinweg an. Die mit schimmernden Tropfen besetzte Degenklinge reckte er zur Seite. Sie wich ein kleines Stück zurück und tat, als sei sie völlig erledigt. Das erforderte kaum große Schauspielkunst. Als er noch einen Schritt näher kam, stürzte sie sich auf ihn. Einen Sprung hätte man es wohl nicht nennen können, eher einen müden Satz, denn sie war kaum in der Lage, die Füße schnell genug durchs Wasser zu bewegen, um mit dem Rest ihres Körpers mitzuhalten.
Sie schlug wild mit dem Streitkolben zu, und ihr ganzer Arm sang, als die Waffe von seinem Schild abprallte. Sie keuchte, rang mit ihrem Gegner, stach mit dem Messer nach ihm, aber die Klinge erwischte nur den Rand des Brustpanzers und glitt harmlos ab. Der Schild prallte gegen sie und brachte sie ins Stolpern. Sie sah den Schlag kommen, den er mit dem Degen führte, und hatte gerade noch die Geistesgegenwart besessen, sich zu ducken. Dann holte sie mit dem Streitkolben aus, schlug in die Luft und kam aus dem Gleichgewicht, hatte kaum noch Kraft und schnappte nach Luft. Wieder fuhr sein Degen in die Höhe.
Sie sah Espes wildes Grinsen hinter sich, ein Aufblitzen, als das rote Blatt seiner Axt einen Sonnenstrahl auffing. Mit schwerem Schlag spaltete er die Schulter des Mannes bis zur Brust, und Blut spritzte in Monzas Gesicht. Sie fuhr zur Seite, den gurgelnden Schrei des Gegners in den Ohren und sein Blut in der Nase, und versuchte, sich mit dem Handrücken die Augen zu reiben.
Das Erste, was sie anschließend sah, war ein weiterer Soldat, dessen offener Helm ein bärtiges Gesicht freiließ und der mit einem Speer nach ihr ausholte. Sie versuchte sich wegzudrehen, aber die Spitze traf sie hart an der Brust, schrammte an ihrem Brustpanzer entlang und warf sie um; ihr Kopf kippte ruckartig nach vorn. Sie landete rücklings in der Furt, und der Soldat stolperte vorüber, tappte in ein Loch im Flussbett, und das Wasser, das dabei aufspritzte, geriet ihr in die Augen. Sie kämpfte sich wieder auf ein Knie, und das blutige Haar hing ihr zerzaust ins Gesicht. Er wandte sich um, hob den Speer, um sie erneut anzugreifen. Doch nun fuhr sie herum und rammte ihm das Messer zwischen zwei Platten seiner Rüstung, bis zum Griff seitlich ins Knie.
Er krümmte sich über ihr zusammen, die Augen traten ihm aus den Höhlen, und er klappte den Mund auf, um zu schreien. Mit einem Fauchen riss sie den Streitkolben empor und ließ ihn gegen seinen Unterkiefer krachen. Sein Kopf klappte nach hinten, Blut, Zähne und Zahnbruchstücke flogen durch die Gegend. Einen Augenblick schien er so mit schlaff herabhängenden Händen zu verharren, dann ließ sie den Streitkoben auf die vorgestreckte Kehle prallen, stürzte über ihn, als er fiel, griff wild um sich und kam schließlich spuckend wieder hoch.
Männer standen um sie herum, daran hatte sich nichts geändert, aber keiner kämpfte mehr. Sie standen da oder saßen ruhig im Sattel und glotzten. Espe beobachtete sie, die Axt locker in der Hand. Aus irgendeinem Grund war er vom Gürtel aufwärts nackt, die weiße Haut mit Blut beschmiert und bespritzt. Die Emailschicht seines Auges war verschwunden, und die helle Metallkugel leuchtete wie die Morgensonne in seiner Augenhöhle, funkelnd mit kleinen Wassertröpfchen besetzt.
»Sieg!« Sie hörte jemanden schreien. Verschwommen, zuckend, mit feuchten Augen sah sie einen Mann auf einem braunen Pferd inmitten des Flusses, der in den Steigbügeln stand und den schimmernden Säbel erhob. »Sieg!«
Sie machte einen wackligen Schritt auf Espe zu, und er ließ die zernarbte Axt fallen und fing Monza auf, als sie stürzte. Sie hielt sich an ihm fest, den rechten Arm um seine Schulter gelegt, die linke Hand hing herab, noch immer den Streitkolben umklammernd, wenn auch nur, weil es ihr nicht gelang, die Finger zu lockern.
»Wir haben gesiegt«, flüsterte sie ihm zu und merkte, dass sie lächelte.
»Wir haben gesiegt«, sagte er, drückte sie fest und hob sie dabei fast vom Boden.
»Wir haben gesiegt.«
Cosca senkte sein Fernglas, blinzelte und rieb sich die Augen. Eines war halb blind, weil er es die letzte Stunde über die meiste Zeit zugekniffen hatte, das andere war halb blind, weil er es währenddessen ständig gegen die Linse gedrückt hatte. »Tja, das wäre geschafft.« Er rutschte unbehaglich im Generalhauptmannsstuhl hin und her. Der Stoff seiner Hose hatte sich in seiner schwitzigen Arschritze eingeklemmt, und er versuchte ihn mit kleinen Bewegungen dort wieder herauszulösen. »Gott lächelt wohlgefällig über die Ergebnisse, so sagt ihr Gurkhisen doch?«
Schweigen. Ischri war so schnell und geschmeidig wieder verschwunden, wie sie gekommen war. Cosca wandte den Kopf in die andere Richtung zu Freundlich. »Ein beeindruckender Anblick, was, Feldwebel?«
Der Sträfling sah von seinen Würfeln auf, blickte ins Tal hinab und schwieg. Herzog Rogonts rechtzeitiger Angriff hatte ein klaffendes Loch in die Linien gerissen, die Baoliten vernichtet, sich tief in die Reihen der Talineser gebohrt und sie aufgebrochen. Gar nicht so, wie man es vom großen Zauderer erwartet hätte. Cosca war seltsam erfreut, hinter den Geschehnissen die tapfere Hand oder vielleicht auch die Faust von Monzcarro Murcatto zu erahnen.
Die osprianische Infanterie, die nun auf der rechten Flanke nicht mehr bedrängt wurde, hatte das Ostufer der unteren Furt vollständig gesichert. Ihre neuen sipanischen Verbündeten hatten sich gleich ins Getümmel gestürzt, ein kurzes Scharmützel mit Foscars überraschter Nachhut ausgefochten und standen nun kurz davor, das westliche Ufer zu besetzen. Gut die Hälfte von Orsos Heer – soweit die Männer nicht tot auf den Hängen oder den Sandbänken flussabwärts lagen oder mit dem Gesicht nach unten ins Meer trieben – war hoffnungslos im flachen Wasser eingekesselt und legte nun die Waffen nieder. Die andere Hälfte floh, dunkle Flecken, die über die grünen Hänge der westlichen Talseite rannten. Über jene Hänge, die sie nur wenige Stunden zuvor so stolz und siegesgewiss hinabmarschiert waren. Die sipanische Kavallerie jagte in Grüppchen über das Land, die Rüstungen schimmerten in der gnadenlosen Mittagssonne, und sie trieb die Überlebenden zusammen.
»Alle erledigt, was, Victus?«
»Sieht so aus.«
»Für alle der schönste Teil der Schlacht. Die Treibjagd.« Außer für jene natürlich, die getrieben wurden. Cosca sah den winzigen Gestalten zu, die von der Furt davonrannten, über das niedergetrampelte Gras liefen, und er musste sich eines kalten Schauers erwehren, weil ihn der Anblick unwillkürlich an Afieri erinnerte. Doch zwang er sich weiterhin zu einem lässigen Grinsen. »Gibt doch nichts Schöneres als eine nette Treibjagd, oder, Sesaria?«
»Wer hätte das gedacht?« Der massige Mann schüttelte langsam den Kopf. »Rogont hat gewonnen.«
»Großherzog Rogont ist offenbar ein höchst unberechenbarer und einfallsreicher Edelmann.« Cosca gähnte, streckte sich, leckte sich die Lippen. »Ein Mann nach meinem Herzen. Ich freue mich darauf, für ihn tätig zu werden. Vielleicht sollten wir beim Aufwischen helfen.« Beim Durchsuchen der Toten. »Schließlich gilt es, Gefangene zu machen und Lösegelder festzusetzen.« Oder sie zu ermorden und zu berauben, je nach gesellschaftlichem Rang. »Und das unbewachte Gepäck muss konfisziert werden, damit es nicht verdirbt.« Oder geplündert oder verbrannt wurde, bevor er und seine Leute ihre behandschuhten Griffel darauflegen konnten.
Victus zeigte ein zahnlückiges Grinsen. »Ich werde Vorkehrungen treffen, um alle Schäfchen ins Trockene zu bringen.«
»Tu das, mein tapferer Hauptmann Victus. Ich würde sagen, die Sonne hat den Zenit überschritten, und es ist längst an der Zeit, dass unsere Männer sich ein wenig bewegen. Ich wäre zutiefst beschämt, wenn die Dichter später behaupten würden, die Tausend Klingen seien bei der Schlacht von Ospria gewesen … und hätten sich nicht gerührt.« Cosca lächelte breit, und dieses Mal war es echt. »Wie wäre es nun mit Mittagessen?«