SIPANI

 

»Der Glaube an eine übernatürliche
Quelle des Bösen ist unnötig;
der Mensch allein ist bereits zu jeder erdenklichen Gemeinheit fähig.«
 
JOSEPH CONRAD

 

Keine zwei Wochen später kamen Männer über die Grenze, um die Rechnung zu begleichen. Sie hängten den alten Destort und seine Frau und steckten die Mühle in Brand. Eine Woche später brachen seine Söhne auf, um Rache zu nehmen, und Monza nahm den Degen ihres Vaters und zog mit ihnen, während Benna schniefend hinter ihr hertrottete. Sie war froh, dass sie gehen konnte. Sie hatte das Interesse an der Feldarbeit verloren.

Sie verließen das Tal, um Vergeltung zu üben, und das taten sie die nächsten zwei Jahre lang. Andere gesellten sich zu ihnen, Männer, die ihre Arbeit, ihre Höfe, ihre Familien verloren hatten. Es dauerte nicht lange, und sie waren diejenigen, die Ernten anzündeten, in Bauernhäuser einbrachen und alles mitnahmen, was sie fanden. Es dauerte nicht lange, und sie hängten Leute auf. Benna wurde schnell erwachsen und entwickelte eine gnadenlose Härte. Welche andere Wahl blieb ihm? Sie rächten Morde, dann Diebstähle, dann Verleumdungen und dann das bloße Gerücht übler Nachrede. Es herrschte Krieg, und von daher gab es ständig irgendwelche Missetaten, die man rächen konnte.

Zum Ende des Sommers schlossen Talins und Musselia Frieden, ohne dass auf irgendeiner Seite etwas anderes gewonnen worden war als Tote. Ein Mann mit goldbesetztem Mantel ritt mit seinen Soldaten durch das Tal und stellte jegliche Vergeltungsmaßnahmen unter Strafe. Destorts Söhne und die anderen trennten sich, nahmen ihre Beute mit und machten mit dem weiter, was sie getan hatten, bevor dieser Irrsinn begann, oder sie fanden neuen Irrsinn, an dem sich teilzunehmen lohnte. Inzwischen hatte Monza wieder Lust auf die Feldarbeit.

Sie kamen bis in ihr altes Dorf.

Ein Bild kriegslüsterner Pracht stand am Rand des zerstörten Brunnens. Der Mann trug einen Brustpanzer aus schimmerndem Stahl und einen Säbel mit diamantenbesetztem Griff an der Seite. Das halbe Tal scharte sich zusammen, um sich anzuhören, was er zu sagen hatte.

»Ich bin Nicomo Cosca, Hauptmann der Sonnenkompanie – eine edle Bruderschaft, die mit den Tausend Klingen kämpft, der besten Söldnerbrigade von ganz Styrien! Wir haben ein Rekrutierungspapier vom jungen Herzog Rogont von Ospria und suchen Leute! Männer mit Kriegserfahrung, Männer mit Mut, Männer mit Lust aufs Abenteuer und Lust auf Geld! Gibt es vielleicht irgendjemand unter euch, der sich seinen Lebensunterhalt nicht mehr damit verdienen will, dass er im Dreck wühlt? Hoffen einige von euch vielleicht auf etwas Besseres? Auf Ehre? Auf Ruhm? Auf Reichtum? Dann schließt euch uns an!«

»Das könnten wir machen«, zischte Benna.

»Nein«, sagte Monza. »Ich habe mit dem Kämpfen abgeschlossen.«

»Es wird nicht allzu viele Kämpfe geben«, rief Cosca, als hätte er ihre Gedanken erraten. »Das kann ich euch versprechen! Und für die wenigen Scharmützel, die es doch vielleicht gibt, werdet ihr den dreifachen Lohn erhalten! Ein Waag die Woche und dazu einen Anteil an der Beute! Und es wird jede Menge Beute geben, Jungs, das garantiere ich euch! Wir kämpfen für die gerechte Sache … jedenfalls für eine einigermaßen gerechte, und der Sieg ist uns sicher.«

»Das könnten wir doch machen!«, zischte Benna wieder. »Willst du wieder in der Erde herumwühlen? Jeden Abend müde und kaputt ins Bett fallen, mit Dreck unter den Nägeln? Ich nicht!«

Monza dachte daran, wie schwer es werden würde, auch nur das obere Feld wieder urbar zu machen, und wie viel sie dann anschließend darauf würde ernten können. Inzwischen hatte sich eine Reihe von Männern gebildet, die gern der Sonnenkompanie beitreten wollten, vor allem Bettler und Bauern. Ein schwarzhäutiger Schreiber trug ihre Namen in ein Buch ein.

Monza schob sich an ihnen vorbei.

»Ich bin Monzcarro Murcatto, Tochter des Jappo Murcatto, und das ist mein Bruder Benna. Wir sind Kämpfer. Habt ihr in eurer Kompanie Arbeit für uns?«

Cosca sah sie mit gerunzelter Stirn an, und der schwarzhäutige Mann schüttelte den Kopf. »Wir brauchen erfahrene Krieger. Keine Frauen, keine kleinen Jungs.« Er versuchte, sie mit dem Arm wegzuschieben.

Sie wich keinen Schritt. »Wir haben Erfahrung. Mehr als diese Penner da.«

»Ich habe Arbeit für dich«, entgegnete einer der Bauern, dem es offenbar Mut eingeflößt hatte, sein Kreuz unter dem Eintrag im Buch machen zu können. »Wie wär’s, wenn du meinen Schwanz lutschst?« Er lachte darüber. Bis Monza ihn mit einem Schlag zu Boden schickte und mit einem Tritt ihres Stiefelabsatzes dafür sorgte, dass er die Hälfte seiner Zähne verschluckte.

Nicomo Cosca sah dieser höchst effektiven Darbietung mit leicht erhobener Augenbraue zu. »Sajaam, dieses Rekrutierungspapier. Steht da wörtlich Männer? Wie ist denn der genaue Wortlaut?«

Der Schreiber blickte mit zusammengekniffenen Augen auf ein Dokument. »Zweihundert Kavalleristen und zweihundert Infanteristen, jeweils gut ausgerüstete und gut geeignete Leute. Hier steht nur Leute.«

»Und gut geeignet ist so ein schwammiger Ausdruck. He, Mädchen! Murcatto! Du bist rekrutiert und dein Bruder auch. Macht euer Zeichen.«

Das tat sie, ebenso Benna, und so einfach wurden sie Soldaten der Tausend Klingen. Söldner. Der Bauer umklammerte Monzas Bein.

»Meine Zähne.«

»Nach denen kannst du deine Scheiße durchwühlen.«

Nicomo Cosca, der berühmte Glücksritter, führte seine neuen Rekruten zu fröhlichem Flötenklang aus dem Dorf, und sie lagerten in der Nacht unter den Sternen, scharten sich in der Dunkelheit um ein paar Feuer und fabulierten davon, wie reich sie durch den kommenden Kriegszug werden wollten.

Monza und Benna kuschelten sich aneinander, ihre Decke um die Schultern gezogen. Cosca kam aus dem Dunkel, und der Feuerschein glänzte auf seinem Brustpanzer. »Ah! Meine Kriegskinder! Meine kleinen Glücksbringer! Ist kalt, was?« Er legte seinen karmesinroten Mantel ab und warf ihn den beiden zu. »Nehmt den. Der hält vielleicht den Frost ein bisschen von euren Knochen fern.«

»Was willst du dafür haben?«

»Nehmt ihn mit meinen besten Wünschen. Ich habe noch einen.«

»Wieso?«, knurrte Monza misstrauisch.

»Ein Hauptmann sorgt zunächst für das Wohlergehen seiner Männer, dann für sein eigenes, hat Stolicus gesagt.«

»Wer ist das denn?«, fragte Benna.

»Stolicus? Na, der größte General in der Geschichte!« Monza starrte den Soldaten verständnislos an. »Ein Kaiser aus alter Zeit. Der berühmteste Kaiser aller Zeiten.«

»Was ist ein Kaiser?«, fragte Benna.

Cosca hob die Brauen. »Wie ein König, nur mächtiger. Ihr solltet das hier mal lesen.« Er zog etwas aus seiner Tasche und drückte es Monza in die Hand. Ein kleines Buch mit rotem, abgewetztem und vernarbtem Einband.

»Mach ich.« Sie öffnete es und sah mit gerunzelter Stirn auf die erste Seite, während sie darauf wartete, dass er wieder ging.

»Wir können beide nicht lesen«, sagte Benna, bevor Monza ihn zum Schweigen bringen konnte.

Cosca sah sie nachdenklich an und zwirbelte ein Ende seines gewachsten Schnurrbarts zwischen Daumen und Zeigefinger. Monza erwartete, dass er ihnen nun sagen würde, sie sollten wieder zu ihrem Hof zurückkehren, aber stattdessen ließ Cosca sich zu Boden sinken und setzte sich im Schneidersitz zu ihnen. »Kinder, Kinder.« Er deutete auf die Seite. »Das hier ist der Buchstabe A.«