FISCH AUF DEM TROCKENEN
Der kalte Wind blies vom Meer über Land und bedachte die Hafenanlagen von Talins mit einer guten frischen Brise. Oder einer schlechten, je nachdem, wie warm man angezogen war. Espe war überhaupt nicht warm angezogen. Er zog sich den dünnen Mantel enger um die Schultern und dachte, dass er sich die Mühe auch hätte sparen können, weil es nämlich überhaupt nichts nützte. Dann kniff er die Augen zusammen und linste schlechtgelaunt in die nächste Bö. Heute fühlte er sich wirklich wie Espenlaub und verdiente sich seinen Namen tatsächlich. Wie schon die ganzen letzten Wochen.
Er erinnerte sich daran, wie er schön warm an einem Feuer gesessen hatte, oben im Norden in einem guten Haus in Uffrith, mit dem Bauch voller Fleisch und dem Kopf voller Träume, und sich mit Vossula über die wundervolle Stadt Talins unterhalten hatte. Mit einiger Bitterkeit dachte er nun daran zurück, weil es nämlich jener blöde Kaufmann gewesen war, mit seinen sehnsuchtsvollen Augen und den schwärmerischen Geschichten von Zuhause, der ihm diese Albtraumfahrt nach Styrien eingebrockt hatte.
Vossula hatte ihm erzählt, dass in Talins immer die Sonne schiene. Deswegen hatte Espe seinen guten Mantel verkauft, bevor er sich auf den Weg gemacht hatte. Schließlich hatte er ja nicht schwitzen wollen, jetzt, da er zitterte wie ein eingerolltes Herbstblatt, das nur noch an einer Faser an seinem Zweig hing, hatte er das Gefühl, dass Vossula der Wahrheit nicht immer die Ehre gegeben hatte.
Espe betrachtete die ruhelosen Wellen, die an den Kais nagten und eisige Gischt über die wenigen verrottenden Ruderboote an ihren verrottenden Anlegern sprühten. Er lauschte dem Knarren der Taue, dem bösen Krächzen der Seevögel, dem Wind, der an einem losen Fensterladen riss, und dem Grummeln und Brummen der Männer um ihn herum. Sie alle hatten sich in der Hoffnung auf Arbeit hier am Hafen eingefunden; eine Versammlung traurigerer Gestalten konnte man sich schwerlich vorstellen. Dreckig und ausgezehrt, in zerlumpter Kleidung und mit eingefallenen Gesichtern. Verzweifelte Männer. Mit anderen Worten: Männer wie Espe. Mit dem Unterschied, dass sie hier geboren worden waren. Er war blöd genug gewesen, sich freiwillig in diese Stadt zu begeben.
Er nahm den letzten Kanten hartes Brot aus seiner Innentasche, vorsichtig wie ein Geizhals, der seinen Schatz betrachtet, knabberte ein wenig an einem Ende und achtete darauf, jeden Krümel zu genießen. Dann sah er, wie ihn der Mann, der neben ihm stand, anstarrte und sich die bleichen Lippen leckte. Espe fühlte seine Schultern sinken, dann brach er ein Stückchen ab und reichte es hinüber.
»Danke, Freund.« Der andere verschlang das Brot gierig.
»Ist schon gut«, sagte Espe, obwohl er stundenlang Holz dafür gehackt hatte. Nichts war gut, um ehrlich zu sein. Nun sahen auch die anderen plötzlich auf, mit großen traurigen Augen, wie Welpen, die gefüttert werden wollen. Er hob die Hände. »Wenn ich für alle Brot hätte, wieso zum Geier würde ich dann wohl hier herumlungern?«
Sie wandten sich brummend ab. Er zog kalten Rotz hoch und spuckte ihn aus. Abgesehen von dem alten Brot war es das Einzige, was an diesem Morgen über seine Lippen gekommen war, noch dazu in die falsche Richtung. Er war mit Taschen voller Silber hier angekommen, mit einem lächelnden Gesicht und einem Bauch voller fröhlicher Hoffnung. Nach zehn Wochen in Styrien hatte er alles davon eingebüßt.
Vossula hatte behauptet, die Leute in Talins seien friedlich wie Lämmer und würden Fremde wie Gäste willkommen heißen. Er war lediglich auf hochfahrende Ablehnung gestoßen und auf jede Menge Leute, die bereit waren, ihn mit allen möglichen Tricks um sein schnell schwindendes Geld zu bringen. Jedenfalls wurde ihm hier kein Neuanfang auf dem Silbertablett serviert. Ebenso wenig wie im Norden.
Ein Boot kam nun in den Hafen, wurde am Kai vertäut, und Fischer wuselten darauf herum, zogen an Tauen und fluchten über das Segeltuch. Espe merkte, dass die anderen Verzweifelten plötzlich aufhorchten, und er fragte sich, ob hier vielleicht etwas Arbeit für sie drin war. Ein Fünkchen Hoffnung flackerte in seiner Brust auf, auch wenn er versuchte, es möglichst kleinzuhalten, und er stellte sich ein wenig auf die Zehenspitzen, um besser sehen zu können.
Aus den Netzen glitten Fische auf das Kai, zuckendes Silber unter der wässrigen Sonne. Es war eine gute, ehrliche Arbeit, die Fischerei. Ein Leben auf den salzigen Wogen, wo keine harten Worte gesprochen wurden, sich alle Mann zugleich gegen den Wind stemmten, die schimmernde Beute der See abtrotzten und so. Ein edles Handwerk, jedenfalls versuchte Espe sich das einzureden, trotz des Gestanks. Jedes Handwerk wäre ihm inzwischen ziemlich nobel erschienen.
Ein Mann mit einem Gesicht, so verwittert wie ein alter Torpfosten, sprang vom Schiff und stolzierte mit wichtiger Miene hinüber, und die Bettler schubsten sich gegenseitig weg, um seine Aufmerksamkeit zu erregen. Das war wohl der Kapitän, vermutete Espe.
»Ich brauch zwei Hilfsarbeiter«, sagte er und schob die verwitterte Mütze in den Nacken, dann sah er die hoffnungsvollen, hoffnungslosen Gesichter an. »Du da und du.«
Natürlich war Espe nicht darunter. Er ließ den Kopf wie alle anderen sinken, als er sah, wie die beiden Glücklichen hinter dem Kapitän zum Boot eilten. Der eine war der Dreckskerl, dem er sein Brot gegeben hatte. Der hatte sich nicht einmal zu ihm umgedreht, ganz davon zu schweigen, dass er ein gutes Wort für ihn eingelegt hätte. Mochte ja sein, dass das, was er anderen gab, einen Mann ausmachte, und nicht das, was er dafür erhielt – so wie Espes Bruder immer gesagt hatte. Aber wenn man mal etwas zurückbekam, dann half das schon sehr dabei, nicht zu verhungern.
»Scheiß drauf.« Hastig rannte er hinter ihnen her, bahnte sich den Weg durch die Fischer, die den Fang in Eimer und Fässer sortierten. Er ging zum Kapitän, der an Deck beschäftigt war, und setzte das freundlichste Grinsen auf, zu dem er fähig war. »Schönes Boot haben Sie da«, hob er an, obwohl es sich, soweit er erkennen konnte, um eine ziemlich erbärmliche, verrottete Badewanne handelte.
»Und?«
»Könnten Sie nicht auch mich gebrauchen?«
»Dich? Was weißt du denn vom Fischen?«
Espe war ein erfahrener Fachmann im Gebrauch von Axt, Klinge, Speer und Schild. Ein Namhafter Mann, der im ganzen Norden Ausfälle angeführt und Stellungen gehalten hatte. Der ein paar Wunden abbekommen, aber deutlich mehr ausgeteilt als eingesteckt hatte. Doch nun war er fest entschlossen, sich besserer Arbeit zuzuwenden, und er klammerte sich an diesen Gedanken wie ein Ertrinkender an ein Stück Treibholz.
»Ich habe als Junge viel geangelt, am Teich, mit meinem Vater.« Seine nackten Füße, die auf den Kieseln knirschten. Das Licht, das auf dem Wasser schimmerte. Das Lächeln seines Vaters und das Lächeln seines Bruders.
Aber der Kapitän war nicht besonders nostalgisch veranlagt. »An einem Teich? Wir betreiben Seefischerei, Junge.«
»Ich muss zugeben, mit Seefischerei habe ich noch keine Erfahrung.«
»Wieso verschwendest du dann meine Zeit, verdammt noch mal? Ich kann massenweise styrische Fischer bekommen, die besten Kräfte, alle mit einem Dutzend Jahre Erfahrung.« Er deutete auf die Männer, die tatenlos an Land standen und eher so aussahen, als hätten sie ein Dutzend Jahre in einem Bierkrug verbracht. »Wieso sollte ich ausgerechnet einem nordischen Bettler Arbeit geben?«
»Ich kann hart arbeiten. Hatte nur ein bisschen Pech. Ich würde mich gern beweisen.«
»Das wollen wir alle, aber ich weiß immer noch nicht, wieso ausgerechnet ich derjenige sein sollte, der dir die Möglichkeit dazu gibt.«
»Bloß eine Gelegenheit …«
»Weg von meinem Boot, du großer weißhäutiger Dreckskerl!« Der Kapitän nahm ein langes, raues Stück Holz von Deck auf und machte einen Schritt nach vorn, als wollte er einen Hund verjagen. »Verschwinde und nimm dein Pech gleich mit!«
»Ich bin vielleicht kein Fischer, aber ich hatte immer großes Talent dafür, Männer bluten zu lassen. Den Stock da leg besser wieder hin, bevor ich ihn dir zu fressen gebe.« Seine Worte begleitete Espe mit einem entsprechenden Blick. Einem Blick, der töten konnte, so wie man ihn im Norden übte. Der Kapitän zögerte und blieb brummend stehen. Dann warf er die Latte weg und brüllte jemanden seiner eigenen Leute an.
Espe zog die Schultern hoch, wandte sich zum Gehen und blickte sich nicht mehr um. Er schlich zur Mündung einer kleinen Gasse und vorbei an den abblätternden Plakaten mit den vielen Worten. Die Schatten zwischen den geduckten Gebäuden nahmen ihn auf, und die Geräusche des Hafens wurden schließlich immer gedämpfter. Genauso war es ihm auch bei den Schmieden ergangen, bei den Bäckern und bei allen anderen verdammten Handwerkern in dieser verdammten Stadt. Einer der Schuhmacher hatte wie ein ganz anständiger Kerl ausgesehen, aber auch der hatte Espe schließlich gesagt, er solle sich verpissen.
Vossula hatte behauptet, dass es überall in Styrien Arbeit gebe, man müsse nur fragen. Aus Gründen, die er sich nicht erklären konnte, schien Vossula die ganze Zeit über den größten Mist erzählt zu haben. Alles Mögliche hatte Espe ihn gefragt. Aber jetzt, als er auf einer glitschigen Türschwelle zusammensank und seine Stiefel in die Gosse ragten, dämmerte es ihm allmählich, dass es eine Frage gab, die er nicht gestellt hatte, und zwar die entscheidende. Die eine Frage, die sich ihm aufgedrängt hatte, seit er hier angekommen war.
Sag mal, Vossula, wenn es in Styrien so großartig ist, wieso, zur Hölle, hängst du dann hier oben im Norden herum?
»Scheiß Styrien«, zischte er auf Nordisch. Hinter seiner Nase fühlte er jenen Druck, der ihm anzeigte, dass er gleich heulen würde, und er war schon so erledigt, dass er sich kaum noch dafür schämte. Caul Espe, Rasselkopfs Sohn. Ein Namhafter Mann, der sich bei jedem Wetter dem Tod gestellt hatte. Der an der Seite der größten Namen im ganzen Norden gekämpft hatte – neben Rudd Dreibaum, dem Schwarzen Dow, dem Hundsmann, Harding Grimm. Der den Ausfall gegen die Unionstruppen an der Cumnur angeführt hatte. Der bei Dunbrec die Stellung gegen tausend Schanka gehalten hatte. Der bei den sieben Tagen endlosen Mordens auf den Hohen Höhen dabei gewesen war. Beinahe zupfte ein Lächeln an seinen Mundwinkeln, wenn er an die verrückten, mutigen Zeiten dachte, die er überlebt hatte. Sicher, die ganze Zeit über hatte er sich fast in die Hosen geschissen, aber trotzdem waren es jetzt richtiggehend glückliche Erinnerungen. Damals war er zumindest nicht allein gewesen.
Schritte näherten sich, und er sah auf. Vier Männer bogen vom Hafen her in die kleine Gasse ein und schlenderten denselben Weg entlang, den er vorhin auch genommen hatte. Sie hatten diesen mitleiderregenden Blick, den manche Männer aufsetzen, wenn sie nichts Gutes im Schilde führen. Espe drückte sich etwas tiefer in den Hauseingang und hoffte, dass das, was sie planten, nichts mit ihm zu tun hatte.
Sein Herz sank ein wenig, als sie sich im Halbkreis um ihn aufstellten und auf hin hinabblickten. Einer hatte eine geschwollene rote Nase, wie man sie bekam, wenn man zu viel trank. Ein anderer war kahl wie eine Stiefelspitze und hielt eine Holzplanke in Händen. Der Dritte trug einen struppigen Bart und hatte braune Zähne. Keine nette Truppe, und Espe vermutete stark, dass sie auch nichts Nettes im Sinn hatte.
Der Vorderste, ein unangenehm aussehender Dreckskerl mit einem spitzen Rattengesicht, grinste ihn an. »Na, was hast du Schönes für uns?«
»Ich wünschte, ich hätte was, das sich zu stehlen lohnt. Habe ich aber nicht. Ihr könnt echt abhauen.«
Rattengesicht sah seinen kahlen Kumpel an und wirkte verärgert darüber, dass es vielleicht wirklich nichts zu holen gab. »Dann deine Stiefel.«
»Bei dem Wetter? Ich würde erfrieren.«
»Erfrieren. Soso. Das ist mir doch scheißegal. Los, her mit den Stiefeln, bevor wir dir aus Spaß eine kleine Abreibung verpassen.«
»Scheiß Talins«, brummte Espe leise, und aus der Asche seines Selbstmitleids in seiner Kehle flammte es plötzlich heiß und blutrünstig auf. Es nagte an ihm, dass er so tief gesunken war. Diese Arschlöcher brauchten seine Stiefel nicht, sie wollten sich nur stark fühlen. Aber es wäre Dummheit gewesen, allein gegen vier Mann zu kämpfen, noch dazu, ohne eine Waffe griffbereit zu haben. Dummheit, sich für ein Stück altes Leder umbringen zu lassen, ganz egal, wie beschissen kalt es war.
Er bückte sich und brummte etwas, als er langsam seine Stiefel auszog. Dann krachte sein Knie unvermittelt in Rotnases Nüsse und ließ den Schnapphahn mit einem lauten Schnaufen zusammenknicken. Espe war selbst ebenso überrascht wie seine Angreifer. Vielleicht ließ es sein Stolz doch nicht zu, barfuß zu gehen. Er gab Rattengesicht einen kräftigen Schlag unters Kinn, packte ihn dann an den Mantelaufschlägen und stieß ihn hart gegen einen seiner Kumpel, woraufhin beide zu Boden gingen und wie Katzen in einem Hagelsturm kreischten.
Espe wich dem Stock des Kahlköpfigen aus, der seine Schulter streifte, und der Mann geriet aus dem Gleichgewicht und taumelte an ihm vorüber. Der Mund stand ihm vor Überraschung offen. Espe platzierte einen Haken direkt auf seinem Kinn und ließ seinen Kopf nach hinten schnappen, dann trat er ihm die Beine weg, schickte ihn zu Boden und tauchte hinterher. Zwei-, drei-, viermal krachte Espes Faust in sein Gesicht und hinterließ ein ziemlich übles Schlachtfeld. Blut spritzte auf seinen dreckigen Mantel.
Espe stolperte zur Seite, während der Kahle seine ausgeschlagenen Zähne in die Gosse spuckte. Rotnase krümmte sich noch immer und presste sich die Hände zwischen die Beine. Aber die anderen beiden hatten nun Messer gezückt, und der scharfe Stahl schimmerte. Espe duckte sich mit geballten Fäusten; er atmete stoßweise, und die Augen glitten von einem zum anderen. Seine Wut verrauchte rasch. Er hätte ihnen die Stiefel geben sollen. Jetzt würden sie ihm das Leder vermutlich nach ein paar kurzen, schmerzhaften Augenblicken von seinen kalten, toten Füßen ziehen. Scheiß Stolz. Dieser Quatsch machte einem Mann nichts als Schwierigkeiten.
Rattengesicht wischte sich das Blut unter der Nase weg. »Jetzt bist du ein toter Mann, du nordischer Wichser! Du bist so gut wie …« Mit einem Mal gaben seine Beine unter ihm nach, und er stürzte mit einem Kreischen zu Boden; das Messer fiel ihm aus der Hand.
Jemand glitt aus den Schatten hinter ihm. Groß und mit einer Kapuze verhüllt, ein Degen lose in der bleichen linken Faust. Die lange, dünne Klinge spiegelte das karge Licht, das in die dunkle Gasse fiel, und glänzte vor Mordlust. Der letzte der Stiefeldiebe stand noch aufrecht, der Kerl mit den vergammelten Zähnen, und er starrte mit großen Kuhaugen auf die Länge Stahl, gegen die sein eigenes Messer plötzlich verdammt mickrig aussah.
»Du möchtest vielleicht lieber abhauen.« Espe horchte überrascht auf. Eine Frauenstimme. Gammelzahn musste man das nicht zweimal sagen. Er wandte sich um und rannte die Straße entlang.
»Mein Bein!«, brüllte Rattengesicht und umklammerte mit einer blutigen Hand die Rückseite seines Knies. »Mein verdammtes Bein!«
»Hör auf zu jammern, oder ich schlitze dir das andere auch noch auf.«
Kahlkopf lag da und sagte nichts. Rotnase hatte sich stöhnend allmählich wieder auf die Knie erhoben.
»Du willst also meine Stiefel, was?« Espe machte einen Schritt und trat ihn noch mal in die Nüsse, dann hob er ihn hoch und stieß ihn winselnd mit dem Gesicht nach unten wieder zu Boden. »Hier hast du einen, du Arsch!« Er sah zu der Frau, die ihm geholfen hatte, und das Blut pulsierte dumpf hinter seinen Augen, während er sich fragte, wie es ihm gelungen war, diesen kitzligen Augenblick ohne Stahl in den Rippen zu überstehen. Immer vorausgesetzt, dass er sich nicht jetzt noch einen Stich einfangen würde. Die Frau sah nicht so aus, als ob sie gute Nachrichten brachte.
»Was willst du?«, knurrte er sie an.
»Nichts, was dir schwerfallen sollte.« Er sah ein Lächeln in der Kapuze aufblitzen. »Vielleicht habe ich Arbeit für dich.«
Ein großer Teller Fleisch und Gemüse in einer Art Soße, daneben ein paar Scheiben teigigen Brots. Vielleicht war es gut, vielleicht auch nicht, Espe war viel zu sehr damit beschäftigt, es sich in den Mund zu schieben, um darauf zu achten. Wahrscheinlich wirkte er wie ein echtes Tier, mit seinem Zweiwochenbart, zerlumpt und dreckig von den Nächten in Hauseingängen, noch dazu nicht besonders guten. Aber er war schon längst darüber hinaus, sich über sein Aussehen Gedanken zu machen, nicht einmal in Gegenwart einer Frau.
Sie hatte die Kapuze noch immer nicht zurückgeschlagen, obwohl sie nicht mehr dem Wetter ausgesetzt waren. Außerdem hielt sie sich nahe der Wand, wo es dunkel war. Sie neigte den Kopf nach vorn, wenn Leute in die Nähe kamen, und teerschwarzes Haar fiel ihr über eine Wange. In den kurzen Augenblicken, in denen er seine Augen von dem Essen hatte lösen können, hatte er sich dennoch einen gewissen Eindruck von ihrem Gesicht verschafft, und er fand, es war ein ziemlich hübsches.
Stark, mit kantigen Knochen, einem entschlossenen Kinn und einem sehnigen Hals, an dessen Seite eine blaue Ader pochte. Gefährlich, überlegte er, obwohl das natürlich keine außergewöhnliche Schlussfolgerung war, nachdem er miterlebt hatte, wie sie ohne viel Federlesens einem Mann die Kniesehnen durchtrennt hatte. Aber trotzdem lag da noch etwas in ihren schmalen Augen, das ihn nervös machte. Ruhig und kalt, als hätte sie ihn bereits ganz genau eingeschätzt und wüsste, was er als Nächstes tun würde. Besser vielleicht sogar als er selbst. Sie hatte drei lange Wunden auf einer Wange, alte Schnitte, die noch nicht ganz verheilt waren. Über der rechten Hand, die sie kaum benutzte, trug sie einen Handschuh. Auch hatte er auf dem Weg hierher bemerkt, dass sie leicht hinkte. Vielleicht war sie in eine dunkle Angelegenheit verwickelt worden, aber Espe hatte nicht so viele Freunde, dass er es sich leisten konnte, wählerisch zu sein. Im Augenblick hatte jeder, der ihm zu Essen gab, gute Aussichten auf seine Treue.
Sie sah ihm beim Essen zu. »Hunger?«
»Bisschen.«
»Weit weg von zu Hause?«
»Kann man sagen.«
»Wohl Pech gehabt, was?«
»Mehr, als ich verdient habe. Aber ich habe wohl auch ein paar falsche Entscheidungen getroffen.«
»Das geht meistens Hand in Hand.«
»Ist wohl wahr.« Er warf Messer und Löffel klappernd auf den leeren Teller. »Ich hätte vorher besser überlegen sollen.« Dann tunkte er die Soße mit dem letzten Stück Brot auf. »Aber ich war immer schon selbst mein schlimmster Feind.« Sie saßen sich schweigend gegenüber, während er kaute. »Du hast mir deinen Namen nicht gesagt.«
»Nein.«
»Ah, so ist das also, was?«
»Ich zahle, oder nicht? Es ist genau so, wie ich sage, dass es ist.«
»Wieso zahlst du für mich? Ein Freund von mir …« Er räusperte sich, da er plötzlich bezweifelte, dass Vossula ihm wirklich je ein Freund gewesen war. »Ein Mann, den ich kenne, hat mir gesagt, dass man in Styrien nichts umsonst erwarten sollte.«
»Ein guter Rat. Ich brauche etwas von dir.«
Espe fuhr mit der Zunge in seinem Mund herum und spürte einen bitteren Geschmack. Er stand in der Schuld dieser Frau, und er war nicht sicher, was er dafür würde zahlen müssen. Nach ihrem Aussehen zu urteilen, konnte die Sache für ihn ziemlich teuer werden. »Was brauchst du denn?«
»Als Erstes solltest du ein Bad nehmen. So, wie du jetzt aussiehst, gibt sich niemand mit dir ab.«
Nun, da Hunger und Kälte ihn nicht mehr so bedrängten, war wieder Platz für ein wenig Scham. »Du kannst es glauben oder nicht, aber mir wäre es auch lieber, ich würde nicht stinken. Ein bisschen Stolz ist mir noch geblieben.«
»Schön für dich. Dann wette ich, du kannst es gar nicht erwarten, wieder sauber zu werden.«
Er bewegte unbehaglich die Schultern und hatte dabei das Gefühl, dass er in ein Becken sprang, ohne die geringste Ahnung zu haben, wie tief es war. »Und dann?«
»Nicht viel. Du gehst in ein Rauchhaus und fragst nach einem Mann namens Sajaam. Du sagst, dass Nicomo seine Anwesenheit am üblichen Ort verlangt. Dann bringst du ihn zu mir.«
»Wieso machst du das nicht selbst?«
»Weil ich dich dafür bezahle, dass du es machst, du Narr.« Sie hielt eine Münze in ihrer behandschuhten Hand. Silber schimmerte im Feuer, und auf dem hellen Metall waren zwei Waagschalen geprägt. »Du bringst Sajaam zu mir, und dafür bekommst du einen Waag. Falls du dann immer noch lieber Fische willst, kannst du dir davon ein ganzes Fass voll kaufen.«
Espe runzelte die Stirn. Da kam eine nobel gekleidete Frau aus dem Nichts, rettete so ziemlich sein Leben und machte ihm ein derart goldenes Angebot? So viel Glück hatte er bisher noch nie gehabt. Aber das Essen hatte ihn nur noch mehr daran erinnert, wie gern er eigentlich aß. »Das kriege ich hin.«
»Gut. Du kannst natürlich auch noch was anderes tun und dann fünfzig kassieren.«
»Fünfzig?« Espes Stimme wurde zu einem hastigen Krächzen. »Soll das ein Witz sein?«
»Lache ich vielleicht? Fünfzig, habe ich gesagt, und wenn du dann immer noch Fische willst, kannst du dir ein ganzes Boot kaufen und hast noch was übrig für ein paar gute Kleider. Was hältst du davon?«
Espe zupfte ein wenig beschämt an den ausgefransten Säumen seines Mantels. Mit dieser Summe konnte er aufs nächste Schiff nach Uffrith springen und Vossula so in den knochigen Hintern treten, dass er von einem Ende der Stadt bis zum anderen flog. Ein Traum, der seit einiger Zeit sein einziges Vergnügen darstellte. »Was verlangst du für die fünfzig?«
»Nicht viel. Du gehst in ein Rauchhaus und fragst nach einem Mann namens Sajaam. Du sagst, dass Nicomo seine Anwesenheit am üblichen Ort verlangt. Dann bringst du ihn zu mir.« Sie hielt kurz inne. »Danach hilfst du mir, jemanden umzubringen.«
Es war keine Überraschung, wenn er einmal ehrlich zu sich war. Es gab offenbar nur eine Art von Arbeit, zu der er wirklich taugte. Jedenfalls nur eine, für die ihm jemand fünfzig Waag bezahlen würde. Er war hierhergekommen, um ein besserer Mensch zu werden. Aber es war genauso, wie es ihm der Hundsmann gesagt hatte. Wenn deine Hände einmal blutig sind, bekommst du sie nicht so leicht wieder sauber.
Etwas stieß unter dem Tisch gegen seinen Schenkel, und er fuhr beinahe von seinem Stuhl. Das Heft eines langen Messers lag zwischen seinen Beinen. Ein Kampfmesser, dessen stählerne Parierstange orangefarben schimmerte. Die Klinge steckte noch in einer Scheide, und die hielt die Frau in ihrer behandschuhten Hand.
»Nimm es lieber.«
»Ich habe nicht gesagt, ich würde jemanden umbringen.«
»Ich weiß, was du gesagt hast. Die Klinge ist nur dazu da, Sajaam davon zu überzeugen, dass du es ernst meinst.«
Er musste zugeben, dass er für eine Frau, die ihn mit einem Messer zwischen den Beinen überraschte, nicht gerade viel übrighatte. »Ich habe nicht gesagt, ich würde jemanden umbringen.«
»Das habe ich auch nicht behauptet.«
»Na gut. Nur, dass du’s weißt.« Er riss ihr die Klinge aus der Hand und schob sie sich in seinen Mantel.
Er hielt das Messer gegen die Brust gedrückt, als er ging, und es kuschelte sich an ihn wie eine alte Geliebte, die zurückgekehrt war und mehr wollte. Espe wusste, dass es nichts war, worauf man stolz sein konnte. Jeder Narr konnte ein Messer tragen. Aber dennoch war er sich nicht sicher, ob es ihm nicht gefiel, die Waffe an seinen Rippen zu spüren. Es fühlte sich an, als sei er wieder jemand.
Er war nach Styrien gekommen, um sich ehrliche Arbeit zu suchen. Aber wenn in der Börse Ebbe herrscht, dann kommt auch unehrliche Arbeit infrage. Espe war sich sicher, noch nie ein Haus gesehen zu haben, das von außen weniger ehrlich wirkte als dieses hier. Eine schwere Tür saß in einer dreckigen, nackten, fensterlosen Wand, und an beiden Seiten hielt ein hochgewachsener Kerl Wache. Espe erkannte das an der Art, wie die zwei dastanden – sie hatten Waffen, und sie waren bereit, sie einzusetzen. Einer der beiden war ein dunkelhäutiger Südländer, dem schwarzes Haar das Gesicht einrahmte.
»Brauchst du was?«, fragte der Kerl, während der andere Espe ebenfalls ins Auge fasste.
»Bin hier wegen Sajaam.«
»Bewaffnet?« Espe ließ das Messer hervorgleiten, hielt es mit dem Griff voran hoch, und der Mann nahm es ihm ab. »Dann komm mit.« Die Angeln quietschten, als die Tür aufschwang.
Auf der anderen Seite herrschte dicke Luft, verhangen mit süßem Rauch. Er kratzte in Espes Kehle und löste Hustenreiz aus, brannte in seinen Augen und ließ sie tränen. Es war dunkel und still, und nach der Kälte draußen war es hier drinnen zu klebrig warm. Lampen aus farbigem Glas woben Muster auf den fleckigen Wänden – grün, rot, gelb flackerte es in der Düsternis auf. Der ganze Ort war wie ein schlechter Traum.
Überall hingen Vorhänge, und dreckige Seide raschelte in der Dunkelheit. Leute hatten sich auf Kissen ausgestreckt, halb bekleidet und halb im Schlaf. Ein Mann lag auf dem Rücken, der Mund stand ihm offen, und eine Pfeife, aus deren Kopf sich noch ein wenig Rauch ringelte, hing schlaff in seiner Hand. Eine Frau hatte sich, auf der Seite liegend, an ihn geschmiegt. Ihre Gesichter waren beide schweißbedeckt und leichenschlaff. Es sah nach einer ungesunden Mischung aus Entzücken und Verzweiflung aus, tendierte aber mehr zu Letzterem.
»Hier entlang.« Espe folgte dem Wächter durch den Dunst einen schattenverhangenen Korridor entlang. Eine Frau stand in einer Tür, und als er an ihr vorüberging, folgten ihm ihre toten Augen, aber sie sagte nichts. Irgendwo stöhnte jemand »oh, oh, oh« und klang dabei beinahe gelangweilt.
Durch einen Vorhang aus klimpernden Perlen ging es in einen zweiten großen Raum, der weniger verraucht, aber nicht weniger beunruhigend war. Hier trafen sich Männer aller Staturen und Hautfarben, die, nach ihrem Äußeren zu urteilen, alle nicht vor Gewalt zurückschreckten. Acht von ihnen saßen um einen Tisch voller Gläser, Flaschen und kleiner Münzen und spielten Karten. Viele weitere drückten sich in den Schatten herum. Espes Auge fiel sofort auf ein unangenehm aussehendes Beil, das einer der Kerle in Griffweite hatte, und er ging nicht davon aus, dass es sich um die einzige Waffe in diesem Raum handelte. An einem Nagel an der Wand hing eine Uhr, deren Innenleben heraushing und hin- und herpendelte, tick tock tick, gerade laut genug, um seine Nerven noch mehr zu reizen.
Ein dicker Mann saß am Haupt eines Tisches, auf dem Platz des Häuptlings, wenn sie im Norden gewesen wären. Ein alter Mann, dessen Gesicht faltig war wie altes Leder. Seine Haut war ölig und dunkel, das kurze Haar und der Bart mit eisengrauen Strähnen durchzogen. Er hatte eine Goldmünze, mit der er spielte und die er über die Knöchel der einen Hand zur anderen wandern ließ. Der Wächter beugte sich zu ihm hinunter und flüsterte ihm etwas ins Ohr, dann reichte er ihm Espes Messer. Seine Augen und auch die der anderen ruhten nun auf dem Nordmann, dem plötzlich ein Waag als recht geringe Entlohnung für diese Aufgabe erschien.
»Bist du Sajaam?« Es kam lauter heraus, als Espe beabsichtigt hatte, mit einer vom Rauch leicht krächzenden Stimme.
Das Lächeln des alten Mannes war ein gelbes Halbrund in seinem dunklen Gesicht. »Sajaam ist mein Name, wie all meine lieben Freunde hier bestätigen werden. Weißt du, man kann sehr viel über einen Mann erfahren, wenn man den Stil der Waffen in Augenschein nimmt, die er trägt.«
»Tatsächlich?«
Sajaam ließ das Messer aus der Scheide gleiten und hielt es hoch, so dass das Kerzenlicht auf dem Stahl schimmerte. »Keine billige Klinge, aber auch nicht besonders teuer. Gut geeignet für ihre Aufgabe, ohne allzu viele Schnörkel. Scharf und hart, ein Messer, das es ernst meint. Habe ich ins Schwarze getroffen?«
»Zumindest einigermaßen.« Es war offensichtlich, dass Sajaam zu den Männern gehörte, die sich gern reden hörten, und von daher verzichtete Espe darauf, ausdrücklich zu sagen, dass es sich nicht um sein eigenes Messer handelte. Je weniger geredet wurde, desto schneller kam er hier wieder raus.
»Und wie lautet nun wohl dein Name, mein Freund?« Das Wörtchen Freund klang nicht besonders überzeugend.
»Caul Espe.«
»Brrr.« Sajaam schüttelte die breiten Schultern, als sei ihm kalt, und seine Männer lachten beifällig. Leicht zu erheitern, so wie es aussah. »Du bist weit, weit weg von zu Hause, Mann.«
»Als ob ich das verdammt noch mal nicht wüsste. Ich habe eine Nachricht für dich. Nicomo verlangt deine Anwesenheit.«
Die gute Laune sickerte so schnell aus dem Raum wie Blut aus einer durchgeschnittenen Kehle. »Wo?«
»Am üblichen Ort.«
»Er verlangt sie, so?« Ein paar von Sajaams Leuten lösten sich von den Wänden, hielten ihre Hände aber weiter in den Schatten. »Das ist ja ganz schön dreist von ihm. Und wieso sollte mein alter Freund Nicomo einen großen weißhäutigen Nordmann mit einem Messer schicken, um mit mir zu reden?« Nun dämmerte es Espe, dass die Frau ihn vielleicht aus unbekannten Gründen ganz schön in die Scheiße geritten hatte. Ganz offensichtlich war sie nicht dieser Nicomo, von dem jetzt die Rede war. Aber er hatte in den letzten Wochen genug abfällige Bemerkungen gehört, und die Toten sollten ihn in ihre Mitte holen, bevor er noch mehr davon schlucken würde.
»Frag ihn selber. Ich bin nicht hierhergekommen, um Fragen zu beantworten, Alter. Nicomo verlangt deine Anwesenheit am üblichen Ort, und das ist alles. Und jetzt komm hoch mit deinem dicken schwarzen Hintern, bevor ich die Geduld verliere.«
Es folgte eine lange und hässliche Pause, in der alle Anwesenden nachdachten.
»Das gefällt mir«, grunzte Sajaam. »Wie gefällt dir das?«, fragte er einen seiner Schläger.
»Das ist schon in Ordnung, wenn man so was mag.«
»Gelegentlich. Große Worte und dicke Backen und echte Männlichkeit mit viel Haaren auf der Brust. In einer zu starken Dosis wird das schnell langweilig, aber ein kleines bisschen davon kann mir manchmal ein Lächeln entlocken. Also Nicomo verlangt meine Anwesenheit, ja?«
»Ja«, nickte Espe, dem nichts anderes übrigblieb, als sich von der Strömung treiben zu lassen und darauf zu hoffen, heil wieder ans Ufer zu gelangen.
»Na gut.« Der alte Mann warf seine Karten auf den Tisch und erhob sich gemächlich. »Es soll niemand sagen, der alte Sajaam hätte eine Schuld nicht zurückgezahlt. Wenn Nicomo ruft … dann soll es der übliche Ort sein.« Er schob sich das Messer, das Espe mitgebracht hatte, in den Gürtel. »Ich werde einstweilen darauf aufpassen, hmmm? Nur für kurze Zeit.«
Es war spät, als sie den Ort erreichten, den ihm die Frau gezeigt hatte, und der verwahrloste Garten war so finster wie ein Kellerloch. Soweit Espe das sagen konnte, war er auch genauso leer. Papierfetzen zuckten in der kühlen Nachtluft, alte Nachrichten hingen von den glitschigen Mauersteinen.
»Nun?«, fragte Sajaam brüsk. »Wo ist Cosca?«
»Sie hatte gesagt, sie würde hier sein«, murmelte Espe halb zu sich selbst.
»Sie?« Sajaams Hand lag auf dem Griff seines Messers. »Was, zur Hölle, willst du damit …«
»Hier drüben, du alter Sack.« Die Frau glitt hinter einem Baumstamm hervor und trat in ein wenig Licht, die Kapuze zurückgeschlagen. Jetzt sah Espe sie ganz deutlich; sie sah noch hübscher aus, als er gedacht hatte, und auch noch härter. Sehr hübsch und sehr hart, und eine deutliche rote Linie lief seitlich über ihren Hals, so wie die Narben, die man an gehängten Männern sah. Sie trug einen grimmigen Gesichtsausdruck – die Brauen zusammengezogen, die Lippen zusammengepresst, die Augen zusammengekniffen und auf einen Punkt gerichtet. Als ob sie sich entschlossen hätte, eine Tür mit dem Kopf einzuschlagen, und einen Scheiß darauf gäbe, was ihr dabei passierte.
Sajaams Gesicht war so schlaff geworden wie ein nasses Hemd. »Du lebst.«
»So schnell von Begriff wie immer, was?«
»Aber ich hatte gehört …«
»Nein.«
Es dauerte nicht lange, da hatte sich der alte Mann wieder im Griff. »Du solltest nicht in Talins sein, Murcatto. Nicht einmal hundert Meilen im Umkreis von Talins. Vor allem solltest du keine hundert Meilen in meiner Nähe sein.« Er fluchte in einer Sprache, die Espe nicht kannte, dann wandte er das Gesicht zum dunklen Himmel empor. »Gott, Gott, wieso hast du mich nicht ausgesandt, ein ehrliches Leben zu führen?«
Die Frau schnaubte. »Weil du nicht den Mut dazu hast. Und davon abgesehen liebst du das Geld viel zu sehr.«
»Das stimmt bedauerlicherweise.« Sie unterhielten sich zwar wie alte Freunde, aber Sajaams Hand lag noch immer am Griff des Messers. »Was willst du?«
»Deine Hilfe, um einige Männer zu töten.«
»Die Schlächterin von Caprile braucht meine Hilfe beim Töten? Solange keiner der Männer in der Nähe von Herzog Orso zu suchen ist …«
»Er wird der Letzte von ihnen sein.«
»Oh, du verrücktes Luder.« Sajaam schüttelte langsam den Kopf. »Du liebst es, mich auf die Probe zu stellen, Monzcarro. Das hast du immer schon geliebt, bei uns allen. Es wird dir niemals gelingen. Niemals, nicht einmal, wenn du wartest, bis die Sonne verglüht.«
»Und was, wenn ich dazu in der Lage wäre? Sag mir nicht, dass das nicht schon all die Jahre dein größter Wunsch gewesen ist.«
»All diese Jahre, in denen du Mord und Brand in seinem Namen über ganz Styrien gebracht hast? In denen du nur zu gern seine Befehle annahmst und sein Geld, und in denen du bereit warst, ihm den Arsch zu lecken wie ein Hündchen einen neuen Knochen? In all diesen Jahren, meinst du? Ich kann mich nicht daran erinnern, dass du mir einmal deine Schulter angeboten hättest, damit ich mich ausweinen konnte.«
»Er hat Benna ermordet.«
»Tatsächlich? Auf den Plakaten steht, Herzog Rogont hätte euch beide erwischt.« Sajaam deutete auf ein paar der alten Papierbogen, die an der Wand hinter ihr flatterten. Das Gesicht einer Frau war darauf abgebildet und das eines Mannes. Espe erkannte mit einem äußerst flauen Gefühl in der Magengrube, dass seine neue Bekannte die Frau auf dem Bild war. »Getötet vom Achterbund. Alle waren völlig außer sich.«
»Ich bin nicht in der Stimmung für Späße, Sajaam.«
»Warst du das jemals? Aber es ist mein völliger Ernst. Du warst hierzulande eine Heldin. So nennt man doch jemanden, der so viele Menschen umgebracht hat, dass das Wörtchen Mörder nicht mehr passt. Orso hat eine große Rede gehalten und gesagt, wir alle müssten noch härter kämpfen als zuvor, um dich zu rächen, und alle haben geweint. Mir tut es leid um Benna. Ich habe den Jungen gemocht. Aber ich habe Frieden mit meinen Dämonen geschlossen. Das solltest du auch tun.«
»Die Toten mögen vergeben. Den Toten kann man vergeben.
Wir anderen haben Besseres zu tun. Ich will deine Hilfe, und du stehst in meiner Schuld. Bezahle, du Dreckskerl.«
Sie sahen sich eine ganze Weile finster an. Dann stieß der alte Mann einen langen Seufzer aus. »Ich habe immer schon gesagt, dass du einmal mein Tod sein wirst. Was ist dein Preis?«
»Ein Hinweis auf die richtige Richtung. Eine kleine Einführung in die richtigen Kreise, hier und da. Das ist doch jetzt deine Spezialität, oder nicht?«
»Ich kenne ein paar Leute.«
»Und dann muss ich einen Mann mit einem kühlen Kopf und einem starken Arm von dir borgen. Einen Mann, der keinen Schreck bekommt, wenn ein bisschen Blut fließt.«
Sajaam schien darüber nachzudenken. Dann wandte er den Kopf und rief über seine Schulter: »Kennst du so einen Mann, Freundlich?«
Schritte schlurften aus der Richtung, aus der Espe gekommen war. Offenbar war ihnen jemand gefolgt, und das sehr unauffällig. Die Frau nahm sofort eine Kampfhaltung ein, die Augen verengt, die Linke auf dem Griff ihres Degens. Espe hätte auch gern nach einer Waffe gegriffen, hätte er eine gehabt, aber seine eigenen hatte er in Uffrith verkauft, und das Messer trug immer noch Sajaam. Daher reichte es gerade für das nervöse Zucken seiner Finger, mit dem niemand auch nur im Geringsten gedient war.
Der Neuankömmling trat zu ihnen und verbeugte sich mit gesenktem Blick. Er war kleiner als Espe, einen halben Kopf oder mehr, aber er machte trotzdem einen überaus soliden Eindruck. Sein dicker Hals war breiter als sein Kopf, und große Hände ragten aus den Ärmeln eines schweren Mantels.
»Freundlich«, sagte Sajaam, der seine kleine Überraschung mit einem breiten Lächeln präsentierte, »das hier ist eine alte Freundin von mir, Murcatto. Du wirst eine Weile für sie arbeiten, wenn es dir nichts ausmacht.« Der Mann zuckte die massigen Schultern. »Wie heißt du noch mal, hast du gesagt?«
»Espe.«
Freundlichs Augen blickten kurz auf, dann wieder zu Boden. Traurige, seltsame Augen. Dann herrschte kurzes Schweigen.
»Ist er ein guter Mann?«, fragte Murcatto.
»Er ist der Beste, den ich kenne. Oder der Schlimmste, wenn man auf der falschen Seite steht. Ich habe ihn in der Sicherheit kennengelernt.«
»Was hatte er getan, dass man ihn mit solchen wie dich eingesperrt hat?«
»Alles und noch mehr.«
Noch mehr Schweigen. »Für einen Mann namens Freundlich sagt er ja nicht gerade viel.«
»Genau das dachte ich auch, als ich ihn kennenlernte«, meinte Sajaam. »Ich vermute, der Name wurde mit einer gewissen Ironie gewählt.«
»Ironie? Im Gefängnis?«
»Alle möglichen Leute landen im Gefängnis. Einige von uns haben sogar einen Sinn für Humor.«
»Wenn du meinst. Ich brauche auch ein wenig Spreu.«
»Du? Das war doch eher etwas für deinen Bruder, oder? Wozu brauchst du Spreu?«
»Seit wann fragst du deine Kunden, was sie mit deinen Waren anstellen, alter Mann?«
»Da hast du Recht.« Er zog ein kleines Päckchen aus seiner Tasche, warf es zu ihr hinüber, und sie fing es auf.
»Ich sage Bescheid, wenn ich noch etwas anderes brauche.«
»Ich werde die Stunden zählen! Immer habe ich gesagt, dass du einmal mein Tod sein wirst, Monzcarro.« Sajaam wandte sich ab. »Mein Tod.«
Espe stellte sich ihm in den Weg. »Mein Messer.« Er hatte nicht alle Einzelheiten dessen begriffen, was gesprochen worden war, aber er merkte, wenn er in eine dunkle, blutige Angelegenheit hineingeriet. In eine Sache, bei der er eine gute Klinge brauchen würde.
»Mit Vergnügen.« Sajaam legte es mit Schwung in Espes ausgestreckte Hand, und es wog schwer. »Obwohl ich dir raten würde, dir etwas Größeres zu besorgen, wenn du beabsichtigst, bei ihr zu bleiben.« Er sah sich noch einmal um und schüttelte dann wieder den Kopf. »Ihr drei Helden wollt Herzog Orso ein Ende bereiten? Wenn sie euch umbringen, dann tut mir doch bitte einen Gefallen. Sterbt schnell und lasst meinen Namen aus der ganzen Sache heraus.« Und mit diesem ermunternden Rat verschwand er in der Nacht.
Als Espe sich wieder umwandte, sah ihm die Frau, die Murcatto hieß, direkt in die Augen. »Was ist mit dir? Die Fischerei ist eine verdammt harte Art, sich sein Brot zu verdienen. Beinahe so hart wie das Leben als Bauer, und sie riecht sogar noch schlechter.« Sie streckte ihre behandschuhte Hand aus, und Silber glänzte darin. »Ich kann immer noch einen zweiten Mann gebrauchen. Willst du deinen Waag haben? Oder willst du noch fünfzig mehr?«
Espe sah mit gerunzelter Stirn auf die schimmernde Münze. Er hatte schon Männer für weniger getötet, wenn er jetzt darüber nachdachte. In Schlachten, Fehden, Kämpfen, in allen Situationen und bei jedem Wetter. Aber er hatte dafür seine Gründe gehabt. Keine guten, jedenfalls nicht immer, aber doch immer etwas, das die Tat auf gewisse Weise rechtfertigte. Einen reinen Mord, gekauftes und bezahltes Blut, hatte er nie begangen.
»Dieser Mann, den wir umbringen sollen … was hat er getan?«
»Etwas, weswegen mir seine Leiche fünfzig Waag wert ist. Reicht das nicht?«
»Nein, mir nicht.«
Sie sah ihn lange an. Dieser unvermittelte, direkte Blick machte ihn schon jetzt irgendwie nervös. »Also bist du einer von denen, was?«
»Einer von denen?«
»Einer von den Männern, die Gründe mögen. Die Entschuldigungen brauchen. Ihr seid gefährlich, ihr komischen Kerle. Schwer zu berechnen.« Sie zuckte die Achseln. »Aber wenn es uns weiterbringt. Er hat meinen Bruder getötet.«
Espe blinzelte. Diese Worte aus ihrem Mund brachten plötzlich jenen einen Tag zurück, und er erinnerte sich klarer als in all den Jahren zuvor. Wie er das graue Gesicht seines Vaters gesehen und Bescheid gewusst hatte. Wie er erfuhr, dass man seinen Bruder umgebracht hatte, obwohl ihnen Gnade zugesichert worden war. Wie er mit Tränen in den Augen über der Asche im Langhaus Rache geschworen hatte. Einen Eid, den er schließlich bewusst gebrochen hatte, um das ganze Blut hinter sich zu lassen und ein besserer Mensch zu werden.
Und nun kam sie aus dem Nichts und bot ihm noch eine Möglichkeit zur Vergeltung. Er hat meinen Bruder getötet. Es fühlte sich an, als hätte er bei allem anderen Nein gesagt. Aber vielleicht brauchte er auch einfach nur das Geld.
»Scheiß drauf«, sagte er. »Gib mir die fünfzig Waag.«