KRIEGSGESCHÄFT
Die obere Furt war ein kleiner Flecken langsam strömenden Wassers, das in der Morgensonne glitzerte, als es sich an den Untiefen kräuselte. Ein schmaler Pfad führte am anderen Ufer zu einigen verstreuten Gebäuden, dann durch einen Hain mit Obstbäumen und den langen Hang hinauf bis zu einem Tor in der äußeren, schwarz gestreiften Stadtmauer Osprias. Die Stadt sah völlig verlassen aus. Rogonts Fußtruppen waren größtenteils in die schweren Kämpfe an der unteren Furt verstrickt. Nur ein paar kleinere Einheiten waren zurückgeblieben, um den Bogenschützen Deckung zu geben, die weiterhin das Knäuel von Männern beschossen, das versuchte, so schnell wie möglich aus der Flussmitte ans Ufer zu kommen.
Die osprianische Kavallerie wartete als letzte Reserve im Schatten der Mauern, aber es waren zu wenige Männer, und viel zu weit weg. Der Weg der Tausend Klingen zu Sieg und Ruhm schien unbewacht. Cosca strich sich leicht über den Hals. Nach seiner Berechnung war nun der ideale Augenblick zum Angriff gekommen.
Andiche war offenbar derselben Meinung. »Da unten geht es heiß zur Sache. Soll ich den Männern den Befehl zum Aufsitzen geben?«
»Wir wollen sie noch nicht behelligen. Es ist noch früh.«
»Bist du sicher?«
Cosca wandte sich um und sah ihm ruhig ins Gesicht. »Sehe ich so aus, als sei ich es nicht?« Andiche blies die pockennarbigen Backen auf, dann trollte er sich, um sich mit seinen Offizieren zu beraten. Cosca streckte sich, die Hände hinter dem Kopf verschränkt, und sah zu, wie sich die Schlacht entwickelte. »Was habe ich gerade gesagt?«
»Eine Möglichkeit, all das hinter dir zu lassen«, sagte Freundlich.
»Genau! Ich hatte die Möglichkeit, all das hinter mir zu lassen. Und dennoch beschloss ich zurückzukehren. Es ist gar nicht so einfach, sich zu ändern, was, Feldwebel? Ich erkenne und begreife, wie völlig sinnlos, welche Verschwendung all das ist, und dennoch tue ich es. Macht mich das zu einem schlechteren oder zu einem besseren Menschen, verglichen mit jenen, die denken, dass sie für eine gerechte Sache streiten? Oder verglichen mit jenen, die nur für den eigenen Profit kämpfen, ohne auch nur einen Gedanken an richtig oder falsch zu verschwenden? Oder sind wir alle gleich?«
Freundlich zuckte nur die Achseln.
»Männer sterben. Männer werden verwundet. Leben gehen dahin.« Er hätte genauso gut Gemüsesorten aufzählen können, so wenig empfand er bei diesen Worten. »Ich habe mein halbes Leben mit Zerstörung beschäftigt. Die andere Hälfte mit Selbstzerstörung. Ich habe nichts geschaffen. Nur Witwen, Waisen, Ruinen, Elend, ein oder zwei Bastarde vielleicht und einen großen Haufen Kotze. Ehre? Ruhm? Meine Pisse ist mehr wert, damit kann man zumindest Nesseln düngen.« Aber wenn er beabsichtigt hatte, sein eigenes Gewissen mit diesen Worten wachzukitzeln, dann schlief es dessen ungeachtet unbekümmert weiter. »Ich habe in vielen Schlachten gekämpft, Feldwebel Freundlich.«
»In wie vielen?«
»Zwölf? Zwanzig? Mehr? Die Grenze zwischen Scharmützel und Schlacht ist fließend. Manche Belagerungen zogen sich ewig hin, und immer wieder kam es zu Kämpfen. Zählt das als eine oder als mehrere Schlachten?«
»Du bist der Soldat.«
»Und nicht einmal ich weiß die Antwort. Im Krieg gibt es keine sauberen Grenzen. Wo war ich gerade?«
»Viele Schlachten.«
»Ah ja! Viele! Und obwohl ich mir stets alle Mühe gegeben habe, nicht zu sehr in die Kämpfe verwickelt zu werden, ist mir das oft nicht gelungen. Mir ist völlig bewusst, wie es ist, wenn man sich inmitten dieses Gewühls befindet. Die blitzenden Klingen. Gespaltene Schilde und zerschmetterte Speere. Das Gedränge, die Hitze, der Schweiß, der Gestank des Todes. Die winzigen Heldentaten und die kleinen Schurkereien. Stolze Flaggen und ehrbare Männer unter den Füßen zertrampelt. Abgetrennte Gliedmaßen, Blutfontänen, gespaltene Schädel, herausquellende Innereien und das ganze Zeug.« Er hob die Augenbrauen. »Bei Schlachten wie der heutigen kann man auch von einigen Ertrunkenen ausgehen.«
»Wie viele, was meinst du?«
»Schwer, das genau zu sagen.« Cosca dachte an die Gurkhisen, die in dem Wehrgraben vor Dagoska ersoffen waren, tapfere Männer, die ins Meer gespült und bei jeder Flut wieder an Land getrieben worden waren, und er seufzte schwer. »Dennoch kann ich mir so etwas ohne große Gefühle ansehen. Ist das Gewissenlosigkeit? Ist das die angemessene Distanz, die ein Heerführer braucht? Liegt es am Stand der Sterne zu der Zeit meiner Geburt? Ich merke stets, dass ich mich im Angesicht von Tod und Gefahr richtiggehend lebendig fühle. Mehr als zu jeder anderen Zeit. Glücklich, wenn ich entsetzt sein sollte, und voller Angst, wenn ich gelassen sein sollte. Ich bin ein Rätsel, sogar mir selbst. Ich bin ein Von-hinten-nach-vorne-Mann, Feldwebel Freundlich!« Erst lachte er, dann kicherte er, dann seufzte er, und dann war er still. »Ein Mann, der von oben nach unten und von innen nach außen gekehrt ist.«
»General.« Andiche beugte sich mit glatt herabhängendem Haar wieder über ihn.
»Was denn, um Himmels willen? Ich versuche mich gerade philosophischen Überlegungen hinzugeben!«
»Die Osprianer sind ganz und gar in die Kämpfe verwickelt. Ihre gesamte Infanterie greift Foscars Truppen an. Die einzige Reserve besteht aus ein paar Reitern.«
Cosca blickte mit zusammengekniffenen Augen ins Tal hinab. »Das sehe ich, Hauptmann Andiche. Das sehen wir alle nur zu deutlich. Es besteht kein Grund, das Offensichtliche zu beschreiben.«
»Nun … wir könnten diese Drecksäcke Jetzt fertigmachen, ohne Probleme. Gib mir den Befehl, und dann sorge ich dafür. Eine bessere Gelegenheit werden wir nicht mehr bekommen.«
»Vielen Dank, aber offenbar geht es dort wirklich heiß zur Sache. Ich bleibe wesentlich lieber hier oben. Vielleicht später.«
»Aber wieso …«
»Es überrascht mich, dass dir nach so vielen Kriegszügen immer noch nicht klar ist, wie die Befehlskette funktioniert! Du wirst feststellen, dass dir das Ganze viel weniger Sorgen bereiten wird, wenn du nicht ständig versuchst, meine Befehle vorauszuahnen, sondern einfach darauf wartest, dass ich sie dir gebe. Das ist das einfachste aller militärischen Prinzipien.«
Andiche kratzte sich den fettigen Kopf. »Das Konzept ist mir schon klar.«
»Dann halte dich daran. Suche dir einen schattigen Platz, Mann, und mach es dir ein wenig gemütlich. Hör doch auf, dauernd durch die Gegend zu rennen. Nimm dir ein Beispiel an der Ziege dort. Siehst du vielleicht, dass sie sich aufreibt?«
Die Ziege hob kurz den Kopf aus dem Gras zwischen den Olivenbäumen und meckerte.
Andiche legte die Hände auf die Hüften, sah missmutig zum Tal hinab, dann wieder zu Cosca und schließlich finsteren Blickes zu der Ziege, wandte sich ab und ging kopfschüttelnd davon.
»Alle rennen hier herum und haben es eilig, Feldwebel Freundlich. Lässt man uns denn nie in Ruhe? Ist denn ein entspannter Augenblick in der Sonne zu viel verlangt? Wo war ich gerade?«
»Wieso greift er nicht an?«
Als Monza die Tausend Klingen über die Hügelkuppe hatte ziehen sehen, die winzigen Umrisse von Männern, Pferden, Speeren, schwarz gegen den blauen Morgenhimmel, hatte sie gewusst, dass sie nun lospreschen würden. Dass sie frohgemut durch die obere Furt stürmen und Rogonts Flanke unter Beschuss nehmen würden, genau, wie sie vorhergesagt hatte. Genau, wie sie es auch getan hätte. Um der Schlacht ein blutiges Ende zu bereiten, ebenso wie dem Achterbund und auch ihren eigenen Hoffnungen, soweit sie noch welche hatte. Wenn es darum ging, möglichst mühelos die besten Früchte zu ernten, war niemand schneller als Nicomo Cosca, und darin, diese Früchte hinunterzuschlingen, war niemand schneller als die Männer, die sie früher einmal angeführt hatte.
Aber die Tausend Klingen verharrten in Sichtweite auf dem Menzesberg und warteten. Warteten auf nichts. Währenddessen hatten Foscars Talineser am Ufer der unteren Furt nicht nur Rogonts Osprianer, sondern auch das Wasser, den weichen Untergrund und den Hang gegen sich, und die Männer in vorderster Front waren einer schmerzhaften Pfeilsalve nach der anderen ausgesetzt. Die Strömung riss immer wieder Leichen mit sich, schlaffe Körper trieben an die Ufer des Flusses oder dümpelten in den Untiefen der Furt.
Und immer noch regten sich die Tausend Klingen nicht.
»Wieso zeigt er sich überhaupt, wenn er nicht die Absicht hat anzugreifen?« Monza nagte an ihrer Unterlippe. Sie traute dem Frieden nicht. »Cosca ist kein Narr. Wieso sollte er auf den Vorteil der Überraschung verzichten?«
Herzog Rogont zuckte nur die Achseln. »Wieso beklagen Sie sich darüber? Je länger er wartet, desto besser ist es für uns, oder nicht? Wir haben genug mit Foscar zu tun.«
»Was plant er?« Monza starrte auf die vielen Reiter, die auf dem Hügel unter den Olivenhainen standen. »Was hat der alte Drecksack vor?«
Oberst Rigrat trieb sein schaumbeflecktes Pferd mit der Gerte zwischen die Zelte, scheuchte faul herumschlendernde Söldner aus dem Weg und brachte sein Reittier schließlich hart zum Stehen. Er sprang aus dem Sattel, wäre beinahe gestürzt, riss den Fuß aus dem störrischen Steigbügel und zerrte sich die Handschuhe herunter. Sein Gesicht war schweißbedeckt und vor Wut gerötet. »Cosca! Nicomo Cosca, verdammt sollen Sie sein!«
»Oberst Rigrat! Einen guten Morgen wünsche ich Ihnen, mein junger Freund! Ich hoffe, es ist alles in bester Ordnung?«
»Nun? Wieso greifen Sie nicht an?« Rigrat deutete mit dem ausgestreckten Finger zum Fluss; offenbar hatte er seinen Marschallsstab verlegt. »Wir sind im Tal in schwerste Kämpfe verwickelt! In heftigste Kämpfe!«
»Ja, das sehe ich.« Cosca wippte ein wenig nach vorn und erhob sich elegant vom Generalhauptmannsstuhl. »Vielleicht wäre es besser, wenn wir diese Angelegenheit nicht vor den Leuten besprechen würden. Das macht schließlich keinen guten Eindruck, so eine kleinliche Streiterei. Davon abgesehen ängstigen Sie meine Ziege.«
»Was?«
Cosca klopfte dem Tier im Vorbeigehen sanft auf den Rücken. »Sie ist die Einzige, die mich wirklich versteht. Kommen Sie in mein Zelt. Ich habe dort etwas Obst. Andiche! Komm und leiste uns Gesellschaft!«
Er schritt davon, gefolgt vom aufgebrachten Rigrat, und Andiche reihte sich verblüfft hinter ihnen ein. Vorbei an Nocau, der mit gezogenem Krummsäbel vor der Zelttür Wache stand, und hinein in das kühle, dunkle Innere, geschmückt mit den Siegen der Vergangenheit. Cosca ließ den Handrücken liebevoll über einen fadenscheinigen Tuchstreifen gleiten, dessen Ränder feuergeschwärzt waren. »Die Flagge, die während der Belagerung auf den Mauern von Muris hing … ist das wirklich schon ein Dutzend Jahre her?« Er wandte sich um und sah, dass Freundlich sich unter der Zelttür hindurchdrängte und am Eingang stehen blieb. »Ich habe sie mit eigener Hand von der höchsten Zinne herabgeholt.«
»Nachdem du sie aus der Hand des toten Helden gerissen hast, der als Erster dort oben war«, verbesserte Andiche.
»Was sonst wäre die Aufgabe toter Helden, wenn nicht, gestohlene Flaggen an die etwas vorsichtigeren Kameraden weiterzureichen, die hinter ihnen im Glied standen?« Cosca nahm einen Obstkorb vom Tisch und hielt ihn Rigrat unter die Nase. »Sie sehen krank aus, Oberst Rigrat. Nehmen Sie sich ein paar Weintrauben.«
Das bebende Gesicht des Offiziers war beinahe schon traubenrot angelaufen. »Trauben? Trauben?« Er schlug mit seinen Handschuhen nach der Zelttür. »Ich verlange, dass Sie sofort angreifen! Ich bestehe darauf!«
»Ein Angriff.« Cosca verzog gequält das Gesicht. »Die Überquerung der oberen Furt?«
»Ja!«
»Entsprechend dem exzellenten Plan, den Sie mir gestern Abend geschildert haben?«
»Ja, verdammt! Ja!«
»Ganz ehrlich, nichts täte ich lieber. Ich liebe einen schönen Angriff, da können Sie fragen, wen Sie wollen. Aber das Problem ist leider … wissen Sie …« Bedeutungsschweres Schweigen breitete sich aus, als er die Hände spreizte. »Ich habe eine sehr große Geldsumme von Herzog Rogonts gurkhisischer Freundin angenommen, damit ich genau das nicht tue.«
Ischri erschien aus dem Nichts. Sie verdichtete sich aus den Schatten in den Ecken des Zelts, glitt aus den Falten der uralten Flaggen und stand dann fleischgeworden vor ihnen. »Ich grüße Sie«, sagte sie. Rigrat und Andiche starrten sie beide gleichermaßen schockiert an.
Cosca sah zum sanft hin und her flatternden Dach des Zelts empor und tippte mit einem Finger gegen die gespitzten Lippen. »Ein Dilemma. Eine moralische Zwickmühle. Ich würde so gern angreifen, aber leider kann ich nicht gegen Rogont zu Felde ziehen. Und gegen Foscar kann ich mich wohl auch nicht wenden, wo doch sein Vater mich ebenfalls so reich entlohnt hat. In meiner Jugend habe ich mich vom Wind mal in diese, mal in jene Richtung wehen lassen, aber ich versuche ganz ernsthaft, mich zu ändern, mein lieber Oberst, wie ich Ihnen bereits neulich abends sagte. Daher kann ich guten Gewissens wirklich nur das eine tun, nämlich hier sitzen bleiben.« Er schob sich eine Weintraube in den Mund. »Und nichts tun.«
Rigrat stotterte irgendetwas und griff verspätet nach seinem Degen, aber schon lag Freundlichs Faust um den Griff, und sein Messer schimmerte in der anderen Hand. »Nein, nein, nein.« Der Oberst erstarrte, als Freundlich ihm den Degen sanft aus der Scheide zog und quer durch das Zelt warf.
Cosca fing ihn im Flug auf und machte ein paar Übungsschläge. »Guter Stahl, Herr Oberst, ich gratuliere Ihnen zur Auswahl Ihrer Klingen, wenn auch nicht zu Ihrer Strategie.«
»Du wurdest von beiden bezahlt? Um gegen niemanden zu kämpfen?« Andiche grinste von einem Ohr zum anderen, während er einen Arm um Coscas Schulter legte. »Mein alter Freund! Wieso hast du mir das nicht gesagt? Verdammt, ist es schön, dich wieder hierzuhaben!«
»Bist du sicher?« Cosca stach ihm Rigrats Degen in die Brust, bis zum polierten Griff. Andiches Augen traten aus ihren Höhlen, sein Mund klappte auf, und er zog keuchend die Luft ein, sein pockennarbiges Gesicht verzerrte sich, und er versuchte zu schreien, brachte aber nur noch ein sanftes Husten zustande.
Cosca neigte sich zu ihm hinunter. »Du hast wohl geglaubt, du könntest dich ungestraft gegen mich wenden? Mich betrügen? Meinen Stuhl für ein paar Silberlinge einem anderen geben, dann lächeln und mein Freund sein? Du hast mich falsch eingeschätzt, Andiche. Ein tödlicher Fehler. Vielleicht bringe ich die Menschen zum Lachen, aber ich bin kein Hanswurst.«
Die Jacke des Söldners schimmerte vor dunklem Blut, sein zitterndes Gesicht war hellrot geworden, und die Adern traten am Hals hervor. Er griff mit gekrümmten Fingern schwach nach Coscas Brustpanzer, und blutiger Schaum trat auf seine Lippen. Cosca ließ nun den Griff los, wischte sich die Hand an Andiches Ärmel ab und schob ihn weg. Er fiel durchbohrt zur Seite, stieß ein leises Stöhnen aus und bewegte sich nicht mehr.
»Interessant.« Ischri beugte sich über ihn. »Ich bin, was selten vorkommt, überrascht. Es war doch wohl Murcatto, die Ihnen den Stuhl wegnahm. Die jedoch ließen Sie gehen, oder?«
»Wenn ich heute darüber nachdenke, dann zweifle ich daran, dass bei diesem Verrat die Fakten zu der Geschichte passen, die später erzählt wurde. Aber so oder so kann ein Mann einer Frau alle möglichen Vergehen leichter verzeihen als hässlichen Kerlen, die er ohnehin schon unerträglich findet. Und wenn es etwas gibt, das ich überhaupt nicht ertragen kann, dann ist es Illoyalität. Jeder braucht etwas in seinem Leben, an dem er festhalten kann.«
»Illoyalität?«, kreischte Rigrat, der endlich seine Stimme wiederfand. »Sie werden dafür bezahlen, Cosca, Sie verräterischer …«
Freundlichs Klinge drang tief in seinen Hals und wieder heraus, Blut spritzte auf den Boden des Zelts und besudelte die musselische Flagge, die Sazine an jenem Tag erobert hatte, da er die Tausend Klingen gründete.
Rigrat fiel auf die Knie, eine Hand an die Kehle gepresst, und Blut strömte über seine Jacke. Er kippte vornüber, zitterte einen Augenblick, dann lag er still. Ein dunkler Kreis bildete sich auf dem Stoff der Bodenplane und verband sich mit der Lache, die von Andiches Leiche ausging.
»Ah«, brummte Cosca. Er hatte eigentlich geplant, Rigrat gegen ein Lösegeld wieder seiner Familie zurückzuschicken. Das war nun wohl nicht mehr möglich. »Das war … unbesonnen von dir, Freundlich.«
»Oh.« Der Sträfling sah auf sein blutiges Messer. »Ich dachte … na, du weißt schon. Ich folge deinem Beispiel. Ich sollte doch Erster Feldwebel sein.«
»Das stimmt auch. Die Schuld liegt bei mir, ich hätte mich deutlicher ausdrücken müssen. Habe ich je an … Ausdrucksundeutlichkeit gelitten? Gibt es so ein Wort?«
Freundlich zuckte die Achseln, Ischri ebenfalls.
»Nun denn.« Cosca kratzte sich sachte am Hals, während er Rigrats Leichnam betrachtete. »Ein nervtötender, aufgeblasener, eitler Kerl, soweit ich das nach unserer kurzen Begegnung beurteilen kann. Aber wenn man diese Eigenschaften als Kapitalverbrechen betrachten wollte, dann müsste die halbe Welt gehängt werden, und ich würde als Allererster zum Richtplatz marschieren. Vielleicht hatte er gute Eigenschaften, die sich mir nicht erschlossen. Ich bin sicher, seine Mutter würde das behaupten. Aber wir sind in einer Schlacht. Da sind Tote unvermeidlich.« Er ging zur Zelttür, sammelte sich einen Augenblick und riss sie dann entschieden beiseite. »Hilfe! Wir brauchen hier Hilfe! Um Himmels willen, zu Hilfe!«
Er eilte zu Andiche zurück und kniete sich neben den Toten, erst auf die eine, dann auf die andere Weise, bis er die Haltung gefunden hatte, die ihm den meisten Eindruck zu machen versprach, als Sesaria auch bereits ins Zelt stürmte.
»Beim Atem Gottes!«, rief er angesichts der beiden Leichen aus. Hinter ihm drängte sich Victus herein.
»Andiche!« Cosca deutete auf Rigrats Degen, der immer noch dort steckte, wo er ihn zurückgelassen hatte. »Durchbohrt!« Er hatte beobachtet, dass Menschen häufig ganz offensichtliche Dinge äußerten, wenn sie aufgewühlt waren.
»Hol doch jemand einen Feldscher!«, brüllte Victus.
»Oder besser noch einen Priester«, schlug Ischri vor, die ihnen entgegenschlenderte. »Er ist tot.«
»Was ist geschehen?«
»Oberst Rigrat hat ihn erstochen.«
»Wer, zur Hölle, sind Sie?«
»Ischri.«
»Er war ein großartiger Kerl!« Sanft berührte Cosca Andiches blutbespritztes Gesicht mit den aufgerissenen Augen und dem weit offen stehenden Mund. »Ein wahrer Freund. Er trat dazwischen, bevor der Stoß mich treffen konnte.«
»Das hat Andiche getan?« Sesaria sah wenig überzeugt aus.
»Er gab sein Leben … um meines zu retten.« Coscas Stimme brach ein wenig und verhallte ins Nichts, und er drückte schnell eine Träne aus dem Augenwinkel. »Den Schicksalsgöttinnen sei Dank, dass Feldwebel Freundlich so schnell zur Stelle war, sonst wäre ich auch erledigt gewesen.« Er trommelte auf Andiches Brust, und seine Faust schlug schwer auf die warme, blutdurchtränkte Jacke. »Meine Schuld! Meine Schuld! Ich allein trage die Schuld dafür!«
»Wieso?«, fauchte Victus, der Rigrats Leiche anstarrte. »Ich meine, wieso hat dieser Dreckskerl das getan?«
»Meine Schuld!«, heulte Cosca. »Ich habe Geld von Rogont angenommen, damit ich mich aus den Kämpfen heraushalte!«
Sesaria und Victus tauschten einen Blick. »Du hast Geld dafür bekommen … um nicht einzugreifen?«
»Eine enorme Summe! Sie wird natürlich dem Rang entsprechend aufgeteilt werden.« Cosca machte eine Handbewegung, als sei das angesichts der Ereignisse kaum noch von Bedeutung. »Gefahrenzulage für jeden Mann, in gurkhisischem Gold.«
»Gold?«, grollte Sesaria, dessen Augenbrauen in die Höhe fuhren, als hätte Cosca ein Zauberwort gesagt.
»Aber ich würde es alles im Ozean versenken, wenn ich dafür nur noch eine Minute in der Gesellschaft meines lieben Freundes zubringen könnte! Ihn noch einmal sprechen, ihn noch einmal lächeln sehen könnte! Aber das wird nie wieder geschehen. Nie wieder …« Cosca nahm seinen Hut ab, legte ihn vorsichtig auf Andiches Gesicht und ließ den Kopf hängen. »Er wird auf ewig schweigen.«
Victus räusperte sich. »Von wie viel Gold reden wir denn genau?«
»Von einer … riesigen … Menge.« Cosca erschauerte schniefend. »Noch einmal so viel, wie Orso uns dafür zahlte, dass wir ihn unterstützen.«
»Andiche tot. Das ist ein hoher Preis dafür.« Aber Sesaria sah so aus, als hätte er inzwischen die Vorteile erkannt.
»Ein zu hoher Preis. Viel zu hoch.« Cosca erhob sich langsam. »Meine Freunde … würdet ihr es wohl über euch bringen, das Begräbnis zu veranlassen? Ich muss die Schlacht beobachten. Wir müssen uns weitermühen. Aber es gibt wohl doch einen kleinen Trost.«
»Das Geld?«, fragte Victus.
Cosca legte seinen beiden Hauptmännern die Hände auf die Schultern. »Dank meiner Abmachung werden wir nicht kämpfen müssen. Andiche wird das einzige Opfer bleiben, das die Tausend Klingen bei dieser Schlacht zu beklagen haben. Man könnte sagen, er sei für uns gestorben. Feldwebel Freundlich!« Damit wandte sich Cosca um und trat ins helle Sonnenlicht. Ischri glitt ihm schweigend hinterher.
»Eine beeindruckende Vorstellung«, raunte sie leise. »Sie hätten Schauspieler werden sollen anstelle von General.«
»Die beiden Berufe liegen näher beieinander, als Sie sich vorstellen können.« Cosca ging zum Generalhauptmannsstuhl und stützte sich auf die Rückenlehne. Er fühlte sich plötzlich müde und reizbar. Wenn man bedachte, wie lange er davon geträumt hatte, sich für Afieri zu rächen, dann war es eine enttäuschende Abrechnung. Er brauchte unbedingt einen Schluck und zog Morveers Flachmann hervor, der jedoch leer war. Mit finsterer Miene sah er hinunter ins Tal. Die Talineser kämpften in der etwa eine halbe Meile breiten Furt eine verzweifelte Schlacht und warteten auf die Hilfe der Tausend Klingen. Auf Hilfe, die niemals kommen würde. Sie waren in der Überzahl, aber die Osprianer hatten das Gelände auf ihrer Seite, begrenzten die Schlacht auf ein kleines Feld und drängten die Feinde in den Untiefen zusammen. Das Knäuel der Kämpfenden wogte schimmernd hin und her, Menschen drängten sich durch die Furt, in der zahlreiche Körper trieben.
Cosca stieß einen tiefen Seufzer aus. »Ihr Gurkhisen glaubt, dass alles auf der Welt einen Sinn hat, nicht wahr? Dass Gott einen Plan verfolgt und so?«
»Das habe ich sagen hören.« Ischris schwarze Augen glitten vom Tal wieder zu ihm. »Und was glauben Sie, wie Gottes Plan lautet, General Cosca?«
»Ich vermute schon seit langem, dass er darauf ausgelegt ist, mich zu ärgern.«
Sie lächelte. Oder zumindest zogen sich ihre Mundwinkel nach oben, und sie zeigte ihre scharfen, weißen Zähne. »Wut, Verfolgungswahn und großartige Selbstzentriertheit in einem einzigen Satz.«
»Ebenjene guten Eigenschaften, die ein großer Heerführer braucht …« Er beschattete die Augen, sah nach Westen zu der Anhöhe hinter den talinesischen Linien. »Und da kommen sie schon. Genau wie geplant.« Die ersten Flaggen zeigten sich. Die ersten schimmernden Speerspitzen. Der Anfang dessen, was eine beträchtlich große Truppe zu werden versprach.