DER ALTE NEUE GENERAL DER TAUSEND KLINGEN
Monza hatte zahllose Wunden gesehen, in allen Größen, Formen, Ausprägungen. Schließlich war es ihr Beruf gewesen, Wunden zu verursachen. Sie hatte beobachtet, wie Menschen auf jede erdenkliche Weise geschunden und getötet worden waren. Zerquetscht, erschlagen, erstochen, verbrannt, gehängt, gehäutet, ausgeweidet, ausgeblutet. Aber Caul Espes Narbe war vielleicht die schlimmste, die sie je im Gesicht eines Lebenden gesehen hatte.
Sie begann als rosafarbene Vertiefung in der Nähe seines Mundwinkels, wurde dann unterhalb seines Wangenknochens zu einer zerklüfteten, fingerdicken Rille und verbreitete sich schließlich zum Auge hin zu einem Flechtwerk gesprenkelten, geschmolzenen Fleisches. Zornesrote Linien und Punkte breiteten sich von dieser Narbe über die Wange bis zu seiner Nase aus. Passend dazu ringelte sich ein dünner Streifen über seine Stirn, der die Hälfte seiner Augenbraue weggerissen hatte. Und dann war da noch das Auge selbst. Es war größer als das andere. Die Wimpern waren verschwunden, die Lider eingeschrumpelt, das untere hing ein wenig herab. Wenn er mit dem rechten Auge blinzelte, dann zuckte das linke nur und blieb offen. Vor kurzem hatte er einmal geniest, und das zerstörte Auge hatte gezuckt wie ein Adamsapfel beim Schlucken, während die tote Emailpupille Monza die ganze Zeit über aus dem rosafarbenen Loch angestarrt hatte. Nur mit größter Willensanstrengung hatte sie den Brechreiz unterdrückt, und dennoch übte die Verletzung eine schreckliche Faszination auf sie aus, und sie guckte dauernd hin, ob so etwas noch einmal passieren würde. Es half wenig, dass sie wusste, dass er gar nicht sehen konnte, dass sie ihn anstarrte.
Sie hätte sich schuldig fühlen sollen. Schließlich war sie der Grund gewesen, oder nicht? Sie hätte Mitleid empfinden sollen. Schließlich hatte sie eigene Narben, die hässlich genug waren. Aber Ekel war alles, wozu sie sich aufraffen konnte. Sie wünschte sich, auf der anderen Seite neben ihm zu reiten, aber dazu war es nun zu spät. Sie wünschte sich, er hätte den Verband nie abgenommen, aber sie konnte ihm jetzt wohl kaum sagen, er solle ihn wieder anlegen. Also sagte sie sich, dass es heilen und besser werden würde, und vielleicht würde es das auch.
Aber nicht viel, und das wusste sie.
Er wandte sich plötzlich um, und sie erkannte, wieso er auf den Sattel gestarrt hatte. Sein rechtes Auge ruhte auf ihr. Sein linkes sah inmitten des Narbengewebes immer noch nach unten. Das Email musste verrutscht sein, und jetzt verliehen ihm die beiden in verschiedene Richtungen blickenden Augen einen Ausdruck verzerrter Verwirrung.
»Was?«
»Dein, äh …« Sie deutete auf ihr eigenes Gesicht. »Es ist ein bisschen … verrutscht.«
»Schon wieder? Scheiß Ding.« Mit dem Daumen schob er die bemalte Schicht wieder hoch. »Besser?« Jetzt sah das falsche Auge wieder gerade nach vorn, während das echte sie ansah. Es war beinahe ebenso schlimm wie vorher.
»Viel besser, ja«, sagte sie und gab sich alle Mühe zu lächeln.
Espe fauchte etwas auf Nordisch. »Ein erstaunliches Ergebnis, oder wie hat er das genannt? Wenn ich noch mal nach Puranti komme, dann werde ich diesem Arschloch von Augenmacher einen Besuch abstatten …«
Hinter einer Kurve des schmalen Pfads stießen sie auf die ersten Wachposten – ein Grüppchen zwielichtiger Gestalten in zusammengewürfelten Rüstungen. Monza kannte den Kerl, der den Befehl führte, vom Sehen. Sie hatte es sich zum Ziel gesetzt, jeden Altgedienten der Tausend Klingen zu kennen und zu wissen, wozu er besonders taugte. Der dort hieß Secco, ein zäher alter Wolf, der seit sechs Jahren oder länger als Korporal diente.
Er zielte mit seinem Speer auf sie, als sie ihre Pferde im Schritt gehen ließen, und seine Männer zückten ihre Flachbogen, Degen, Äxte. »Wer da …«
Sie nahm die Kapuze ab. »Was glaubst du, Secco?«
Die Worte blieben ihm im Hals stecken, und er stand da, den Speer schlaff in den Händen, und ließ sie vorüberreiten. Im Lager waren die Männer mit ihren üblichen morgendlichen Tätigkeiten beschäftigt, frühstückten und bereiteten sich auf den nächsten Marsch vor. Einige sahen auf, als sie und Espe den Weg entlangkamen, wenn man von einem Weg sprechen konnte; sie folgten vielmehr dem breitesten Trampelpfad, der sich zwischen den Zelten herausgebildet hatte. Dann fingen die Ersten an, sie anzustarren. Es wurden mehr, schließlich folgten ihnen die Leute in einiger Entfernung und sammelten sich am Weg.
»Das war sie.«
»Murcatto.«
»Sie lebt?«
Sie ritt an ihnen so vorüber, wie sie es früher immer getan hatte, die Schultern nach hinten, das Kinn stolz erhoben, mit einem verächtlichen Zug um den Mund und ohne sich die Mühe zu machen, die Männer auch nur anzusehen. Als bedeuteten sie ihr nichts. Als sei sie ein ihnen überlegenes Tier. Und gleichzeitig betete sie im Stillen, dass sie noch immer nicht kapierten, was sie bisher nie kapiert hatten und vor dessen Entdeckung sie stets starr vor Angst gewesen war.
Dass sie nämlich keine Ahnung hatte, was zur Hölle sie da tat, und dass ein Messer sie genauso umbringen würde wie jeden anderen Menschen.
Aber keiner von ihnen sprach sie an oder versuchte etwa, sie aufzuhalten. Söldner sind im Großen und Ganzen Feiglinge, sogar mehr noch als andere Leute. Männer, die töten, weil sie festgestellt haben, dass man sich so am leichtesten seinen Lebensunterhalt verdienen kann. Söldner kennen keine Treue, das liegt in der Natur der Sache. Wenig Treue gegenüber ihren Befehlshabern und noch weniger gegenüber ihren Dienstherren.
Und genau darauf zählte sie.
Das Zelt des Generalhauptmanns war auf einem kleinen Hügel mitten auf einer Lichtung errichtet worden. Eine rote Standarte hing schlaff vom höchsten Fahnenmast, hoch über der schlecht aufgespannten Leinwand. Monza trieb ihr Pferd an und jagte ein paar Männer aus dem Weg, und sie versuchte, sich nicht im Geringsten anmerken zu lassen, dass ihr das Herz bis zum Hals schlug. Es war ohnehin schon ein äußerst gefährliches Spiel. Wenn sie auch nur einen winzigen Funken Angst zeigte, war sie erledigt.
Sie schwang sich vom Pferd und warf die Zügel achtlos um einen jungen Baum. Sie musste einer Ziege ausweichen, die dort jemand angebunden hatte, dann stolzierte sie auf die Zelttür zu. Nocau, der gurkhisische Geächtete, der schon zu Sazines Zeiten das Zelt während des Tages bewacht hatte, stand mit großen Augen da, den großen Krummsäbel nicht einmal gezogen.
»Du kannst den Mund jetzt wieder zumachen, Nocau.« Sie beugte sich zu ihm und schob ihm den Unterkiefer mit ihrem behandschuhten Zeigefinger hoch, bis seine Zähne aufeinanderschlugen. »Wir wollen doch nicht, dass ein Vogel darin nistet, oder?« Damit trat sie sich durch die Zelttür.
Derselbe Tisch, auch wenn die Karten, die dort lagen, ein anderes Terrain zeigten. Dieselben Flaggen am Zeltstoff, darunter einige, die ihr zu verdanken gewesen waren, die sie bei Föhrengrund, dem Hohen Ufer, in Musselia und Caprile erbeutet hatte. Und natürlich auch derselbe Stuhl, den Sazine angeblich an jenem Tag aus dem Speisesaal des Herzogs von Cesale gestohlen hatte, als er die Tausend Klingen gründete. Er stand auf zwei Kisten und wartete auf den Arsch des neuen Generalhauptmanns. Auf ihren Arsch, wenn ihr das Schicksal gnädig sein sollte.
Obwohl sie zugeben musste, dass das normalerweise nicht der Fall war.
Die drei obersten Hauptmänner, die in der großen Brigade noch verblieben waren, standen ganz in der Nähe des notdürftigen Podests und tuschelten miteinander. Sesaria, Victus, Andiche. Jene drei, die Benna überredet hatte, sie zum Generalhauptmann zu machen. Jene drei, die den Getreuen Carpi überredet hatten, ihren Platz einzunehmen. Jene drei, die es zu überzeugen galt, ihn ihr jetzt zurückzugeben. Sie hoben den Blick, sahen sie und richteten sich auf.
»Sieh mal einer an«, grollte Sesaria.
»Wer hätte das gedacht«, raunte Andiche. »Wenn das nicht die Schlange von Talins ist.«
»Die Schlächterin von Caprile höchstpersönlich«, quäkte Victus. »Wo ist der Getreue?«
Sie sah ihm ins Gesicht. »Der kommt nicht mehr. Ihr werdet einen neuen Generalhauptmann brauchen.«
Die drei tauschten Blicke, und Andiche lutschte geräuschvoll an seinen gelben Zähnen. Eine Angewohnheit, die Monza immer schon ein bisschen eklig gefunden hatte. Eins der vielen ekligen Dinge an diesem glatthaarigen Rattengesicht. »Zufällig waren wir selbst auch schon zu diesem Schluss gekommen.«
»Der Getreue war ein guter Kerl«, grollte Sesaria.
»Zu gut für einen Anführer«, sagte Victus.
»Ein anständiger Generalhauptmann muss bestenfalls ein bösartiger Drecksack sein.«
Monza zeigte ihre Zähne. »Jeder von euch dreien ist mehr als bösartig genug, würde ich sagen. Es gibt keine größeren Drecksäcke in ganz Styrien.« Es war kein Witz. Sie hätte eher diese drei ermorden sollen als den Getreuen. »Allerdings zu große Drecksäcke, als dass sie für ihresgleichen arbeiten würden.«
»Das ist wohl wahr«, nickte Victus bitter.
Sesaria legte den Kopf in den Nacken und sah sie von oben herab an. »Wir brauchen frisches Blut.«
»Oder altes«, sagte Monza.
Andiche grinste seine beiden Kumpane an. »Zufällig sind wir auch schon selbst zu diesem Schluss gekommen«, sagte er wieder.
»Wie schön für euch.« Das ging ja leichter, als sie zu hoffen gewagt hatte. Acht Jahre hatte sie die Tausend Klingen angeführt, und sie wusste, wie sie diese Jungs anpacken musste. Bei ihrer Gier, schlicht und ergreifend. »Ich bin niemand, der sich wegen etwas bösem Blut eine Menge gutes Geld entgehen lässt, und ich bin mir ziemlich sicher, dass euch das ganz genauso geht.« Sie hielt Ischris Münze ans Licht, einen gurkhisischen Doppelkopf, auf der einen Seite der Imperator, auf der anderen der Prophet. Sie warf sie zu Andiche hinüber. »Es wird viele mehr wie die hier geben, wenn wir zu Rogont überlaufen.«
Sesaria starrte sie unter seinen dichten grauen Brauen an. »Für Rogont streiten, gegen Orso?«
»Uns wieder quer durch Styrien zurückkämpfen?« Die Ketten an Victus’ Hals rasselten, als er den Kopf herumwarf. »Auf denselben Schlachtfeldern, auf denen wir die letzten acht Jahre schon waren?«
Andiche sah von der Münze zu Monza herüber und blies die aknenarbigen Backen auf. »Das klingt nach ziemlich vielen Kämpfen.«
»Ihr habt schon unter schlechteren Vorzeichen gewonnen, als ich euch führte.«
»Das ist wahr.« Sesaria deutete auf die zerschlissenen Flaggen. »Wir haben sehr viel Ruhm errungen, als du auf diesem Stuhl gesessen hast, sehr viel Ruhm und Ehre.«
»Aber versuch mal, damit eine Hure zu bezahlen.« Victus grinste, und dieses Wiesel grinste sonst nie. Irgendetwas war falsch an seinem Lächeln, irgendwie lag etwas Spöttisches darin.
»Sieh mal.« Andiche legte eine Hand gemächlich auf die Armlehne des Generalhauptmannstuhls und bürstete mit der anderen Staub von der Sitzfläche. »Wir bezweifeln keineswegs, dass du die verdammt beste Generalin bist, die sich ein Mann wünschen könnte, wenn es zum Kampf kommt.«
»Was ist dann das Problem?«
Victus’ Züge verzogen sich gehässig. »Wir wollen keinen Kampf! Wir wollen … verdammt noch mal … Geld kassieren!«
»Wer hätte euch denn je mehr Geld eingebracht als ich?«
»Ahem«, räusperte sich jemand direkt an ihrem Ohr. Monza fuhr herum und erstarrte, die Hand schon halb am Griff ihres Degens. Hinter ihr stand, ein leicht betretenes Lächeln auf den Lippen, Nicomo Cosca.
Er hatte sich den Schnurrbart und auch alles andere Haar abrasiert, und jetzt zierten nur noch schwarze und graue Stoppeln seinen knubbligen Kopf und sein kantiges Kinn. Der Ausschlag an seinem Hals war zu einer schwachen rosa Färbung verblichen. Die Augen waren weniger eingesunken, das Gesicht bebte nicht und war auch nicht mehr schweißbedeckt. Aber das Lächeln war dasselbe. Das leise kleine Lächeln und der spitzbübische Schimmer in seinen dunklen Augen. So wie er gelächelt hatte, als sie ihn zum ersten Mal traf.
»Eine Freude, euch beide wohlauf zu sehen.«
»Uh«, brummte Espe. Monza merkte, dass sie ein seltsames, gequetschtes Husten ausstieß, während sie kein Wort herausbrachte.
»Ich erfreue mich bester Gesundheit. Eure Sorge um mein Wohlergehen berührt mich tief.« Cosca schlenderte an ihnen vorüber, schlug dem verblüfft dreinschauenden Espe auf den Rücken, und weitere Hauptmänner der Tausend Klingen drängten sich hinter ihm durch die Zelttür und stellten sich vor den Wänden auf. Männer, deren Namen und Gesichter sie ebenso gut kannte wie ihre vorhandenen oder mangelnden Fähigkeiten. Ein untersetzter Mann mit leicht gebeugter Haltung, einem abgetragenem Mantel und ohne nennenswerten Hals reihte sich weiter hinten ein. Als er an ihr vorüberging, hob er zum Gruß die Augenbrauen.
»Freundlich?«, zischte sie. »Ich dachte, du wolltest wieder zurück nach Talins!«
Er zuckte die Achseln, als sei weiter nichts dabei. »Hab’s nicht ganz geschafft.«
»Das sehe ich, verdammt noch mal!«
Cosca trat vor die Packkisten und wandte sich mit selbstzufriedener, großer Geste zu den Anwesenden um. Er hatte sich von irgendwoher einen großen schwarzen Brustpanzer mit geschwungenen, goldenen Schriftzeichen besorgt, einen Degen mit vergoldetem Griff und schöne schwarze Stiefel mit schimmernden Schnallen. Nun setzte er sich mit so viel Aufhebens auf den Generalhauptmannsstuhl, als ließe sich ein Kaiser auf seinem Thron nieder, während Freundlich wachsam neben dem Kistenpodest stand, die Arme verschränkt. Als Coscas Hintern das Holz berührte, brachen die Anwesenden in höflichen Applaus aus, jeder Hauptmann tippte mit den Fingern so zart gegen die Handflächen wie feine Damen im Theater. So, wie sie Monza beklatscht hatten, als sie sich den Stuhl unter den Nagel gerissen hatte. Fast hätte sie gelacht, wenn ihr nicht plötzlich so übel geworden wäre.
Cosca wischte den Beifall mit einer Handbewegung weg, genoss ihn aber gleichzeitig ganz offensichtlich. »Nein, nein, wirklich, das habe ich gar nicht verdient. Aber es ist schön, wieder hier zu sitzen.«
»Wie, zur Hölle …«
»… habe ich überlebt? Die Wunde war offenbar nicht so tödlich, wie wir alle glaubten. Die Talineser hielten mich aufgrund meiner Uniform für einen der Ihren und brachten mich direkt zu einem hervorragenden Feldscher, der in der Lage war, die Blutung aufzuhalten. Zwei Wochen lag ich im Bett, dann schlüpfte ich aus einem Fenster. In Puranti setzte ich mich mit meinem alten Freund Andiche in Verbindung, weil ich vermutete, dass er sich einen Befehlshaberwechsel wünschte. So war es auch, und seinen edlen Kollegen ging es ganz genauso.« Er deutete auf die im Zelt versammelten Hauptmänner und dann auf sich selbst. »Und hier bin ich.«
Monza klappte den Mund zu. So war das nicht geplant gewesen. Nicomo Cosca, die fleischgewordene unvorhergesehene Entwicklung. Dennoch, ein Plan, der zu starr war, um sich den Umständen anzupassen, war immer noch schlimmer als gar kein Plan. »Meinen Glückwunsch, General Cosca«, brachte sie knirschend hervor. »Aber mein Angebot steht dennoch. Gurkhisengold für ein Überlaufen in die Dienste von Herzog Rogont …«
»Ah.« Cosca verzog gequält das Gesicht und zog die Luft durch die Zähne ein. »Da haben wir leider ein kleines Problem. Ich habe schon ein Abkommen mit Großherzog Orso unterzeichnet. Oder vielmehr mit seinem Erben, mit Prinz Foscar. Ein vielversprechender junger Mann. Wir werden gegen Ospria ziehen, so wie es der Getreue Carpi vor seinem unglücklichen Dahinscheiden geplant hatte.« Er stieß mit dem Zeigefinger in die Luft. »Und dem Achterbund ein Ende setzen! Den großen Zauderer zum Kampf zwingen! Die Plünderung von Ospria verspricht große Beute. Es war ein guter Plan.« Zustimmendes Gemurmel seitens der Hauptmänner. »Wieso sollten wir einen anderen schmieden?«
»Aber du hasst Orso!«
»Oh, ich verabscheue ihn von Herzen, das ist wohlbekannt, aber ich habe nichts gegen sein Geld. Es hat genau dieselbe Farbe wie das aller anderen. Das solltest du doch wissen, er hat dir schließlich genug davon gegeben.«
»Du alter Wichser«, stieß sie hervor.
»So solltest du nun wirklich nicht mit mir reden.« Cosca schürzte die Lippen. »Ich bin reife achtundvierzig. Und davon abgesehen habe ich mein Leben für dich gegeben!«
»Du bist verdammt noch mal nicht krepiert!«, zischte sie.
»Tja. Die Gerüchte von meinem Tod waren oft übertrieben. Wunschdenken seitens meiner vielen Feinde.«
»Allmählich kann ich nachvollziehen, wie sie sich fühlen.«
»Ach komm schon, was hast denn du gedacht? Dass ich den Heldentod sterbe? Ich? Das wäre doch nun wirklich nicht mein Stil gewesen. Wenn ich gehe, dann ohne Stiefel, eine Flasche in der Hand und eine Frau an meinem Schwanz.« Seine Augenbrauen hoben sich. »Wegen diesem Posten bist du aber nicht hier, oder?«
Monza knirschte mit den Zähnen. »Wenn es eine Frage des Geldes ist …«
»Orso hat die ganze Unterstützung des Bankhauses Valint und Balk, und tiefere Taschen wirst du nirgendwo finden. Er zahlt gut, mehr als gut. Aber es geht nicht um das Geld. Ich habe einen Kontrakt unterzeichnet. Ich habe feierlich mein Wort gegeben.«
Sie starrte ihn an. »Wann hast du jemals einen Scheiß auf dein Wort gegeben?«
»Ich bin ein neuer Mensch.« Cosca zog einen Flachmann aus einer Gesäßtasche, schraubte den Deckel ab und nahm einen langen Schluck, den amüsierten Blick unverwandt auf ihr Gesicht gerichtet. »Und ich muss zugeben, das verdanke ich dir. Ich habe mit der Vergangenheit abgeschlossen. Meine Prinzipien entdeckt.« Er grinste seine Hauptmänner an, und die grinsten zurück. »Sie waren ein bisschen bemoost, aber wenn man sie aufpoliert, dann tun sie’s. Du hattest eine gute Beziehung zu Orso aufgebaut. Treue. Ehrlichkeit. Stabilität. Nun will ich doch deine ganze harte Arbeit nicht in die Latrine werfen. Davon abgesehen ist es die erste Regel des Soldaten, genau abzuwägen, nicht wahr, Jungs?«
Victus und Andiene sprachen wie aus einem Mund, genau wie früher, noch bevor sie den Stuhl übernommen hatte. »Niemals auf der Verliererseite kämpfen!«
Coscas Grinsen wurde noch ein wenig breiter. »Orso hält alle Trümpfe in der Hand. Wenn du ein ebenso gutes Blatt findest, dann habe ich dafür stets ein offenes Ohr. Aber im Augenblick bleiben wir bei Orso.«
»Wie du sagst, General«, nickte Andiche.
»Wie du sagst«, echote Victus. »Schön, dass du wieder da bist.«
Sesaria beugte sich vor und flüsterte Cosca etwas ins Ohr. Der neue Generalhauptmann krümmte sich, als hätte ihn etwas gestochen. »Die beiden Herzog Orso übergeben? Auf keinen Fall! Heute ist ein glücklicher Tag! Heute wird nicht gemordet, heute nicht.« Er machte eine Handbewegung zu Monza hinüber, als wolle er eine Katze aus der Küche scheuchen. »Ihr könnt gehen. Und es wäre besser, wenn ihr morgen nicht zurückkämt. Dann sind wir vielleicht nicht mehr so in Feierlaune.«
Monza machte einen Schritt auf ihn zu, und ein Fluch ging ihr halb über die Lippen. Mit einem metallischen Rasseln zogen die versammelten Hauptmänner ihre Waffen. Freundlich stellte sich ihr in den Weg, die verschränkten Arme lösten sich, die Hände glitten an seine Hüften, und das ausdruckslose Gesicht wandte sich ihr entgegen. Sie erstarrte und knirschte mit den Zähnen. »Ich muss Orso töten!«
»Und wenn du das vollbracht hast, wird dein Bruder davon wieder lebendig?« Cosca neigte den Kopf zu einer Seite. »Und deine Hand wird wieder ganz? Ja?«
Sie war ganz kalt überall, ihre Haut kribbelte. »Er verdient, was er bekommen wird!«
»Ja, aber das tun die meisten von uns. Wir alle werden es auch bekommen, so oder so. Wie viele andere Menschen willst du bis dahin noch in den kleinen Strudel deiner Rache mit hineinziehen?«
»Für Benna …«
»Nein. Für dich. Ich kenne dich, vergiss das nicht. Ich habe dort gestanden, wo du jetzt stehst, geschlagen, betrogen, entehrt, und habe es überstanden. Solange du Männer zu töten hast, bist du immer noch Monzcarro Murcatto, die Große, die Furchteinflößende! Ohne das, was bist du dann?« Cosca verzog den Mund. »Eine einsame, verkrüppelte Frau mit blutiger Vergangenheit.«
Die Worte erstickten in ihrer Kehle. »Bitte, Cosca, du musst doch …«
»Ich muss gar nichts. Wir sind quitt, schon vergessen? Mehr als quitt, würde ich sagen. Aus meinen Augen, Schlange, bevor ich dich in einem Krug an Herzog Orso schicke. Brauchst du Arbeit, Nordmann?«
Espes gesundes Auge glitt zu Monza, und einen kurzen Augenblick glaubte sie, er wolle Ja sagen. Dann schüttelte er langsam den Kopf. »Ich bleibe bei dem Häuptling, den ich habe.«
»Treue, was?« Cosca schnaubte. »Sei vorsichtig mit diesem Quatsch, der kann dich umbringen!« Vereinzeltes Gelächter. »Bei den Tausend Klingen ist kein Platz für Treue, was, Jungs? Von diesem kindischen Unsinn wollen wir hier nichts wissen!« Noch mehr Gelächter, und zwanzig oder mehr harte Gesichter grinsten Monza an.
Ihr war schwindlig. Das Zelt erschien plötzlich gleichzeitig zu hell und zu dunkel. Gerüche zogen ihr in die Nase – verschwitzte Körper, harter Branntwein, stinkende Kochdünste oder eine Latrinengrube, die zu nahe am Hauptquartier ausgehoben worden war, ihr drehte sich der Magen um, und Speichel strömte in ihren Mund. Einen Zug Spreu, oh bitte, nur einen Zug. Sie wandte sich leicht schwankend auf dem Absatz um, schob sich an einigen glucksenden Männern vorbei durch die Zelttür, aus dem Zelt hinaus und in den hellen Morgen.
Draußen war es noch schlimmer. Das Sonnenlicht stach nach ihr. Gesichter, Dutzende, verschmolzen zu einer Masse aus Augen, die sie allesamt anstarrten. Eine Richterbank des Abschaums. Sie versuchte, nach vorn zu blicken, immer nur nach vorn, aber ihre Lider flatterten, und sie konnte die Augen nicht ruhig halten. Sie versuchte, auf die altbekannte Art zu gehen, den Kopf in den Nacken geworfen, aber ihre Knie zitterten so sehr, dass sie überzeugt war, alle Umstehenden müssten hören, wie sie gegen die Innenseiten ihrer Hosen schlugen. Es war, als hätte sie die Angst, die Schwäche, den Schmerz immer nur weggeschoben. Weggeschoben, aufgestaut, bis sie jetzt in einer großen Welle über sie hereinbrachen und sie mit sich rissen, hilflos. Ihre Haut war eisig, bedeckt mit kaltem Schweiß. Ihre Hand schmerzte bis hoch zum Hals. Sie sahen, was sie wirklich war. Sahen, dass sie verloren hatte. Eine einsame, verkrüppelte Frau mit blutiger Vergangenheit, ganz, wie Cosca gesagt hatte. Ihre Eingeweide rebellierten, und sie würgte, bittere Säure kitzelte ihre Kehle. Die Welt kippte.
Hass hilft dir nur eine gewisse Zeit, aufrecht zu stehen.
»Kann nicht«, flüsterte sie. »Kann nicht.« Ihr war egal, was nun passierte, solange sie einfach aufhören konnte. Ihre Arme gaben nach und sie fiel, spürte, wie Espe sie am Arm packte und emporzog.
»Lauf«, zischte er ihr ins Ohr.
»Kann nicht …«
Seine Faust bohrte sich hart in ihre Achselhöhle, und der Schmerz sorgte dafür, dass sich die Welt kurzzeitig zu drehen aufhörte. »Lauf, verdammt noch mal, sonst sind wir erledigt.«
Genug Kraft, mit Espes Hilfe, um bis zu den Pferden zu kommen. Genug, um einen Fuß in den Steigbügel zu schieben. Genug, um sich mit einem schmerzerfüllten Stöhnen in den Sattel zu ziehen, das Pferd zu wenden und in die richtige Richtung blicken zu lassen. Als sie aus dem Lager ritten, konnte sie kaum sehen. Die große Generalin, Herzog Orsos Möchtegern-Mörderin, sackte wie totes Fleisch im Sattel zusammen.
Wenn man sich zu hart macht, dann wird man auch zu brüchig. Und wenn man schließlich zerbricht, dann in tausend Stückchen.