DER KUNSTKENNER
Man hätte glauben können, es sei ein ganz gewöhnlicher Morgen des Friedens und der Fülle in Herzog Saliers großzügigem Speisesaal, einem Raum, in dem Seine Exzellenz zweifelsohne einen großen Teil seiner Zeit verbrachte. Vier Musiker entlockten ihren Instrumenten in einer Ecke süße Klänge und vermittelten mit ihrem strahlenden Lächeln erfolgreich den Eindruck, sie täten nichts lieber, als denen, die dem Untergang geweiht waren, in einem vom Feind belagerten Palast ein Ständchen zu bringen. Auf der langen Tafel türmte sich eine herrliche Auswahl verschiedenster Delikatessen: Fisch und Meeresfrüchte, Brote und Pasteten, Früchte und Käse, Süßigkeiten, Fleisch und kleine Appetithäppchen, so sorgfältig angeordnet wie Medaillen auf der Brust eines hoch dekorierten Generals. Selbst für zwanzig Gäste wäre es zu viel gewesen, und es saßen nur drei am Tisch, von denen zwei zudem keinen Hunger hatten.
Monza sah nicht gut aus. Ihre Ober- und Unterlippe war aufgeplatzt, und ihr Gesicht, in der Mitte aschgrau, war an den Seiten geschwollen und gerötet. Eines ihrer Augen war mit geplatzten Äderchen durchzogen, und ihre Finger zitterten. Cosca schmerzte es, sie auch nur anzusehen, aber er dachte bei sich, dass es schlimmer hätte kommen können. Für ihren Nordmannfreund war das kaum ein Trost. Er hätte schwören können, dass er die ganze Nacht über durch die Wand hindurch Espes Stöhnen gehört hatte.
Er griff nach seiner Gabel, um ein Würstchen aufzuspießen.
Der Grillrost hatte kleine schwarze Streifen auf dem gut durchgebratenen Fleisch hinterlassen. Die Erinnerung an Espes gut durchgebratenes Gesicht mit dem breiten schwarzen Streifen drängte sich Cosca unwillkürlich auf, und er räusperte sich und nahm sich stattdessen lieber ein hart gekochtes Ei. Erst als er es schon halb auf seinen Teller bugsiert hatte, fiel ihm auf, wie sehr es einem Augapfel glich. Hastig streifte er es von der Gabel und ließ es mit aufsteigender Übelkeit auf seinen Teller fallen, dann hielt er sich an den Tee und tat im Stillen so, als sei er stark mit Branntwein versetzt.
Herzog Salier war damit beschäftigt, die Erinnerung an ruhmreiche Zeiten heraufzubeschwören, so wie Männer es gerade dann besonders gern tun, wenn diese Zeiten schon sehr lange zurückliegen. Cosca selbst war diese Beschäftigung nicht fremd, aber wenn seine eigenen Geschichten auch nur halb so langweilig waren, dachte er, dann war das ein Grund, sofort und für alle Zeiten davon abzuschwören. »… und die Bankette, die ich in genau diesem Raum veranstaltet habe! Die großen Männer und Frauen, die meine Gastfreundschaft an diesem Tisch genossen haben! Rogont, Cantain, Sotorius und sogar Orso selbst. Diesem wieselgesichtigen Lügner habe ich allerdings nie getraut, auch damals nicht.«
»Der höfische Tanz styrischer Machtverhältnisse«, kommentierte Cosca. »Verbündete bleiben einander niemals lange treu.«
»So ist das in der Politik.« Die Speckpolster, die Saliers Kinn einfassten, bewegten sich leicht, als er die Achseln zuckte. »Ebbe und Flut. Der Held von gestern ist der Schurke von morgen. Und der Sieg von gestern …« Er sah stirnrunzelnd auf seinen leeren Teller. »Ich fürchte, Sie beide werden meine letzten Gäste von Rang und Namen sein, und bitte vergeben Sie mir, wenn ich sage, auch Sie beide haben einmal bessere Tage gesehen. Dennoch! Man muss die Gäste nehmen, wie sie kommen, und das Beste daraus machen!« Cosca verzog die Lippen zu einem müden Grinsen. Monza konnte sich nicht einmal dazu aufraffen. »Ihnen steht nicht der Sinn nach einer kleinen Aufheiterung? Bei einem Blick auf Ihre langen Gesichter könnte man beinahe glauben, meine Stadt stünde in Flammen! Jetzt können wir uns aber auch vom Frühstückstisch erheben. Ich habe doch sicher das Doppelte von dem gegessen, was Sie beide zusammen verzehrt haben!« Cosca überlegte, dass der Herzog zweifelsohne auch das Doppelte von dem wog, was er und Monza zusammen auf die Waage brachten. Salier griff nach einem Glas mit einer weißen Flüssigkeit und hob es an seine Lippen.
»Was ist das, was Sie da trinken?«
»Ziegenmilch. Ist ein bisschen sauer, vollbringt aber wahre Wunder, was die Verdauung betrifft. Kommen Sie, meine Freunde – und Feinde natürlich, denn für einen mächtigen Mann gibt es nichts Wertvolleres als einen guten Feind –, und machen Sie einen kleinen Rundgang mit mir.« Er erhob sich unter lautem Schnaufen von seinem Stuhl, schubste das Glas weg und schritt federnd über den Fliesenboden, während er seine speckige Hand im Rhythmus der Musik bewegte. »Wie geht es Ihrem Gefährten, dem Nordmann?«
»Er hat noch immer sehr große Schmerzen«, murmelte Monza, die so aussah, als ob es ihr nicht anders ging.
»Ja … nun … eine schreckliche Sache. So ist nun einmal der Krieg, so ist der Krieg. Hauptmann Langrier sagte mir, Sie seien zu siebt gewesen. Die blonde Frau mit dem Kindergesicht ist bei uns, ebenso wie Ihr Leibwächter, dieser stille Kerl, der die talinesischen Uniformen mitbrachte und offenbar seit dem Morgengrauen jedes Stück in meinen Speisekammern gezählt hat. Allerdings bedarf es nicht einmal seiner unheimlichen Begabung für Zahlen, um sich auszurechnen, dass noch immer zwei von Ihrer Gruppe … fehlen.«
»Unser Giftmischer und unsere Folterspezialistin«, sagte Cosca. »Das ist wirklich eine Schande, man findet so schwer gute Leute.«
»Eine nette Gesellschaft, die Sie um sich geschart haben.«
»Harte Aufgaben erfordern harte Männer und Frauen. Die beiden werden Visserine inzwischen längst verlassen haben, vermute ich.« Wenn sie auch nur einen Hauch gesunden Menschenverstand besaßen, dann bemühten sie sich gerade, nicht nur Visserine, sondern ganz Styrien hinter sich zu lassen, und Cosca konnte es ihnen nicht verübeln.
»Man hat Sie im Stich gelassen, wie?« Salier stieß ein leises Grunzen aus. »Das Gefühl kenne ich. Meine Verbündeten haben mich verlassen, meine Soldaten, mein Volk. Ich bin am Boden zerstört. Nur meine Gemälde spenden mir noch Trost.« Er deutete mit einem dicken Finger zu einem breiten Durchgang hinüber, dessen schwere Türen offen standen und helles Sonnenlicht hindurchließen.
Coscas geübtes Auge erkannte eine tiefe Rille im Mauerwerk, und in einem breiten Schlitz in der Decke schimmerten Metallspitzen. Ein Fallgitter, wenn er sich nicht sehr täuschte. »Ihre Sammlung ist sehr gut bewacht.«
»Natürlich. Es ist die wertvollste in ganz Styrien, und es hat lange Jahre gebraucht, sie aufzubauen. Mein Urgroßvater hat bereits damit begonnen.« Salier führte sie in einen langen Korridor, über dessen Mitte ein langer, mit Goldfäden eingefasster Teppich lief, während an den Seiten vielfarbiger Marmor im Licht der großen Fenster schimmerte. Eine lange Prozession großer, düsterer Gemälde nahm die gegenüberliegende Wand ein; ihre vergoldeten Rahmen glitzerten.
»Dieser Saal ist natürlich den Herrschern von Midderland gewidmet«, erklärte Salier. Der kahle Zoller sah verächtlich aus einem Porträt herab, daneben prangten die Könige der Union – Harod, Arnault, Kasamir und einige andere. Sie sahen so selbstzufrieden aus, dass man hätte glauben können, sie beherrschten die Kunst, flüssiges Gold zu scheißen. Salier blieb kurz vor einem übergroßen Ölgemälde stehen, das Juvens’ Tod zeigte. Eine winzige, blutende Gestalt, verloren in einem unendlich großen Wald; Blitze zuckten über eine tief hängende Wolkendecke. »Eine herrliche Pinselführung. Eine herrliche Farbgebung, nicht wahr, Cosca?«
»Faszinierend.« Ein Pinselstrich sah für ihn ziemlich wie der andere aus.
»Wie viele glückliche Tage habe ich hier verbracht, versunken in der Betrachtung dieser wundervollen Werke, und habe nach der verborgenen Bedeutung gesucht, die die alten Meister darin eingebettet haben.« Cosca sah mit erhobenen Brauen zu Monza hinüber. Wenn der Herzog mehr Zeit mit dem Studium von Kriegsstrategien und weniger mit toten Malern verbracht hätte, wäre die Lage in Styrien möglicherweise weniger aussichtslos gewesen.
»Skulpturen aus dem Alten Kaiserreich«, erklärte Salier, als sie durch einen breiten Torbogen schritten und in eine zweite Galerie traten, die auf beiden Seiten mit antiken Statuen flankiert wurde. »Sie würden mir nicht glauben, was es kostet, sie aus Calcis hierher verschiffen zu lassen.« Helden, Kaiser, Götter. Ihre fehlenden Nasen und Arme, die Kerben und Löcher in ihren Körpern verliehen ihnen den Ausdruck verwundeten Staunens. Die vergessenen Sieger von vor zehn Jahrhunderten, jetzt nur noch verwirrte Versehrte. Wo bin ich? Und verdammt noch mal, wo sind meine Arme?
»Ich habe mich gefragt, was ich tun soll«, sagte Salier unvermittelt, »und würde Ihre Meinung sehr zu schätzen wissen, Generalin Murcatto. Sie sind in ganz Styrien und darüber hinaus für Ihre Unbarmherzigkeit, Entschlossenheit und Ihre Energie bekannt. Entschlussfreudigkeit war nie meine große Stärke. Es lenkt mich stets zu sehr ab, über die Verluste nachzudenken, die eine bestimmte Handlungsweise mit sich bringen könnte. Ich betrachte sehnsüchtig all jene Türen, die damit zugeschlagen werden, anstatt mich auf die neuen Möglichkeiten zu konzentrieren, die sich hinter jenen ergeben mögen, die ich nun öffnen muss.«
»Für einen Soldaten eine große Schwäche«, sagte Monza.
»Ich weiß. Ich bin vielleicht ein schwacher Mensch und ein schlechter Soldat. Bisher habe ich auf gute Absichten, schöne Worte und die gute Sache vertraut, und so, wie es aussieht, werden mein Volk und ich dafür bezahlen.« Und vielleicht auch für seinen Geiz, seinen Betrug und seine endlose Kriegstreiberei. Salier betrachtete die Statue eines muskulösen Fährmanns. Vielleicht der Tod, der die Seelen zur Hölle hinüberfuhr. »Ich könnte mit einem kleinen Boot im Schutze der Dunkelheit aus der Stadt fliehen. Den Fluss hinab und hinaus aus der Stadt, um mich dann der Barmherzigkeit meines Verbündeten, Großherzog Rogonts, anheimzustellen.«
»Es wäre nur ein kurzer Aufschub«, brummte Monza. »Rogont wird der Nächste sein.«
»Das ist wahr. Und ein Mann von meiner Körperfülle auf der Flucht? Das ist doch schrecklich würdelos. Vielleicht sollte ich mich Ihrem guten Freund General Ganmark ergeben?«
»Sie wissen, was dann geschehen würde.«
Saliers weiches Gesicht wurde plötzlich hart. »Vielleicht steckt in Ganmark noch ein Fünkchen Erbarmen, im Gegensatz zu Orsos anderen Spürhunden?« Dann schien er wieder in sich zusammenzusinken, und sein Gesicht schmiegte sich auf die Fettrollen unter seinem Kinn. »Aber ich vermute, Sie haben recht.« Er warf einen bedeutungsvollen Seitenblick auf eine Statue, die irgendwann im Laufe der Jahrhunderte ihren Kopf verloren hatte. »Mein dicker Kopf auf einer Pike, das wäre wohl das Beste, worauf ich hoffen könnte. Genau wie der gute Herzog Cantain und seine Söhne, nicht wahr, Murcatto?«
Sie sah ihm geradeheraus ins Gesicht. »Genau wie Cantain und seine Söhne.« Köpfe auf Piken, überlegte Cosca, waren immer noch genauso in Mode wie früher.
Sie bogen um eine Ecke und kamen in einen weiteren Saal, noch länger als der erste, an dessen Wänden sich wieder Gemälde drängten. Salier klatschte in die Hände. »Hier hängen die Styrer! Die größten unserer Landsmänner. Wenn wir schon tot und vergessen sein werden, wird man sich ihrer noch erinnern.« Er blieb vor einem Bild stehen, das einen belebten Marktplatz zeigte. »Vielleicht sollte ich mit Orso handeln? Ihn mir verpflichten, indem ich einen seiner Todfeinde an ihn ausliefere? Jene Frau vielleicht, die seinen ältesten Sohn und Erben ermordet hat?«
Monza zuckte nicht einmal zusammen. Sie war noch nie jemand gewesen, der zusammenzuckte. »Dann wünsche ich Ihnen viel Glück.«
»Pah. Das Glück hat Visserine verlassen. Orso würde niemals verhandeln, nicht einmal, wenn ich ihm seinen Sohn lebend zurückbringen könnte, und Sie haben dafür gesorgt, dass diese Möglichkeit nicht mehr besteht. Bleibt uns also nur noch Selbstmord.« Er deutete auf ein riesiges Gemälde in einem dunklen Rahmen, auf dem ein halbnackter Soldat seinem besiegten General seinen Degen hinhielt, offenbar in der Absicht, ihn jenes letzte Opfer vollbringen zu lassen, das die Ehre verlangte. Das war es, wohin Ehre einen Mann brachte. »Die mächtige Klinge in meine entblößte Brust zu stoßen, so wie die gefällten Helden der Vergangenheit es taten!«
Das nächste Bild zeigte einen selbstzufrieden lächelnden Weinhändler, der sich auf ein Fass stützte und ein Glas ans Licht hielt. Oh, ein Schnaps, ein Schnaps, ein Schnaps. »Oder Gift? Ein tödliches Pulver in einem Glas Wein? Ein Skorpion zwischen den Laken? Eine Natter in der Unterwäsche?« Salier grinste sie an. »Nein? Mich aufhängen? Soweit ich gehört habe, schießen Männer, wenn sie gehängt werden, noch eine letzte Ladung ab.« Er machte eine Bewegung weg von seinem Unterleib, als ob es am Sinn seiner Worte ansonsten einen Zweifel gegeben hätte. »Klingt zumindest lustiger als Gift.« Der Herzog seufzte und sah trübsinnig auf das Bildnis einer Frau, die im Bade überrascht wurde. »Tun wir aber nicht so, als hätte ich den Mut für eine solche Tat. Selbstmord, meine ich, nicht den Abschuss. Das bekomme ich trotz meines Umfangs noch immer einmal am Tag fertig. Sie auch, Cosca?«
»Wie eine verdammte Fontäne«, erwiderte Cosca affektiert, um sich nicht an Vulgarität übertreffen zu lassen.
»Aber was tun?«, überlegte Salier. »Was …«
Monza trat vor ihn. »Helfen Sie mir, Ganmark zu töten.« Cosca fühlte, wie seine Augenbrauen sich hoben. Selbst zerschlagen, verwundet und mit dem Feind vor den Toren konnte sie es nicht erwarten, wieder die Messer zu zücken. Unbarmherzigkeit, Entschlossenheit und Energie, all das besaß sie wirklich ohne Zweifel.
»Und wieso sollte ich den Wunsch verspüren, das zu tun?«
»Weil er kommt, um Ihre Sammlung zu plündern.« Sie hatte stets das Talent besessen, Menschen an der Stelle zu packen, an der sie am empfindlichsten waren. Cosca hatte das schon oft miterlebt, nicht zuletzt auch bei sich selbst. »Er kommt, um Ihre Gemälde, Ihre Skulpturen und Ihre Krüge in Kisten zu verstauen und sie nach Fontezarmo bringen zu lassen, damit sie dort Orsos Latrinen schmücken.« Ein schöner Einfall, das mit den Latrinen. »Ganmark ist ein Kunstkenner, genau wie Sie.«
»Dieser unionistische Schwanzlutscher ist ganz und gar nicht wie ich!« Zorn flammte plötzlich rot über Saliers Nacken. »Ein gemeiner Dieb und Maulheld, ein degenerierter Kerleficker, der Blut über den süßen Boden Styriens ergießt, als ob die Erde unseres Landes für seine Stiefel sonst nicht gut genug wäre! Mein Leben kann er haben, aber nicht meine Gemälde! Dafür werde ich sorgen!«
»Ich kann dafür sorgen«, zischte Monza und trat näher an den Herzog heran. »Er wird hierherkommen, wenn die Stadt fällt. Er wird hierhereilen, denn er wird Ihre Sammlung retten wollen. Wir könnten hier warten, als Soldaten getarnt. Wenn er hereinkommt«, sie schnippte mit den Fingern, »dann lassen wir Ihr Fallgitter herunter und haben ihn! Sie haben ihn. Helfen Sie mir.«
Aber der Augenblick war vorüber. Salier hatte schon wieder die Fassade schwerlidriger Gleichgültigkeit hochgezogen. »Dies sind meine beiden Lieblingsstücke, würde ich sagen«, erklärte er und deutete völlig gelassen auf zwei Ölgemälde, die deutlich aufeinander abgestimmt waren. »Parteo Gavras Studien der Frau. Sie waren stets als Paar gedacht. Seine Mutter und seine liebste Hure.«
»Mütter und Huren«, stieß Monza verächtlich hervor. »Verflucht seien die verdammten Künstler! Wir sprachen von Ganmark. Helfen Sie mir!«
Salier stieß einen müden Seufzer aus. »Ach, Monzcarro, Monzcarro. Wenn Sie meine Hilfe doch nur schon vor fünf Kriegszügen gesucht hätten, vor Föhrengrund. Vor Caprile. Sogar noch im letzten Frühjahr, bevor Sie Cantains Kopf über seinen Toren aufspießten. Selbst damals hätten wir noch Gutes tun und gemeinsam für die Freiheit kämpfen können. Selbst …«
»Vergeben Sie mir meine Offenheit, Euer Exzellenz, aber ich wurde letzte Nacht zusammengeschlagen, als sei ich ein Sack Fleisch.« Monzas Stimme brach ein wenig bei dem letzten Wort. »Sie haben mich um meine Meinung gebeten. Sie haben verloren, weil Sie zu schwach, zu weich und zu langsam sind, und nicht, weil Sie zu gut sind. Sie haben nur zu gern neben Orso gekämpft, solange Sie dieselben Ziele verfolgten, und Sie haben seine Methoden lächelnd gebilligt, solange sie Ihnen mehr Land einbrachten. Ihre Männer haben gebrandschatzt, vergewaltigt und gemordet, wenn es ihnen gefiel. Da ging es auch nicht um die Freiheit. Die offene Hand, die Sie den Bauern von Puranti hinstreckten, wollte sie lediglich zerschmettern, sonst nichts. Sie können gern den Märtyrer spielen, Salier, wenn Sie wollen, aber nicht vor mir. Mir ist schon übel.«
Cosca verzog gequält das Gesicht. Man konnte es mit der Wahrheit auch übertreiben, zumal vor den Ohren mächtiger Männer.
Die Augen des Herzogs verengten sich zu Schlitzen. »Offenheit, sagen Sie? Wenn Sie sich Orso gegenüber ebenso geäußert haben, dann ist es kein Wunder, wenn er Sie eine Felswand hinabwerfen ließ. Beinahe wünschte ich, ebenfalls einen hübschen Abgrund zur Hand zu haben. Sagen Sie mir, da Aufrichtigkeit ja offenbar gerade so in Mode ist, womit haben Sie Orso so erzürnt? Ich dachte, er hätte Sie geliebt wie eine Tochter? Weit mehr als seine eigenen Kinder, wobei jene drei ohnehin nicht besonders liebenswert sind – Fuchs, Wiesel und Mäuschen.«
Ihre geschwollene Wange zuckte. »Ich wurde bei seinem Volk zu beliebt.«
»Ja. Und?«
»Er hatte Angst, ich würde ihn vom Thron stoßen.«
»Tatsächlich? Und natürlich haben Sie niemals auf diesen Thron geschielt?«
»Nur, um ihn für Orso zu sichern.«
»Wirklich?« Salier grinste Cosca von der Seite an. »Es wäre ja wohl kaum der erste Stuhl, den Ihre treuen Klauen unter seinem früheren Besitzer weggerissen hätten, nicht wahr?«
»Ich habe nichts getan!«, bellte sie. »Außer ihm seine Schlachten zu gewinnen und ihn zum mächtigsten Mann in Styrien zu machen! Nichts!«
Der Herzog von Visserine seufzte. »Ich habe einen trägen Körper, Monzcarro, und keinen trägen Kopf, aber bitte, wie Sie meinen. Sie waren ganz und gar unschuldig. Zweifelsohne haben Sie in Caprile auch nur Kuchen ausgeteilt und niemanden abgeschlachtet. Behalten Sie Ihre Geheimnisse für sich, wenn Sie wollen. Als ob Ihnen das jetzt noch irgendetwas nützen würde.«
Cosca kniff die Augen zusammen, als sie durch einen Torbogen plötzlich in helleres Licht traten, einen hallenden Bogengang durchschritten und den gepflegten Garten erreichten, der in der Mitte von Saliers Galerie lag. Wasser sprudelte an seinem Rand in kleine Becken. Eine angenehme Brise ließ die frisch erblühten Blumen nicken, rührte an den Blättern der Formschnitthecken, zupfte kleine Blütenblätter aus den Kirschbäumen, die man zweifelsohne im heimischen Suljuk aus der Erde gerissen und sie zur Erbauung des Herzogs von Visserine hierher verschifft hatte.
Eine herrliche Skulptur ragte hoch in der Mitte eines gepflasterten Platzes auf, zweimal mannshoch oder sogar noch größer und aus einem vollkommen weißen, beinahe durchscheinenden Marmor gehauen. Ein nackter Mann, schlank wie ein Tänzer und muskulös wie ein Ringer, streckte einen Arm aus und hielt ein Bronzeschwert in der Faust, das dunkel und grünstreifig angelaufen war. Als wolle er ein mächtiges Heer bei der Erstürmung des Speisesaals anführen. Den Helm hatte er sich auf dem Kopf ein wenig zurückgeschoben, und ein Ausdruck strenger Befehlsgewalt lag auf seinen vollkommenen Zügen.
»Der Krieger«, murmelte Cosca, als der Schatten der großen Klinge über seine Augen fiel und das grelle Sonnenlicht auf der Schneide flimmerte.
»Ja, von Bonatine, dem größten aller styrischen Bildhauer, und diese, seine vielleicht beste Arbeit, schuf er zur Blütezeit des Neuen Kaiserreichs. Sie stand ursprünglich auf den Stufen des Senatshauses in Borletta. Mein Vater nahm sie als Entschädigung nach dem Sommerkrieg an sich.«
»Er hat einen Krieg geführt?« Monzas gesprungene Lippen kräuselten sich. »Für das da?«
»Nur einen kleinen. Aber es hat sich gelohnt. Wunderschön, nicht wahr?«
»Wunderschön«, log Cosca. Für einen Hungernden ist Brot wunderschön. Für einen Obdachlosen ein Dach. Für den Trunkenbold ist Wein wunderschön. Nur jene, denen es an nichts fehlt, müssen Schönheit in einem Steinbrocken suchen.
»Als Inspiration diente Stolicus, wenn ich richtig liege, wie er den berühmten Sturmangriff in der Schlacht von Darmium befahl.«
Monza hob eine Augenbraue. »Er führte einen Angriff, so? Man sollte glauben, dass man sich dafür besser ein Paar Hosen anziehen sollte.«
»Das nennt sich künstlerische Freiheit«, erklärte Salier barsch. »Es ist eine Fantasie, da kann man tun und lassen, was einem gefällt.«
Cosca runzelte die Stirn. »Tatsächlich? Ich war immer der Meinung, dass ein Mann die Dinge besser auf den Punkt bringt, wenn er sich nahe an der Wahrheit hält …«
Eilige Stiefelschritte schnitten ihm das Wort ab, als ein nervös wirkender Offizier in den Garten stürmte, das Gesicht schweißüberströmt und mit einer breiten Schlammspur an der linken Seite seiner Jacke. Er fiel auf dem Pflaster auf ein Knie und senkte den Kopf.
»Euer Exzellenz.«
Salier sah ihn nicht einmal an. »Sagen Sie, was Sie zu sagen haben.«
»Es hat wieder einen Angriff gegeben.«
»So kurz nach dem Frühstück?« Der Herzog legte, sichtlich unangenehm berührt, eine Hand auf seinen Bauch. »Ein typischer Unionist, dieser Ganmark. Hat für die Mahlzeiten ebenso wenig Respekt wie Sie, Murcatto. Mit welchem Ergebnis?«
»Die Talineser haben eine zweite Bresche geschlagen, zum Hafen hin. Wir haben sie zurückgetrieben, dabei aber schwere Verluste erlitten. Wir sind in der Unterzahl –«
»Natürlich, das sind Sie. Befehlen Sie den Männern, die Stellung so lange wie möglich zu halten.«
Der Oberst fuhr sich mit der Zunge über die Lippen. »Und dann …?«
»Das wäre alles.« Salier löste den Blick nicht von der großen Statue.
»Euer Exzellenz.« Der Mann bewegte sich rückwärts zur Tür, zweifelsohne einem heldenhaften, sinnlosen Tod an der einen oder anderen Bresche entgegen. Die besonders heldenhaften Tode waren stets auch die sinnlosesten, wie Cosca immer wieder festgestellt hatte.
»Visserine wird bald schon fallen.« Salier schnalzte mit der Zunge, als er zum großen Bildnis des Stolicus hinaufsah. »Wie fürchterlich … deprimierend. Wenn ich doch mehr wie er gewesen wäre.«
»Mit weniger Umfang?«, raunte Cosca.
»Kriegerischer, dachte ich eigentlich, aber wenn wir schon Wünsche äußern, wieso nicht auch weniger Umfang? Ich danke Ihnen für Ihren … beinahe unangenehm ehrlichen Rat, Generalin Murcatto. Vielleicht bleiben mir noch einige Tage, um meine Entscheidung zu fällen.« Um auf Kosten von vielen hundert Leben das Unvermeidliche noch ein wenig aufzuschieben. »In der Zwischenzeit hoffe ich, dass Sie uns Gesellschaft leisten werden. Sie beide und auch Ihre drei Freunde.«
»Als Ihre Gäste«, fragte Monza, »oder als Ihre Gefangenen?«
»Sie haben gesehen, wie meine Gefangenen behandelt werden. Was wäre Ihre Wahl?«
Cosca holte tief Luft und kratzte sich langsam am Hals. Eine Wahl, die mehr oder weniger naheliegend war.