ABSEITS
Freundlichs Messer blitzte und glänzte, zwanzig Strich in eine und zwanzig in die andere Richtung, und berührte den Wetzstein mit schärfendem Kuss. Es gab kaum etwas Schlimmeres als ein stumpfes Messer und kaum etwas Besseres als ein scharfes, und daher lächelte er, als er die Schneide prüfte und die kalte Kante an seiner Fingerspitze fühlte. Die Klinge war bereit.
»Cardottis Haus der Sinnesfreunden war früher ein Kaufmannspalast«, sagte Vitari gerade, und ihre Stimme klang kühl und ruhig. »Aus Holz gebaut, wie die meisten Häuser in Sipani, umschließt es zu drei Seiten einen Innenhof. Auf seiner Rückseite fließt der Achte Kanal.«
Sie hatten einen langen Tisch in die Küche des Lagerhauses gestellt, und alle sechs saßen nun drum herum. Murcatto und Espe, Day und Morveer, Cosca und Vitari. Auf dem Tisch befand sich das Modell eines großen Holzhauses, das zu drei Seiten einen Innenhof umgab. Freundlich vermutete, dass es ein Sechsunddreißigstel der Größe des echten Hauses der Sinnesfreuden hatte, obwohl es schwer war, das genau zu sagen, und er war gern sehr genau.
Vitaris Fingerspitze fuhr an den Fenstern auf einer Seite des winzigen Gebäudes entlang. »Im Erdgeschoss befinden sich Kontore und Küchen, ein Saal fürs Spreurauchen und ein weiterer für Karten und Würfel.« Freundlich fasste unwillkürlich an seine Hemdtasche und spürte beruhigt, wie sich seine eigenen Würfel gegen seine Rippen schmiegten. »Zwei Treppen in den hinteren Gebäudeteilen. Im ersten Stock gibt es dreizehn Räume, in denen die Gäste unterhalten werden können …«
»In denen sie ficken können«, sagte Cosca. »Wir sind hier doch alle erwachsen, da können wir die Dinge auch beim Namen nennen.« Seine blutunterlaufenen Augen wanderten zu den beiden Weinflaschen, die auf dem Regal standen, und dann wieder zurück. Freundlich fiel auf, dass sie das ziemlich oft taten.
Vitaris Finger tanzte nun zum Dach des Modells. »Dann gibt es hier oben drei große Suiten, in denen die angesehensten Gäste … ficken können. Es heißt, die Königssuite in der Mitte wäre auch für einen Kaiser gut genug.«
»Dann ist zu vermuten, dass Ario sie für sich beanspruchen wird«, knurrte Murcatto.
Die Gruppe war von fünf auf sieben angewachsen, und daher schnitt Freundlich jeden der beiden Brotlaibe in vierzehn Scheiben. Die Klinge fasste knirschend in die Kruste und wirbelte kleine Wölkchen Mehlstaub auf. Insgesamt würden sie achtundzwanzig Scheiben haben, vier für jeden. Murcatto würde weniger essen, aber Day würde das wieder ausgleichen. Freundlich konnte es nicht mit ansehen, wenn eine Scheibe Brot ungegessen übrig blieb.
»Nach dem, was Eider sagte, werden Ario und Foscar drei oder vier Dutzend Gäste haben, von denen einige zwar durchaus gerüstet sind, aber nicht gern kämpfen, und außerdem sechs Leibwächter.«
»Sagt sie die Wahrheit?« Espes schwerer Akzent.
»Es mag sich durch Zufall etwas ändern, aber sie lügt uns nicht an.«
»So viele in Schach halten … wir brauchen mehr Kämpfer.«
»Mörder«, unterbrach Cosca. »Auch da sage ich: Nennen wir die Dinge beim Namen.«
Dreiundzwanzig. Eine interessante Zahl. Hitze strahlte seitlich an Freundlichs Gesicht, als er die Verriegelung des alten Herds löste und die Tür knarrend aufklappte. Dreiundzwanzig konnte man durch keine andere Zahl teilen, nur durch eins. Keine Teile, keine Brüche. Keine Halbheiten. Ganz ähnlich wie Murcatto. Er zog den großen Topf hervor, ein Tuch um die Hände gewickelt. Zahlen logen nicht. Im Gegensatz zu Menschen.
»Wie bekommen wir zwanzig Mann hinein, ohne dass es auffällt?«
»Es ist doch ein Fest«, erklärte Vitari. »Es wird Gaukler und Musiker geben, die für Unterhaltung sorgen. Und wir werden sie auswählen.«
»Gaukler?«
»Wir sind hier in Sipani. Jeder Zweite hier in der Stadt ist Gaukler oder Mörder. Da sollte es doch nicht zu schwer sein, Leute zu finden, die beides sind.«
Freundlich stand bei diesen Planungen abseits, aber das störte ihn nicht. Sajaam hatte ihm gesagt, dass er das tun solle, was Murcatto ihm befahl, und das war alles. Er hatte schon vor langer Zeit gelernt, dass das Leben viel leichter war, wenn man alles ignorierte, was nicht direkt vor einem lag. Und im Augenblick war seine ganze Aufmerksamkeit auf die Fleischsuppe gerichtet.
Er tauchte mit dem Holzlöffel ein wenig ein und probierte, und sie schmeckte gut. In seiner Bewertung eine einundvierzig von fünfzig. Der Essensgeruch, der aufsteigende Dampf, das Knistern der Scheite im Herd brachten angenehme Erinnerungen an die Küchen in der Sicherheit zurück. An die Eintöpfe und Suppen und an den Haferbrei, den sie in den großen Kesseln dort zu kochen pflegten. Vor langer Zeit, als sich noch das unendliche Gewicht beruhigender Mauern über seinem Kopf befand, die Zahlen zum richtigen Ergebnis führten und alle Dinge einen Sinn zu haben schienen.
»Ario wird eine Zeit lang trinken wollen«, sagte Murcatto gerade, »trinken und spielen und vor seinen Idioten den großen Mann markieren. Dann wird man ihn zur Königssuite hinaufbringen.«
Cosca verzog die gesprungenen Lippen zu einem Grinsen. »Wo dann Frauen auf ihn warten werden, nehme ich an?«
»Eine schwarzhaarige und eine rothaarige.« Murcatto tauschte einen harten Blick mit Vitari.
»Eine Überraschung, die eines Kaisers würdig wäre«, kicherte Cosca feucht.
»Wenn Ario tot ist, und das wird schnell gehen, ziehen wir eine Tür weiter und statten Foscar denselben Besuch ab.« Murcatto senkte ihren harten Blick nun auf Morveer. »Sie werden Wächter mit nach oben nehmen, die alles im Auge behalten sollen, während sie beschäftigt sind. Mit denen können Sie und Day sich beschäftigen.«
»Können wir das?« Der Giftmischer hörte kurz damit auf, mit gehässigem Gesichtsausdruck seine Fingernägel zu mustern. »Eine angemessene Aufgabe für unsere Talente, davon bin ich überzeugt.«
»Versuchen Sie dieses Mal bitte, nicht die halbe Stadt zu vergiften. Wir sollten in der Lage sein, die Brüder zu töten, ohne ungewollte Aufmerksamkeit zu erregen, aber wenn etwas Unerwartetes geschehen sollte, müssen die Gaukler eingreifen.«
Der alte Söldner stupste das Modell mit bebendem Finger an. »Erst müssen sie den Innenhof einnehmen, dann die Spiel- und Rauchsäle, und von dort aus müssen sie die Treppen sichern. Die Gäste entwaffnen und zusammentreiben. Höflich natürlich und immer mit größtem Anstand. Immer den Überblick behalten.«
»Überblick.« Murcattos behandschuhter Finger tippte auf die Tischplatte. »Das ist das Wort, das fest in eure winzigen Köpfe eingebrannt sein sollte. Wir töten Ario, wir töten Foscar. Falls die anderen Ärger machen, dann tut ihr, was getan werden muss, aber versucht, die Zahl der Morde möglichst gering zu halten. Wir alle werden anschließend genug Probleme haben, auch ohne dass es ein Blutbad gibt. Habt ihr das alle verstanden?«
Cosca räusperte sich. »Ein Gläschen würde mir vielleicht dabei helfen, das alles zu verinnerlichen …«
»Ich hab’s begriffen.« Espe übertönte ihn. »Überblick und so wenig Blut wie möglich.«
»Zwei Morde.« Freundlich stellte den Topf mitten auf den Tisch. »Einer und noch einer, und mehr nicht. Essen.« Damit schöpfte er Suppe in die Schüsseln.
Gerne hätte er sichergestellt, dass alle gleich viele Stücke Fleisch bekamen. Und auch dieselbe Anzahl Karotten- und Zwiebelstücke, dieselbe Anzahl Bohnen. Aber bis er sie alle gezählt hätte, würde das Essen kalt sein, und er hatte bereits öfters gemerkt, dass die meisten Leute dieses Ausmaß an Präzision eher anstrengend fanden. Es hatte einmal zu einer Schlägerei in der Messe der Sicherheit geführt, und Freundlich hatte zwei Männer getötet und einem anderen die Hand abgeschlagen. Jetzt hatte er nicht den Wunsch, jemanden zu töten. Er hatte Hunger. Also gab er sich damit zufrieden, jedem gleich viele Kellen auszuteilen und das Gefühl tiefen Unbehagens zu ignorieren, das an ihm nagte.
»Das ist lecker«, schmatzte Day mit vollem Mund. »Das ist einfach hervorragend. Gibt es noch mehr?«
»Wo hast du so zu kochen gelernt, mein Freund?«, erkundigte sich Cosca.
»Ich habe drei Jahre in den Küchen der Sicherheit verbracht. Der Mann, der mir alles beibrachte, war zuvor der oberste Koch des Herzogs von Borletta.«
»Wieso war der im Gefängnis?«
»Er hatte seine Frau umgebracht, eine Suppe aus ihr zubereitet und sie aufgegessen.«
Um den Tisch breitete sich Schweigen aus. Cosca räusperte sich geräuschvoll. »In dieser Fleischsuppe ist aber keine Frau, hoffe ich doch?«
»Der Metzger sagte, es sei Lamm, und ich hatte keinen Grund, daran zu zweifeln.« Freundlich hob seine Gabel. »Menschenfleisch würde auch niemand so billig verkaufen.«
Wieder herrschte ein so unbehagliches Schweigen, wie Freundlich es öfter heraufbeschwor, wenn er mehr als drei Worte auf einmal sagte. Dann stieß Cosca ein gurgelndes Lachen aus. »Hängt von den Umständen ab. Erinnert mich daran, wie wir diese Kinder gefunden haben, weißt du noch, Monza, nach der Belagerung von Muris?« Ihr finsterer Blick wurde sogar noch härter als sonst, aber Cosca ließ sich nicht aufhalten. »Wir fanden also diese Kinder, und wir wollten sie an ein paar Sklavenhändler verkaufen, aber du dachtest, wir könnten sie auch …«
»Natürlich!« Morveer kreischte beinahe. »Wie köstlich! Was könnte wohl lustiger sein, als Waisenkinder in die Sklaverei zu verkaufen?«
Neuerliches Schweigen, während der Giftmischer und der Söldner tödliche Blicke tauschten. Freundlich hatte in der Sicherheit öfter beobachtet, wie sich Männer auf diese Art und Weise ansahen. Wenn neues Blut hereinkam und Gefangene zwangsweise eine Zelle miteinander teilen mussten. Manchmal erwischte ein Mann den anderen einfach auf dem falschen Fuß. Und sie hassten sich vom ersten Augenblick an. Zu unterschiedlich. Oder zu ähnlich. Hier draußen war so etwas natürlich nicht so leicht vorherzusagen. Aber in der Sicherheit wusste man, wenn sich zwei Männer auf diese Weise ansahen, dass über kurz oder lang Blut fließen würde.
Ein Schnaps, ein Schnaps, ein Schnaps. Coscas Augen glitten von der selbstgefälligen Laus Morveer zum vollen Weinglas des Giftmischers, über die Gläser der anderen, dann wieder zu seinem eigenen, ekelerregenden Becher mit Wasser und schließlich zu der Weinflasche auf dem Tisch, die seinen Blick wie mit glühenden Zangen auf sich zog. Ein schneller Sprung, und er konnte sie an sich reißen. Wie viel würde er schlucken können, bevor sie ihm die Pulle aus den Händen rissen? Wenige Männer konnten schneller trinken als er, wenn die Umstände es erforderten …
Dann sah er, dass Freundlich ihn beobachtete, und es lag etwas in den traurigen, flachen Augen des Sträflings, das ihn zum Nachdenken brachte. Er war Nicomo Cosca, verdammt noch mal! Oder zumindest war er es einmal gewesen. Städte hatten vor ihm gezittert und so weiter. Er hatte zu viele Jahre damit verbracht, nicht weiter als bis zum nächsten Schluck zu denken. Es war an der Zeit, weiter vorauszuschauen. Zumindest bis zum Schluck nach dem nächsten. Aber eine solche Läuterung war nicht so einfach.
Er konnte beinahe fühlen, wie der Schweiß aus seinen Poren drang. Sein Kopf pochte und dröhnte vor Schmerz. Er kratzte sich den juckenden Hals, aber der juckte daraufhin nur noch mehr. Sein Lächeln sah aus wie das eines Schädels, das wusste er, und er redete viel zu viel. Aber entweder lächelte er und redete, oder er würde schreien, bis sein verdammter Kopf explodierte.
»… hast mir bei der Belagerung von Muris das Leben gerettet, nicht wahr, Monza? Bei Muris war das, oder?« Er konnte inzwischen nicht einmal selbst mehr sagen, wieso er bei diesem Thema angelangt war. »Dieser Drecksack kam aus dem Nichts auf mich zu! Ein schneller Stoß!« Beinahe hätte er seinen Wasserbecher mit einer ungelenken Geste umgeworfen. »Und sie hat ihn durchbohrt! Mitten durchs Herz, das schwöre ich. Hat mir das Leben gerettet. Bei Muris. Hat mir … das Leben … gerettet …«
Und beinahe wünschte er sich jetzt, sie hätte ihn sterben lassen. Die Küche schien sich zu drehen und in eine Schieflage zu geraten wie eine Schiffskajüte im tödlichen Sturm. Fast erwartete er zu sehen, wie der Wein aus den Gläsern kippte, die Fleischsuppe aus den Schüsseln lief und die Teller von dem hin und her schwankenden Tisch rutschten. Natürlich wusste er, dass der Sturm lediglich in seinem Kopf stattfand, aber dennoch merkte er, dass er sich an den Möbeln festkrallte, wenn der Raum sich besonders heftig zu bewegen schien.
»… wäre ja gar nicht so schlimm gewesen, wenn sie das am nächsten Tag nicht gleich wieder gemacht hätte. Ich bekam einen Pfeil in die Schulter und fiel in den verdammten Wallgraben. Hat jeder gesehen, auf beiden Seiten. Dass ich vor meinen Freunden wie ein Idiot aussah, war eine Sache, aber vor meinen Feinden …«
»Deine Erinnerung trügt.«
Cosca schielte über den Tisch hinweg zu Monza hinüber. »Tut sie das?« In der Tat musste er zugeben, dass er sich kaum noch an seinen letzten Satz erinnern konnte, von den Ereignissen, die vor einem Dutzend betrunkener Jahre bei einer Belagerung stattgefunden hatten, ganz zu schweigen.
»Das im Wallgraben war ich, und du warst derjenige, der hinuntersprang, um mich herauszuholen. Hast dein Leben riskiert und dir dabei einen Pfeil eingefangen.«
»Klingt irgendwie erstaunlich, dass ich so etwas getan haben soll.« Es fiel ihm schwer, an irgendetwas anderes zu denken als an die Gier nach einem Schluck. »Aber tatsächlich finde ich es schwer, mich an die genauen Einzelheiten zu erinnern, das muss ich zugeben. Wenn mir vielleicht gerade jemand den Wein reichen könnte, dann würde ich …«
»Das reicht.« Sie hatte denselben Gesichtsausdruck, den sie auch früher aufzusetzen pflegte, wenn sie ihn aus der einen oder anderen Taverne schleppte, nur noch zorniger, noch härter, noch enttäuschter. »Ich muss fünf Männer umbringen, und ich habe keine Zeit mehr dafür, jemanden zu retten. Schon gar nicht vor der eigenen Dummheit. Für einen Trunkenbold habe ich keine Verwendung.« Am Tisch schwiegen alle und sahen zu, wie er schwitzte.
»Ich bin kein Trunkenbold«, krächzte Cosca. »Ich mag einfach den Geschmack von Wein. So sehr, dass ich alle paar Stunden etwas davon trinken muss, weil mir sonst schrecklich übel wird.« Er klammerte sich an seine Gabel, während der Raum wieder um ihn tanzte, setzte sein schmerzvolles Lächeln wieder auf, während die anderen kicherten. Sollten sie doch ihr Lachen so lange genießen, wie sie konnten – Nicomo Cosca lachte immer zuletzt. Immer vorausgesetzt natürlich, dass ihm nicht gerade speiübel war.
Morveer fühlte sich ausgeschlossen. Von Angesicht zu Angesicht war er ein fesselnder Gesprächspartner, das musste kaum betont werden, aber in großen Gruppen war er nie besonders entspannt. Diese Szenerie erinnerte ihn auf unangenehme Weise an den Speisesaal im Waisenhaus, wo sich die größeren Kinder damit amüsiert hatten, ihn mit Essen zu bewerfen, und das war jedes Mal die entsetzliche Einleitung dazu, dass sie in seiner Gegenwart flüsterten, ihn schlugen, unter Wasser tauchten oder auf andere Weisen folterten, die sich in der nächtlichen Schwärze der Schlafsäle gut ausführen ließen.
Murcattos zwei neue Gehilfen, bei deren Einstellung man ihm nicht das geringste Mitspracherecht eingeräumt hatte, sorgten auch nicht dafür, dass er sich wohler fühlte. Schylo Vitari hatte einst als Folterknecht gedient und handelte mit Informationen. Zwar war sie darin sehr geschickt, ansonsten aber mit einer ziemlich eckigen Persönlichkeit gesegnet. Er hatte schon einmal mit ihr zusammengearbeitet und dabei keine angenehmen Erfahrungen gemacht. Morveer fand allein die Vorstellung, jemandem mit den eigenen Händen Schmerzen zuzufügen, absolut widerwärtig. Aber sie kannte Sipani wie ihre Westentasche, und daher ging er davon aus, dass er sie ertragen musste. jedenfalls für den Augenblick.
Nicomo Cosca war entschieden schlimmer. Ein bekanntermaßen zerstörerischer, verräterischer und launischer Söldner, der außer dem eigenen Profit keine Moral und keine Skrupel kannte. Ein Trinker, Verschwender und Frauenheld mit der Selbstbeherrschung eines tollwütigen Hundes. Dieser wichtigtuerische Wendehals mit seiner unglaublich überhöhten Selbsteinschätzung war das genaue Gegenteil von Morveer selbst. Und jetzt hatte die Gruppe dieses gefährlich unvorhersehbare Element nicht nur ins Vertrauen gezogen und in ihre Pläne eingeweiht, sondern schien seiner zitternden Hülle auch noch Achtung zu erweisen. Selbst Day, Morveers eigene Gehilfin, lachte über seine Witze, wenn sie nicht gerade den Mund voll hatte, was zugegebenermaßen selten vorkam.
»… ein Haufen Schurken, der rund um einen Tisch in einem verlassenen Lagerhaus hockt?«, überlegte Cosca gerade und ließ die blutunterlaufenen Augen über die Anwesenden schweifen. »Die über Masken, Verkleidungen und Waffen sprechen? Ich kann mir überhaupt nicht vorstellen, wie ein Mann von meinem Kaliber in eine solche Gesellschaft geraten ist. Man könnte beinahe glauben, dass hier im Geheimen ein Verbrechen vorbereitet wird!«
»Genau das denke ich auch«, unterbrach Morveer ihn mit schriller Stimme. »Einen solchen Fleck auf meinem Gewissen kann ich nicht dulden. Daher habe ich ein wenig Witwenblütenextrakt in Ihre Schüsseln getan. Ich hoffe, dass Sie alle Ihre letzten schmerzerfüllten Augenblicke genießen werden!«
Sechs Gesichter starrten ihn an. Es herrschte Schweigen.
»Das war natürlich nur ein Witz«, krächzte er, als er bemerkte, dass sein Versuch, das Gespräch ein wenig zu beleben, großartig nach hinten losgegangen war. Espe atmete laut und langsam aus. Murcatto fuhr sich mit der Zunge verärgert um einen Eckzahn. Day sah böse in ihre Schüssel.
»Giftmischerhumor.« Cosca starrte ihn über den Tisch hinweg an, aber die Wirkung seines Blicks litt ein wenig darunter, dass seine zitternde rechte Hand die Gabel rhythmisch gegen seine Schüssel schlagen ließ. »Eine meiner Geliebten wurde durch Gift getötet. Seitdem habe ich für Ihren Berufsstand nur Verachtung übrig. Und für alle, die ihm angehören, natürlich auch.«
»Sie können wohl kaum erwarten, dass ich für die Handlungen all jener, die meinem Beruf nachgehen, Verantwortung übernehme.« Morveer hielt es für das Beste, an dieser Stelle nicht zu erwähnen, dass er im fraglichen Fall tatsächlich persönlich verantwortlich gewesen war, denn er war es gewesen, der vor vierzehn Jahren von der Großherzogin Sefeline von Ospria beauftragt worden war, Nicomo Cosca aus dem Weg zu räumen. Es hatte ihn ausgesprochen erzürnt, dass sein Anschlag das Ziel verfehlte und stattdessen die Geliebte des Mannes getötet hatte.
»Ich zerquetsche Wespen überall, wo ich sie finde, ob sie mich schon gestochen haben oder nicht. Für mich haben Menschen wie Sie – wenn man da von Menschen sprechen kann – alle die gleiche Verachtung verdient. Ein Giftmischer ist der dreckigste Feigling, den es gibt.«
»Nur noch übertroffen vom Trinker!«, gab Morveer mit angemessen hochgezogener Oberlippe zurück. »Derartiger menschlicher Abschaum würde beinahe Mitleid hervorrufen, wäre er nicht so durch und durch widerwärtig. Kein Tier ist vorhersehbarer. Wie eine verdorbene Brieftaube auf dem Heimflug kehrt der Trinker immer zur Flasche zurück, eine Änderung seines Verhaltens ist unmöglich. Es ist der einzige Fluchtweg weg von dem Elend, das er hinter sich zurücklässt. Die nüchterne Welt ist für ihn so voller Zeugnisse seines Versagens, dass er darin erstickt. Er ist der wahre Feigling.« Damit hob er sein Glas und nahm einen langen, selbstzufriedenen Schluck Wein. Er war es nicht gewöhnt, schnell zu trinken, und wurde von starkem Brechreiz erfasst, aber er zwang sich dennoch, blass zu lächeln.
Coscas dünne Hand umklammerte den Tisch so heftig, dass die Knöchel weiß hervortraten, während er zusah, wie Morveer trank. »Wie wenig Sie mich verstehen. Ich könnte zu jeder Zeit mit dem Trinken aufhören. Und genau das habe ich bereits beschlossen. Ich werde es Ihnen beweisen.« Der Söldner hielt eine wild zuckende Hand hoch. »Wenn ich bloß ein halbes Glas bekommen könnte, um diese verdammten Krämpfe in den Griff zu bekommen!«
Die anderen lachten, die Spannung löste sich, aber Morveer hatte den tödlichen Glanz in Coscas Augen gesehen. Der alte Weinschlauch mochte so harmlos wirken wie ein Dorfdepp, aber er hatte einst zu den gefährlichsten Männern Styriens gezählt. Es wäre närrisch, einen solchen Mann zu unterschätzen, und Morveer war kein Narr. Er war nicht mehr der Waisenknabe, der nach seiner Mutter geheult hatte, als die anderen ihn traten.
Vorsicht stand immer an erster Stelle.
Monza saß ruhig da, sagte nicht mehr, als nötig war, und aß noch weniger, während ihre behandschuhte Hand ungeschickt das Messer führte. Sie schloss sich selbst aus, hier oben am Haupt des Tisches. Sie wahrte jenen Abstand, den ein General von seinen Soldaten haben muss, ein Dienstherr von seinen Handlangern und eine gesuchte Frau, wenn sie auch nur ein bisschen Verstand hatte, von allen anderen Menschen. Es fiel ihr nicht schwer. Jahrelang hatte sie diesen Abstand gewahrt und Benna das Reden überlassen, das Lachen und das Gemochtwerden. Ein Anführer kann es sich nicht leisten, gemocht zu werden. Als Frau schon gar nicht. Espe sah immer wieder zu ihr hinüber, und sie achtete sorgfältig darauf, seinen Blick nicht zu erwidern. Sie hatte sich in Westport nicht in der Gewalt gehabt und zugelassen, dass sie schwach wirkte. Das durfte nicht wieder geschehen.
»Ihr beide scheint euch ja recht gut zu kennen«, sagte Espe nun, während seine Augen zwischen ihr und Cosca hin- und herglitten. »Alte Freunde, was?«
»Eher Familie!« Der alte Söldner schwenkte die Gabel so heftig, dass er jemandem ein Auge damit hätte ausstechen können. »Wir haben als edle Mitglieder der Tausend Klingen, der berühmtesten Söldnertruppe im ganzen Weltenrund, Seite an Seite gekämpft!« Monza sah ihn bitter von der Seite an. Seine blutigen alten Geschichten erinnerten sie an Dinge, die sie getan, und an Entscheidungen, die sie getroffen hatte, aber nur zu gern in der Vergangenheit begraben hätte. »Wir sind fechtend durch ganz Styrien und zurück gezogen, als Sazine noch Generalhauptmann war. Das war eine herrliche Zeit für einen Söldner, bevor die Dinge … knifflig wurden.«
Vitari schnaubte. »Du meinst, blutig.«
»Verschiedene Worte für dieselbe Sache. Damals waren die Leute reicher und leichter einzuschüchtern, und die Mauern waren nicht so hoch. Schließlich bekam Sazine einen Pfeil in den Arm, dann verlor er den Arm, und dann starb er, und ich wurde zum nächsten Generalhauptmann gewählt.« Cosca stocherte in seiner Fleischsuppe. »Als wir den alten Wolf begruben, wurde mir klar, dass das Kämpfen viel zu harte Arbeit war und dass ich, so wie alle hochwohlgeborenen Menschen, möglichst wenig damit zu tun haben wollte.« Er lächelte Monza unruhig an. »Also teilten wir die Brigade in zwei Gruppen.«
»Du hast die Brigade geteilt.«
»Ich nahm die eine Hälfte, Monzcarro und ihr Bruder Benna nahmen die andere, und wir ließen das Gerücht verbreiten, wir hätten uns zerstritten. Dann ließen wir uns von den verfeindeten Seiten bei allen möglichen Auseinandersetzungen anheuern, und davon gab es reichlich, und dann … taten wir so, als kämpften wir.«
»Ihr habt so getan?«, fragte Espe leise.
Coscas zitternde Messer und Gabel stachen in der Luft nacheinander. »Wir marschierten wochenlang hintereinander her, plünderten währenddessen das Land, lieferten uns hin und wieder ein Scharmützel, damit es etwas zu sehen gab, und am Ende eines Feldzugs waren wir weitaus reicher als vorher, aber niemand war tot. Na ja, ein paar waren vielleicht verfault. Aber das war genauso lohnend, als wenn wir die Sache ernsthaft betrieben hätten. Wir haben sogar ein paar getürkte Schlachten stattfinden lassen, nicht wahr?«
»Ja, das haben wir.«
»Bis Monza sich von Großherzog Orso von Talins einspannen ließ und beschloss, auf getürkte Schlachten keine Lust mehr zu haben. Bis sie beschloss, einen richtigen Angriff zu führen, mit gut geschärften Säbeln, die ganz ernsthaft geschwungen wurden. Bis du beschlossen hast, es anders zu machen, nicht, Monza? Schade, dass du mir nicht erzählt hast, dass wir keinen Schaukampf mehr veranstalten würden. Ich hätte meine Jungs warnen können und sicher ein paar Leben gerettet.«
»Deine Jungs.« Sie schnaubte. »Lass uns mal nicht so tun, als hätte dir jemals irgendein anderes Leben außer deinem eigenen etwas bedeutet.«
»Es gab tatsächlich ein paar, die ich für wertvoller hielt. Es hat mir allerdings nie etwas eingebracht, ebenso wenig wie den anderen.« Cosca hielt die blutunterlaufenen Augen unverwandt auf Monza gerichtet. »Wer von deinen Leuten hat sich gegen dich gewandt? Der Getreue Carpi, oder? War dann am Ende doch nicht so treu, was?«
»Er war so treu, wie man hätte verlangen können. Bis er mir ganz zum Schluss den Dolchstoß gab.«
»Und jetzt hat zweifelsohne er den Posten des Generalhauptmanns übernommen?«
»Nach dem, was ich hörte, sitzt er tatsächlich mit seinem fetten Arsch auf dem Hauptmannsstuhl.«
»Genau wie du mit deinem mageren Hintern, nachdem ich weg vom Fenster war. Aber er hätte nichts tun können, wenn ihm die anderen Hauptmänner nicht zur Seite gestanden hätten, oder? Feine Jungs, allesamt. Der Dreckskerl Andiche. Der dicke Blutsauger Sesaria. Diese grinsende Made Victus. Waren diese drei gierigen Schweine noch bei dir?«
»Sie hatten nach wie vor ihre Schnauzen im Trog. Sie alle haben sich gegen mich verschworen, da bin ich sicher, so wie damals gegen dich. Du sagst mir nichts Neues.«
»Niemand ist dir am Ende dankbar. Weder für die Siege, die du den Leuten gibst, noch für das Geld, das du ihnen verdienst. Sie fangen an, sich zu langweilen. Und sobald etwas Besseres des Weges kommt …«
Monza verlor die Geduld. Eine Anführerin kann es sich nicht leisten, eine Schwäche zu zeigen. »Wenn du so ein guter Menschenkenner bist, dann wundert es doch, dass du nun als Trinker ohne Freunde und ohne Geld dastehst, oder, Cosca? Tu nicht so, als hätte ich dir nicht Tausende von Gelegenheiten gegeben. Du hast sie alle weggeworfen, ebenso wie die, die du von allen anderen bekommen hast. Mich interessiert nur eine Frage: Willst du auch diese hier wegwerfen? Kannst du das tun, was ich dir verdammt noch mal sage? Oder bist du entschlossen, mein Feind zu sein?«
Cosca lächelte nur traurig. »In unserem Beruf sind Feinde etwas, worauf man stolz sein kann. Wenn die Erfahrung uns beide etwas gelehrt hat, dann wohl, dass es die eigenen Freunde sind, auf die man achtgeben muss. Großes Lob an den Koch.« Er warf die Gabel in seine Schüssel, stand auf und stolzierte in beinahe gerader Linie aus der Küche. Monza sah grimmig auf die nachdenklichen Gesichter rund um den Tisch.
Fürchte niemals deine Feinde, hieß es bei Verturio, stets hingegen deine Freunde.