NICHT SCHLECHTER
Monza riss den Calvez zurück, und der Mann stieß ein pfeifendes Keuchen aus, das Gesicht vor plötzlichem Entsetzen zusammengekrampft und die Hände auf die kleine Wunde in seiner Brust gepresst. Er machte einen schwankenden Schritt nach vorn und hob sein Kurzschwert, als wöge es so schwer wie ein Amboss. Sie wich nach links aus und durchbohrte ihn von der Seite, gleich unter den Rippen. Die oft gebrauchte Klinge glitt durch seine nietenbesetzte Lederjoppe, gut einen Fuß tief hinein. Er wandte den Kopf in ihre Richtung, das Gesicht rosafarben und zitternd, die Adern traten an seinem ausgestreckten Hals hervor. Als sie den Degen aus seinem Körper zog, brach er zusammen, als sei die Waffe das Einzige gewesen, das ihn noch aufrecht gehalten hatte. Seine Augen glitten zu ihr hinüber.
»Sag meiner …«, flüsterte er.
»Was?«
»Sag … ihr …« Mühsam versuchte er, sich von den Dielenbrettern zu erheben, eine Seite des Gesichts voller Staub, dann hustete er schwarze Kotze hervor und bewegte sich nicht mehr.
Plötzlich konnte Monza ihn einordnen. Baro, so hatte er geheißen, oder Paro, jedenfalls irgendwas mit O am Ende. Ein Vetter vom alten Swolle. Er war bei Musselia dabei gewesen, nach der Belagerung, nach der Plünderung der Stadt. Er hatte über einen von Bennas Witzen gelacht, und es hatte sich ihr eingeprägt, weil sie damals gedacht hatte, dass das nicht die richtige Zeit für Späße war, nachdem sie Hermon ermordet und sein Gold gestohlen hatten. Ihr war nicht sehr zum Lachen zumute gewesen, das wusste sie noch.
»Varo?«, murmelte sie und versuchte sich zu erinnern, was das für ein Witz gewesen war. Dann hörte sie das Knarren eines Dielenbretts und sah die Bewegung gerade noch rechtzeitig, um sich fallen zu lassen. Ihr Kopf machte einen Ruck, und ihr Gesicht schlug auf den Boden. Sie kam wieder auf die Beine, der Raum drehte sich, und sie krachte gegen die Wand, steckte einen Ellenbogen aus dem Fenster und fiel beinahe hinterher. Von draußen erschollen Gebrüll und Kampfeslärm.
Ihr Kopf war voll blendendem Licht, aber trotzdem sah sie, dass etwas auf sie zukam, und sie stolperte beiseite und hörte, wie es gegen den Putz krachte. Splitter in ihrem Gesicht. Sie schrie, stolperte und kam aus dem Gleichgewicht, schlug mit dem Calvez nach einem schwarzen Schatten und sah, dass ihre Hand leer war. Sie hatte die Waffe schon fallen gelassen. Am Fenster war ein Gesicht.
»Benna?« Blut rann aus ihrem Mund.
Es war nicht die Zeit für Witze. Etwas schlug gegen ihren Rücken und trieb ihr die Luft aus den Lungen. Sie sah einen Streithammer, das stumpfe Glänzen von Metall. Sah das wild verzerrte Gesicht eines Mannes. Eine Kette schlang sich um seinen Hals und riss ihn nach oben. Der Raum beruhigte sich allmählich, das Blut rauschte in ihrem Kopf, sie versuchte aufrecht stehenzubleiben und rollte stattdessen auf den Rücken.
Vitari hatte ihn bei der Kehle, und sie rangelten in dem dunklen Raum miteinander herum. Er versuchte ihr den Ellenbogen ins Gesicht zu schlagen und zerrte mit der anderen Hand an der Kette, aber sie zog sie fester, die Augen zu kleinen, wütenden Schlitzen verengt. Monza erhob sich mühsam, kam endlich auf die Beine und trat unsicher auf sie zu. Er tastete nach dem Messer in seinem Gürtel, aber Monza erwischte es zuerst, hielt ihm den freien Arm mit der linken Hand fest, zog die Klinge mit der rechten und stach auf ihn ein.
»Uh, uh, uh.« Schlurp, kratz, wumm, sie schnauften und spuckten einander ins Gesicht, sie stieß ein abgehacktes Stöhnen aus und er ein kreischendes Grunzen, und Vitaris Knurren mischte sich in ihren hallenden, tierischen Lärm. Ganz ähnliche Geräusche, wie sie vielleicht gemacht hätten, wenn sie sich gefickt statt bekämpft hätten. Kratz, wumm, schlurp. »Uh, ah, uh.«
»Das reicht«, zischte Vitari. »Er ist erledigt.«
»Uh.« Sie ließ das Messer klappernd auf den Holzboden fallen. Ihr Arm war bis zum Ellenbogen unter ihrem Mantel klebrig nass, die behandschuhte Hand zu einer brennenden Klaue verkrampft. Sie wandte sich zur Tür, kniff die brennenden Augen gegen die Helligkeit zusammen, stieg mühsam über den Leichnam eines osprianischen Soldaten hinweg und trat durch das geborstene Holz, das noch im Türrahmen hing.
Ein Mann, dem Blut über die Wange lief, grapschte nach ihr, riss sie beinahe mit sich, als er fiel, und beschmierte ihren Mantel mit seinem Körpersaft. Ein Söldner wurde von hinten niedergestochen, während er gerade vom Hof aus ins Haus zu dringen versuchte, schlug um sich und fiel vornüber. Dann wurde der osprianische Soldat, der ihn mit seinem Speer durchbohrt hatte, von einem Pferdehuf am Kopf getroffen, sein Stahlhelm flog davon, und er kippte zur Seite wie ein gefällter Baum. Männer und Reittiere kämpften überall – ein tödlicher Sturm trampelnder Stiefel, Hufe, klappernden Metalls, geschwungener Waffen und fliegenden Drecks.
Keine zehn Schritte von ihr entfernt sah sie durch die Menge wogender Körper den Getreuen Carpi auf seinem großen Streitross, und er brüllte wie ein Verrückter. Er hatte sich nicht sehr verändert – dasselbe breite, ehrliche, vernarbte Gesicht. Die kahle Platte, der dicke weiße Schnauzbart und die weißen Stoppeln auf Kinn und Wangen. Er hatte sich einen schimmernden Brustpanzer besorgt und einen langen roten Mantel, der einem Grafen besser gestanden hätte als einem Söldner. Ein Flachbogenbolzen steckte in seiner Schulter, und sein rechter Arm hing nutzlos herab, während der andere mit einem schweren Degen auf das Haus zeigte.
Seltsam war, dass zunächst ein Gefühl von Wärme in ihr aufwallte, als sie ihn sah. Der glückliche Stich, den man fühlt, wenn man das Gesicht eines Freundes in der Menge entdeckt. Der Getreue Carpi, der fünf Angriffe für sie angeführt hatte. Der bei jedem Wetter für sie gekämpft und sie niemals im Stich gelassen hatte. Der Getreue Carpi, dem sie ihr Leben anvertraut hätte. Dem sie ihr Leben anvertraut hatte, damit er es für Coscas alten Stuhl billig verkaufen konnte. Der ihr Leben verkauft hatte, und das ihres Bruders ebenfalls.
Die Wärme hielt nicht lange an. Der leichte Schwindel verschwand gleichzeitig und hinterließ eine Prise Zorn, die in ihren Eingeweiden brannte und einen stechenden Schmerz durch ihren Kopf schickte, dort, wo die Münzen ihren Schädel zusammenhielten.
Die Söldner konnten bitter entschlossene Kämpfer sein, wenn sie keine andere Wahl hatten, aber sie plünderten lieber, als zu kämpfen, und sie waren von der ersten Salve bereits stark geschwächt und von dem Auftauchen der Soldaten, mit denen sie überhaupt nicht gerechnet hatten, erschüttert. Sie sahen Speeren entgegen, Feinden in den Gebäuden, Bogenschützen in den Fenstern und auf dem flachen Dach des Stalls, die nach Belieben nach unten schossen. Ein Reiter kreischte, als man ihn aus dem Sattel riss, sein Speer rutschte ihm aus der Hand und fiel klappernd vor Monzas Füße.
Einige seiner Kameraden wendeten die Pferde und spornten sie zur Flucht an. Einer kam bis zur Koppel. Der andere wurde heulend mit einem Degen aus dem Sattel geholt, wobei sein Fuß sich im Steigbügel verfing und er ein Tänzchen über Kopf aufführte, während sein Pferd mit den Hufen schlug. Der Getreue Carpi war kein Feigling, aber man kämpft nicht dreißig Jahre lang als Söldner, ohne schließlich zu wissen, wann man besser Fersengeld gibt. Er wendete sein Pferd und hieb einen osprianischen Soldaten nieder, der mit aufklaffendem Schädel zu Boden stürzte. Dann verschwand er um die Ecke des Bauernhauses.
Monza umklammerte den heruntergefallenen Speer mit der behandschuhten Hand, packte die Zügel des reiterlosen Pferdes mit der anderen und zog sich in den Sattel. Das plötzliche, bittere Bedürfnis, Carpi zu töten, brachte etwas von der alten Energie in ihre bleiernen Beine. Sie lenkte das Pferd zu der kleinen Trockensteinmauer und schlug ihm die Fersen in die Flanken, so dass es sprang. Ein Osprianer ließ seinen Flachbogen fallen und warf sich mit einem Aufschrei zur Seite. Sie kam auf der anderen Seite wieder auf den Boden, wurde heftig im Sattel hin und her geworfen und hätte sich beinahe selbst ins Gesicht gestochen, aber dann preschte sie in den Weizen, und die Halme schlugen um die Beine des gestohlenen Pferdes, als es sich den langen Abhang hinaufmühte. Sie nahm den Speer ungeschickt in die linke Hand, die Zügel nun in die Rechte, beugte sich tief hinab und trieb das Pferd mit hastigen Tritten weiter an. Sie sah, dass Carpi die Kuppe des Hügels erreicht hatte, ein schwarzer Umriss vor dem hellen östlichen Himmel, dann wandte er sein Pferd um und galoppierte davon.
Sie preschte aus dem Weizen und über ein Feld, das mit dornigem Gebüsch durchsetzt war. Nun ging es abwärts, und Dreckklumpen spritzten von der weichen Erde, als sie ihr Ross zu vollem Galopp anspornte. Nicht allzu weit vor ihr ließ Carpi sein Pferd über eine Hecke springen; die kleinen Zweige schlugen gegen die Hufe des Tiers. Es kam auf der anderen Seite schlecht wieder auf, und Carpi streckte unwillkürlich die Arme aus, um das Gleichgewicht im Sattel zu halten. Monza wählte eine bessere Stelle, meisterte die Hecke leicht und holte immer weiter auf. Sie hielt die Augen nach vorn gerichtet, immer nur nach vorn. Sie dachte nicht an die Geschwindigkeit, an die Gefahr oder den Schmerz in ihrer Hand. In ihrem Kopf gab es nun nur noch den Getreuen Carpi und sein Pferd und den überwältigenden Wunsch, ihren Speer in dem einen oder dem anderen zu versenken.
Sie galoppierten über ein unbestelltes Feld, die Hufe schlugen hart auf die dicke Erdkruste, und sie hielten auf eine Vertiefung im Boden zu, die wie ein Bachlauf aussah. Ein weiß getünchtes Gebäude schimmerte dort hell in der Morgensonne, offenbar eine Mühle, soweit Monza das erkennen konnte, während die Welt um sie herum bebte, schwankte, an ihr vorbeieilte. Sie beugte sich tiefer über den Hals des Pferdes, packte den Speer, den sie sich unter den Arm geklemmt hatte, und der Wind fuhr ihr in die zusammengekniffenen Augen. Mit aller Willenskraft arbeitete sie sich näher an den Getreuen Carpi heran. So wie es aussah, hatte sich sein Pferd bei dem missglückten Sprung leicht verletzt, denn sie kam nun näher an ihn heran, und zwar immer schneller.
Nur noch drei Längen lagen zwischen ihnen, dann zwei, und ihr flog die Erde ins Gesicht, die sein Streitross mit den Hufen hochschleuderte. Nun richtete sie sich im Sattel auf, holte mit dem Speer aus, und die Sonne schimmerte kurz auf der geschmiedeten Spitze. Sie erhaschte einen Blick auf das vertraute Gesicht, als er den Kopf herumriss, um über seine Schulter zu blicken; eine graue Augenbraue war blutverschmiert, und blutige Spuren durchzogen seine unrasierte Wange, weil er aus einer Wunde an der Stirn blutete. Sie hörte ihn knurren, als er dem Pferd hart die Sporen gab, aber sein Ross war ein schweres Tier, das besser für einen Angriff denn für die Flucht geeignet war. Der auf und nieder wippende Kopf ihres eigenen Reittiers kam langsam näher und näher an den flatternden Schweif vor ihm, und der Boden flog braun und verschwommen unter ihnen dahin.
Sie schrie, als sie die Speerspitze in den Pferdekörper stach. Das Pferd zuckte, bäumte sich auf, riss den Kopf herum, rollte wild mit einem Auge und hatte Schaum vor den gebleckten Zähnen. Der Getreue wurde im Sattel herumgeschleudert, und ein Fuß rutschte aus dem Steigbügel. Das Streitross stürmte kurz noch weiter voran, dann gab sein verwundetes Bein nach, und es brach ganz plötzlich zusammen, schoss nach vorn, der Kopf knickte unter dem nachfolgenden Gewicht ein, die Hufe schlugen, Schlamm spritzte. Sie hörte Carpi aufschreien, als sie vorüberflog, hörte den Aufschlag hinter ihr, als sich sein Pferd auf dem schlammigen Feld überschlug.
Mit der rechten Hand zügelte sie ihr eigenes Tier, das schnaubte und den Kopf herumwarf und dessen Beine nach dem harten Ritt zitterten. Sie sah, wie sich Carpi trunken vom Boden erhob und sich in dem langen roten Mantel verfing, der von oben bis unten mit Dreck bespritzt war. Es überraschte sie, dass er noch lebte, aber sie war darüber nicht unglücklich. Gobba, Mauthis, Ario, Ganmark, sie alle hatten ihre Rolle bei dem gespielt, was Orso ihr angetan hatte, ihr und ihrem Bruder, und sie hatten dafür bezahlt. Aber keiner von ihnen war ihr Freund gewesen. Der Getreue war an ihrer Seite geritten. Hatte mit ihr gegessen. Hatte aus ihrer Feldflasche getrunken. Gelächelt und gelächelt und dann zugeschlagen, als ihm der Augenblick günstig erschien, um ihren Platz einzunehmen.
Sie hatte die Absicht, die Sache noch etwas länger hinzuziehen.
Carpi machte mit offenem Mund einen schwankenden Schritt, die Augen im blutigen Gesicht geweitet. Er sah sie, und sie grinste, hielt den Speer erhoben und stieß einen wilden Schrei aus. Wie ein Jäger vielleicht, der den Fuchs auf freier Flur entdeckte. Er humpelte verzweifelt auf den Rand des Feldes zu, den verwundeten Arm gegen die Brust gedrückt; der Schaft des Flachbogenbolzens ragte abgebrochen aus seiner Schulter.
Das Lächeln zerrte an ihrem Gesicht, als sie näher herantrabte, so nahe, dass sie seinen keuchenden Atem hören konnte, wie er sich ohne Aussicht auf Rettung dem Bach entgegenschleppte. Der Anblick dieses verräterischen Dreckskerls, wie er um sein Leben rannte, machte sie so glücklich wie schon lange nichts mehr. Er zog sein Schwert mit der Linken aus der Scheide, humpelte verzweifelt weiter und nutzte es dabei als Krücke.
»Es dauert seine Zeit«, rief sie ihm zu, »bis man lernt, die andere Hand zu gebrauchen! Das sollte ich wohl wissen! Und so viel Zeit bleibt dir verdammt noch mal nicht mehr, Carpi!« Der Bach war jetzt nahe, aber sie würde ihn erwischen, bevor er ihn erreichte, und das wusste er.
Er wandte sich um und hob ungeschickt die Klinge. Sie riss an den Zügeln und ließ ihr Pferd zur Seite tänzeln, so dass er lediglich in die Luft schlug. Sie hob sich in den Steigbügeln, stieß mit dem Speer nach unten, traf ihn an der Schulter und riss ihm die Rüstung dort ab, zerfetzte ihm den Mantel und schleuderte ihn auf die Knie, so dass sich sein Degen in die Erde bohrte. Er stöhnte durch die zusammengebissenen Zähne, Blut rann über seinen Brustpanzer, und er mühte sich, wieder aufzustehen. Sie zog einen Fuß aus dem Steigbügel, brachte ihr Pferd näher an ihn heran und trat ihm ins Gesicht. Sein Kopf flog zurück, er kippte nach hinten und rollte die Böschung hinunter in den Bach.
Sie schleuderte den Speer mit der Spitze voran in den Boden, schwang das Bein über den Sattel und glitt vom Pferd. Einen Augenblick stand sie da und sah dem zappelnden Carpi zu, während sie ihre Beine schüttelte, um die steifen Glieder wieder zu lockern. Dann riss sie den Speer wieder an sich, atmete lange und langsam ein und suchte sich einen Weg die Böschung hinunter zum Wasser.
Etwas weiter flussabwärts stand die Mühle, deren Wasserrad sich langsam klappernd drehte. Auf der anderen Seite war das Ufer mit unbehauenen Steinen befestigt worden, die dick mit Moos überwachsen waren. Carpi war hinübergewatet, fluchte, versuchte sich dort hinaufzuziehen. Aber mit seiner schweren Rüstung, dem vollgesogenen Mantel, einem Flachbogenbolzen in einer Schulter und einer Speerwunde an der anderen war das völlig aussichtslos. Also watete er mit hängendem Kopf am Ufer entlang, bis zur Brust im Wasser, während sie ihm auf der anderen Seite des Baches folgte, grinste und den Speer im Anschlag hielt.
»Du gibst nicht auf, Carpi, das muss man dir lassen. Niemand könnte dich einen Feigling nennen. Nur einen Dummkopf. Der dämliche Carpi.« Sie zwang sich zu einem Lachen. »Ich kann es nicht glauben, dass du auf diesen Scheiß hereingefallen bist. Nach all den Jahren, in denen du meine Befehle entgegengenommen hast, hättest du mich besser kennen sollen. Hast du gedacht, ich würde irgendwo herumhocken und über mein Unglück heulen?«
Er wich im Wasser zurück, die Augen auf die Speerspitze geheftet, und atmete schwer. »Dieser scheiß Nordmann hat mich angelogen.«
»Es ist beinahe so, als könnte man heutzutage niemandem mehr trauen, was? Du hättest mich ins Herz stechen sollen, Getreuer, statt in den Bauch.«
»Herz?«, zischte er. »Du hast kein Herz!« Er schlug im Wasser nach ihr, ließ glitzernde Tropfen hochspritzen, den Dolch in der Faust. Sie stach nach ihm, fühlte, wie der Speerschaft in ihrer schmerzenden rechten Hand ruckte, als die Spitze seine Hüfte traf, und sie schleuderte ihn herum, bis er auf den Rücken fiel. Er stand schwankend wieder auf und knurrte durch die zusammengebissenen Zähne: »Immerhin bin ich besser als du, du Mörderschlampe!«
»Wenn du so viel besser bist als ich, wie kommt es, dass du jetzt der bist, der im Bach liegt, und ich die mit dem Speer, du Arschloch?« Sie ließ die feucht schimmernde Spitze leicht kreisen. »Du greifst immer wieder an, Carpi, das muss man dir lassen. Niemand könnte dich einen Feigling nennen. Nur einen scheiß Lügner. Der verräterische Carpi.«
»Ich und ein Verräter?« Langsam schleppte er sich an der Mauer entlang und auf das Mühlrad zu. »Ich? Nach all den Jahren, die ich bei dir geblieben bin? Ich wollte Cosca gegenüber loyal bleiben! Das war ich auch! Ich bin treu!« Mit seiner blutigen Hand schlug er sich auf den Brustpanzer. »Das bin ich. Das war ich. Du hast mir das genommen! Du und dein verdammter Bruder!«
»Ich habe Cosca keine Felswand heruntergestürzt, du Idiot!«
»Glaubst du, ich wollte das? Glaubst du, ich wollte irgendwas von dem, was passiert ist?« Tränen standen in den Augen des alten Söldners, als er vor ihr zurückwich. »Ich bin nicht zum Anführer geboren. Ario kam zu mir, sagte, Orso hätte erklärt, dir sei nicht mehr zu trauen. Du müsstest weg! Du seist die Vergangenheit und ich die Zukunft, und die anderen Hauptmänner seien bereits einverstanden. Und ich ging den leichten Weg. Welche Wahl hätte ich gehabt?«
Monza empfand nun keinerlei Freude mehr. Sie erinnerte sich an Orso, wie er in ihrem Zelt aufgetaucht war. Cosca ist die Vergangenheit, und ich habe beschlossen, dass Sie die Zukunft sind. Benna, der neben dem Herzog stand und lächelte. Es ist besser so. Du hast es verdient, die Befehlshaberin zu sein. Sie erinnerte sich, dass auch sie den leichteren Weg gegangen war. Welche Wahl hatte sie gehabt? »Du hättest mich warnen können, mir die Möglichkeit geben können zu …«
»So, wie du Cosca gewarnt hast? So, wie du mich gewarnt hast? Fick dich, Murcatto! Du hast den Pfad vorgegeben, und ich bin dir gefolgt! Wer eine blutige Saat ausbringt, wird eine blutige Ernte haben, und du hast in ganz Styrien deine Felder bestellt! Du hast dir das selbst zuzuschreiben! Du hast es dir selbst – gah!« Er stolperte rückwärts und fuhr sich mit den Händen an den Hals. Sein Mantel war auf dem Wasser weitergetrieben und hatte sich in den Speichen des Wasserrads verfangen. Das rote Tuch wurde immer weiter mitgeschleift und drängte ihn gnadenlos gegen das langsam drehende Holz.
»Verdammte Scheiße …« Mit seinem noch einigermaßen gesunden Arm grabschte er an den moosigen Schaufeln herum, an den verrosteten Bolzen des großen Rads, aber es ließ sich nicht aufhalten. Monza sah zu, der Mund halboffen, aber ohne Worte, und der Speer hing schlaff in ihren Händen, als Carpi unter Wasser gezogen wurde, unter das Rad. Tiefer, tiefer in das schwarze Wasser. Es schäumte und gurgelte um seine Brust, dann um seine Schultern, dann um seinen Hals.
Seine hervorquellenden Augen hoben sich zu ihr empor. »Ich bin nicht schlechter als du, Murcatto! Ich habe nur getan, was ich tun musste!« Er bemühte sich, den Mund über dem aufgewühlten Wasser zu halten. »Ich bin … nicht schlechter … als …«
Sein Gesicht verschwand.
Der Getreue Carpi, der fünf Angriffe für sie geführt hatte. Der bei jedem Wetter für sie gekämpft und sie niemals im Stich gelassen hatte. Der Getreue Carpi, dem sie ihr Leben anvertraut hatte.
Monza watete in den Bach, und das kalte Wasser strömte um ihre Beine. Sie bekam Carpis suchende Hand zu fassen und fühlte, wie seine Finger sich um die ihren schlossen. Sie zog mit zusammengebissenen Zähnen und keuchte vor Anstrengung. Dann hob sie den Speer, schlug ihn so hart sie konnte in das Getriebe des Rads, fühlte, wie der Schaft sich verkeilte. Sie schob dem alten Söldner die behandschuhte Rechte unter die Achsel, bis zum Hals im Sog das Wassers, bemühte sich, ihn herauszuziehen, spannte jeden brennenden Muskel an. Schließlich spürte sie, wie er auftauchte, wie ein Arm aus dem schäumenden Wasser kam, erst der Ellenbogen, dann die Schulter, und sie begann an der Fibel zu zerren, die den Mantel unter seinem Kinn zusammenhielt, aber die Finger im Handschuh wollten nicht. Zu kalt, zu taub, zu kaputt. Mit einem Knacken zersplitterte der Speerschaft. Das Wasserrad setzte sich wieder in Bewegung, langsam, langsam, mit knirschendem Metall und mahlenden Zahnrädchen, und zog den Getreuen wieder unter Wasser.
Der Bach floss weiter dahin. Seine Hand wurde schlaff, und dann war alles vorbei.
Fünf tot, blieben noch zwei.
Sie ließ ihn los und atmete schwer. Als seine bleichen Finger im Wasser untergingen, watete sie aus dem Bach und zog sich aufs Ufer, bis auf die Haut durchnässt. Es war keine Kraft mehr in ihr, ihre Beine schmerzten bis in die Knochen, die rechte Hand sandte ein Pochen über den Unterarm bis in die Schulter, die Wunde an ihrem Kopf brannte, und ihr Puls hämmerte wie eine Keule hinter ihren Augen. Sie brachte es gerade fertig, einen Fuß in den Steigbügel zu schieben und sich in den Sattel zu ziehen.
Als sie sich noch einmal umsah, krampften sich ihre Gedärme zusammen, und sie krümmte sich und spuckte einen Mundvoll heißer Kotze auf den schlammigen Boden, dann noch einen. Das Rad hatte den Getreuen unter sich hindurch gezogen und ließ ihn nun auf der anderen Seite wieder auftauchen, mit schlaffen Gliedern, zur Seite hängendem Kopf, weit offenen Augen und herausquellender Zunge. Um seinen Hals hingen Wasserpflanzen. Langsam, langsam hob ihn das Rad in die Luft, wie einen hingerichteten Verräter, der als abschreckendes Beispiel der Öffentlichkeit gezeigt wird.
Sie wischte sich den Mund mit dem Ärmel ab, fuhr sich mit der Zunge über die Zähne und versuchte spuckend, den bitteren Geschmack loszuwerden, während ihr dröhnender Kopf sich drehte. Wahrscheinlich hätte sie ihn von dort oben abschneiden sollen, um ihm das letzte bisschen Würde zu bewahren. Er war doch ihr Freund gewesen, oder nicht? Vielleicht kein Held, aber wer war das schon? Ein Mann, der in einem verräterischen Geschäft, in einer verräterischen Welt hatte treu bleiben wollen. Ein Mann, der treu hatte bleiben wollen und dann feststellen musste, dass Treue nicht mehr in Mode war. Wahrscheinlich hätte sie ihn ans Ufer schleppen sollen, irgendwohin, wo er zumindest still liegen konnte. Aber stattdessen wendete sie das Pferd und ritt zurück zum Gehöft.
Würde nützte schon den Lebenden recht wenig, und den Toten nützte sie gar nichts. Sie war hierhergekommen, um den Getreuen zu töten, und er war nun tot.
Jetzt hatte es keinen Zweck, deswegen zu heulen.