DER AUGENMACHER
Eine Glocke erklang, als Espe die Tür öffnete und in den Laden trat, Monza an seiner Seite. Innen war es dunkel, und Licht drang in einem staubigen Balken durch das Fenster bis auf einen Tresen aus Marmor und die schattenumlagerten Regale. An der Rückwand stand unter einer Hängelampe ein großer Sessel mit einem Lederkissen, auf das man den Kopf stützen konnte. Er hätte vielleicht einladend ausgesehen, wären da nicht die Lederriemen gewesen, mit denen man einen Menschen auf diesem Platz festschnallen konnte. Auf einem Tischchen daneben waren zahlreiche Instrumente in ordentlicher Reihe ausgebreitet. Klingen, Nadeln, Klammern, Zangen. Die Instrumente eines Feldschers.
Dieser Raum hätte ihn einst so sehr erzittern lassen, wie es seinem Namen entsprach, aber nun nicht mehr. Man hatte ihm das Auge aus seinem Gesicht gebrannt, und er hatte überlebt, um daraus eine Lehre zu ziehen. Die Welt schien kaum noch Schrecken zu bergen. Es brachte ihn zum Lächeln, wenn er daran dachte, wie furchtsam er früher gewesen war. Wie er vor nichts und allem Angst gehabt hatte. Das Lächeln zupfte an der großen Wunde unter dem Verband und ließ sein Gesicht brennen, deswegen hörte er damit auf.
Die Glocke rief einen Mann herbei, der durch eine Seitentür eintrat und sich nervös die Hände rieb. Klein und dunkelhäutig und mit besorgtem Gesicht. Besorgt, weil sie ihn vielleicht ausrauben wollten, jedenfalls war das nicht unwahrscheinlich, da Orsos Heer nicht mehr weit von der Stadt entfernt war. Jeder in Puranti wirkte besorgt und hatte Angst, das zu verlieren, was er hatte. Außer Espe selbst. Er hatte nicht viel zu verlieren.
»Mein Herr, meine Dame, wie kann ich Ihnen dienen?«
»Sind Sie Scopal?«, fragte Monza. »Der Augenmacher?«
»Der bin ich«, nickte der Mann und vollführte eine nervöse Verbeugung, »Wissenschaftler, Feldscher, Arzt, auf alle Bereiche des Sehens spezialisiert.«
Espe löste den Knoten hinter seinem Kopf. »Das ist gut.« Und er begann, den Verband abzuwickeln. »Ist nämlich so, dass ich ein Auge verloren habe.«
Das versetzte den Arzt in bessere Laune. »Oh, sagen Sie nicht verloren, mein Freund!« Er kam nun näher ans Fenster. »Sagen Sie nicht verloren, solange ich nicht die Gelegenheit hatte, mir den Schaden einmal anzusehen. Sie wären überrascht, was man heute alles machen kann! Die Wissenschaft schreitet jeden Tag mit großen Sprüngen weiter voran!«
»Ein echter Springbock, was?«
Scopal stieß ein unsicheres Glucksen aus. »Nun ja … sie ist eher elastisch. Aber tatsächlich ist es mir gelungen, Männern, die glaubten, für den Rest ihres Lebens blind zu sein, wieder ein gewisses Sehvermögen zurückzugeben. Sie haben mich einen Zauberer genannt! Stellen Sie sich das vor! Sie nannten mich … einen …«
Espe wickelte das letzte Stück Verband ab, und die Luft berührte kalt seine kribbelnde Haut, dann trat er näher und drehte die linke Seite seines Gesichts nach vorn. »Nun? Was meinen Sie? Kann die Wissenschaft einen so großen Sprung tun?«
Der Mann senkte bedauernd den Kopf. »Ich muss mich entschuldigen. Aber selbst, was einen einfachen Ersatz betrifft, habe ich große Entdeckungen gemacht, keine Angst!«
Espe trat einen halben Schritt weiter auf den Mann zu und blickte auf ihn hinab. »Sehe ich so aus, als hätte ich Angst?«
»Nicht im Geringsten natürlich, ich meinte nur … nun ja …« Scopal räusperte sich und steuerte auf seine Regale zu. »Gegenwärtig gehe ich beim Erstellen einer Okularprothese so vor …«
»Bei was, zur Hölle?«
»Bei einem falschen Auge«, erklärte Monza.
»Oh, es ist viel, viel mehr als das.« Scopal zog ein hölzernes Gestell davor. Sechs Metallbälle ruhten darauf, die silberhell glänzten. »Eine perfekte Kugel aus bestem Midderland-Stahl wird in die Augenhöhle eingesetzt, wo sie dann hoffentlich dauerhaft verbleiben kann.« Er zog ein rundes Brett herab und schob es mit großer Geste zu ihnen hinüber. Es war mit Augen bedeckt. Blauen, grünen, braunen. Sie alle hatten die Farbe und den Schimmer echter Augen, und bei einigen verlief im Weiß sogar das eine oder andere rote Äderchen. Und dennoch sahen sie ungefähr so sehr nach einem Auge aus wie ein gekochtes Ei.
Scopal deutete mit großer Selbstzufriedenheit auf seine Ware. »Eine gebogene Emailschicht wie diese hier, die mit aller Sorgfalt so bemalt wurde, dass sie genau zum anderen Auge passt, wird zwischen Metallkugel und Augenlid geschoben. Sie nutzt im Laufe der Zeit leider ab und muss von daher regelmäßig ersetzt werden, aber glauben Sie mir, das Ergebnis kann erstaunlich sein.«
Die falschen Augen starrten Espe, ohne zu blinzeln, an. »Sie sehen aus wie die Augen von Toten.«
Eine unbehagliche Pause. »Wenn sie auf ein solches Brett geklebt sind, natürlich, aber wenn sie perfekt in ein lebendes Gesicht eingepasst wurden …«
»Ist eine gute Sache, würde ich sagen. Tote lügen nicht, was? Also keine Lügen mehr.« Espe schritt zur Rückseite des Ladens, setzte sich auf den Stuhl, streckte sich aus und überkreuzte die Beine. »Dann legen Sie mal los.«
»Jetzt sofort?«
»Warum nicht?«
»Das Anpassen der Stahlkugel dauert etwa ein bis zwei Stunden. Um eine passende Emailschicht herzustellen, benötigt man mindestens vierzehn Tage …« Monza warf einen Haufen Silbermünzen auf den Ladentisch, die mit leisem Klingen auf dem Marmor auseinanderstoben. Scopal nickte unterwürfig. »Ich werde diejenige heraussuchen, die am ehesten passt, und alles andere bis morgen Abend fertig machen.« Er drehte den Docht der Lampe höher, bis sie so hell schien, dass Espe sein gesundes Auge mit einer Hand beschatten musste. »Es wird unvermeidlich sein, eine kleine Operation an der Höhlung durchzuführen.«
»Was zu machen?«
»Sie aufzuschneiden«, sagte Monza.
»Na klar doch. Die meisten Dinge im Leben, die sich wirklich lohnen, haben was mit Klingen zu tun, oder?«
Scopal sortierte die Instrumente auf dem kleinen Tischchen. »Gefolgt von einigen Stichen, dem Abtragen nutzlosen Fleisches …«
»Das verrottete Holz abschlagen? Bin ich absolut dafür. Danach kann man neu anfangen.«
»Dürfte ich vorher ein kleines Pfeifchen vorschlagen?«
»Scheiße, ja«, hörte er Monza flüstern.
»Können Sie gerne, klar«, sagte Espe. »Seit den letzten paar Wochen langweilt mich Schmerz ganz schön.«
Der Augenmacher beugte den Kopf und wuselte davon, um die Pfeife zu stopfen. »Ich erinnere mich noch daran, wie dir die Haare geschnitten wurden«, sagte Monza. »Du warst nervös wie ein Lamm vor der ersten Schur.«
»Hehe. Stimmt.«
»Und jetzt sieh dich an, jetzt kannst du es kaum erwarten, ein neues Auge angepasst zu bekommen.«
»Ein weiser Mann hat mir einmal gesagt, dass man realistisch sein muss. Komisch, wie schnell wir uns ändern können, wenn wir müssen, nicht wahr?«
Sie sah ihn stirnrunzelnd an. »Verändere dich nicht zu sehr. Ich muss los.«
»Wird dir etwa schlecht, wenn du beim Augenmachen zusehen sollst?«
»Ich muss eine Bekanntschaft erneuern.«
»Ein alter Freund?«
»Ein alter Feind.«
Espe grinste. »Liegt einem noch mehr am Herzen, was? Pass auf, dass man dich nicht umbringt, ja?« Damit lehnte er sich im Sessel zurück und zog den Riemen um seine Stirn fest. »Wir haben noch einiges an Arbeit vor uns.« Er schloss sein gesundes Auge, und das Lampenlicht drang rosa durch sein Lid.