AUSGEZAUDERT

Cosca stand vor dem Spiegel und rückte seinen schönen Spitzenkragen zurecht, drehte die fünf Ringe an seinen Fingern so, dass die Edelsteine genau nach außen zeigten, und richtete jedes Barthaar zu seiner Zufriedenheit aus. Er hatte nach Freundlichs Rechnung ungefähr eineinhalb Stunden gebraucht, um sich in Schale zu werfen. Zwölf Striche des Rasiermessers gegen den Streichriemen. Einunddreißig Bewegungen, um die Stoppeln zu rasieren. Eine winzige Scharte blieb unter seinem Kinn. Dreizehn Zupfer mit der Pinzette, um die Nasenhaare auszureißen. Fünfundvierzig Knöpfe zuzuknöpfen. Vier Verbindungen aus Haken und Ösen. Achtzehn Riemen festzuziehen und Schnallen zu schließen.

»Und jetzt ist alles fertig. Meister Freundlich, ich möchte, dass du den Posten des Ersten Feldwebels der Kompanie übernimmst.«

»Ich verstehe nichts vom Krieg.« Er wusste nur, dass Krieg Irrsinn war und ihn völlig aus der Bahn warf.

»Du musst auch nichts davon verstehen. Deine Rolle umfasst, in meiner Nähe zu bleiben – schweigsam, aber unheimlich –, mir, wenn nötig, zu folgen, und vor allem mir und dir den Rücken freizuhalten. Die Welt ist voller Verrat, mein Freund! Es wird sicher auch die eine oder andere blutige Aufgabe anfallen, und gelegentlich muss das Geld, das ausgegeben und eingenommen wird, gezählt und ein Inventar der Männer, Waffen und Versorgungsgüter angelegt werden, die uns zur Verfügung stehen …«

Das war in jeder Hinsicht genau das, was Freundlich für Sajaam erledigt hatte, erst in der Sicherheit, dann draußen. »Das kann ich.«

»Besser als jeder andere lebende Mann, daran würde ich niemals zweifeln! Könntest du damit anfangen, indem du diese Schnalle für mich festziehst? Verdammte Waffenschmiede. Ich bin sicher, sie haben diese Dinger nur deswegen an dieser Stelle angebracht, um mich zu ärgern.« Er deutete mit dem Daumen auf die seitliche Befestigung seines vergoldeten Brustpanzers, stellte sich aufrecht hin und hielt die Luft an, zog den Bauch ein, als Freundlich sich an der Schnalle zu schaffen machte. »Ich danke dir, mein Freund, du bist ein Fels! Ein Anker! Eine ruhende Achse, um die ich wild herumkreise. Was täte ich ohne dich?«

Freundlich verstand die Frage nicht. »Dasselbe.«

»Nein, nein. Nicht dasselbe. Obwohl wir uns noch nicht so lange kennen, habe ich das Gefühl, dass es zwischen uns … ein Übereinkommen gibt. Ein Band. Wir sind uns sehr ähnlich, du und ich.«

Freundlich hatte manchmal das Gefühl, dass ihm jedes Wort, das er sprechen sollte, jede Person, die ihm neu vorgestellt wurde, und jeder neue Ort Angst einjagte. Nur indem er alles und jedes zählte, gelang es ihm, sich vom Morgen bis zur Nacht durchzubeißen. Cosca hingegen trieb mühelos dahin wie eine Blüte im Wind. Die Art, wie er redete, lächelte, lachte und andere dazu bringen konnte, dasselbe zu tun, erschien Freundlich ebenso magisch wie diese gurkhisische Frau, Ischri, wenn sie so plötzlich aus dem Nichts auftauchte. »Wir sind uns überhaupt nicht ähnlich.«

»Du verstehst genau, was ich meine! Wir sind völlig gegensätzlich, wie Erde und Luft, und dennoch … fehlt uns beiden etwas … das andere als ganz selbstverständlich betrachten. Ein Teil jener Maschinerie, die einem Menschen dabei hilft, sich in die Gemeinschaft einzufügen. Uns beiden fehlen verschiedene Zahnrädchen zu diesem Apparat. Genug, damit wir vielleicht, wenn wir uns zusammentun, einen halbwegs anständigen Menschen ergeben könnten.«

»Einen ganzen aus zwei halben.«

»Einen außergewöhnlichen ganzen sogar! Ich war nie ein verlässlicher Mensch – nein, nein, versuche nicht, das abzustreiten.« Freundlich hatte nichts dergleichen beabsichtigt. »Aber du, mein Freund, bist standhaft, klaren Blicks und entschieden. Du bist … ehrlich genug … um mich etwas ehrlicher werden zu lassen.«

»Ich habe den größten Teil meines Lebens im Gefängnis verbracht.«

»Wo du mehr Ehrlichkeit unter Styriens gefährlichsten Sträflingen verbreitet hast als alle Richter des Landes, davon bin ich überzeugt!« Cosca klopfte Freundlich auf die Schulter. »Ehrliche Menschen sind selten, und sie werden fälschlicherweise oft als Verbrecher, Rebellen oder Verrückte angesehen. Worin bestanden schließlich deine Verbrechen, einmal davon abgesehen, dass du anders warst?«

»Beim ersten Mal war es Raub, und ich bekam sieben Jahre. Als sie mich dann wieder schnappten, gab es vierundachtzig Anklagepunkte, darunter vierzehn Morde.«

Cosca hob eine Augenbraue. »Und warst du wirklich schuldig?«

»Ja.«

Der Generalhauptmann runzelte kurz die Stirn, dann wischte er den Einwand weg. »Niemand ist vollkommen. Lassen wir die Vergangenheit hinter uns.« Er schnippte noch einmal gegen seine Feder und stülpte sich schwungvoll den Hut auf den Kopf, wie immer in einem leicht verwegenen Winkel. »Wie sehe ich aus?«

Schwarze, spitze Kniestiefel mit riesigen goldenen Sporen, die an Stierköpfe erinnerten. Ein Brustpanzer aus schwarzem Stahl mit goldenen Verzierungen. Schwarze geschlitzte Samtärmel mit Flammen aus gelber Seide und Manschetten aus sipanischer Spitze, die über die Handgelenke hingen. Ein Degen mit auffällig vergoldetem Korb und passendem Dolch, beide geradezu lächerlich tief getragen. Ein riesiger Hut, dessen gelbe Feder über die Decke zu streichen drohte. »Wie ein Lude, der einen Heeresausstatter geplündert hat.«

Coscas Gesicht verzog sich zu einem strahlenden Lächeln. »Genau das, worauf ich es angelegt hatte! Also, nun zum Geschäft, Feldwebel Freundlich!« Mit großen Schritten ging er zur Zelttür, schlug sie beiseite und trat ins helle Sonnenlicht.

Freundlich hielt sich dicht hinter ihm. Das war schließlich jetzt seine Aufgabe.

 

Der Beifall brandete in dem Augenblick auf, da er auf das große Fass stieg. Er hatte befohlen, dass jeder Offizier der Tausend Klingen bei seiner Ansprache zugegen sein sollte, und sie waren tatsächlich alle da, klatschten, jubelten, schrien und pfiffen, so laut sie konnten. Die Hauptmänner ganz vorn, die Leutnants etwas weiter hinten, die Fähnriche am Rand der Menge. Bei den meisten Kampfverbänden wären sie die besten und klügsten, die jüngsten und die hochwohlgeborenen, die tapfersten und besonders idealistischen Männer gewesen. Da es sich hier um eine Brigade von Söldnern handelte, verhielt es sich genau anders herum. Die Offiziere waren Männer, die schon am längsten dienten, die besonders Lasterhaften und Hinterhältigen, die geschicktesten Grabräuber, die am schnellsten laufen konnten und die wenigsten Illusionen besaßen; Männer, die in Verrat erfahren waren. Mit anderen Worten, Coscas ureigenste Wählerschaft.

Neben dem Fass leise klatschend standen Sesaria, Victus und Andiche, die größten und gemeinsten Schurken der ganzen Horde. Es sei denn natürlich, man zählte Cosca selbst mit. Freundlich stand nicht allzu weit hinter ihm, die Arme fest verschränkt, die Augen forschend auf die Anwesenden gerichtet.

Cosca fragte sich, ob er sie zählte, und kam zu dem Schluss, dass das mit Sicherheit der Fall war.

»Nein, nein! Nein, nein! Das ist zu viel der Ehre, Jungs! Ihr beschämt mich mit eurem Jubel!« Mit einer Handbewegung beendete er die Beifallsbekundungen, die nun erwartungsvollem Schweigen wichen. Zahllose vernarbte, pockige, sonnenverbrannte und von Krankheit gezeichnete Gesichter wandten sich ihm wartend zu. So hungrig wie eine Räuberbande. Sie waren eine.

»Tapfere Helden der Tausend Klingen!« Seine Stimme drang laut in die warme Morgenluft. »Nun, sagen wir zumindest, tapfere Männer der Tausend Klingen. Sagen wir, Männer!« Vereinzeltes Gelächter, zustimmende Rufe. »Meine Jungs, ihr alle kennt meine Handschrift! Einige von euch haben an meiner Seite gekämpft … oder zumindest an vorderster Front.« Noch mehr Gelächter. »Die anderen kennen zumindest meinen … makellosen Ruf.« Und noch mehr. »Ihr alle wisst, dass ich vor allem eines bin – einer von euch. Ein Soldat, jawohl! Ein Kämpfer durch und durch! Aber einer, der es vorzieht, seine Klinge in die Scheide zu stecken.« Mit einem leisen Räuspern rückte er sich sein Gemächt zurecht. »Und nicht, sie zu ziehen!« Und damit schlug er zu allgemeiner Heiterkeit auf den Griff seines Degens.

»Es soll nicht heißen, wir seien keine Meister und Wandergesellen des ruhmreichen Waffengewerbes! Mindestens ebenso wie jedes Schoßhündchen, das einem Edelmann zu Füßen hockt! Männer mit starken Sehnen!« Damit klopfte er auf Sesarias dicken Arm. »Männer mit scharfem Verstand!« Und er deutete auf Andiches fettiges Haupt. »Männer, die nach Ruhm dürsten!« Mit dem Daumen zeigte er auf Victus. »Es soll nicht heißen, dass wir keine Gefahren auf uns nähmen, um unseren Lohn einzufahren! Aber dabei wollen wir die Gefahren so klein wie möglich und den Lohn so groß wie möglich halten!« Neuerlicher Beifall brandete auf.

»Euer Dienstherr, der junge Prinz Foscar, war bestrebt, euch die untere Furt überschreiten zu lassen und dem Feind in direkter Schlacht zu begegnen …« Angespanntes Schweigen. »Aber ich lehnte ab! Natürlich bezahlt man euch, damit ihr kämpft, aber ich sagte ihm, ihr seiet mehr auf die Bezahlung denn auf das Kämpfen aus!« Lauter Jubel. »Wir werden uns also etwas weiter stromaufwärts nasse Füße holen und dort auf wesentlich weniger Widerstand treffen! Und was immer heute auch geschieht, wie auch immer die Dinge liegen mögen, Männer, ihr könnt euch darauf verlassen, dass ich eure … ureigensten Interessen mit aller Macht vertreten werde!« Sein Daumen rieb über die Fingerspitzen, und die Menge brüllte noch lauter.

»Ich werde euch nicht damit beleidigen, indem ich Mut, Standhaftigkeit, Treue oder Ehre von euch fordere! Schließlich weiß ich längst, dass ihr diese Eigenschaften in größtem Maße besitzt!« Allgemeines Gelächter. »Also zu euren Einheiten, ihr Offiziere der Tausend Klingen, und wartet auf meine Befehle! Möge die holde Frau Glück stets an eurer und meiner Seite sein! Sie fühlt sich schließlich stets von jenen besonders angezogen, die ihre Gaben am wenigsten verdienen! Mögen wir siegreich sein, wenn die Dunkelheit heraufzieht! Unverletzt! Und vor allem – reich!«

Es folgte lang anhaltender, dröhnender Beifall. Schilde und Waffen, gepanzert und verstärkt, wurden von zahlreichen Fehdehandschuhen in die Luft gereckt.

»Cosca!«

»Nicomo Cosca!«

»Der Generalhauptmann!«

Er sprang lächelnd von dem Fass herab, als sich die Menge allmählich auflöste, während Sesaria und Victus den Offizieren folgten, um zu ihren Regimentern zu gehen – beziehungsweise zu ihren Banden aus Opportunisten, Verbrechern und Schlägern – und sie gefechtbereit zu machen. Cosca schlenderte zur Kuppe des Hügels und sah auf das herrliche Tal, das sich unter ihm erstreckte, während noch kleine Nebelfetzen in den seitlichen Schluchten hingen. Ospria blickte von seinem Berg stolz auf dieses Szenario herab, bei Tag noch schöner denn je, mit seinen cremefarbenen, mit schwarzem Marmor verbrämten Gebäuden, den Kupferdächern, die über die Jahre grün angelaufen waren oder auf einigen kürzlich erst instand gesetzten Häusern noch rötlich in der Morgensonne schimmerten.

»Schöne Rede«, sagte Andiche. »Wenn man was für Reden übrighat.«

»Vielen Dank. Das habe ich.«

»Du hast es immer noch raus.«

»Ach, mein Freund, du hast viele Generalhauptmänner kommen und gehen sehen. Du weißt nur zu gut, dass es eine glückliche Zeit gibt, kurz nachdem ein Mann in Amt und Würden gehoben wurde, in der er in den Augen seiner Männer nichts Falsches tun oder sagen kann. Wie ein Ehemann in den Augen seiner frisch angetrauten Gattin. Aber leider ist das nicht von Dauer. Sazine, ich selbst, Murcatto, der unglückliche Getreue Carpi – für uns alle lief die Uhr mal schneller, mal langsamer ab, und wir alle endeten verraten oder tot. Das wird mir wieder so gehen. Ich werde für meinen Beifall in Zukunft härter arbeiten müssen.«

Andiche verzog den Mund zu einem zahnlückigen Grinsen. »Du könntest dich immer noch auf die gute Sache berufen.«

»Ha!« Cosca ließ sich auf dem Generalhauptmannsstuhl nieder, den man im Schattenflickwerk eines breit ausufernden Olivenbaums mit schönem Blick auf die glitzernden Furten aufgestellt hatte. »Diesen Scheiß mit der guten Sache kannst du vergessen! So was ist doch immer nur ein Vorwand. Meiner Erfahrung nach kämpfen Männer gerade dann mit besonders viel Ignoranz, Gewaltbereitschaft und selbstsüchtiger Bosheit, wenn man sie dazu angestachelt hat, es für eine gerechte Sache zu tun.« Er blinzelte gegen die aufgehende Sonne, die hell am leuchtend blauen Himmel stand. »Wie wir in den kommenden Stunden zweifelsohne feststellen werden.«

 

Rogont zog seinen Degen mit einem leisen, metallischen Klingen.

»Freie Männer Osprias! Freie Männer des Achterbunds! Edle Herzen!«

Monza wandte den Kopf und spuckte aus. Reden. Besser, man schlug schnell und hart zu, als lange Zeit damit zu verschwenden, dass man darüber quatschte. Wenn sie vor einer Schlacht die Zeit gehabt hätte, eine Rede zu halten, dann hätte sie stets befürchtet, den besten Augenblick für den Angriff verpasst zu haben, sich zurückgezogen und auf den nächsten gewartet. Ein Mann musste schon ein ziemlich übersteigertes Selbstwertgefühl haben, um zu glauben, dass seine Worte wirklich etwas ausrichten mochten.

Von daher war es keine Überraschung, dass Rogont seine große Rede gut vorbereitet hatte.

»Lange schon seid ihr mir gefolgt! Lange habt ihr auf den Tag gewartet, an dem ihr eure Standfestigkeit würdet unter Beweis stellen können! Ich danke euch für eure Geduld! Ich danke euch für euren Mut! Ich danke euch für eure Überzeugung!« Er erhob sich in den Steigbügeln und hob sein Schwert hoch über seinen Kopf. »Heute werden wir kämpfen!«

Er gab ein schönes Bild ab, das war nicht zu leugnen. Hochgewachsen, stark und gut aussehend, mit dunklen Locken, die sich leicht in der Brise regten. Seine Rüstung war mit schimmernden Juwelen besetzt und so hell poliert, dass es beinahe schmerzte, sie anzusehen. Aber seine Männer hatten sich ebenfalls mächtig ins Zeug gelegt. Die schwere Infanterie in der Mitte, wohl gerüstet unter einem Wald aus Stangenwaffen oder Langschwertern in den bewehrten Fäusten, die Schilde und die blauen Waffenröcke mit dem weißen Turm von Ospria bestickt. Die leichte Infanterie an den Flügeln; Männer in nietenbeschlagenen Lederröcken und formvollendeter Habacht-Stellung, die Piken sorgsam kerzengerade aufgerichtet. Auch Bogenschützen, Flachbogenmänner mit Stahlhelmen, Langbogenmänner mit Kapuzen. Eine Abordnung aus Affoia ganz rechts außen verdarb das prächtige Bild ein wenig, da ihre Waffen nicht zueinanderpassten und die Reihen krumm und schief verliefen, aber dennoch hatten sie sich wesentlich ordentlicher aufgestellt als alle anderen Einheiten, die Monza jemals angeführt hatte.

Dabei hatte sie die Kavallerie hinter sich noch gar nicht gesehen, die diesen perfekten Anblick noch übertraf. Eine schimmernde Linie durchzog den Schatten der äußersten Stadtmauern Osprias. Männer von edler Geburt und edler Gesinnung, Pferde angetan mit glänzenden Rossharnischen, Helme mit schmuckvollem Helmbusch, geglättete und polierte Lanzen, allesamt bereit, dem Ruhm entgegenzupreschen. Wie aus einem schlecht geschriebenen Märchenbuch.

Sie zog ein wenig Rotz hoch und spuckte wieder aus. Ihrer Erfahrung nach, und an Erfahrung mangelte es ihr nicht, pflegten die sauberen Männer zwar als Erste in die Schlacht zu stürmen, aber auch als Erste den Rückzug anzutreten.

Rogont gab sich alle Mühe, neue Gipfel der Redekunst zu erklimmen. »Wir stehen nun auf einem Schlachtfeld! Hier, wird es in späteren Jahren heißen, haben Helden gekämpft! Hier, werden die Menschen sagen, wurde das Schicksal Styriens entschieden! Hier, meine Freunde, hier, auf unserem eigenen Boden! Im Angesicht unserer Heimatstadt! Vor den uralten Wällen des stolzen Ospria!« Begeisterter Beifall seitens der Kompanien, die ihm am nächsten standen. Monza bezweifelte, dass die anderen überhaupt etwas von dem, was er sagte, hören konnten. Vermutlich konnten ihn die meisten nicht einmal sehen. Und wenn sie das doch taten, dann war es unwahrscheinlich, dass der Anblick eines kleinen Flecks in großer Entfernung irgendwie dazu beitragen würde, ihre Moral zu stärken.

»Euer Schicksal liegt in euren eigenen Händen!« Ihr Schicksal hatte in Rogonts Händen gelegen, und er hatte nicht darauf achtgegeben. Nun lag es in Coscas und Foscars, und höchstwahrscheinlich würde es einen blutigen Ausgang nehmen.

»Für die Freiheit!« Oder zumindest für eine netter aussehende Art der Tyrannei.

»Für den Ruhm!« Für einen ruhmreichen Platz im Schlamm auf dem Grund des Flusses.

Rogont riss mit der freien Hand an den Zügeln und ließ sein Schlachtross, einen hübschen Fuchs, steigen und mit den Hufen durch die Luft wirbeln. Die Wirkung dieser heldenhaften Geste wurde allerdings ein wenig dadurch geschmälert, dass im gleichen Augenblick ein paar schwere Pferdeäpfel von der Hinterseite des Tiers zu Boden fielen. Dann preschte es an den versammelten Infanterieregimentern vorbei, und jede Kompanie jubelte Rogont zu, wenn er an ihr vorüberkam, hob die Speere und brüllte laut. Es hätte ein beeindruckender Anblick sein können. Aber Monza hatte all das schon einmal gesehen, mit bösen Folgen. Eine gute Rede war kein Ausgleich dafür, dass der Feind drei zu eins in der Überzahl war.

Der große Zauderer trabte zu ihr und seinen anderen Stabsoffizieren hinüber, jenen hochdekorierten und unerfahrenen Männern, die sie im Badhaus von Puranti vorgeführt hatte und die jetzt tatsächlich einmal für eine Schlacht und nicht für eine Parade Aufstellung genommen hatten. Man konnte davon ausgehen, dass sie Monza inzwischen kein bisschen mehr ins Herz geschlossen hatten. Und man konnte davon ausgehen, dass Monza dieser Umstand herzlich egal war.

»Schöne Rede«, sagte sie. »Wenn man was für Reden übrighat.«

»Vielen Dank.« Rogont wandte sein Pferd um und lenkte es neben sie. »Das habe ich.«

»Darauf wäre ich gar nicht gekommen. Schöne Rüstung.«

»Ein Geschenk der jungen Gräfin Cotarda.« Ein Grüppchen junger Damen hatte sich im Schatten der Stadtmauer weit oben am Abhang zusammengefunden, um die Schlacht zu beobachten. Sie saßen in leuchtenden Kleidern und mit schimmernden Juwelen geschmückt im Damensattel auf ihren Reittieren, als hätten sie sich hier eingefunden, um einer Hochzeit beizuwohnen und keinem Schlachtfest. Cotarda, butter-blass und in wehender Seide, winkte schüchtern herüber, und Rogont erwiderte den Gruß leidenschaftslos. »Ich vermute, ihr Onkel hegt die Absicht, uns miteinander zu verheiraten. Immer vorausgesetzt natürlich, dass ich den heutigen Tag überlebe.«

»Junge Liebe. Das rührt mein Herz.«

»Um Ihre sentimentale Seele zu beruhigen, sie ist überhaupt nicht mein Fall. Ich mag eine Frau mit ein wenig … Biss. Aber es ist trotzdem eine schöne Rüstung. Ein unbeteiligter Beobachter könnte mich irrigerweise für einen Helden halten.«

»Ha. ›Verzweiflung knetet Helden aus dem verdorbensten Teig‹, heißt es bei Farans.«

Rogont stieß einen schweren Seufzer aus. »Wir haben nicht mehr viel Zeit, um diesen Teig richtig hart werden zu lassen.«

»Ich dachte, es sei nur ein Gerücht, dass Sie ein Problem mit dem Hartwerden hätten …« Eine der Damen aus Gräfin Cotardas Gesellschaft erschien ihr seltsam vertraut. Sie war schlichter gekleidet als die anderen, hatte einen langen Hals und wirkte sehr elegant, als sie erst den Kopf und dann ihr Pferd umwandte und gemächlich den grasbewachsenen Abhang hinabgeritten kam. Monza wurde kalt, als sie erkannte, wer es war. »Was macht die denn hier?«

»Carlot dan Eider? Sie kennen sich?«

»Ich kenne sie.« So gut man jemanden eben kannte, dem man in Sipani ins Gesicht geschlagen hatte.

»Eine alte … Freundin.« So, wie er das Wort betonte, war es mehr als nur Freundschaft. »Sie kam zu mir, weil sie sich in Lebensgefahr befand, und bat um Schutz. Unter welchen Umständen hätte ich eine solche Bitte abschlagen können?«

»Wenn sie hässlich gewesen wäre?«

Rogont zuckte mit leichtem, metallischem Rasseln die Achseln. »Ich gebe gern zu, dass ich ebenso oberflächlich bin wie die meisten anderen Menschen.«

»Noch weit oberflächlicher, Euer Exzellenz.« Eider trieb ihr Pferd zu ihnen und neigte leicht den Kopf. »Und wen sehe ich da? Die Schlächterin von Caprile! Da hielt ich Sie für eine Diebin, eine Erpresserin, Mörderin zahlloser Unschuldiger und eine Blutschänderin! Und nun sind Sie wohl auch noch Soldatin?«

»Carlot dan Eider, welch eine Überraschung! Ich dachte, das hier sei ein Schlachtfeld, aber jetzt riecht es mehr nach einem Bordell. Was von beiden ist es nur?«

Eider betrachtete mit hochgezogenen Augenbrauen die versammelten Regimenter. »Angesichts der vielen Klingen hätte ich vermutet … ein Schlachtfeld? Aber Sie kennen sich sicherlich viel besser aus. Ich habe Sie bei Cardotti gesehen, jetzt sehe ich Sie hier, mal in den Kleidern einer Hure, mal in denen einer Soldatin, aber Sie scheinen sich in beiden sehr wohlzufühlen.«

»Seltsam, wie das Leben so spielt, nicht wahr? Ich trage Hurenkleider, Sie tun Hurendienste.«

»Vielleicht sollte ich auch dazu übergehen, Kinder zu ermorden?«

»Um Himmels willen, das genügt!«, fuhr Rogont dazwischen. »Bin ich denn dazu verurteilt, stets von Frauen umgeben zu sein, die voreinander großtun müssen? Ist Ihnen beiden vielleicht aufgefallen, dass ich hier noch eine Schlacht verlieren muss? Jetzt fehlt mir nur noch, dass diese Teufelin Ischri mit ihrem Talent zum Unsichtbarmachen plötzlich aus dem Arsch meines Pferdes hervorbricht und mich zu Tode erschreckt, dann wäre das Trio komplett! Meine Tante Sefeline war genauso, sie musste auch stets beweisen, dass sie den Längsten in der Runde hatte! Wenn Sie hier lediglich große Töne spucken wollen, dann können Sie sich beide gern hinter die Stadtmauern zurückziehen und mich allein meinem Untergang entgegengehen lassen.«

Eider neigte den Kopf. »Euer Exzellenz, ich möchte mich auf keinen Fall aufdrängen. Ich wollte Ihnen lediglich Glück wünschen.«

»Sind Sie ganz sicher, dass Sie nicht doch lieber kämpfen möchten?«, fauchte Monza sie an.

»Oh, es gibt andere Arten zu kämpfen, als sich blutig im Schlamm zu wälzen, Murcatto.« Sie beugte sich aus dem Sattel herab und zischte. »Das werden Sie noch sehen!«

»Euer Exzellenz!« Ein schriller Ruf erscholl, dem schnell andere folgten, und eine Welle der Aufregung breitete sich über den Reitern aus. Einer von Rogonts Offizieren deutete über den Fluss auf die Kuppe der kleinen Anhöhe auf der anderen Seite des Tals. Dort zeichneten sich Bewegungen vor dem blassen Himmel ab. Monza trieb ihr Pferd darauf zu, zog ein geliehenes Fernglas aus der Tasche und suchte den Horizont ab.

Zuerst erschienen einige versprengte Reiter. Vorreiter, Offiziere und Standartenträger, die Banner hoch erhoben, weiße Flaggen mit dem schwarzen Kreuz von Talins, die Namen der gewonnenen Schlachten am Rand in rotem und silbernem Faden gestickt. Es half nun wenig, dass sie an einer großen Zahl dieser Siege beteiligt gewesen war. Eine breite Kolonne von Soldaten kam hinter ihnen in Sicht und marschierte stetig über den braunen Streifen Kaiserstraße auf die untere Furt zu, die Speere über die Schulter gelegt.

Das vorderste Regiment hielt etwa eine halbe Meile vom Wasser entfernt an und verteilte sich im Gelände. Weitere Kolonnen schoben sich über die Straße und stellten sich in Schlachtordnung auf. Der Plan war nicht besonders außergewöhnlich oder schlau, soweit sie erkennen konnte.

Aber sie waren ihnen zahlenmäßig überlegen. Sie brauchten nicht schlau zu sein.

»Die Talineser sind da«, brummte Rogont überflüssigerweise.

Orsos Heer. Männer, an deren Seite sie im letzten Jahr um diese Zeit noch gekämpft hatte, um sie bei Föhrengrund zum Sieg zu führen. Männer, die Ganmark befehligt hatte, bis Stolicus auf ihn fiel. Männer, die nun Foscar befehligte. Der eifrige Junge mit dem fusseligen Schnurrbart, der in den Gärten von Fontezarmo mit Benna gescherzt hatte. Der eifrige Junge, den zu töten sie geschworen hatte. Sie nagte an ihrer Unterlippe, als sie das Fernglas über die staubigen ersten Reihen gleiten ließ, während immer mehr und mehr Männer über den Hügel dahinter strömten.

»Regimenter aus Etrisani und Cesale am rechten Flügel, ein paar Baoliten am linken.« Männer in Pelzen und schweren Kettenhemden, wilde Kämpfer aus dem Bergland weit im Osten Styriens, die nun ruckartig voranmarschierten.

»Der Großteil von Orsos regulären Truppen. Aber wo sind nur Ihre Kameraden von den Tausend Klingen?«

Monza nickte zum Menzesberg, einem grünen, mit Olivenhainen bewachsenen Buckel über der oberen Furt. »Ich möchte wetten, dass sie da oben hinter der Kuppe stecken. Foscar wird die untere Furt mit seiner ganzen Kampfkraft überqueren und Ihnen keine andere Wahl lassen, als ihn direkt von vorn zu nehmen. Wenn Sie dann mit ihm beschäftigt sind, werden die Tausend Klingen die obere Furt durchschreiten und Ihre Flanke angreifen.«

»Das klingt sehr plausibel. Was raten Sie mir?«

»Sie hätten bei Föhrengrund rechtzeitig erscheinen sollen. Oder bei Musselia. Oder am Hohen Ufer.«

»Leider war ich schon damals für diese Schlachten ein wenig zu spät. Jetzt wohl erst recht.«

»Sie hätten viel früher angreifen sollen. Auf Ihr Glück vertrauen, als der Feind die Kaiserstraße von Puranti entlangkam.« Monza sah stirnrunzelnd zum Tal und auf die große Zahl von Soldaten, die sich auf beiden Seiten des Flusses befand. »Sie sind in der Unterzahl.«

»Aber ich halte die bessere Stellung.«

»Um sie zu bekommen, haben Sie auf den Vorteil verzichtet, als Erster zuzuschlagen. Das Überraschungsmoment aufgegeben. Sich in eine Falle hineinbegeben. Der General mit der kleinsten Truppe ist stets gut beraten, in der Offensive zu bleiben.«

»Das hat Stolicus gesagt, oder? Ich hätte nie gedacht, dass Sie es so mit Büchern haben.«

»Ich kenne mein Geschäft, Rogont, und auch die Bücher, die dazugehören.«

»Ich bin Ihnen überaus dankbar, dass Sie und Ihr Freund Stolicus mir meine Misserfolge so schön erläutert haben. Vielleicht würde mir jetzt einer von Ihnen netterweise auch noch sagen, wie ich einen Sieg erringen kann?«

Monza ließ die Augen über die Landschaft gleiten, nahm die Neigungswinkel der Hänge in Augenschein, maß die Entfernungen vom Menzesberg zur oberen Furt, von der oberen zur unteren, von den gestreiften Stadtmauern bis zum Fluss. Die Stellung schien auf den ersten Blick mehr Vorteile zu bieten, als tatsächlich der Fall war. Rogont musste zu viel Gelände absichern und hatte dafür nicht genug Männer.

»Sie können jetzt nur noch das Offensichtliche tun. All Ihre Bogenschützen auf die Talineser ansetzen, wenn sie die Furt überqueren, und dann die Fußtruppen angreifen lassen, sobald die ersten Reihen des Feindes das hiesige Ufer erreichen. Halten Sie die Kavallerie hier zurück, damit sie sich mit den Tausend Klingen beschäftigen kann, sobald die sich zeigen. Hoffen Sie darauf, Foscar schnell zu besiegen, noch bevor er die Furt überwunden hat, denn dann können Sie sich anschließend gegen die Söldner wenden. Aber Foscar besiegen …« Sie betrachtete die große Truppe, die sich in Linien aufstellte, die so breit waren wie die gesamte Furt, während die Kaiserstraße unaufhörlich weitere Kolonnen ausspuckte, die sich zu ihnen gesellten. »Wenn Orso dächte, dass Sie eine Aussicht auf einen Sieg hätten, dann hätte er einen erfahreneren und weniger wertvollen Befehlshaber eingesetzt. Foscar ist Ihnen mehr als zwei zu eins überlegen, und er braucht nichts weiter zu tun, als Sie hier aufzuhalten.« Sie sah zur Anhöhe hinauf. Die gurkhisischen Priester saßen ganz in der Nähe der styrischen Damen, um sich das Schauspiel anzusehen, die weißen Gewänder hell in der Sonne, die dunklen Gesichter grimmig. »Wenn Ihnen der Prophet ein Wunder schicken wollte, dann wäre es jetzt der beste Augenblick dazu.«

»Leider hat er nur Geld geschickt. Und schöne Worte.«

Monza schnaubte. »Sie werden mehr als schöne Worte brauchen, um heute zu gewinnen.«

»Wir werden mehr brauchen«, verbesserte er. »Da Sie ja nun einmal an meiner Seite kämpfen. Wieso tun Sie das überhaupt?«

Weil sie zu müde und zu krank war, um noch allein kämpfen zu können. »Offenbar kann ich einem schönen Mann, der in Schwierigkeiten geraten ist, nicht widerstehen. Als Sie noch alle Trümpfe in der Hand hatten, kämpfte ich für Orso. Und nun sehen Sie mich an.«

»Sehen Sie uns beide an.« Er atmete tief durch und stieß dann einen frohen Seufzer aus.

»Worüber sind Sie denn jetzt plötzlich so glücklich?«

»Fänden Sie es besser, wenn ich verzweifelt wäre?« Rogont lächelte sie an, anziehend und dem Untergang geweiht. Vielleicht gehörte beides zusammen. »Um der Wahrheit die Ehre zu geben, ich bin erleichtert, dass die Warterei vorüber ist, ganz gleich, wie unsere Chancen stehen. Wer große Verantwortung trägt, muss sich in Geduld üben, aber das war nie nach meinem Geschmack.«

»Sie stehen in einem ganz anderen Ruf.«

»Die Menschen sind komplizierter als ihr Ruf, Generalin Murcatto. Das sollten Sie doch wissen. Heute werden wir diese Angelegenheit beenden. Kein Zaudern mehr.« Er lenkte sein Pferd davon, um sich mit einem seiner Adjutanten zu beraten, und ließ Monza allein, die vornübergebeugt, die Arme schlaff auf dem Sattelknauf, mit zusammengekniffenen Augen zum Menzesberg hinüberblickte.

Sie fragte sich, ob Nicomo Cosca dort war und durch sein Fernrohr zu ihr hinabsah.

 

Cosca spähte durch sein Fernrohr zu der großen Menge Soldaten auf der anderen Seite des Flusses hinab. Der Feind. Dabei hegte er gegen diese Leute nicht den geringsten persönlichen Groll. Das Schlachtfeld war nicht der richtige Ort für Hass. Blaue Flaggen mit dem weißen Turm von Ospria flatterten über den Truppen, aber eine war größer als die anderen und mit Gold bestickt. Die Standarte des Großen Zauderers höchstpersönlich. Reiter scharten sich darum und auch einige Damen, die offenbar mit aus der Stadt geritten waren, um in bestem Sonntagsstaat der Schlacht zuzusehen. Cosca glaubte, sogar einige gurkhisische Priester zu erkennen, wobei ihm allerdings nicht klar war, welches Interesse diese Männer an den Geschehnissen haben könnten. Und er stellte sich die müßige Frage, ob auch Monzcarro Murcatto sich dort befand. Die Vorstellung, wie sie im Damensattel ritt, in fließende Seide gehüllt und wie für eine Krönung ausstaffiert, brachte ihn kurz zum Schmunzeln. Das Schlachtfeld war ohnehin ganz gewiss der richtige Ort zum Lachen. Er senkte das Fernrohr, nahm einen Schluck aus seinem Flachmann und schloss glücklich die Augen, während er fühlte, wie die Sonne durch die Äste der alten Olivenbäume schimmerte.

»Und?«, ertönte Andiches raue Stimme.

»Was? Ach, du weißt schon. Sie nehmen immer noch Aufstellung.«

»Rigrat lässt ausrichten, dass die Talineser mit dem Angriff beginnen.«

»Ah! Ja, das tun sie.« Cosca beugte sich ein wenig vor und richtete sein Fernrohr auf den Bergrücken zu seiner Rechten aus. Die vordersten Reihen von Foscars Fußtruppen standen nun kurz vor dem Fluss, in ordentlichen Reihen auf der blumendurchsetzten Wiese angeordnet, und das festgetretene Bett der alten Kaiserstraße war unter den vielen Menschen völlig verschwunden. Ganz leise hörte er ihre marschierenden Schritte, die körperlosen Rufe der Offiziere, das regelmäßige Wumm, Wumm der Trommeln, das durch die warme Luft schwebte, und er bewegte die Hand im Rhythmus hin und her. »Welch ein herrlicher Anblick militärischer Pracht!«

Vorsichtig richtete er sein kleines rundes Fenster zur Welt von der Straße auf den schimmernden, träge dahinströmenden Fluss, zum anderen Ufer hinüber und den Hang hinauf. Die osprianischen Regimenter stellten sich auf, um dem Feind zu begegnen, vielleicht hundert Schritte oberhalb des Flusses. Bogenschützen machten sich in einer langen Reihe hinter den Fußtruppen bereit, knieten sich hin, spannten ihre Bogen. »Weißt du, Andiche … ich habe das Gefühl, wir werden schon bald ein wenig Blutvergießen erleben. Gib den Männern den Befehl, hierher, hinter uns aufzurücken. Bis etwa fünfzig Schritte unterhalb der Hügelkuppe.«

»Aber … dort wird man sie sehen. Wir verlieren den Vorteil der Überraschung …«

»Scheiß auf die Überraschung. Sie sollen die Schlacht sehen, und die Kämpfenden sollen sie ebenfalls sehen. Sie sollen ein Gefühl für den Kampf bekommen.«

»Aber General …«

»Gib schon den Befehl, Mann. Mach hier keinen Aufstand.«

Andiche wandte sich mit bedenklicher Miene ab und beugte sich zu einem seiner Feldwebel. Cosca lehnte sich mit zufriedenem Seufzer zurück, streckte die Beine aus und legte einen auf Hochglanz polierten Stiefel über den anderen. Gute Stiefel. Wie lange war es her, dass er so gute Stiefel getragen hatte? Die erste Reihe von Foscars Soldaten hatte den Fluss erreicht. Sie wateten mit grimmiger Entschlossenheit hinein, bis zu den Knien im kalten Wasser, und sahen wenig begeistert der beträchtlichen Anzahl von Soldaten entgegen, die auf einer erhöhten Position ihre ordentliche Stellung bezogen hatten. Sie warteten auf die Pfeile, die kommen würden. Warteten auf den Angriff. Eine wenig beneidenswerte Aufgabe, diese Furt zu überqueren. Er war wirklich sehr froh, dass es ihm gelungen war, sie abzuwälzen.

Er hob Morveers Flachmann und benetzte seine Lippen.

 

Espe hörte die entfernten Rufe, die Befehle und das Rasseln von ein paar Hundert Bolzen, die gleichzeitig abgeschossen wurden. Die erste Salve stieg von Rogonts Bogenschützen auf, schwarze Splitter flogen empor und schossen auf die Talineser herab, die gerade durch das flache Wasser wateten.

Er verlagerte ein wenig das Gewicht im Sattel und rieb sich die juckende Narbe, während er zusah, wie die beiden Linien sich verdrehten und ausfransten, wie sich Löcher auftaten und Flaggen fielen. Manche Männer wurden langsamer, wollten zurückfallen, andere gingen schneller, wollten weiter nach vorn drängen. Angst und Wut, zwei Seiten derselben Münze. Niemand marschiert gern im festen Verbund durch schwieriges Gelände, während er mit Pfeilen beschossen wird. Steigt über Leichen. Vielleicht über Freunde. Das schrecklich Beliebige daran, das Wissen, dass ein kleiner Windhauch den Unterschied zwischen einem Pfeil im Boden neben dem eigenen Fuß oder in dem eigenen Kopf bedeuten kann.

Natürlich hatte Espe schon genug Schlachten miterlebt. Sein ganzes Leben lang. Er hatte zugesehen, wie sie begannen, oder dem Kampfeslärm aus der Entfernung gelauscht, darauf gewartet, den Befehl für seinen eigenen Einsatz zu bekommen, über die Wahrscheinlichkeit seines Überlebens nachgedacht und versucht, seine Angst vor jenen, die er führte, und vor jenen, denen er folgte, zu verheimlichen. Er erinnerte sich an Schwarzenquell, wie er mit klopfendem Herzen durch den Nebel gerannt und vor jedem Schatten erschrocken war. An die Cumnur, wo er mit fünftausend anderen in Kriegsgeheul ausgebrochen und die lange Böschung hinuntergestürmt war. An Dunbrec, wo er Rudd Dreibaum bei einem Angriff gegen den Gefürchteten gefolgt und beinahe sein Leben gegeben hatte, um die Stellung zu halten. An die Schlacht auf den Hohen Höhen, als die Schanka aus dem Tal hervorbrachen, die verrückten Ostländer über die Befestigung zu klettern versuchten und er Rücken an Rücken mit dem Blutigen Neuner gekämpft hatte, immer in dem Bewusstsein: standhalten oder sterben. Erinnerungen, die so scharf hervortraten, dass er sich an ihnen hätte schneiden können – die Gerüche, die Geräusche, das Gefühl der Luft auf seiner Haut, die verzweifelte Hoffnung und der wilde Zorn.

Er sah eine neuerliche Salve emporsteigen, sah die große Masse der Talineser durch das Wasser stürmen und fühlte nichts weiter als eine gewisse Neugier. Keine Verbindung zur einen oder zur anderen Seite. Kein Bedauern für die Toten. Keine Angst um sich selbst. Er sah Männer unter dem Hagel der Geschosse zusammenbrechen, rülpste, und das leichte Brennen in seiner Kehle bereitete ihm wesentlich mehr Unbehagen, als wenn der Fluss plötzlich mit einer großen Flutwelle all diese Drecksäcke bis ins Meer davongespült hätte. Wenn die ganze Welt ersaufen würde. Ihm war der Ausgang der Schlacht scheißegal. Es war nicht sein Krieg.

Was ihn zu der Frage brachte, wieso er bereit war, dabei mitzukämpfen, noch dazu auf der Seite, die vermutlich verlieren würde.

Sein Auge zuckte vom Kampfgetümmel zu Monza. Sie schlug Rogont auf die Schulter, und Espe fühlte ein Brennen im Gesicht, als hätte er eine Ohrfeige bekommen. Jedes Mal, wenn sie miteinander sprachen, versetzte es ihm einen Stich. Der Wind wehte ihr das schwarze Haar kurz aus dem Gesicht und zeigte ihm ihr Profil, das Kinn entschlossen vorgereckt. Er wusste nicht, ob er sie liebte oder sie begehrte oder ob er einfach nur wütend darüber war, dass sie ihn nicht mehr wollte. Sie war wie eine verschorfte Wunde, an der er nicht aufhören konnte zu kratzen, wie eine gespaltene Lippe, an der er immer wieder herumkauen musste, wie ein loser Faden, an dem er immer weiter zog, bis ihm das ganze Hemd auseinanderfiel.

Unten im Tal hatte die vorderste Front der Talineser ganz andere Sorgen. Die Soldaten kämpften sich durch den Fluss und die Uferböschung hinauf, und durch die Pfeilsalven hatte sich ihre Schlachtordnung weitgehend aufgelöst. Monza rief Rogont etwas zu, und er wandte sich daraufhin an einen seiner Männer. Espe hörte die Schreie von den Hängen weiter unten. Den Angriffsbefehl. Die osprianischen Fußtruppen senkten ihre Speere, die Klingen bildeten eine schimmernde Welle, als sie alle zusammen nach unten bewegt wurden, und dann setzten sie sich in Marsch. Erst langsam, dann schneller, dann begannen sie zu laufen, entfernten sich von den Bogenschützen, die immer noch spannten und schossen, so schnell sie konnten, den langen Abhang hinunter und auf das funkelnde Wasser zu, während die Talineser versuchten, am Ufer eine halbwegs ordentliche Linie zu bilden.

Espe beobachtete, wie beide Seiten aufeinandertrafen und sich verbanden. Einen Augenblick später hörte er den Aufprall leise im Wind. Das Rasseln, Klappern, Scheppern von Metall, wie ein Hagelsturm auf einem Bleidach. Brüllen, Heulen, Schreien trieben ebenfalls wie aus dem Nichts heran. Eine neuerliche Salve traf auf die Reihen, die sich noch durch das Wasser mühten. Espe sah zu und rülpste wieder.

Rogonts Hauptquartier war so still wie der Tod, alle starrten zur Furt, die Münder und Augen weit aufgerissen, die Gesichter bleich, die Zügel vor Sorge fest umklammert. Die Talineser brachten nun ihre eigenen Flachbogen in Stellung, schickten eine Salve aus dem Wasser den Abhang hinauf, und die Bolzen flogen flach und zischend zu den Bogenschützen. Mehr als einer stürzte. Jemand fing an zu schreien. Ein verirrter Bolzen grub sich neben einem von Rogonts Offizieren in den Boden und erschreckte sein Pferd, das seinen Reiter beinahe aus dem Sattel warf. Monza trieb ihr eigenes Tier ein oder zwei Schritte vorwärts, stellte sich in den Steigbügeln auf, um besser sehen zu können, und ihre geborgte Rüstung schimmerte stumpf in der Morgensonne. Espe runzelte die Stirn.

Auf gewisse Weise war er wegen ihr hier. Um für sie zu kämpfen. Um sie zu beschützen. Um die Dinge zwischen ihnen irgendwie doch wieder hinzubiegen. Oder vielleicht auch nur, um ihr genauso wehzutun, wie sie ihn verletzt hatte. Er ballte die Hand zur Faust, bohrte die Nägel in die Handfläche, die Knöchel noch abgeschürft von dem Hieb, mit dem er dem Diener den Zahn ausgeschlagen hatte. Sie waren noch nicht fertig, so viel war ihm klar.