WESTPORT
»Menschen gewöhnen sich
an Gift in kleinen Dosen.«
VICTOR HUGO
Im ersten Jahr litten sie ständig Hunger, und Benna musste im Dorf betteln gehen, während Monza den Boden bestellte und die Wälder plünderte.
Im zweiten Jahr fiel die Ernte besser aus. Sie pflanzten auf einem Beet an der Scheune Wurzeln an und bekamen etwas Brot vom alten Müller Destort, als der Schnee hereinbrach und das Tal in einen Ort weißen Schweigens verwandelte.
Im dritten Jahr war das Wetter gut, und der Regen kam zur rechten Zeit. Monza fuhr auf dem oberen Feld eine gute Ernte ein. Eine so gute Ernte, wie selbst ihr Vater nie eine bessere gehabt hatte. Die Preise waren hoch, da es Ärger an den Grenzen gab. Sie würden Geld haben, sie konnten das Dach reparieren lassen, und Benna würde ein ordentliches Hemd bekommen. Monza sah dem Wind zu, wie er durch den Weizen wogte, und sie empfand Stolz darüber, etwas mit ihren eigenen Händen geschaffen zu haben, jenen Stolz, von dem ihr Vater immer gesprochen hatte.
Ein paar Tage, bevor das Korn gemäht werden musste, erwachte sie in der Dunkelheit und hörte Stimmen. Sie rüttelte Benna wach, der neben ihr schlief, und schob ihm die Hand über den Mund. Dann nahm sie den Degen ihres Vaters, drückte die Fensterläden auf, und zusammen stahlen sie sich aus dem Fenster in das Wäldchen, wo sie sich in den Brombeeren hinter einem Baumstamm versteckten.
Schwarze Gestalten waren vor dem Haus zu sehen, und Fackeln flackerten in der Dunkelheit.
»Wer ist das?«
»Pssst.«
Sie hörte, wie sie die Tür aufbrachen, durch das Haus und dann durch die Scheune trampelten.
»Was wollen sie?«
»Pssst.«
Sie verteilten sich auf dem Feld und senkten ihre Fackeln, und das Feuer fraß sich durch den Weizen, bis er in hellen Flammen stand. Sie hörte jemanden jubeln. Ein anderer lachte.
Benna sah mit starrem Blick zum Feld, das Gesicht flackernd orange beleuchtet, und Tränenspuren glänzten auf seinen Wangen. »Aber wieso sollten sie … warum haben sie …«
»Pssst.«
Monza sah zu, wie der Rauch in die klare Nacht aufstieg. Ihre ganze Arbeit. Ihr ganzer Schweiß, ihre ganze Mühe. Sie blieb noch lange draußen, nachdem die Männer weg waren, und sah dem Korn zu, wie es brannte.
Am Morgen kamen weitere Männer. Leute aus dem Tal, mit harten Gesichtern und voller Rachedurst, angeführt vom alten Destort, der einen Säbel trug und von seinen drei Söhnen begleitet wurde.
»Dann sind sie also auch hier durchgekommen, was? Ihr habt Glück, dass ihr noch lebt. Crevi und seine Frau von weiter oben im Tal haben sie umgebracht. Auch ihren Sohn.«
»Was wollt ihr tun?«
»Wir werden sie aufspüren, und dann werden wir sie hängen.«
»Wir kommen mit.«
»Ihr solltet vielleicht besser …«
»Wir kommen mit.«
Destort war nicht immer ein Müller gewesen, und er verstand sein Geschäft. Sie holten die Plünderer in der nächsten Nacht ein, die sich auf dem Rückweg nach Süden befanden und sich um einige Feuer im Wald geschart hatten, ohne eine ordentliche Wache aufzustellen. Sie waren eher gemeine Diebe als Soldaten. Auch Bauern waren unter ihnen, eben nur von der anderen Seite der Grenze, die beschlossen hatten, sich für ein paar erfundene Missetaten zu rächen, während ihre Herren ihre eigenen Streitigkeiten austrugen.
»Jeder, der nicht zum Töten bereit ist, bleibt besser hier.« Destort zog seinen Säbel, und die anderen hielten ihre Spaltbeile, Äxte und Behelfsspeere bereit.
»Warte!«, zischte Benna und klammerte sich an Monzas Arm.
»Nein.«
Sie lief leise und geduckt dahin, den Degen ihres Vaters in der Hand, und der Feuerschein tanzte durch die schwarzen Bäume. Sie hörte einen Schrei, das Aufeinanderprallen von Metall und das Surren einer Bogensehne.
Sie trat unter den Büschen hervor. Zwei Männer lagerten um ein Feuer, über dem ein kleiner Kessel dampfte. Einer hatte einen dichten Bart und hielt eine Holzfälleraxt in der Hand. Bevor er seine Waffe heben konnte, hatte Monza ihm einen Streich über die Augen verpasst, und er fiel schreiend nach hinten. Der andere wollte weglaufen, aber sie bohrte ihm die Klinge in den Rücken, bevor er einen Schritt weit gekommen war. Der Bärtige brüllte und schrie, die Hände gegen sein Gesicht gepresst. Sie stach ihn in die Brust, und er stieß noch einige feuchte Atemzüge aus, dann war er still.
Sie sah mit bitterem Blick auf die beiden Toten, während der Kampfeslärm allmählich verebbte. Benna kroch aus dem Dickicht, und er zog dem Bärtigen die Börse aus dem Gürtel und schüttelte einen großen Haufen Silbermünzen in seine Hand.
»Er hat siebzehn Waag.«
Es war das Doppelte der Summe, die ihnen die ganze Ernte eingebracht hätte. Er hielt ihr die Börse des anderen Mannes mit großen Augen hin. »Der hier hat dreißig.«
»Dreißig?« Monza sah auf das Blut auf dem Degen ihres Vaters und dachte, wie seltsam, dass sie nun eine Mörderin geworden war. Und wie seltsam leicht es gewesen war. Viel leichter, als in der steinigen Erde zu graben und sich damit den Lebensunterhalt zu verdienen. Viel, viel leichter. Anschließend wartete sie darauf, dass sie die Reue überkam. Sie wartete lange.
Sie kam nie.