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Janie und Bruce taten alles, was Sarin ihnen sagte, während er das Ritual Seite für Seite durchging. Einen nach dem anderen hatte er alle Gegenstände benutzt, die er auf dem kleinen Tisch bereitgelegt hatte, bis auf den letzten. Obwohl er seltsame Dinge tat, stellten Janie und Bruce seine übelriechenden Tränke und schrecklich anzusehenden Umschläge nicht in Frage. Gelegentlich sahen sie einander an, aber sie taten, was ihnen gesagt wurde. Janie beobachtete völlig fasziniert, wie der schwache alte Mann sich über seinen eigenen Kummer und seine Angst erhob und für seine gebrechliche Patientin eine virtuose Vorstellung gab.

Doch als die Kerzen niederbrannten und die Sonne aufging, näherte er sich dem Ende dessen, was er für Caroline tun konnte. Ihre Augen blieben offen und zwinkerten gelegentlich, doch viel mehr tat sie nicht. Es war schmerzlich sichtbar, daß ihr Zustand sich, wenn überhaupt, nicht sehr gebessert hatte.

Sarin sank wieder auf seinen Stuhl, und Janie erkannte Enttäuschung und Scham auf seinem Ge- sicht. »Es scheint nicht zu wirken«, sagte er. »Ich verstehe nicht ...«

»Aber Sie sind doch noch nicht fertig?« fragte Janie ängstlich. »Oder?«

Er war unendlich müde; sein schmerzender Körper wollte nur schlafen, und hätte Caroline nicht auf dem Bett gelegen, so hätte er sich selbst hingelegt. Süße Ruhe, dachte er träumerisch; wie gut sich das anfühlen würde! Irgendwie gelang es ihm, verneinend den Kopf zu schütteln. Dann schloß er die Augen und sagte: »Eines ist noch zu tun, aber ich muß mich einen Moment ausruhen .« Bereits während der ersten Schritte hatte er gespürt, wie die Energie aus ihm strömte, und er brauchte verzweifelt eine Erholung, wie kurz auch immer, ehe er fortfuhr. »Nur eine Minute Ruhe, dann bringen wir es zu Ende.«

Janie warf Bruce schweigend einen besorgten Blick zu; er wirkte ebenso ängstlich. Sie streckte die Hand aus, berührte Sarins Schulter und sagte: »Mr. Sarin ... ich glaube, wir sollten jetzt nicht aufhören . es ist nur noch eine Sache zu tun. Danach können Sie ausruhen, so lange Sie wollen, und Sie werden nicht gestört werden.«

Er antwortete nicht. »Mr. Sarin ...«, sagte sie und berührte ihn nochmals.

Er trieb dahin, er spürte eine sanfte Berührung, aber sie dauerte nicht an, und er entfernte sich da- von. Er war draußen auf dem Feld, lief spielerisch seiner Mutter nach, während sie in ihrer Schürze Kräuter sammelte. Die Sonne stand hoch am Himmel und schien sehr hell, denn es war Sommer, und das Leben war prachtvoll. Insekten summten träge um sie herum, und er streckte die Hände aus, um eines zu fangen, als es an ihm vorbeiflog. Fröhlich lachend schloß er die Hände um den kleinen weißen Schmetterling; dann rannte er zu seiner Mutter und sagte ihr, sie müsse aufhören und sich anschauen, was er da habe. Er öffnete die Hände, und der Schmetterling flog träge davon, als habe er seine Gefangenschaft gar nicht bemerkt. Sie lächelte und lachte und teilte sein Entzücken; sie war jung und schön und voller Liebe, und all das gehörte ihm. Sie nahm ihn in die Arme und wirbelte ihn herum und herum, seine kleinen Beinchen flogen durch die warme Luft. Er schloß die Augen, und das Licht der hellen Sonne schien durch seine dünnen Lider, ließ ihn das warme Licht spüren.

Es war das weißeste Licht, das er je gesehen hatte, das reine Licht der Freude. Er gab sich ihm ganz hin.

Janie rüttelte ihn fester. »Mr. Sarin?« fragte sie.