Null
Gerade als Janie Crowe sich halbwegs zufrieden fühlte, machte etwas klick in der Maschinerie der Welt, und alles kam zu einem schmerzhaften Stillstand.
»Es ist doch die reine Ironie, finden Sie nicht?« sagte die Frau auf dem Flugzeugsitz neben ihr; ihre Stimme war durch den kleinen Lautsprecher in ihrer Schutzmaske ins Nasale verzerrt, »daß es so etwas Einfaches war? Ich meine, denken Sie doch bloß mal an all die ungeheuerlichen Möglichkeiten. Es hätte ein Nuklearunfall sein können. Ein Komet, der auf die Erde stürzt. Irgendeine Terroristengruppe mit einer Lastwagenladung chemischer Waffen. Aber nein. Nichts so Dramatisches. Es war bloß ein dummes Bakterium.«
»Kann sein«, antwortete Janie trocken und hoffte, ihr Ton verrate ihr Desinteresse. Wann würden diesem lästigen Weib endlich die traurigen Geschichten über all die unangenehmen Dinge ausgehen, die ihr seit den Ausbrüchen zugestoßen waren? Wann würde sie endlich mit ihrem dämlichen Gejammer aufhören? Janie beschloß, falls sie sich das nach dem sogenannten »Lunch« noch weiter anhören mußte, ein paar von ihren eigenen Lieblingsanekdoten über die Ausbrüche zum besten zu geben. Im Vergleich dazu würden sich die Unannehmlichkeiten, die die Frau erlebt hatte, mit Sicherheit trivial ausnehmen.
Das Flugzeug rumpelte weiter in Richtung London über den Atlantik. Kein Krebs mehr, aber Turbulenzen haben wir noch immer, dachte Janie bei sich. Ein Steward ging langsam durch den Mittelgang, unerklärlich sicher auf den Beinen, während das Flugzeug auf und nieder hüpfte, und verteilte an alle Passagiere kleine, quadratische Schachteln mit Ersatznahrung, die dazu bestimmt war, den Hunger zu unterdrücken. Dicht dahinter folgte ein weiterer Steward und teilte etwas aus, das die Fluggesellschaften »sterile Verzehrvorrichtungen« nannten, ein medizinisch korrekter Euphemismus für das, was früher einmal Plastikstrohhalme hieß. Mit fünfundvierzig war Janie zu jung, um sich an die Zeit zu erinnern, als Strohhalme noch aus gerolltem Wachspapier hergestellt wurden; alle Strohhalme ihres Lebens waren aus Plastik gewesen. Sie war sicher, daß es eine Zeit gegeben hatte, als Strohhalme tatsächlich aus Stroh waren - und daher ihren Namen hatten. Sie schüttelte schweigend den Kopf, seufzte und dachte darüber nach, daß die Dinge sich anscheinend pausenlos veränderten - und die Veränderungen selten erfreulich waren.
Sie schaute hinüber zu ihrer plötzlich schweigenden Sitznachbarin, die ein Ende des Strohhalms durch die Gummiöffnung am unteren Rand ihrer sterilen Maske schob. Janie beobachtete, wie sie den Halm hochdrückte, bis er in Reichweite ihrer Lippen war. Dann steckte sie das andere Ende in ein kleines Gummiventil oben auf der Schachtel, das sich eng um den Halm schloß und eine luftdichte Versiegelung bildete. Die Frau begann fröhlich zu saugen und gab dabei eine Reihe ziemlich zweideutiger Geräusche von sich, die Janie durch ihren Kopfhörer hören konnte. Die Frau blickte auf, sah Janie über die Geräusche kichern und schaltete rasch ihr Mikro aus. Sie lächelte Janie ein wenig verlegen an und schaute dann wieder weg, beschäftigt mit ihrem nunmehr lautlosen Essensritual.
Gut, dachte Janie, das wird Sie für eine Weile zum Schweigen bringen. Sie wissen nicht, was Sie für ein Glück haben, Lady; wenn Sie mir weiter zugesetzt hätten, hätte ich Ihnen vielleicht von meinen eigenen Problemen erzählen müssen. Etwa, daß ich mal Chirurgin war, eine gute dazu, und daß ich eine wunderbare Familie hatte, die es jetzt nicht mehr gibt; daß ich von einer wenig mitfühlenden Bürokratie gezwungen wurde, mich umschulen zu lassen; daß ich jetzt in mittleren Jahren und ganz allein bin und wieder zur Schule gehe.
Sie stellte ihre Kopfhörer ab und nahm ihre eigene flüssige Mahlzeit in Angriff. Die Stille gab ihr das Gefühl, unter Wasser zu sein; sie konnte zwar manche Geräusche hören, aber sie waren durch die Dichte der Versiegelung gedämpft. Die tote, sterile Luft innerhalb des Schutzhelms leitete Schall nicht gut; sie schloß die Augen und stellte sich vor, sie sei in irgendeinem stillen Wald aus hohen Nadelbäumen, und die einzigen hörbaren Laute seien gelegentliches Vogelzwitschern und Insektengesumm, woran sie sich von Ausflügen in ihrer Kindheit erinnerte. Der Friede war wunderbar beruhigend.
Den Stewards erging es nicht so gut, denn sie mußten sich zwangsläufig anhören, wie sich steife Plastikflächen aneinander scheuerten, wenn die Passagiere in ihren plumpen sterilen Anzügen herumrutschten, um es sich etwas bequemer zu machen. Diese einengenden Kleidungsstücke sollten dazu dienen, alle mikroskopisch kleinen amerikanischen Tierchen eingesperrt zu halten, damit sie nicht in das einzig überlebende Stück dessen eindringen konnten, was einmal das Vereinigte Königreich gewesen war. Das Geräusch war nur geringfügig weniger entnervend als Fingernägel, die über eine Schultafel kratzten. Für die unglückseligen Stewards, die für die Bequemlichkeit und Sterilität der Passagiere zu sorgen hatten, war dieser und jeder andere Transatlantikflug immer mit einer Art merkwürdig kristallinem Geknister verbunden.
Die Flugzeugpassagiere standen in einer Schlange vor dem Zollbereich des Flughafens Heathrow. Janie schaute zum hundertsten Mal, seit die Passagiere ihres Fluges in diese Schlange getreten waren, zum Zwischengeschoß hoch und musterte eingehend den grüngekleideten Biocop, den Vertreter der Biologischen Polizei, der dort stand, sich kaum bewegte und sein chemisches Gewehr seit zwei Stunden in der gleichen Bereitschaftsstellung hielt. Es war direkt auf die wartende Schlange der ankommenden Passagiere gerichtet und rührte sich nicht von der Stelle. Während sie zuschaute, richtete der Biocop sich auf und hob die Hand an die Schläfe, um die Lautstärke seiner Kopfhörer zu verstellen. Nach ein paar Augenblicken intensiven Lauschens blickte er in Richtung einer nahen Tür, und binnen ein oder zwei Sekunden kam ein weiterer Biocop heraus, bewegte sich geräuschlos über die Laufplanke und stellte sich neben den ersten. Nach einem kurzen Wortwechsel ging dieser fort, und der neue hielt seine Waffe in die gleiche Richtung.
Janie stieß die Frau neben ihr an, dieselbe, die sie während des Fluges mit ihrem Gerede genervt hatte. Die Frau langweilte sich beim Warten derart, daß sie dazu übergegangen war, die abrollenden Schlagzeilen auf dem riesigen Fernsehbildschirm vor ihnen auswendig zu lernen. Sie wandte sich in Janies Richtung.
»Gucken Sie mal«, sagte Janie und zeigte auf das Zwischengeschoß. »Wachablösung.«
Nach drei Stunden Schlangestehen erreichte Janie endlich einen Zollbeamten, einen Mann mittleren Alters mit steinerner Miene, der nach Knoblauch roch und sich benahm, als brauche er ein starkes Mittel gegen Magensäure.
Was für ein Scheißjob, dachte Janie bei sich und überlegte kurz, daß sie mit etwas weniger Glück bei der Neuverteilung der medizinischen Berufe in einem ähnlichen Job wie dem beim Zoll hätte landen können; plötzlich wußte sie ihre Situation ein bißchen mehr zu schätzen. Wenigstens würde sie bei ihrer neuen Arbeit einen Teil ihrer ursprünglichen chirurgischen Fertigkeiten benutzen, wenn sie ihre forensische Prüfung bestanden hätte. Die Sache, um die sie sich bei dieser Reise nach London kümmern würde, würde das letzte Stück sein, das sie brauchte, bevor sie mit dem endgültigen Bewerbungsprozeß beginnen konnte, und wenn ihre Bewerbung akzeptiert würde, würde sie den Beginn eines neuen Lebens markieren, eines von allen Erinnerungen an ihr altes gereinigten Lebens. Eines nach dem anderen würden die auseinandergebrochenen Teile der Person, die Janie Crowe einst gewesen war, ersetzt durch die gesunden Teile der Person, die Janie Crowe bald sein würde. Es gab Tage, an denen sie das für eine gute Sache hielt, und Tage, an denen der Verlust jedes Bruchstücks, so kaputt es auch sein mochte, ihr vorkam, als sterbe sie ein bißchen. Sie war zu müde, um daran zu denken, als welche Art von Tag sich dieser erweisen würde.
Ihre Gruppe wurde zu einem langen Tisch gewinkt, wo ihre Koffer und Taschen zur Inspektion aufgereiht waren. Ein Beamter fragte sie: »Was ist der Zweck Ihres Besuches?«
»Ich bin hier, um wissenschaftliche Forschung zu betreiben. Eine archäologische Grabung.«
»Was ist der Zweck dieser Forschung?«
»Ich beende meine Ausbildung in forensischer Archäologie.«
»Und wie lange werden Sie auf unserer schönen Insel bleiben?« fragte er mit einem Lächeln; Janie deutete das als Herausforderung, die falsche Antwort zu geben.
Doch sie war auf die Frage vorbereitet, denn sie war von einem Beamten des US Department of Foreign Travel, der Behörde für Auslandsreisen, trainiert worden. Sie hatte ihn mit einem ordentlichen Bestechungsgeld dazu bewegt, ihr bei der nach den Ausbrüchen außerordentlich schwierig gewordenen Prozedur zu helfen, sich eine TransatlantikReisegenehmigung zu verschaffen. Sie antwortete so harmlos wie möglich.
»Etwa drei Wochen, wenn alles gutgeht.« Sie konnte sehen, wie das Lächeln auf dem Gesicht des Beamten dahinschwand. Er hatte gerade die Chance verpaßt, einen Bodyprint von einer ahnungslosen Besucherin zu machen. Er war sichtlich enttäuscht.
»Gut«, sagte er, »das ist schön. Aber wenn Sie Ihren Besuch über vier Wochen hinaus ausdehnen, müssen Sie sich beim Identitätsministerium melden, um ein Bodyprinting machen zu lassen. Wir müssen Ihnen eine Karte ausstellen, verstehen Sie, und dazu müssen wir Sie printen.«
Er reichte ihr ein kleines Büchlein und riet ihr, es zu lesen. »Das sind die Bestimmungen für internationale Besucher«, sagte er. »Sie werden für alle aufgeführten Punkte verantwortlich gemacht, also lesen Sie sie bitte sorgfältig.«
Während der Beamte den Inhalt ihrer Koffer prüfte, fragte sich Janie im stillen, ob sich das zu einer Art Quizveranstaltung über Besuchsbestimmungen auswachsen würde. Sie kicherte insgeheim, aber ihre Fröhlichkeit schwand, als sie sah, daß ihre Zahnpasta, ihr Deodorant und ihre Feuchtigkeitscreme beschlagnahmt wurden. Auch ihr Haarspray, ihr Shampoo und die Haarspülung wurden in die gelbe Plastik-Biosafe-Tüte für Quarantäne gepackt. Sie hatte die Wahl, entweder für eine kurzfristige Lagerung zu bezahlen und die Gegenstände bei der Ausreise wieder abzuholen, oder aber, sie auf biologisch ungefährliche Weise entsorgen zu lassen. Angesichts der Lagerkosten entschied sie sich für die Vernichtung.
»Ich denke, ich kaufe mir bei einem britischen Hersteller von Toilettenartikeln neue«, sagte sie zu dem Beamten.
Er lächelte höflich, aber sie konnte sehen, wie entzückt er war, als er ihr ihre teuren persönlichen Pflegeartikel wegnahm. Als er die Untersuchung ihrer Waschtasche fortsetzte, nahm er eine kleine Flasche Azetaminophen und stellte sie beiseite, vollkommen getrennt von den anderen beschlagnahmten Gegenständen.
»Was ist das Problem mit Azetaminophen?« fragte Janie.
»Hier nur auf Rezept erhältlich«, sagte er. »Aspirin und Ibuprofen auch.«
Sie sah ihn mit offenem Mund und ungläubig aufgerissenen Augen an.
»Ich mache die Politik nicht, Miss. Ich führe sie nur durch. Fragen Sie den Typen an der nächsten Station.«
Nachdem ihr persönliches Gepäck endlich durchsucht war, öffnete der Beamte die Kartons, die Janies Grabungsausrüstung enthielten. Er stocherte ein paar Minuten herum, während Janie die Luft anhielt und zusah. Dann blickte er mit einem angewiderten Ausdruck zu ihr auf, als wolle er sagen Das hat mir heute gerade noch gefehlt, und sprach in ein Walkie-talkie, das er in die Hand nahm.
»Bringt bitte den Scanner raus.«
Während sie den angehaltenen Atem ausstieß, murmelte Janie lautlos einen Strom eher unflätiger Schimpfwörter, der ausdrückte, daß sie die Sorge dieses Beamten um die Sicherheit seiner Landsleute nicht besonders hoch schätzte. Ihr leerer Magen, längst mit der flüssigen Mahlzeit fertig, die sie im Flugzeug bekommen hatte, knurrte seine Einwände gegen die zusätzliche Verzögerung.
Ein großer, transportabler Laserscanner wurde von einem grün uniformierten Polizisten aus einer nahen Tür gerollt und am Fuß des Tisches aufgestellt. Der Beamte drückte auf ein paar Knöpfe, und die Rollen begannen sich zu bewegen und führten den Scanner direkt über den Tisch mit den dort ausgebreiteten Gegenständen.
Janie sah zu und flüsterte im stillen: Bitte, laß nicht den Summer ertönen ... bitte, finde nichts ... Und gnädigerweise wurde nichts bemängelt. Keine unkatalogisierten Bakterien, keine Parasiten, keine Pilze oder Viren. Janie dachte, sie sei jetzt erlöst, aber der Prüfer beschloß, ihre Folter zu verlängern, indem er einige Fragen über die ungewöhnliche Auswahl von Werkzeugen stellte.
Er zeigte auf die Gegenstände, und sie antwortete.
Überwachungsgerät. Mikrometer. Biosichere Lagertüten. Augenschutz. Biosichere Handschuhe. Grabungsgerät.
Dabei hielt er inne, nahm die meterlange Metallröhre in die behandschuhten Hände und drehte sie, während er sie untersuchte. Es war eine vergrößerte Version des Gartenwerkzeugs, das man benutzt, um Tulpen- und Narzissenzwiebeln zu setzen, und es schien sein Interesse zu erregen. »Meine Mutter hat so eins«, kommentierte er. »Aber ein bißchen kleiner.«
Sie dachte bei sich: Ihre Mutter hat vielleicht einen Mickey Rooney. Aber ich habe einen Kareem Abdul Jabbar. Total andere Liga.
Doch sie lächelte freundlich und sagte laut: »Wie nett. Schön zu wissen, daß Leute überall auf der Welt die gleichen Interessen haben.«
Das schien ihm zu gefallen. Er lächelte zurück und sagte: »Tja, ich glaube, das ist alles. Sie können Ihre Sachen durch die Tür dort drüben bringen.« Er zeigte nach links. »Da können Sie sich in der Schlange für die medizinische Untersuchung anstellen.«
Als Janie die Kartons schloß, winkte er und sagte: »Ich hoffe, Sie haben einen angenehmen Aufenthalt.« Janie winkte zurück und drehte sich um, um zu gehen.
Während sie auf die nächste Schlange mit anderen Mitgliedern ihrer Gruppe zuging, murmelte sie unhörbar: »Ich wäre schon mit einem ereignislosen Aufenthalt zufrieden.« Aber sie wußte, daß das nicht wahrscheinlich war.
Bald wartete sie wieder, doch diesmal schien die Schlange schneller voranzukommen. Janie schaute auf die Uhr, während sie völlig übermüdet vorwärtsrückte. Mehr als vierundzwanzig Stunden . dachte sie; ich möchte mich bloß hinlegen. Sie schaute nach vorn, um die Leute vor ihr in der Schlange herum, und sah mit schläfrigen Augen müde zu, wie ein Reisender nach dem anderen dem Prüfer seine Papiere reichte und dann das rechte Handgelenk ausstreckte. Der behandschuhte Prüfer führte das Handgelenk schnell unter ein helles blaues Licht, um es zu desinfizieren, und legte dann die ganze Hand in eine Öffnung auf der Vorderseite eines kleinen Computers, der Janie an einen altmodischen Geldautomaten erinnerte. Nostalgisch dachte sie an den, der in der Halle ihres Wohngebäudes in der medizinischen Fakultät gestanden hatte. Bei dieser Maschine hatte sie viele wunderbare Gespräche geführt. Schwätzchen rund um den Geldautomaten.
Nach jeder Untersuchung eines internationalen Reisenden pflegte die Heathrower Compudoc- Maschine dem heimatlichen Konto des Benutzers die Kosten der Prozedur in Rechnung zu stellen. Sein amerikanisches Konto zeigte die Abbuchung binnen eines Tages nach seiner Ankunft in London, und Janie war dankbar, daß der schwankende Wechselkurs im Augenblick günstig stand. Während sie wartete, fiel ihr auf, daß es mehrere Maschinen, aber nur einen Untersucher gab. Die Schlange war sehr lang; alle Reisenden, die die zahlreichen Schalter der Zollkontrolle passiert hatten, reihten sich nun in diese einzige Schlange ein. Das erinnerte sie an den Sumner Tunnel in Boston. Oder an einen Blutpfropf, bei dem sich rings um ein Hindernis die Blutplättchen stauten.
»Sie scheinen heute einen Engpaß zu haben«, sagte sie zu der Frau hinter ihr, die zustimmend nickte und gähnte.
Endlich war Janie an der Reihe. Der Untersucher sagte: »Paß oder Karte, bitte.«
Da sie noch keine Karte besaß, reichte sie ihm ihren Paß. Er blätterte ihn durch und fragte: »Was ist der Zweck Ihres Besuches, Miss Crowe?«
Janies Schultern sanken müde herab; sie dachte:
Hatten wir das nicht schon? Doch anstatt den Mann mit Protesten wegen der Wiederholung zu reizen, gab Janie ihm die Antworten einfach noch einmal.
Er tippte einen Teil der Informationen aus ihrem Paß in einen Computer ein, und auf dem Bildschirm erschien fast augenblicklich ihre Gesund- heits- und Reisegeschichte. »Und wie lange werden Sie bei uns bleiben?«
Vor Hunger, Erschöpfung und wachsender Ungeduld wäre Janie beinahe explodiert, aber sie zwang sich, ruhig zu bleiben. Spiel einfach mit, Crowe, ermahnte sie sich, du bist fast am Ziel. Es gelang ihr, sich zu beherrschen, und wieder gab sie dem Untersucher höflich die Information, die er wünschte.
»Danke, Miss«, sagte der Mann. »Würden Sie mir bitte Ihr Handgelenk reichen?«
Sie knöpfte den Ärmel ihrer Bluse auf und streckte das rechte Handgelenk aus. Das desinfizierende Licht war überraschend kühl; aus irgendeinem Grund hatte Janie erwartet, es werde sich warm anfühlen. Es war fast eine angenehme Empfindung; endlich nahm der Mann ihren Arm und legte ihn in die Öffnung der Maschine. In diesem Moment empfand sie die natürliche Angst des Chirurgen vor einer Verletzung der Hände und mußte tief atmen, um nicht in Panik zu geraten und den rm wegzuziehen. Eine flexible metallische Klammer schloß sich um ihr Handgelenk und paßte sich automatisch dessen Form und Größe an. Nachdem die Klammer sich geschlossen hatte, drückte der Prüfer auf ein paar Knöpfe.
»Gleich erledigt«, sagte er, und Janie spannte sich an, als sie die Vibration des Stroms durch ihr Fleisch dringen spürte. Nach einer Sekunde war es vorbei, und der Mann sagte: »Dauert nur einen Moment, bis das Ergebnis kommt.«
Sie fing an, sich wieder zu entspannen. Die Maschine hatte noch immer ihr Handgelenk, aber es wurde jetzt keinen Tests und Ablesungen mehr unterzogen.
Lautlos erschien ein Papierstreifen aus einem Schlitz am Boden der Frontabdeckung der Maschine. Der Prüfer riß ihn ab und musterte ihn kurz. Er lächelte und sagte: »Gesund wie ein Pferd. Alle wesentlichen Immunisierungen, keine infektiösen Krankheiten.« Dann grinste er boshaft und fügte hinzu: »Und Sie sind nicht schwanger.«
Sie erwiderte seinen Blick, als die Klammer um ihr Handgelenk sich automatisch löste. Arschloch, dachte sie. Du weißt verdammt genau, daß ich sterilisiert bin. Es steht da auf diesem Bildschirm.
»Der Nächste«, sagte er, und die Frau hinter ihr trat vor.
Während sie ihren Blusenärmel wieder zuknöpf- te, beobachtete Janie, wie der Mann seinen kleinen Trick mit der anderen Frau durchführte, und als er sie für immunisiert, frei von Infektionskrankheiten und nicht schwanger erklärte, sah Jamie das »Dr. med.« vor seinem Namen auf seiner Identitätsplakette. Bitte, lieber Gott, betete sie im stillen, laß es nie soweit kommen. Ich würde eher sterben, als das mit mir machen zu lassen. Als er mit der Frau fertig war, fiel Janie ein, ihn nach Aspirin zu fragen, wie der vorige Untersucher vorgeschlagen hatte.
Er lachte sarkastisch und sagte: »Na, irgendwie müssen die Pharmahersteller ja ihr Geld verdienen, nicht? Mit Antibiotika geht es nicht mehr, also haben sie die Machthaber davon überzeugt, daß diese über die Theke verkauften Schmerzmittel nicht so harmlos sind, wie einmal behauptet wurde. Und ein ganzes Bündel neuer Vorschriften gekriegt. Und natürlich sind sie jetzt alle teurer, weil die Hersteller ja die Kosten der Verhandlungen mit den Gesetzgebern wieder reinholen müssen. Das ist Bürokratie für jedermann. Sie werden sich ein Rezept besorgen müssen, wenn Sie Aspirin brauchen.«
Er stempelte die Einreisepapiere der Frau und gab sie ihr zurück. »Sie sind alle abgefertigt«, sagte er. »Folgen Sie der gelben Markierung zum Ausgang.«
Janies Passagiergruppe entfernte sich aus dem Compudoc-Bereich, und jeder brachte ein paar Augenblicke damit zu, seine verschiedenen Habseligkeiten wieder zu sammeln. Plötzlich ertönten laute, wütende Stimmen aus dem Sektor, den sie gerade verlassen hatten, und alle drehten sich um und sahen einen jungen Mann, der mit der Maschine kämpfte und versuchte, sein Handgelenk loszureißen. Der Prüfer riet den Leuten in der Schlange, diesen Compudoc zu verlassen und sich vor einem der unbesetzten anzustellen, die Janie zuvor bemerkt hatte. Als der Sektor sicher geräumt war, sprach der Untersucher in ein Walkie-talkie und trat selbst auch zurück. Rasch erhoben sich aus dem Boden des Untersuchungsbereichs vier Wände und schlossen den Compudoc und seinen protestierenden Gefangenen ein; er würde dort bleiben, bis Biocops kommen und ihn »zu genauerer Untersuchung« mitnehmen würden. Der Arzt ignorierte das Flehen des jungen Mannes, sagte: »Der Nächste, bitte!«, und eine nervös aussehende Frau trat an die benachbarte Maschine.
Janie sah die Frau neben sich an und grinste sehr befriedigt: »Vielleicht war er schwanger«, sagte sie und ging nach draußen, um nach der Person auszuschauen, die ihre Ankunft erwartete.