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Ted fand das Labor für Mikrobiologie leer bis auf den Wachmann.
»Da war gerade eine junge Dame hier, die Sie gesucht hat, Sir«, sagte der Wachmann. »Sie hat nach einer Arbeit gefragt, die sie hier machen läßt. Sie interessierte sich für das hier«, berichtete er Ted und zeigte auf den Stoffkreis unter dem Mikroskop. Nervös stand der Mann da und wartete auf irgendeine Reaktion des Direktors, der im Umgang mit rangniederen Institutsangestellten bekannt wortkarg war. Die meisten von ihnen fühlten sich in seiner Gegenwart ziemlich unbehaglich.
Ted sah an seiner langen Nase hinunter den Wachmann an. »Hat sie gesagt, wo sie hingeht?«
»Sie sagte, daß sie Sie suchen will, Sir. Vermutlich ist sie direkt zu Ihrem Büro gegangen.«
»Dann wird sie sicher zurückkommen, wenn meine Sekretärin ihr sagt, daß ich hier bin.« Ted lächelte dem Mann halbherzig zu, ein leichtes Kräuseln der Mundwinkel, an dem keine anderen Gesichtsmuskeln beteiligt waren. Er wollte dem Wachmann die Verlegenheit nehmen, doch seine ansonsten unbewegten Züge machten diesen nur noch nervöser.
»Also«, sagte der Wachmann und ging rückwärts in Richtung Tür, »ich muß weiter meine Runden drehen. Wenn ich die junge Dame treffen sollte, sage ich ihr, daß Sie hier sind.« Damit wandte er sich um und flüchtete.
Während er auf Bruce wartete, schaute Ted sich im Labor um. Echtes Selbstwertgefühl kommt von echter Leistung, sagte er sich, und in diesem Gebäude hatte er eine Menge geleistet. Seit den Ausbrüchen hatten er und Bruce die Abteilung für Mikrobiologie zu einer wissenschaftlichen Einrichtung von immenser Bedeutung ausgebaut, nicht nur für die experimentellen Forschungsarbeiten, die aus ihr hervorgingen, sondern auch für die heikle Arbeit, mit der sie auf eine Krise in der Außenwelt reagieren konnte. Das Personal dieser Abteilung hatte sämtliche Richtlinien für die Biologische Polizeitruppe entwickelt - er haßte das Wort »Biocop«, aber es hatte sich, nachdem ein Journalist es zum ersten Mal gebraucht hatte, festgesetzt wie kalter, angetrockneter Haferschleim - und die ersten Offiziere ausgebildet, die dieser Divison der Londoner Polizei zugeteilt wurden. In seinem Büro hatte Ted einen Ordner von mindestens sieben Zentimetern Dicke mit Unterlagen von Bewerbern, die auf eine der seltenen freien Stellen in der Abtei- lung für Mikrobiologie warteten, und am Montag, wenn er die Aufgabe in Angriff nahm, Frank zu ersetzen, wollte er diesen Ordner aufschlagen, um die zwölf Besten auszusieben. Ein glücklicher Mikrobiologe würde die Chance seines Lebens bekommen: Er oder sie würde selig in Englands bestem Labor arbeiten, umgeben von Glas, Chrom und weißem Plastiklaminat, mit sämtlichen Geräten, neuen Computerprogrammen und allen robo- tischen Dingen, die für Geld zu haben waren. Seit den Ausbrüchen, bei denen der aufgeregte und überforderte Gesundheitsminister gesehen hatte, welche Vorteile für die öffentliche Gesundheit eine solche Einrichtung bot, waren finanzielle Mittel kein Problem mehr.
Ted hatte das Institut mit Bruces Unterstützung klug aufgebaut; es war eine Art gemeinsames Baby. Bruce, der großen Wert darauf legte, die eigentliche Arbeit in der Hand zu behalten, war vertrauter mit den alltäglichen Tätigkeiten. »Ich bin eifersüchtig, weißt du?« hatte Ted einmal zu Bruce gesagt. »Du darfst die ganzen Spielsachen benutzen.« Ähnlich neidisch hatte Bruce erwidert: »Ja, aber du suchst sie aus.«
Während er sich nun unter all diesen Spielsachen umsah, fiel Teds Blick auf das, was Franks Arbeitsplatz gewesen war. Er bot ein getreues Abbild seines Inhabers, unordentlich und ungepflegt.
Die perfekte Wiedergabe desselben Chaos. Er ging hinüber und suchte unter den Stapeln von Papieren und Forschungsberichten nach der Liste der Vorbereitungen, die für anstehende Arbeiten zu treffen waren, aber er fand sie nicht gleich. In einem Zeitalter, in dem die Bedeutung von Papier dramatisch abnahm, hatte Frank es geschafft, sich davon weit mehr als seinen Anteil zu sichern, und das meiste war nach Teds Einschätzung überflüssig. Ted haßte diese Art von Unordnung und hatte Frank das oft gesagt; er hatte gerade wieder einmal versuchen wollen, dem ansonsten hervorragend tüchtigen Techniker diese schreiende Unart abzugewöhnen, als der Mann die Frechheit besaß, unpassenderweise zu sterben. Ted wurde klar, daß er bald jemanden an seine Stelle setzen mußte, um die Arbeiten weiterzuführen; ich hätte das gleich gestern tun sollen, als ich es erfuhr, dachte er. Aber er hatte nicht geahnt, daß Frank ein solches Chaos hinterlassen würde.
Er begann, sich im Umkreis von Franks Arbeitsplatz umzusehen. Auf einem nahen Tisch lag ein Nachschlagewerk; offensichtlich gehörte es nicht dorthin. Er fragte sich, was passieren würde, wenn es gebraucht wurde und nicht auffindbar war; zweifellos würde derjenige, der es dort liegengelassen hatte, sich als erster beschweren. Er nahm das Buch in die Hand und sah sich das Stichwort auf der aufgeschlagenen Seite an. Yersinia pestis. Ihm fiel kein Zusammenhang mit irgendeiner neueren Arbeit ein. Ach, vielleicht hat der Ventilator die Seiten umgeblättert, dachte er. Er schloß das Buch und sah sich weiter um.
Er fragte sich, ob Frank die Vorbereitungsliste in der Tasche gehabt hatte, als er starb; das Personal in der Wäscherei hatte in den Taschen von Laborkitteln schon seltsamere Dinge gefunden. Natürlich würden Franks Kleidung und seine Habseligkeiten von der Polizei registriert worden sein; was würden sie mit einem solchen Gegenstand machen, wenn sie ihn fanden? Er nahm sich vor, den Namen des Beamten festzustellen, der mit den Ermittlungen nach dem Todesfall befaßt war. Er war dankbar, daß dieses unzeitige Ableben wenigstens nicht im Labor passiert war; sonst hätte es Wochen gedauert, bis die Biocops ihn wieder hereinließen, dieselben Polizisten, deren routinemäßige medizinische Ausbildung in ebendiesem Labor entwickelt worden war. Sie würden bedenkenlos jede Verzögerung verursachen, die ihnen notwendig erschien, und er konnte es sich nicht leisten, so lange darauf zu warten, daß er endlich anfangen konnte.
Das Anfangen wäre viel einfacher, wenn ich diese verdammte Liste hätte! dachte er. Seine Gereiztheit wuchs. Er entschied, daß außer Franks Taschen der naheliegendste Ort, an dem er suchen mußte, die Bürokabine im Labor war.
Nur Sekunden nachdem Ted an dem kleinen Tisch vorbeigegangen war, auf dem es lag, begann es in dem Röhrchen mit P. coli zu prickeln; rings um den Stöpsel erschienen kleine Bläschen. Die Bakterien, aufgetaut und warm, hatten sich kräftig vermehrt; die mikrobiologische Aktivität hatte Gase freigesetzt. Die Vibration von Teds Schritten erschütterte den Tisch gerade genug, um die Gase innerhalb des Röhrchens in Bewegung zu setzen; sie wirbelten durcheinander, schäumten, wurden instabil und näherten sich dem Zustand der Flüchtigkeit. Der Stöpsel, für die übliche Kaltlagerung sicher genug, erreichte die Grenze seiner Verschlußkraft; unsicher saß er in dem glatten Glas der Röhre, bis der automatische Ventilator des Labors wieder ansprang und eine neue Vibrationswelle auslöste. Daraufhin bebte der Stöpsel und schoß heraus. Schaumige Tröpfchen von Palmerella coli verteilten sich im Labor.
Wenn Ted gesehen hätte, was sich da abspielte, wäre er überrascht gewesen, wie weit der Sprühregen reichte. Doch er wandte den Vorgängen den Rücken zu und sah nicht, daß die schaumige Flüssigkeit sich in grob elliptischer Form über einen bereich von etwa zweieinhalb mal dreieinhalb Metern verteilte und so ziemlich alles in ihrer Reich- weite kontaminierte, darunter auch das Mikroskop, unter dem Janies neuester Fund lag. Ein Tröpfchen P. coli landete direkt auf dem Stoffkreis und benetzte die Stelle, an der die geheimnisvolle Mikrobe lag und nach ihren Reproduktionsbemühungen wieder schlief.
Hätte Frank noch gelebt und zusehen können, so hätte er von neuem fasziniert beobachtet, wie die mit frischer Feuchtigkeit versehene Yersinia pestis sich streckte und gähnte, an den Rändern wieder zu beben begann und mit herkulischer Anstrengung versuchte, sich zu teilen. Doch diesmal hatte sie einen Besucher, der ihr genau die Hilfe leistete, die sie brauchte; Palmerella coli, ihrer wollüstigen Natur treu, schickte auf der Suche nach ein bißchen heißem Sex eine Armee von gentransportierenden Plasmiden aus, und sie fand diesen Sex, denn Gertrude, die 600 Jahre in keuschem Schlaf gelegen hatte, war bereit, reif und willig; gierig öffnete sie ihre Zellwand der Invasion des genetischen Projektils. Dieses glitt mühelos in ihren feuchten Zellkörper, und sie waren eins.
Gertrude P. coli war geboren, und danach war die Reproduktion durch Teilung eine einfache Sache.
Als er das Splittern von Glas und das »Plop« des Stöpsels hörte, drehte Ted sich um, und fast sofort wurde seine Nase von einem neuen und abscheulichen Geruch belästigt. Trauben, dachte er, Trau- ben, die verfault sind. Seiner Nase folgend, erreichte er den Schauplatz der kleinen Explosion; seine Augen sahen Spuren von zerbrochenem Glas und schaumiger Flüssigkeit, und wo sie dichter wurden, konnte er das Epizentrum des Desasters ausmachen. Das Geschehen schockierte ihn so, daß er die angemessenen Vorsichtsmaßnahmen vergaß, eine große Scherbe der explodierten Röhre in die nackte Hand nahm, nach allen Seiten drehte und genau betrachtete. Ein kleines Stückchen des Etiketts klebte noch daran. Die Buchstaben »P« und »C« waren verschmiert, aber noch lesbar.
Er wußte, daß P coli auf seiner Liste der vorzubereitenden Materialien gestanden hatte. »Verdammter Mist«, sagte er zu Franks Geist, »ich hätte mir denken sollen, daß du es noch schaffen würdest, die Probe aus dem Gefrierschrank zu nehmen.« Ted wußte, daß die Probe sich durchaus schon vierundzwanzig Stunden außerhalb des Gefrierschranks befinden konnte, reichlich Zeit, um den Druck aufzubauen, der für eine solche Explosion nötig war.
Er starrte auf das toxische Chaos, das er vor sich hatte, und Panik stieg in ihm auf. Er war sicher, daß sein Blutdruck in ungeahnte Höhen schoß. Er würde selbst aufräumen müssen. Niemand durfte erfahren, was hier passiert war, und noch viel weniger, daß es bei einem von ihm gelei- teten Projekt passiert war. Theoretisch mußte er ein solches Ereignis der Biologischen Polizei melden, und je nach den Umständen würde das eine Strafverfolgung nach sich ziehen. Da Frank von der Bildfläche verschwunden war, wußte Ted, daß sich alle folgenden Ermittlungen auf ihn konzentrieren würden. Seine Aufsichtspflicht verlangte, daß er sofort jede laufende Arbeit kontrollierte, an der Frank zum Zeitpunkt seines Todes beteiligt gewesen war, um die Sicherheit des Labors zu gewährleisten. Das hatte Ted versäumt, was eine ungeheure Unterlassungssünde war; er mußte zugeben, daß er nicht einmal daran gedacht hatte.
Was für ein Durcheinander! dachte er. Und Bruce wird jeden Moment hier sein.
Er hatte oft genug mit P. coli gearbeitet, um zu wissen, daß es sich dabei um die bakterielle Version eines harmlosen Gigolos handelte, die an sich weder toxisch noch besonders gefährlich war. Doch Ted machte sich mehr Sorgen um das ziemlich extrovertierte soziale Verhalten der Mikrobe, ein Verhalten, dessentwegen sie entwickelt worden war und nun für Forschungszwecke geschätzt wurde: schamlos bereit, ihr genetisches Material zu teilen, und das häufig mit Mikroben, die das biologische Äquivalent von völlig Fremden waren. Ted rannte sofort in das verglaste Büro zurück und sah sich den dort aushängenden Plan der laufenden
Arbeiten an; zu seiner Erleichterung stellte er fest, daß keine Prozeduren mit freien Bakterien darunter waren. Er ging zum Putzschrank des Labors, wo er ein angemessenes Sortiment antibakterieller Reinigungsmittel fand, die regelmäßig für die Fußböden und alle glatten Oberflächen des Labors benutzt wurden. Er griff sich einen Arm voll Sprühflaschen und eine Rolle Papiertücher und kehrte an den Schauplatz des Desasters zurück.
Sorgfältig wischte er alle nahen Oberflächen mit Papiertüchern ab, die er mit dem stärksten Reiniger getränkt hatte, den er finden konnte. Der Geruch nach Chemikalien war überwältigend, weit schlimmer als der an verfaultes Obst erinnernde Geruch der bakteriellen Kontaminierung. Er verstaute die benutzten Papiertücher in einem für biologische Abfälle vorgesehenen Plastikbeutel. Er wischte den computergestützten Mikroskopaufbau ab und mußte dabei den kleinen Stoffkreis entfernen, der auf dem Objektträger lag, um die Flächen zu erreichen, die zwar von dem Stoff bedeckt, dadurch aber nicht vor Kontaminierung geschützt gewesen waren. Er drehte den Stoff in der Hand und sah ihn sich kurz an; in seiner Panik kam er nicht auf den Gedanken, er könne für sich genommen von Bedeutung sein. Bevor er seine Putzarbeit beendete, legte er ihn genau in der vorherigen Position auf den Objektträger zurück.
Als hätte Ted noch nicht genug Sorgen, brauchte er noch immer eine Mikrobe vom Typ P. coli für die Arbeit, die Bruce und er beginnen wollten; jetzt hatte er keine, und das würde er irgendwie erklären müssen. Er kramte auf der Suche nach einem Stift in Franks Schublade herum, und als er endlich einen fand, lief er zum Kühlraum. Rasch schaute er in der Liste nach, wo P. coli normalerweise gelagert wurde, und richtete die Kamera auf den entsprechenden Schacht. Aus der Nähe konnte er die Markierung lesen. Sie trug Franks Namen.
Er würde erklären müssen, wo Frank die Probe gelassen hatte, wenn er die Markierung nicht änderte. Vorsichtig, aber linkisch bewegte er den mechanischen Arm und wünschte sich dabei, er wäre mit dem Robotgreifer nur halb so geschickt wie der tote Frank. Ted nahm die Markierung und führte sie durch die Dekontaminierungsöffnung. Dann schrieb er rasch auf ein leeres Markierungsschildchen: »Probe wegen Sprung der Röhre kontaminiert. Neutralisiert und entsorgt am ...« Er hielt inne und zählte rückwärts bis zu dem Tag vor Franks Tod. Dieses Datum trug er ein und kritzelte dann Franks Initialen in die Unterschriftszeile. Er schob die gefälschte Markierung durch die Öffnung und nahm sie dann mit dem mechanischen Arm auf; nach vielem Manövrieren gelang es ihm, sie an die Stelle zu plazieren, an der die Probe entnommen worden war. Danach steckte er die alte Markierung zu den benutzten Papiertüchern in den Entsorgungsbeutel. Wenn jemand fragte, warum die Entsorgung einer lebenden Mikrobe nicht in das tägliche Protokoll eingetragen worden war, würde er wahrheitsgemäß erklären, daß Frank manchmal die Angewohnheit hatte, seinen gesamten wöchentlichen Papierkram freitags zu erledigen, indem er persönliche Notizen zu Hilfe nahm, die er sich während der Woche gemacht hatte.
Er stellte den Ventilator auf stärkste Kraft und öffnete die Außentür einen Spalt, damit der antiseptische Geruch entweichen konnte. Nach wenigen Minuten war er bis auf das übliche Maß reduziert, denn es verging kein Tag, an dem im Labor nicht irgendeine antibakterielle Lösung benutzt wurde. Er versiegelte gerade den Plastikbeutel, als er hörte, daß jemand zögernd an die Außentür des Labors klopfte. Die unbekannte Stimme einer Frau rief leise: »Hallo?«
Er stopfte den versiegelten Plastikbeutel rasch unter einen Tisch, betrachtete den Bereich, den er soeben gesäubert hatte, und entschied, daß er bei einem zufälligen Beobachter keinen Verdacht erregen würde. Er selbst war ein bißchen zerzaust; deshalb fuhr er sich schnell mit den Händen über die Haare und strich seinen zerknitterten Laborkittel glatt, bevor er sich umdrehte, um den unerwarteten Eindringling anzusehen. Mit dem Ärmel wischte er sich den Schweiß von der Stirn, doch ein paar Tropfen waren ihm in den Augenwinkel gelaufen; mit einer behandschuhten Fingerspitze schnippte er sie weg.
Ted drehte sich um und setzte sein herzlichstes Lächeln auf, als er sah, daß es sich bei dem Störenfried nicht um den Großen Bösen Bruce, sondern um eine rothaarige Frau handelte, die aussah wie etwa dreißig, vermutlich dieselbe, von der der Wachmann gesprochen hatte. Er atmete tief ein, bevor er sprach - sein Herz pochte noch immer rasend -, und begrüßte sie liebenswürdig.
»Guten Morgen. Kann ich etwas für Sie tun?«
»Ja, vielleicht. Ich suche den Direktor, Dr. Cummings.«
Er sagte: »Na, den haben Sie ja jetzt gefunden.« Er freute sich, als er sah, daß sie darüber anscheinend glücklich war.
Sie streckte die Hand aus. »Freut mich, Sie kennenzulernen«, sagte sie. »Ich heiße Caroline Porter. Ich soll mich heute morgen mit einer Kollegin hier treffen. Wir haben einige Proben zur Analyse in diesem Labor. Aber als ich vorhin kam, sagte mir der Wachmann, daß ich mit Ihnen darüber sprechen muß. Ich bin auf der Suche nach Ihnen wie ein kopfloses Huhn durch das ganze Gebäude gelaufen!«
Demonstrativ zog er seinen Handschuh aus und warf ihn in den entsprechenden Container, bevor er ihr die bloße Hand reichte. »Das tut mir leid«, sagte er. Wieder vergewisserte er sich mit einem raschen Rundblick, daß seine Reinigungsarbeit nicht zu sehen war. »Ich hatte allerhand zu tun«, sagte er und bemühte sich, seine Nervosität zu verbergen.
Er musterte die junge Frau rasch von oben bis unten, wobei er darauf achtete, daß sein Blick nicht lüstern wirkte, und versuchte einzuschätzen, ob sie eine Bedrohung war. Sie war ein bißchen schüchtern, etwa mittelgroß, weder dick noch dünn, und ihr Gesicht war konventionell hübsch, ihr Lächeln sehr freundlich. Sie war konservativ gekleidet, schlicht und eher unprätentiös. Nach ein paar Sekunden entschied er, daß ihm durch diese junge Frau wohl keine Entdeckung drohte. Allerdings behinderte sie die Beendigung seiner Reinigungsarbeit erheblich, und er mußte sie loswerden. Er würde versuchen, ihr Problem zu lösen und sie dann so schnell wie möglich wegzuschicken. »Was für Proben haben Sie denn hier?« fragte er und gab sich Mühe, möglichst hilfsbereit zu klingen.
Caroline beschrieb mit den Händen lange, schmale Formen in der Luft, um die gesuchten Gegenstände zu beschreiben. »Große Röhren mit Erde. Wir beenden gerade eine archäologische Grabung, die Bodenanalysen erfordert, und die chemischen Arbeiten werden hier durchgeführt.« Sie runzelte die Stirn und fuhr fort: »Unter Franks Leitung, wie es der Zufall wollte.«
»Da haben Sie ein bißchen Pech gehabt, fürchte ich. Sie sind in eine etwas unangenehme Situation geraten, um es milde auszudrücken.« Gespielt mitfühlend fuhr er fort: »Was für eine Tragödie. Er wird uns allen fehlen; er war ein tüchtiger Mann. Ich versuche gerade, mit ein paar Dingen klarzukommen, die er für mich angefangen hat. Ich weiß gar nicht, was ich ohne ihn machen soll.«
Caroline, der es unangenehm war, über jemanden zu sprechen, den sie kaum kannte, brachte das Gespräch höflich wieder auf ihre Sache zurück und sagte: »Vielleicht können Sie mir helfen festzustellen, wo unsere Proben gelagert sind. Sie dürften wohl im Kühlraum sein. Außerdem waren sie ziemlich groß, ungefähr einen Meter lang und zehn Zentimeter im Durchmesser.«
»Und wie viele waren es?«
»Vierundfünfzig.«
»Meine Güte, das ist eine Menge! Ich kann mir gar nicht vorstellen, daß wir Platz für soviel Material haben.«
»Es wurde alles hierhergebracht, und wir bekamen keine Mitteilung, daß es anderswohin transportiert wurde. Obwohl es natürlich möglich wäre, daß Frank uns benachrichtigen wollte, falls er die Proben weitergeleitet hatte, und nicht mehr dazu gekommen ist.«
»Das ist leider nur zu gut möglich. Er hat ein paar Dinge unerledigt gelassen. Aber alle Proben, die rausgehen sollen, werden dort drüben im Kühlraum gelagert. Sie unterlagen doch nicht irgendwelchen Biorestriktionen, oder?«
»Nicht daß ich wüßte.«
»Dann sind sie bestimmt da drin. Alle anderen Lagerbereiche sind Proben vorbehalten, die irgendwelchen Restriktionen unterliegen.« Er wies auf einen Lagerungsbehälter an der hinteren Wand des Labors. »Dort müßten sie also am ehesten zu finden sein.«
»Dann will ich mal nachsehen«, sagte Caroline lächelnd. »Danke für Ihre Hilfe.«
»Vorher muß ich nur noch eine kleine Sache regeln.« Als sie zu dem Bereich ging, den Ted gerade gesäubert hatte, spürte er, wie sein Herz wieder heftig zu pochen begann. Sie zeigte auf den Stoffkreis unter dem Mikroskop, und seine Knie wurden weich, der Schreck schnürte ihm die Kehle zu. Sie stellte ihre Handtasche ab und erklärte: »Das ist mit einer unserer Bodenproben aus der Erde gekommen. Wir haben es uns am Donnerstag angesehen, unmittelbar ehe Frank ... äh, verstorben ist. Er hat es mit dem Computer ein bißchen bear- beitet und uns ein paar Dateien über eine markierte Stelle angelegt; vermutlich war das die letzte Arbeit, die er hier gemacht hat.«
Sie berührte den Stoff, versuchte ihn vom Objektträger zu nehmen. Warum trägt sie keine Handschuhe? Ted ging zu ihr hinüber, während er hektisch überlegte, wie er sie daran hindern konnte, den Stoff in die Hand zu nehmen, aber es war zu spät; ihre Finger waren bereits überall. Er konnte kaum seine eigene Stimme hören, als er sagte: »Haben Sie irgend etwas Interessantes gefunden?«
»Zuerst nicht, aber dann sind wir über diese dicke, fette Mikrobe gestolpert. So weit herauszufinden, um was es sich handelt, sind wir nicht gekommen, aber Frank hat gesagt, er würde sie sich genauer ansehen. Er hat die eigentliche Mikrobe mit einer Farbmarkierung versehen, damit wir sie später leichter wiederfinden. Wir werden uns damit amüsieren, wenn wir in die Staaten zurückkommen.«
Irgendwie gelang es Ted Cummings, die in ihm aufsteigende Übelkeit niederzukämpfen, seine Knie dagegen hatte er weniger unter Kontrolle. Doch er hatte Glück. Als seine Knie nachgaben und er schwankte, drehte Caroline sich gerade weg und schaute zur Tür, weil dort jemand ihren Namen rief. Sie konnte seine Bestürzung nicht sehen. Ted blickte auf, als er sich wieder gefaßt hatte, und sah eine großgewachsene Frau eintreten; er hörte, wie
Caroline sie begrüßte, während er sich an eine Stuhllehne klammerte, um Halt zu finden.
»Tut mir leid, daß es so lange gedauert hat«, sagte die Frau, »aber es war schrecklich schwer, die Buchhaltung davon zu überzeugen, daß sie den Wechselkurs des Tages nehmen sollen, an dem sie meine Rechnung abschicken, und nicht den, der für sie zufällig am günstigsten ist. Ich mußte also etliche Minuten mit einem ziemlich unangenehmen Buchhalter zubringen und ihm einiges über Mathematik und Währungsumtausch erklären.«
»Sie Glückliche.«
»Das können Sie laut sagen! Und wir dachten schon, daß es bei uns zu Hause schlimm zugeht!«
Ted hielt sich zurück und schwankte leicht, während die beiden Frauen ihr triviales Gespräch beendeten. Mit großer Willensanstrengung nahm er sich zusammen und ging auf die Frau zu, um sich vorzustellen. Als er die Hand ausstreckte, lächelte er etwas zu liebenswürdig, doch die Antwort, die er erhielt, war prompt und professionell. »Hallo«, sagte Janie einfach, während sie ihm kurz die Hand drückte. Er räusperte sich nervös und sagte: »Miss Porter hat mir von Ihren Proben erzählt. Ich habe ihr gesagt, wo sie vielleicht zu finden sein könnten. Wenn ich sonst noch etwas für Sie tun kann, brauchen Sie es nur zu sagen.« Sie dankten ihm und gingen auf den Lagerbehälter zu.
Er setzte sich, um auf Bruce zu warten. Das Blut tobte förmlich durch seine Adern. Was sollte er sagen, wenn Bruce endlich kam? Tut mir leid, alter Junge, ich scheine so eine Art kleinen Schlaganfall zu haben ... Ich stehe da vor einem gewissen Problem, aber ich kann im Moment nicht darüber sprechen . Im Hintergrund hörte er die beiden Besucherinnen reden, während sie den Kühlbereich durchsuchten; eigentlich hätte er hinter ihnen stehen und aufpassen sollen, daß sie die Vorschriften einhielten, aber da war er und klebte auf seinem Stuhl wie der personifizierte Streß. Er schwitzte, sein Herz pochte, und ihm war schrecklich übel. Außerdem ließen seine Sinne ihn im Stich; er konnte hören, daß Janie und Caroline miteinander sprachen, verstand aber nichts. Er war viel zu sehr in Panik, um sich auf etwas so Spezifisches zu konzentrieren.
Bald kamen die beiden Frauen wieder. »Ein Teil unseres Materials fehlt«, sagte Janie. »Wir haben die herausstehenden Enden gezählt. Unsere Röhren sind wesentlich größer als alles andere, was Sie dort gelagert haben, und wir haben sie ziemlich leicht gefunden. Aber wir haben dreimal nachgezählt, und keine von uns ist auf mehr als achtundvierzig gekommen.«
»Das tut mir schrecklich leid«, sagte Ted, aber insgeheim war er froh über die Ablenkung.
Janie stöhnte. »Eine, das könnte ich ja verstehen, aber sechs?«
»Wie ich Miss Porter schon sagte, ist es durchaus möglich, daß sie weitergegeben wurden«, sagte er. »Hier ist nicht sonderlich viel Platz. Wissen Sie, ich erinnere mich, daß Frank vor ein paar Tagen gesagt hat, er würde die Lagerbestände umräumen; er wollte damit das Labor auf einige ziemlich komplexe Recherchen vorbereiten, die wir in Kürze beginnen werden. Vielleicht weiß einer meiner Kollegen, welche Gegenstände anderswo untergebracht wurden; er wird hier an einem Experiment teilnehmen, und er brauchte mehr Platz.«
»Können wir mit ihm sprechen?« fragte Janie.
Ted schaute auf die Uhr und antwortete mit steifer Höflichkeit: »Vermutlich ist er schon unterwegs. Er müßte jeden Moment dasein.«
»Dürfen wir hier auf ihn warten?«
Das wird allmählich zu kompliziert, dachte Ted bei sich. Endlich sagte er ziemlich frostig: »Wenn Sie möchten.«
Kaum hatte er diese halbherzige Einwilligung ausgesprochen, flog die Labortür auf, ein Bruce Ransom stürmte hastig und dramatisch herein. Er atmete schwer. Sein langer, dünner Körper wirkte noch länger in den schwarzen Hosen und dem dunkelgrauen Hemd mit der passenden Krawatte; als einzige Konzession an seinen Beruf bedeckte er seine Straßenkleidung mit einem langen weißen Laborkittel, an dessen Brusttasche sein Namensschild geheftet war. Sein störrisches dunkles Haar, das in weichen Wellen bis über den Kragen seines Kittels fiel, sah aus, als hätte er sich am Morgen nicht die Mühe gemacht, es zu kämmen. Ted sagte ihm immer, er wirke eher wie ein Jazzmusiker als wie der stellvertretende Direktor einer der Regierung unterstellten medizinischen Forschungseinrichtung der höchsten Sicherheitsstufe. Bruce dankte ihm stets für diese Bemerkung.
»Ah, da ist er ja!«
»Tut mir leid, Ted«, sagte Bruce. »Ich wollte bloß den ganzen Entwurf zu Papier bringen, bevor wir heute anfangen.« Er schwenkte seinen Aktenordner vor Ted. »Jetzt ist er endlich fertig ...«
Ihm war bewußt, daß zwei Fremde in der Nähe standen, und dankbar dachte er: Ted wird mich nicht vor anderen kritisieren, weil ich zu spät komme .
Er schaute zu den beiden Frauen hinüber; sie schienen auf jemanden zu warten, und ihr erwartungsvolles Aussehen machte ihm klar, daß sie möglicherweise auf ihn warteten. An der größeren Frau kam ihm irgend etwas vertraut vor, und er fragte sich, ob er sie vielleicht irgendwoher kannte. Er überlegte, aber auf Anhieb fiel ihm nichts ein, was ausgereicht hätte, um sie zu identifizieren. Attraktiv, dachte er. Schöne Beine. Doch dann merkte er, daß die Frau ihn ebenfalls anstarrte und prüfend musterte. Ihr Blick wanderte zu seinem Sicherheitsausweis; als sie den Namen las, erschien ein Lächeln auf ihrem Gesicht.
»Oh, mein Gott. Bruce Ransom. Wir waren zusammen auf der medizinischen Fakultät. Ich wette, Sie erinnern sich nicht an mich.«
Er sah sie wieder an und lächelte leise, während er ihr Gesicht betrachtete. Er schaute auf den Besucherausweis, der an den Kragen ihrer Bluse geheftet war. Er trug keinen Namen, sondern nur Datum und Zeit ihrer Ankunft. »Tja, es wäre einfacher, wenn ich ebenfalls Ihren Namen wüßte.«
»Verzeihung«, sagte sie. »Natürlich. Janie Crowe. Sie dürften mich als Janie Gallagher gekannt haben.«
»Crowe?« sagte er mit einem amüsierten Lächeln. »In den letzten zwei Monaten haben wir ungefähr hundert Faxe von Ihnen bekommen.«
Janie fand das nicht komisch. »Ihre Leute haben mich unglaubliche Verrenkungen machen lassen, um Zutritt zu diesem Labor zu erhalten. Inzwischen müssen Sie sogar meine Schuhgröße wissen.«
»Nun, das würde mich nicht überraschen, aber ich habe den Antrag nicht bearbeitet, also weiß ich nichts darüber. Die Genehmigungen kommen zwar aus meiner Abteilung, aber ich schaue sie mir nicht alle persönlich an. Jemand aus meinem Büro hat sich um Ihre Anfrage gekümmert.« Er kicherte. »Ich weiß nicht, ob ich Ihnen das sagen soll, aber sie nennt Sie inzwischen den Quälgeist mit den Faxen. Ich hatte keine Ahnung, daß Sie das sind. Ich meine, der andere Name und all das.«
Janie lachte. Quälgeist? »Ich bin inzwischen wirklich ein anderer Mensch. Das Medizinstudium liegt zwanzig Jahre zurück.«
»Erinnern Sie mich nicht daran«, sagte er mit schiefem Grinsen. »Der Gedanke gefällt mir überhaupt nicht.«
»Ach, hören Sie auf. Zufällig weiß ich, wie alt Sie sind, und Sie sehen fabelhaft aus.«
»Sie auch, Janie!« Er musterte sie von oben bis unten. »Was für eine Überraschung! Was führt Sie an unser Institut?«
Sie seufzte. »Das ist eine sehr lange Geschichte. Lang und traurig und nicht sonderlich interessant. Ich möchte nur sagen, daß ich den Beruf wechseln mußte. Ich führe eine archäologische Ausgrabung durch, um ein Diplom in Forensik zu bekommen, und habe ein paar Bodenproben zur chemischen Analyse hier. Frank wollte die Arbeit beaufsichtigen. Wir sind hergekommen, um zu sehen, ob man uns einen anderen Techniker zuteilen kann. Wir, das sind Caroline und ich .« Sie wies auf ihre Assistentin, die lächelte und hallo sagte. Bruce erwiderte ihr Lächeln mit einem Nicken. »Caroline arbeitet mit mir an diesem Projekt. Jedenfalls haben wir, als wir uns unsere Proben ansehen wollten, festgestellt, daß einige fehlen. Es müßten vierundfünfzig sein, und wir können nur achtundvierzig finden. Wir stehen ziemlich unter Termindruck und müssen schauen, daß wir vorankommen. Wir versuchen festzustellen, wohin die Proben gebracht worden sein könnten, und Ihr Kollege hier ...« - sie wies auf Ted - »hat uns gesagt, daß jemand ins Labor kommen würde, der vielleicht weiß, wo sie sind.«
Bruce sah Ted an. »Und das soll vermutlich ich sein.«
Ted nickte. »Da du regelmäßig mit Frank gearbeitet hast, dachte ich, du wüßtest sicher mehr als ich. Ich erinnere mich, daß Frank gesagt hat, er würde die Lagerbehälter umräumen, bevor wir mit unserer neuen Arbeit anfangen.«
»Ja, das wollte er«, sagte Bruce, »aber ich weiß nicht, was er im einzelnen gemacht hat und wie weit er damit gekommen ist, bevor er starb. Nur, daß er es vorhatte.«
Janie seufzte sichtlich enttäuscht. »Ich finde es bloß merkwürdig, daß er uns nichts davon gesagt hat, als wir gestern hier waren.«
»Wann sollten Ihre Analysen beginnen?«
»Montag.«
»Dann ist es durchaus möglich, daß er die Proben vorübergehend anderswo gelagert hat und sie am Montag wieder hier haben wollte. Wenn das der Fall ist, hätte er keinen Grund gehabt, die Verlagerung zu erwähnen. Frank konnte sehr zerstreut sein, aber er hatte seine eigene Art, Dinge anzugehen. Irgendwie wurden sie immer erledigt.« Er sah Ted an, als suche er Bestätigung für seine Einschätzung der Arbeitsgewohnheiten des verstorbenen Technikers. Ted nickte zustimmend.
Janie stellte fest, daß ihre Enttäuschung in Zorn umschlug. Zuviel geht schief, dachte sie bei sich. Das ganze Projekt scheint vom Pech verfolgt. Schnippischer, als der Anlaß rechtfertigte, sagte sie: »Das ist ja alles schön und gut, ich bin sicher, daß er sie in bester Absicht verlagert hat und daß sie am Montag morgen in aller Frühe wieder hiergewesen wären.« Sie schaute zwischen Bruce und Ted hin und her. »Sie beide scheinen viel Vertrauen zu ihm zu haben, also muß ich Ihre Erklärung wohl akzeptieren.« Sie lächelte ziemlich höhnisch. »Sogar dankbar akzeptieren. Aber leider trägt Ihre sehr gute Erklärung, warum die Röhren nicht hier sind, nicht viel zu dem Problem bei, sie zu finden und dann wieder hierher zurückzubringen.«
Bruce und Ted wechselten Blicke und schienen im Geiste eine Münze zu werfen. Janie beobachtete sie und dachte: Also, wer von euch muß sich nun mit diesem mißgelaunten amerikanischen Weib abgeben?
Anscheinend kam es zu einer Entscheidung. Bruce erwiderte Janies Blick und sagte: »Ich will das gern für Sie überprüfen. Es gibt wirklich nur wenige Stellen, an die so große Proben gebracht worden sein könnten.«
»Ich wäre Ihnen wirklich sehr dankbar, Bruce. Unser Terminplan ist ohnehin schon sehr knapp. Ich möchte durch so etwas keine Zeit verlieren.«
»Kein Problem. Ich tue das gern für Sie. Aber vielleicht kann ich die Proben erst in ein paar Stunden beschaffen.« Er warf Ted einen kurzen Blick zu, wandte sich dann wieder an Janie und sagte: »Ted und ich haben im Moment ein paar Dinge zu besprechen. Wenn wir damit fertig sind .«
Zu Bruces Überraschung unterbrach Ted ihn: »Das können wir auch um ein oder zwei Stunden verschieben. Ich weiß nicht genau, wieviel von den Vorbereitungen Frank schon erledigen konnte, und könnte ein bißchen Zeit im Labor brauchen, um das festzustellen. Es hat nicht viel Sinn, daß wir weitermachen, solange wir nicht wissen, wie weit die Vorbereitungen schon gediehen waren.«
Bruce sah Ted erneut an, diesmal mit fragend hochgezogenen Augenbrauen. »Bist du sicher?«
Ted lächelte. O ja, ganz sicher, dachte er bei sich, während ihn Erleichterung durchströmte. »Es bedeutet eine kleine Verzögerung unserer eigenen Arbeit, aber die Dinge sind sowieso ziemlich ins Stocken geraten wegen der bevorstehenden Beerdigung und so. Der größte Teil des Personals wird hingehen wollen. Ich kann mir nicht vorstellen, daß ein paar Stunden da so viel ausmachen. Und es gibt noch ein Problem. Ich habe heute morgen, als ich auf dich wartete, im Kühlbehälter nach der Probe von P. coli gesucht, und die ist leider vernichtet worden. Die Röhre hatte irgendwie einen Sprung, und Frank hat sie entsorgt. Er hat eine Markierung für die Entnahme angebracht. Aber ich habe keine Bestätigung dafür finden können, daß er Ersatz bestellt hat, bevor er starb.«
Janie, die sehr erfreut aussah, sagte: »Nun, dann ist das ja geklärt.« Sie wandte sich an Bruce. »Wie kann ich Sie erreichen?«
Er nahm seine Brieftasche aus der Gesäßtasche seiner Hose, suchte einen Moment darin herum und fand schließlich eine Karte, die er Janie reichte. »Das ist meine Nummer. Geben Sie mir doch auch Ihre.«
Sie nahm einen kleinen Notizblock aus ihrer Handtasche und schrieb die Nummer ihres Hotels auf. »Es gibt einen Anrufbeantworter. Wenn ich nicht da bin, hinterlassen Sie eine Nachricht. Ich rufe Sie dann gleich zurück, das verspreche ich.«
»Okay.« Bruce sah Ted an. »Ich kümmere mich sofort darum.« Er schaute auf seine Uhr. »Sollen wir uns später wieder hier treffen, vielleicht um halb drei oder so?«
Ted nickte.
Janie sagte: »Wir schreiben uns nur die Nummern der Proben auf, die wir haben, und dann muß ich ins Hotel zurück, um sie mit der Liste zu vergleichen. Ich habe nicht daran gedacht, sie mitzubringen.«
»Gut. Dann sprechen wir uns später.«
»Würde mich freuen«, sagte Janie.
Ehe sie ging, sagte Bruce: »Es war nett, Sie nach all dieser Zeit wiederzusehen.«
Janie lächelte. »Ja, war es.«
Während er in sein Büro zurückging, dachte Bruce über die seltsamen und verwirrenden Ereignisse des Vormittags nach. Als er mit der inneren Wiederholung seines zufälligen Zusammentreffens mit Janie fertig war, wurde ihm klar, daß gleichzeitig eine weit interessantere Geschichte Gestalt annahm, die ihm bei all der Aufregung beinahe entgangen wäre. Wieso hat Ted eigentlich keinen Schaum vor dem Mund gehabt? fragte er sich. Normalerweise geriet Ted völlig außer sich, wenn so etwas passierte. Am liebsten hätte Bruce zu dem Mann, der im Labor geblieben war, gesagt: Wer sind Sie, und was haben Sie mit Ted gemacht?
Ted setzte sich in die Nähe des Mikroskops, den Schauplatz seines jüngsten Fiaskos, und wartete darauf, daß die beiden Frauen gingen, damit er seine Reinigung beenden konnte. Er rang noch immer um Fassung, als Caroline von dem Lagerbehälter zurückkam und sagte: »Noch etwas ... Das hätte ich fast vergessen. Ich muß Gertrude holen.«
»Gertrude?« fragte Ted.
Caroline wandte sich dem Mikroskop zu und nahm einen kleinen Plastikbeutel aus ihrer Handtasche. »Die Mikrobe, die Frank auf dem Stoff gefunden hat. Wir haben sie nach Janies Großmutter benannt.«
Ted sprang von seinem Stuhl auf und streckte die Arme aus, bereit, sie am Berühren des Stoffes zu hindern. »Hier, lassen Sie mich das für Sie machen .« Er hoffte, daß seine Stimme seine wachsende Panik nicht verriet. Er versuchte, entschlossen und nicht verzweifelt auf sie zuzugehen. Aber er war nicht schnell genug; sie hatte die Probe bereits fest in der Hand. Er konnte sie nicht daran hindern.
»Danke, ich komme schon zurecht«, sagte sie. »Ich werde den Stoff in diesem versiegelten Beutel zu den übrigen Proben tun.« Sie lächelte ihn an. »Hoffentlich nimmt ihn uns keiner weg.«
Ich werde mich nie an unabhängige Frauen gewöhnen, dachte Ted wütend. Er schluckte und sag- te nichts, sondern beobachtete sie genau und merkte sich, wo sie den Stoff hinlegte. Er würde ihn sich später holen.
Er gab sich Mühe, die Fassade perfekter Höflichkeit aufrechtzuerhalten, und in Anbetracht der Adrenalinmenge, die durch seine Adern strömte, gelang es ihm recht gut. Er setzte sich wieder hin, schloß die Augen und hoffte, daß der Alptraum vorüber war, wenn er sie in ein paar Minuten wieder öffnete. Wahrscheinlich war es allerdings nicht.
»Hier drin sieht sie nach gar nichts aus«, sagte Janie. Die Stoffprobe, die flach auf dem plastikbeschichteten Drahtgestell mit den Erdröhren lag, wirkte fast mitleiderregend verloren. »Vielleicht sollten wir sie jetzt gleich mitnehmen«, sagte sie. »Wir müssen ja heute nicht unbedingt noch mehr verlieren.«
Caroline betrachtete das Gestell. »Sie haben recht«, sagte sie und steckte den versiegelten Plastikbeutel in ihre Handtasche.
Bevor er am Abend das Institut verließ, ging Ted noch einmal in das Labor, um den Stoff zu holen. Er würde ihn verbrennen, und damit wäre der Fall erledigt. Das Potential, eine Katastrophe auszulösen, wäre für alle Zeit beseitigt. Wenn sie fragten, was aus dem Stoff geworden war, würde er sich ahnungslos stellen. Und Gelegenheit, danach zu suchen, würde er ihnen nicht mehr geben. Doch als er den Lagerbehälter öffnete, war der Gegenstand an der Stelle, an die Caroline ihn gelegt hatte, nicht gleich zu sehen. Ängstlich durchsuchte er eine Reihe von Containern und Schachteln in der Nähe, aber er konnte ihn nicht finden; nach ein paar Minuten gab er auf und ordnete alles wieder so an, wie er es vorgefunden hatte. Er wollte nicht, daß man Spuren seiner Suche sah.
Er fragte sich, ob Caroline ihn doch noch anderswo abgelegt hatte oder ob seine Erinnerung ihn täuschte. Er war in Panik gewesen, als er beobachtet hatte, wie sie den kleinen Plastikbeutel verstaute; vielleicht konnte er sich nicht auf sein Gedächtnis verlassen. Na, egal, dachte er; die beiden Frauen würden wiederkommen, und er würde dafür sorgen, daß man ihn über ihre Ankunft informierte. Vielleicht würde er wie zufällig hereinschauen, wenn sie arbeiteten, ein bißchen mit ihnen plaudern, das Gespräch dann auf ihre Arbeit bringen und sich den Gegenstand zeigen lassen. Und danach würde er ihn nicht mehr aus den Augen lassen.