19

 

Alejandro wischte den Speichel aus Kates Mundwinkeln und den Schweiß von ihrer Stirn. Er nahm eine Schale mit Haferschleim vom Nachttisch und tauchte einen Löffel hinein. Für ihn sah er wenig appetitanregend aus, aber er wußte, er war eine milde Speise und gut verträglich, und seine kleine Patientin würde ihn wohl nicht wieder erbrechen, wie sie es mit so ziemlich allem getan hatte, was er ihr einzuflößen versuchte.

»Kate«, sagte er leise, »macht den Mund auf, Kind; Ihr müßt etwas essen, wenn wir Erfolg haben wollen. Ihr müßt ein wenig zu Kräften kommen…

Doch die schmalen Lippen blieben hartnäckig geschlossen, also stellte er die Schale mit dem Löffel wieder auf den Tisch, stand auf und verließ das Zimmer.

Adele wartete in der Diele vor dem Zimmer, mit verzweifelter Miene die Hände ringend. »Nun?« sagte sie.

Alejandro nahm die Kräutermaske ab, als er aus dem Zimmer kam. »Sie hat seit drei Tagen fast nichts gegessen«, sagte er. »Drei Tage. Es ist ein Wunder, daß sie noch lebt.«

Mit hoffnungsvoller Stimme fragte Adele: »Also wirkt die Medizin vielleicht?«

»Vielleicht«, sagte er, »aber ich glaube, es ist noch zu früh, das zu sagen. Wie oft hast du das Stundenglas umgedreht, seit wir sie ihr zuletzt gegeben haben?«

»Es wird jetzt das vierte Mal werden.«

»Dann rufst du besser die anderen.«

Sie nickte, weil sie Angst vor dem hatte, was bald kommen würde, und wandte sich ab.

Alejandro zog sich die Maske wieder vor das Gesicht und ging ins Krankenzimmer zurück. »Vier Fingerknöchel und eine halbe Handvoll«, sagte er laut, während er das Pulver und die gelbe Flüssigkeit für Kates nächste Dosis mischte. Er rührte den dicklichen Brei, hielt dann den Löffel über die Schale und sah, wie ein dicker Faden der Mischung wieder in die Schale tropfte.

Adele kam mit einer Maske vor dem Gesicht ins Zimmer, und gleich darauf folgten die Haushälterin und der Verwalter, ebenso maskiert.

»Fertig?« sagte Alejandro.

Alle drei nickten.

»Gut, dann haltet sie fest.«

Die Haushälterin und der Verwalter hielten Kate jeweils an einem Arm und einer Schulter nieder, während Adele ihre Lippen aufzwang, indem sie fest gegen ihre Wangen drückte. Alejandro löffelte ihr die glitschige Mixtur in den Mund, stellte dann rasch die Schale ab und hielt Kate Mund und Nase zu.

Das Kind versuchte zu spucken und wehrte sich mit überraschender Kraft, wollte die unappetitliche Masse ausspeien; die Erwachsenen sprachen alle gleichzeitig auf Kate ein und versuchten, sie zu beruhigen, doch sie hörte nicht auf, sich herumzuwerfen.

»Schluckt doch, um Gottes willen!« rief der Arzt, während sie die Medizin hartnäckig im Mund behielt. Schließlich, als er sah, daß sie blau anzulaufen begann, befahl Alejandro den anderen, sie loszulassen. Kaum war sie dem Zugriff ihrer Peiniger entronnen, spie Kate die graugrüne Masse aus und beschmutzte ihr Bettzeug und ihr Nachthemd.

Niemand sprach; sie hatten dieses enttäuschende Ritual viele Male vollzogen, manchmal mit Erfolg, manchmal mit niederschmetterndem Mißerfolg. Die Haushälterin wollte das Zimmer verlassen, doch Alejandro hielt sie auf.

»Wartet«, sagte er.

»Ich gehe zum Schrank und hole frische Laken und ein neues Nachthemd«, sagte sie gedämpft hinter ihrer Maske hervor.

»Nein, wartet«, sagte er. »Wir werden es noch einmal versuchen. Diesmal mische ich es dünner, vielleicht wird sie es dann schlucken.« Er nahm die Schale und begann, die Zutaten abzumessen. »Diesmal versuchen wir es mit vier Knöcheln und einer ganzen Handvoll.«

»Wird es denn in dieser Zusammensetzung wirken?« fragte Adele.

»Ich habe keine Ahnung«, sagte Alejandro, »aber ich bin sicher, daß die Zusammensetzung, die wir jetzt verwenden, nutzlos ist, wenn wir sie nicht bewegen können, das scheußliche Zeug zu schlucken.«

Er mischte Pulver und Flüssigkeit, die diesmal dünn vom Löffel tropften. »Sie wird keine andere Wahl haben, als das zu schlucken«, sagte er.

Sie wiederholten das abscheuliche Ritual, und diesmal konnte Kate die Mischung nicht wieder von sich geben. Sobald Alejandro ihr Mund und Nase zuhielt, schluckte sie schwer und nahm so den ganzen Mundvoll auf einmal zu sich. Sie würgte und hustete, behielt die Medizin aber bei sich, und die umgebenden Erwachsenen jubelten und klatschten in die Hände.

Adele und Alejandro zogen ihr das beschmutzte Nachthemd aus, und während die Haushälterin das Bett frisch bezog, badeten sie Kate in einer Wanne mit warmem Wasser. Jeder Gedanke an Scham trat beiseite, als Alejandro sie untersuchte und nach Anzeichen einer Veränderung ihres Zustands Ausschau hielt.

Sorgfältig sah er sich Hals und Achselhöhlen an. »Die Schwellungen wirken nicht größer als vor zwei Tagen. Und sie haben sich auch nicht zu Eiterbeulen entwickelt«, sagte er. »Das ist ein hoffnungsvolles Zeichen.«

Doch am siebten Tag ihrer Behandlung, als der größte Teil der Medizin verbraucht war, mußte Alejandro sich eingestehen, daß die Möglichkeit eines Mißerfolgs bestand. »Sie hat sich nicht so gut erholt, wie ich gehofft hatte«, sagte er zu Adele. »Inzwischen hatte ich bessere Resultate erwartet.«

»Aber es hat einen Viertelmond gedauert«, sagte Adele, gegen seinen Pessimismus protestierend. »Ich habe viele in weniger als der halben Zeit sterben sehen.«

Er erinnerte sich an die Gardisten des Papstes, die mit ihm aus Avignon gekommen waren; einer hatte nach dem Ausbruch der Krankheit nur noch drei Tage gelebt. Er wußte, Kates Erkrankung verlief nicht mit der gleichen verheerenden Schnelligkeit und war auch nicht annähernd so schwer. Doch dieser schon fast wunderbare Erfolg stellte ihn dennoch nicht zufrieden. Ich werde sie am Leben erhalten und gesund machen, dachte er, oder selbst bei dem Versuch umkommen.

In dieser Nacht saß er neben ihrem Bett, als alle anderen schon längst gegangen waren, und hielt das sich langsam leerende Fläschchen mit gräulichem Pulver in der Hand, von dem Mutter Sarah ihm gesagt hatte, es sei »der Staub der Toten«.

Das Haar des Hundes, der dich gebissen hat, dachte er bei sich.

Unmittelbar nach diesem Gedanken richtete er sich auf und starrte das Fläschchen erneut an. Das Haar des Hundes, der dich gebissen hat. Der Staub der Toten. Ein und dasselbe! Vielleicht enthält beides irgendeine unsichtbare Substanz mit der Macht, Ansteckung zu verhindern, dachte er aufgeregt. Er verließ Kates Bett, suchte sein Buch der Weisheit und schrieb seine Gedanken nieder.

Dann nahm er sich die Zeit, noch einmal nachzulesen, was er nach der Beobachtung von Mutter Sarah aufgeschrieben hatte. So seltsame Maße! Ein »Fingerknöchel« von dem Pulver und eine »halbe Handvoll« von dem Wasser, in der Tat! Wenn es sich um einen Fingerknöchel von Adele und seine eigene Hand handelte, würde sich eine sehr andere Mischung ergeben als die, die er zuerst benutzt hatte. Und wenn es der Knöchel von Adeles kleinstem Finger war und die gewölbte Hand ihres Verwalters wäre, wäre die Mischung wieder anders. Die, die Mutter Sarah benutzt hatte, war nur teilweise erfolgreich gewesen.

Aber wenn es weniger Pulver ist und mehr Wasser, bedeutet das dann nicht logisch erweise, daß die Medizin schwächer ist? fragte er sich. Und gibt es keine Möglichkeit, dieser Schwäche entgegenzuwirken? Wenn man jemandem jetzt vier starke Dosen am Tag gibt, sind dann nicht vielleicht acht schwache Dosen genauso wirksam? Und warum nicht zehn oder zwölf oder noch mehr Dosen verabreichen? Er richtete sich noch gerader auf. Seine Erregung wuchs, und er kritzelte fieberhaft in sein Buch. Wahrhaftig, dachte er bei sich, das ist eine Nacht kühner Gedanken! Sicherlich würde es Kate nichts schaden, dieselbe Substanz in sich aufzunehmen, aus der sie selbst bestand; wenn auch alle zivilisierten Gesellschaften die Praxis untersagten, Menschenfleisch zu essen, hatte der Jesus der Christen seinen Anhängern nicht seinen Leib gegeben?

Er nahm die Schale auf, in der Kates Medizin gemischt wurde. Ein kleiner Rest war noch darin. Er gab mehr von dem gelben Wasser und dann eine kleine Menge Pulver dazu, bis er eine dünne, wässrige Mischung erhielt. Er würde anfangen, ihr davon zu geben, wenn die Zeit für ihre nächste Dosis gekommen war.

Die Kleine wachte nur selten auf; ihr kleiner Körper war zusammengerollt wie der eines Säuglings, genau wie der ihrer Mutter kurz vor dem Ende. Ihre wachsamen Gefährten wuschen immer, wenn es nötig war, ihre Ausscheidungen weg und bezogen ihr Bett frisch. Manchmal zuckte sie, und Alejandro fragte sich, ob Carlos Alderon vielleicht auch einen Weg in Kates Träume gefunden hatte; es schien, als sei der Schmied es müde geworden, den Arzt heimzusuchen, vielleicht, weil er nicht mehr dessen volle Aufmerksamkeit erringen konnte, da nun Adele an seiner Seite war.

Doch nach und nach begann Alejandro, eine Besserung zu sehen; die Schwellungen an Kates Hals wurden kleiner und heller, und sie schlief friedlicher. Endlich, am dreizehnten Tag nach ihrer Erkrankung, schlug Kate die Augen auf, schaute sich um und sah Alejandro neben ihrem Bett schlafen, mit offenem Mund, den Kopf über der Rückenlehne des Stuhls hängend. Mit rissigen Lippen krächzte sie: »Doktor ... Doktor ...«

Alejandro erwachte mit einem Ruck und schüttelte den Kopf, um seine Sinne zu klären. Rasch setzte er seine Maske auf. Einen Augenblick lang war er nicht sicher, woher die leise Stimme gekommen war; war sie auch wieder ein Traum gewesen?

»Doktor«, sagte sie noch einmal.

Diesmal war der Ursprung der Stimme nicht zu verkennen. »Wie denn das?« sagte er. »Was für eine wunderbare Neuigkeit! Die schlafende Schönheit erwacht!«

Kate brachte ein dünnes Lächeln zustande, obwohl ihre rissigen Lippen dabei schmerzten. Schwach sagte sie: »Bin ich zu Hause in Windsor? Wo ist die Nurse?«

»Nein, meine Kleine, Ihr seid noch immer in Adeles Schlafzimmer. Ihr habt viele, viele Tage geschlafen, und wir haben über Euch gewacht. Bis nach Windsor ist es ein Ritt von mehreren Stunden, aber ich bin sicher, daß die Nurse noch immer da ist und begierig auf Eure Rückkehr wartet.«

Kate schloß die Augen und fiel wieder in einen leichten, unruhigen Schlaf. Wenige Minuten später erwachte sie erneut, diesmal etwas klarer. »Ich bin so durstig. Bitte, darf ich etwas Wasser trinken?«

Alejandro schenkte aus dem Krug auf ihrem Nachttisch einen Becher Wasser ein. Er half ihr in eine sitzende Position und hielt den Becher an ihre wunden Lippen. Zuerst trank sie zu gierig, und etwas von dem Wasser rann aus ihren durch die Verheerungen der Krankheit schlaffen Mundwinkeln; sie wischte die Tropfen mit dem Ärmel ihres Nachthemds ab.

Gott sei Dank kann sie sich in diesem Augenblick nicht sehen, dachte er; kein Mensch würde sie als dasselbe Kind erkennen. Ihre Augen waren rot und ihre Haut so weiß wie die kalte Morgenasche vom Feuer der letzten Nacht. Nun, da sie angefangen hatte, ihre Lippen wieder zu bewegen, wurden die Risse tiefer und bluteten leicht. Sie hatte so lange keine Nahrung zu sich genommen, daß Alejandro sich wunderte, wieso sie nicht verhungert war.

»Ich komme bald zurück, meine tapfere Lady, mit etwas Salbe für Eure Lippen und ein wenig Nahrung für Euren Bauch.«

In der Küche fand er ein Glas mit dickem gelbem Gänseschmalz. Er ignorierte Kates schwache Proteste gegen den unangenehmen Geschmack der improvisierten Salbe und rieb etwas davon auf ihre rauhen Lippen; ihm gefiel nicht, wie ihre Haut sich unter seinen Fingern anfühlte. Ich hoffe, diese Lippen heilen ohne Narben, dachte er und erinnerte sich an seine eigene Qual wegen seiner Narbe, die sich viel leichter verbergen ließ als Narben im Gesicht.

Bald darauf klopfte jemand an die Tür. Alejandro rief: »Herein!« Die Haushälterin trat ein.

»Haben wir ihre Medizin vergessen?« fragte die Frau schüchtern. »Die Stunde ist um, und man hat mich nicht gerufen . Ich hatte schon das Schlimmste befürchtet .«

»Wie Ihr sehen könnt«, sagte Alejandro und wies auf Kate, »ist ganz das Gegenteil eingetreten! Nämlich das Beste!«

Ängstlich kam die Frau ins Zimmer, und der Arzt sagte ihr, es sei nicht mehr gefährlich, sich zu nähern. »Die Ansteckung hat sie verlassen, wie Ihr an ihrem hübschen Lächeln sehen könnt!«

»Gott sei gelobt!« sagte die Haushälterin. »Soll ich etwas zu essen bringen?«

»Möchtet Ihr essen, Kind?« fragte er.

Kate nickte.

»Bringt heiße Brühe und etwas Brot«, sagte er. »Und dann sucht Eure Lady und teilt ihr die gute Nachricht mit!«

Die Haushälterin kam bald mit einem Tablett zurück, und Alejandro balancierte es auf seinen Knien. Er riß kleine Bröckchen von dem trockenen Brot ab, tauchte sie in die heiße Brühe, ließ sie ein wenig abkühlen und fütterte das kleine Mädchen dann vorsichtig damit.

Zuerst hatte Kate einige Schwierigkeiten, denn sie konnte kaum den Mund öffnen, und die rissigen Mundwinkel begannen immer wieder zu bluten. Doch Alejandro war sanft und geduldig mit ihr, und nach und nach konnte sie alles aufessen. Die Schatten im Zimmer hatten sich beträchtlich bewegt in der Zeit, die sie für ihre Mahlzeit gebraucht hatte.

Als sie fertig war, deckte Alejandro sie gut zu und machte sich auf die Suche nach Adele. Er fand sie in der gleichen Truhe kramend, in der sich ursprünglich das rosafarbene Nachthemd befunden hatte, auf der Suche nach anderen Kleidungsstü- cken, die von Nutzen sein könnten. Sie summte leise vor sich hin, während sie die Wäsche sortierte, und lächelte Alejandro strahlend an, als sie ihn erblickte.

Er hatte sie seit vielen Tagen nicht mehr lächeln sehen; selbst wenn sie sich geliebt hatten, war sie still und bedrückt gewesen. Wie mich ihr schönes Lächeln entzückt, dachte er.

Sie unterbrach ihre Tätigkeit und stand auf. Freudig und mit fast verzweifelter Heftigkeit umarmten sie sich und hielten einander lange und zärtlich fest. »Ach, mein Liebster«, sagte sie, und ihre Stimme zitterte fast vor Ergriffenheit, »ich habe das Gefühl, es gibt Hoffnung, daß alles wieder gut wird, daß die Welt endlich zu Gesundheit und Güte zurückkehrt; wir haben viel zu lange unter dem Bann des Bösen gestanden, und ich bin der dauernden Nachrichten über grausame Todesfälle schrecklich müde.« Sie entwand sich seinen Armen und kehrte an ihre Arbeit zurück. »Ist es falsch, daß ich diese Hoffnung habe?« sagte sie. »Werden wir endlich mit der Bedrohung durch diese Pest fertig sein?«

Er kniete neben ihr nieder. Er berührte ihr Haar und strich mehrmals leicht darüber, ehe er antwortete.

»Leider muß ich dich daran erinnern, daß wir nichts mehr von dem Pulver haben.«

»Aber gewiß kann man mehr davon beschaffen!«

»Sei versichert, ich werde Mutter Sarah davon überzeugen, daß wir es unbedingt brauchen! Und ich werde von ihr lernen, es selbst herzustellen. Ich glaube, es hat die Macht zu heilen, nach der wir viel zu lange gesucht haben! Aber ich werde dich und Kate sicher nach Windsor zurückbringen, bevor ich wieder losreite, um Mutter Sarah aufzusuchen. Bald werden wir ihre Fortschritte sehen und die Rückreise zum Schloß planen können.«

»Wie ich mich freuen werde, Isabella wiederzusehen«, sagte Adele und berührte zärtlich seine Wange. »Du bist so lieb und freundlich; ich vermisse wahrhaftig ihre spitze Zunge. In dieser Hinsicht kannst du niemals hoffen, sie zu ersetzen.«

Er griff nach ihrer Hand und sagte: »Gott sei gelobt, daß er mich mit einem so edlen Mangel geschaffen hat.« Er freute sich, wieder scherzhaft mit ihr reden zu können, denn was er als nächstes zu sagen hatte, würde Adele nicht gefallen.

»Geliebte, es wird nicht so einfach sein mit der Rückkehr, wie du denkst. Wir können nicht einfach nach Windsor zurückreiten und verkünden, daß Kate geheilt ist. Erinnere dich, wie mit Matthews verfahren wurde. Er wies keinerlei Zeichen von Infektion auf, und niemand verweigerte meinen Befehl, ihn zu töten, um die übrigen Bewohner von Windsor zu schützen.«

Dies war das erste Mal, daß er jemandem außer Sir John und dem König laut sagte, daß es seine Idee gewesen war, Matthews zu töten. Adele sagte nichts, wich aber ein wenig von ihm zurück.

Er sah sie unendlich traurig an und setzte sein Geständnis fort. »Aller Wahrscheinlichkeit nach war er angesteckt und wäre bald erkrankt, und so bin ich im Innersten davon überzeugt, daß meine Entscheidung notwendig war. Aber ich werde niemals die Gewißheit haben, daß sie richtig war. Jeden Tag muß ich daran denken, wie ich an ihm gefehlt habe. Mein Eid verpflichtet mich, Leben zu verlängern und nicht, es mit eigener Hand zu verkürzen.«

Adele wurde weicher zumute. »Mein Liebster«, sagte sie besänftigend, »ich habe dich seit jenem Tag oft in düsterer Stimmung gesehen und geahnt, daß dies der Grund dafür war.«

Beschämt senkte er den Kopf. »Matthews ist nicht der einzige Patient, an dem ich gefehlt habe. Es gab einen Patienten in Aragon, für den ich mein eigenes Leben verpfändet hätte, so wütend war ich über die Erfolglosigkeit meiner besten Bemühungen.« Er sprach nicht weiter, denn das konnte nur zu Schwierigkeiten führen, und er wollte den Geist von Carlos Alderon nicht in seine Träume zurückholen.

»Ich glaube nicht, daß Gott von jemandem außer Seinem einzigen Sohn erwartet, daß er Wunder wirkt.«

»Das war nie Gottes Forderung an mich«, antwortete er, »nur meine eigene.«

Wieder berührte Adele seine Wange. »Dann mußt du dich von dieser unerfüllbaren Verpflichtung befreien, denn ihr Gewicht wird dich binnen kurzem zerstören.«

Müde seufzend räumte er ein, daß sie recht hatte. »Aber nun«, sagte er, »müssen wir, fürchte ich, weiter besprechen, was zu tun ist. Wir müssen Pläne machen.«

Geduldig erklärte er ihr, was seiner Meinung nach bei ihrer Rückkehr geschehen würde, daß er und Kate wie Matthews und Reed empfangen und dann unter Quarantäne gestellt werden würden. »Aber sobald jemand herausfindet, daß Kate die Pest hatte, bezweifle ich nicht, daß man sie entweder verbannen oder töten wird, und selbst der König wird nichts dagegen einwenden.«

»König Edward würde niemals zulassen, daß man seinem eigenen Kind das antut!«

Alejandro sah Adele in die Augen und sagte: »Wie ich gehört habe, hat er nicht verhindert, daß sein eigener Vater getötet wurde.«

Adeles Schweigen bestätigte das Gerücht.

»Wir müssen es geheimhalten, Adele, und Kate wird es auch niemals jemandem sagen dürfen. Es würde meinem eigenen früheren Urteil über Matthews entsprechen, sie auszusetzen oder zu vernichten, und die Schloßbewohner werden von mir erwarten, daß ich dafür sorge. Wie kann ich rechtfertigen, sie zu verschonen, wo doch Matthews schon mit seinem Leben bezahlt hat? Unwillkürlich hege ich den Verdacht, daß König Edward froh wäre, die tägliche Erinnerung an seine früheren Verfehlungen loszuwerden; gewiß würde die Königin ihn in milderem Licht sehen, wenn das Kind kein so sichtbares Reizmittel wäre. Niemand, der die Macht dazu hätte, wird sich für ihre Rettung einsetzen.«

Adele stand nicht mehr der Sinn nach der fröhlichen Tätigkeit, die sie soeben unterbrochen hatte. Langsam ging sie zu dem hohen Fenster. Sie schaute hinaus in den kalten Tag und sagte leise: »Sag mir, wie ich helfen soll. Ich will tun, was ich kann, um es für uns alle leichter zu machen.«

»Wir müssen hoffen, daß es Isabella gelungen ist, deine Abwesenheit vor ihrem Vater zu verheimlichen. Du wirst ohne meine Hilfe den Weg zu ihr zurück finden müssen, fürchte ich.«

»Das wird zum Glück nicht schwierig sein. Sie wird mir während der Quarantäne, die ich mir selbst auferlegen werde, ein getrenntes Zimmer zuweisen. Wenn ich den Geheimgang erreiche, werde ich ihr durch den Koch eine Botschaft senden, ohne jemandem nahe zu kommen, und sie wird dafür sorgen, daß ich sicher, aber von anderen getrennt untergebracht werde.«

»Zweifelst du nicht daran?«

»Alejandro, ich versichere dir, die Prinzessin liebt mich wie eine Schwester, und es wird so geschehen.«

Obwohl Alejandro daran zweifelte, daß Isabella in der Lage war, jemanden so selbstlos zu lieben, widersprach er Adele nicht. »Nach vierzehn Tagen kannst du gefahrlos wieder am Leben von Windsor teilnehmen; Kate und ich werden natürlich genauso unter Quarantäne gestellt wie Matthews und Reed. Ich werde unsere lange Abwesenheit damit erklären, daß ich länger als ursprünglich gedacht außerhalb der Mauern Windsors bleiben wollte, weil wir so engen Kontakt mit Kates Mutter hatten, was ja teilweise stimmt. Niemand wird mir diese zusätzliche Vorsichtsmaßnahme verübeln. Ich denke, kaum jemand wird meine täglichen lästigen Predigten über Vorkehrungen gegen eine Infektion vermißt haben.«

Adele sagte dazu nichts, da sie wußte, eine Bestätigung seiner Aussage würde seine Stimmung nicht verbessern. Sie fragte nur: »Wie lange wird es dauern, bis Kate gesund genug ist, um die Reise anzutreten?«

»Das kann ich wirklich nicht sagen; ich habe noch nie erlebt, daß jemand von dieser Seuche genesen ist, und ich habe nicht genug Erfahrung, um vernünftige Vermutungen anstellen zu können. In ein paar Tagen kann ich dir mehr sagen. Im Augenblick ist sie ziemlich schwach, und es ist gar nicht an eine Reise zu denken. Sie ist jung und wird sich bald erholen, aber gegenwärtig ist sie unsagbar schwach und anfällig, und deswegen glaube ich, daß ihre Genesung nicht so schnell gehen wird.«

»Dann müssen wir wohl zusehen und warten und darum beten, daß ihre Gesundheit bald wiederkehrt.«

»Ja, das müssen wir wohl«, antwortete er resigniert.

Kates schnelle Genesung überraschte alle. Nach sechs oder sieben Tagen hatte sie einen guten Teil ihrer früheren überschäumenden Lebhaftigkeit zurückgewonnen. Ihre Lippen waren nicht mehr rissig, und ihre Gestalt war nicht mehr so jämmerlich mager; ihre Wangen fingen an, ein wenig Farbe zu zeigen, und ihr reizendes Lächeln kehrte zurück. Sie schwatzte unablässig mit jedem, der ihr zuhören wollte.

Alejandro wußte, daß es Zeit zum Aufbruch war; er war zwar begierig, den unangenehmen Auftrag zu Ende zu bringen, den der König ihm gegeben hatte, aber er wußte auch, daß ihre Rückkehr nach Windsor das Ende der seligen Intimität bedeuten würde, die er und Adele genossen hatten. Er war zwar sicher, daß man Kate überreden konnte, ihr Geheimnis für sich zu behalten, doch andere in Windsor würden ihre Verbindung vielleicht nicht mit so freundlichen oder begeisterten Augen sehen.

Schließlich sagte er zu Adele: »In zwei Tagen werden wir nach Windsor aufbrechen!«

»Gnädige Madonna! Wie habe ich mich danach gesehnt, diese Worte zu hören!« Begeistert rief sie die Haushälterin, und sie begannen, ihre Habseligkeiten zu ordnen.

Er beobachtete sie mit großer Trauer; er wußte, er konnte ihr ihre Gefühle nicht verübeln, ganz gleich, welche Wirkung sie auf ihn hatten. Er wandte sich ab und ging zu dem Stallknecht, um diesen anzuweisen, die Pferde für die Reise vorzubereiten; sein Herz brannte vor Trauer um eine Liebe, die gewiß keine Zukunft hatte.

Auf dem Rückweg nach Windsor kamen sie an einem kleinen Kloster mit einer Kapelle vorbei. Als sie sich ihm näherten, sagte Adele: »Laßt uns hier anhalten; ich möchte die Beichte ablegen. Es ist viel zu lange her, seit ich zuletzt von meinen Sünden losgesprochen wurde, und ich möchte, daß Gott mir wieder lächelt.« Ohne auf Alejandros Reaktion zu warten, stieg sie von ihrem Pferd.

»Soll ich mit Kate hier warten?« fragte er, noch immer im Sattel sitzend.

Der Blick, den sie ihm daraufhin zuwarf, war neugierig und fragend. »Warum könnt Ihr nicht beide mit hineinkommen?«

Es kann keine annehmbare Erklärung geben, dachte er bei sich. Ich habe keine andere Wahl, als zu gehen. Er zuckte mit den Schultern, saß ab und hob Kate von dem Reittier, das sie mit Adele geteilt hatte.

Sie zogen die Glocke, und bald erschien ein kleiner, zerbrechlich aussehender Mönch in brauner Kutte.

»Vater, ich möchte beichten«, sagte Adele.

Er sah zuerst Adele an und dann den großgewachsenen Mann mit dem kleinen Mädchen an seiner Seite. Alejandro spürte, wie der Priester ihn forschend musterte.

»Und Ihr?« fragte der Mönch.

Alejandro zögerte einen Augenblick, ehe er sprach. »Ich werde beten, während wir auf die Lady warten«, sagte er.

»Wie Ihr wünscht«, sagte der Mönch und ließ sie ein.

Die Zeit, die Adele brauchte, um dem Priester ihre Seele zu offenbaren, kam Alejandro sehr lang vor. Was kann sie für Sünden begangen haben, daß es so lange dauert, sie aufzuzählen? fragte er sich. Er sah sich in der Kapelle mit der gewölbten Decke um und legte den Kopf in den Nacken, um die Deckengemälde zu betrachten.

Selbst ihre kleinen Tempel sind luxuriös, dachte er. Und die Fenster, so hoch, so bunt! Obwohl sieben weitere Mönche vor dem Altar beteten, war es in der Kapelle beinahe völlig still. Sie beten lautlos, dachte er und erinnerte sich an die lauten Anrufungen, die sein Vater am Sabbattisch anzustimmen pflegte.

Dann standen die sieben Mönche gleichzeitig auf und begannen langsam, durch den Mittelgang der Kapelle zu schreiten. Der erste begann mit klarer, süßer Stimme zu singen, und die sechs anderen wiederholten unisono die gleiche Melodie. Ihr Gesang stieg zur Decke auf und hallte von den Gewölben nieder. Er war ergreifend und fast schmerzhaft schön, und Alejandro fühlte sich merkwürdig beglückt von den sanften Tönen der vereinten Stimmen. Während sie in einer langen Reihe das Gotteshaus verließen, setzten die Mönche ihren Gesang fort; als sie im Kloster verschwanden, sank er zu einem Flüstern herab und verklang dann ganz.

Alejandro spürte eine Hand auf seinem Arm; er hatte nicht gemerkt, daß er die Augen geschlossen hatte. Rasch öffnete er sie und sah Adele vor sich stehen, einen strahlenden Ausdruck von Frieden auf dem Gesicht. »Ich bin absolviert«, sagte sie.

Er stand auf und betrachtete sie. »Welche Sünden hast du begangen, daß du so lange gebraucht hast, um Vergebung zu erlangen?« fragte er leise.

Sie lächelte liebreizend, eine Frau, die wieder ganz mit sich selbst im reinen war. »Ich war mit einem Mann zusammen, der nicht mein Ehemann ist.«

Beinahe wäre er zusammengezuckt. »Dann habe auch ich diese Sünde begangen«, sagte er.

»Ich war meinem König untreu.«

»Er hatte deine Untreue wohl verdient.«

»Dennoch ist er mein König. Meine Familie hat ihm Loyalität geschworen. Und ich habe meine Herrin Isabella verraten, indem ich so lange fortgeblieben bin.«

»War es nicht dein Wunsch, das zu tun?« fragte er.

»Eben darin liegt die Sünde«, sagte sie. »Es war mein Wunsch. Und wegen der Schwere dieser Vergehen brauchte ich außer meiner Buße noch weitere Anleitung. Der liebenswürdige Priester war so freundlich, mich zu unterweisen.«

Sie wandte sich um und sah zu, wie der Priester sich von der Stelle vor dem Altar erhob, wo er gekniet hatte. Dann schaute sie wieder Alejandro an und sagte: »Und nun bin ich bereit, nach Windsor zurückzukehren.«

Zur Erleichterung derer, die sie in Windsor zurückgelassen hatten, tauchten Alejandro und Kate vierzehn Tage später gesund aus ihrer Isolation wieder auf, und inzwischen hatte das Kind seine gute Laune und den rosigen Glanz seiner Wangen wiedergefunden. Adele nahm ihren Platz in Isabellas Haushalt wieder ein, nachdem der König ihre Abwesenheit nicht einmal bemerkt hatte. Kate begann wieder mit ihrem unablässigen Schwatzen und Erzählen und verlangte ständig Schachpartien; selbst die geduldige alte Nurse, die früher scheinbar unbegrenzte Duldsamkeit für die Kleine aufgebracht hatte, wünschte sich laut ein paar Augenblicke seliger Stille.

Der reiche Herbst, dessen stürmischer Pinsel bei der Abreise zu Kates Mutter noch nicht angefangen hatte, die Landschaft mit Gold und Kupfer zu färben, war nun fast vorbei; kalte Böen wehten graue Zweige und braune, trockene Blätter über die kahl gewordene Landschaft. Fast drei Monate waren vergangen, und die trübsinnigen Bewohner von Windsor Castle richteten sich auf den Winter ein und langweilten sich schon jetzt bei den Unterhaltungen, die sie normalerweise über die lange Dunkelheit der kalten Jahreszeit hinweggetragen hätten.

An einem dieser grauen Tage wurde Alejandro in die Privatgemächer des Königs gerufen. Als er eintraf, erwartete der Monarch ihn schon; auf dem Tisch lag ein Stapel Schriftrollen.

»Die müßt Ihr lesen«, sagte der König. »Immer wieder berichten sie von dem Verschwinden der Pest außerhalb Windsors. Vielleicht ist es an der Zeit, diese Berichte zu überprüfen. Was würdet Ihr zu einer Inspektionsreise sagen? Sollen wir Leute ausschicken, die über Land reiten und uns aus erster Hand Bericht erstatten?«

Alejandro sah rasch die Botschaften durch. »Sire, das sind nur wenige Berichte von weit verstreuten Orten.«

»Meine Gefolgsleute haben genügend Nachrichten geschickt, und in allen steht dasselbe: Es gibt buchstäblich keine neuen Krankheitsfälle mehr, seit der erste Schnee gefallen ist.«

Alejandro wußte, daß er dem König, einem tapferen, aber besorgten Monarchen, dem man viel zu lange den Zutritt zu dem Reich verwehrt hatte, das er beherrschte, seine Befürchtungen so erklären mußte, daß er sie auch verstehen konnte. »Stellt Euch vor«, sagte er, »daß Ihr eine große Schlacht austragt und Eure Spione in jeder Richtung zehn Meilen weit geritten sind, ohne in diesem Umkreis eine wartende Armee anzutreffen. Und dann überlegt Euch, was Ihr tun würdet, wenn nur einer dieser Spione eine Meile weiter geritten wäre als die anderen und dort eine gut ausgerüstete Armee entdeckt hätte, bereit und willens, einen kühnen Angriff auf Eure Streitmacht zu reiten.«

Der König wurde ungeduldig bei Alejandros umständlicher Allegorie. Er knurrte unzufrieden und sagte: »Mit der Ablehnung meiner Schlußfolgerung als unbegründet seid Ihr schnell bei der Hand, gelehrter Doktor, aber Ihr bietet mir keine Alternativen. Da Ihr meine Verantwortung für meine Untertanen kennt - was würdet Ihr tun, wenn Ihr an meiner Stelle wärt, mit einem Schloß voll wütender Gefangener und einem Königreich, um das man sich kümmern muß?«

»Ich würde die auswärtigen Gefolgsleute auf ihren früheren Wegen zwei Stunden weit fortreiten lassen, um sicher zu sein, daß es im Umkreis keine anderen Armeen gibt. Erinnert Euch, Majestät, daß der Papst eine viel längere Isolierung ertragen hat als Ihr. Und soweit wir gehört haben, ist er bei guter Gesundheit.«

Der König seufzte gereizt. »Ich bezweifle nicht, daß ich hundertmal so unglücklich bin wie Clemens; ich stehe mitten in einem Krieg und muß dafür sorgen, daß ich ihn gewinne!«

»Sire, ich weiß, daß Ihr begierig seid, Euer volles, normales Leben wieder aufzunehmen, und daß Euer Königreich von Eurer Aufmerksamkeit profitieren würde. Auch ich würde diese Mauern gern ohne jede Einschränkung verlassen, aber das darf einfach nicht geschehen! Seid geduldig, ich flehe Euch an; wartet noch eine Weile.«

Edwards enttäuschtes Stirnrunzeln war düster und bedrohlich. »Wieviel Zeit würde Euch zufriedenstellen?« fragte der König.

Er wird es nicht viel länger aushalten, dachte Alejandro. Wirklich, wann ist der beste Zeitpunkt, ein neues Leben zu beginnen? Was würde de Chau- liac sagen? »Vielleicht sollte man die Astrologen zu Rate ziehen«, sagte er.

Der König machte eine abschätzige Geste mit der Hand und sagte: »Scharlatane und Lumpen, einer wie der andere. Sie werden mir sagen, was ihren eigenen Zwecken am besten dient. Ihr jedoch habt diese Neigung nicht, Doktor. Es wird Eure Entscheidung sein. Nennt den Zeitpunkt.«

Ein neuer Anfang, dachte Alejandro. Der Frühling. Er schaute den König an und sagte: »Wie lange dauert es, bis hier die ersten Blüten erscheinen?«

»Höchstens noch fünf oder sechs Wochen«, antwortete der König.

»Dann werden wir, wenn alles gutgeht, hinausgehen und ohne Einschränkung die ersten Blumen pflücken.«

Alejandro und Adele trafen sich, so oft sie konnten; angesichts der Forderungen, die die gelangweilte Isabella an Adeles Gesellschaft stellte, geschah das weit seltener, als ihnen beiden gefiel.

Doch ihr Glück wendete sich, als Alejandros ältlicher Diener sich in eine der Köchinnen verliebte; häufig bat er um Urlaub, um sie zu besuchen, und Alejandro gewährte ihn nur zu gern. In einer solchen Nacht im Januar kam Adele in sein Gemach, nachdem es ihr gelungen war, sich ihrer anspruchsvollen Herrin heimlich zu entziehen.

»Will sie deine Zeit denn ganz in Anspruch nehmen?« sagte Alejandro, während er sie umarmte.

»Sie hält mich in Atem mit der Planung, wie sie ihre Apanage ausgeben soll, wenn sie einen neuen Schneider gefunden hat. Ständig muß ich mir Zeichnungen ansehen; meine Meinung über modische Aufmachung scheint auf einmal im Wert gestiegen zu sein.«

Alejandro seufzte. »Bald wird Frühling. Meine Zeit hier geht dem Ende entgegen; ich hätte dich während der kurzen Zeit, die uns noch bleibt, gern für mich. Ich würde am liebsten ganz Windsor, ja, der ganzen Welt von meiner Liebe zu dir erzählen; sollen sie doch alle denken, was sie wollen. Ich kann das Geheimnis fast nicht mehr ertragen; ich bin es leid, meine Freude für mich zu behalten.«

»Alejandro, der König ... wir müssen seine Reaktion bedenken. Ich kann einfach nicht vorhersagen, wie sie ausfallen wird.«

»Aber du hast mit Isabella gesprochen ...«

»Und sie hat ihre Gedanken für sich behalten.

Sie will nicht sagen, was sie von unserer Angelegenheit hält.«

»Aber sie kann doch sicher deine Gefühle für mich verstehen . sie hat doch sicher selbst schon geliebt.«

Adele nahm seine beiden Hände in ihre und zog sie an die Lippen, um sie zu küssen. Mit sehr trauriger Miene sah sie zu ihm auf. »Ich fürchte, daß ich ihre Einstellung nicht verstehe. Liebe ist ihre Sache nicht. Sie muß den Mann heiraten, den ihr Vater für sie auswählt. Sie weiß nur zu gut, daß sie die Liebe vielleicht niemals erleben wird, um ihrer Pflicht willen. Oh, der König hört sich schon ihre Meinung an, wenn er eine Heirat für sie in Erwägung zieht, aber falls sich eine gute Partie böte, würde er tun, was er will, ohne auf ihre Ansicht Rücksicht zu nehmen. Er würde ihr sagen, was allen Prinzessinnen gesagt wird, nämlich, daß sie bei ihrem Mann Liebe finden wird, wenn Gott es will.«

»Und doch besteht Liebe zwischen dem König und der Königin; das habe ich mit eigenen Augen gesehen.«

»Aber Edwards Heirat wurde von seiner Mutter arrangiert, die seinen Vater verabscheute. Sie war eine Frau mit starkem Willen und beträchtlichen diplomatischen Fähigkeiten, und sie fand Mittel und Wege, ihren Sohn in Situationen zu bringen, in denen er selbst eine passende Braut finden und sich einbilden konnte, er habe sie erwählt. Phillippa hat er unter den vier Töchtern eines flämischen Adeligen gefunden, der mit der Königsfamilie Frankreichs verbündet war, der sie selbst entstammte. Sie ging da sehr klug zu Werke. Ihr eigener Sohn, unser edler König, scheint diese Geschicklichkeit nicht geerbt zu haben.«

»Also hat Edward Königin Phillippa geliebt, bevor sie heirateten.«

»Ja, sogar sehr, wie man sich erzählt. Aber ich langweile dich; sicherlich kennst du die Geschichte schon.«

Er sagte nichts und ließ sie in dem Glauben, er entstamme jenem Teil der spanischen Gesellschaft, in dem über solche Dinge gesprochen wurde. Hätte er etwas anderes eingestanden, so hätte er sich verraten.

»Aber trotzdem, Isabella muß doch verstehen .«

»Begreifst du Frauen denn überhaupt nicht?« fragte Adele. »Deine Unschuld verblüfft mich. Isabella ist eifersüchtig auf unsere Liebe. Ich weiß es! Sie wechselt das Thema, wenn ich von dir spreche. Ich sehne mich danach, ihr die Tiefe meiner Gefühle für dich zu gestehen, denn sie ist meine liebste Freundin, und ich bin von ihrem Mitgefühl abhängig. Aber leider bekomme ich nur wenig davon. Ich weiß, daß das nur so ist, weil sie neidisch ist. Sie hat sich gegen die Vorstellung der Liebe verhärtet und ist ständig auf der Hut davor. Sie weiß nur zu genau, daß nichts Gutes dabei herauskäme, wenn sie lieben würde, wo es nicht angebracht ist.«

Alejandro machte kein Hehl aus seinem Groll. »Sie ist eine Prinzessin, sie ist reich und sehr schön und besitzt alle nur denkbaren Vorteile. Sie weiß doch sicher, daß ein Gatte für sie gefunden werden wird, wenn Europa von der Geißel dieser Pest befreit ist. Sogar mein Mentor de Chauliac hat darüber gesprochen; er hat gesagt, der Papst habe schon Arrangements für sie im Sinn.«

»Wenn das so ist, dann wird es uns beiden Nutzen bringen. Wenn Isabella sich auf ihre eigene Hochzeit vorbereitet, wird sie zu beschäftigt sein, um an meine Freude zu denken, und das gilt auch für ihren Vater. Wir brauchen nur zu warten. Bitte, hab Geduld, mein Liebster.«

Warten, bis ich auf dem Rückweg nach Avignon bin, um dort Gott weiß was anzutreffen? »Ich muß schon vorher abreisen. Meine Arbeit hier geht zu Ende. Der König wird mich nicht eine Minute länger hier dulden, als es nötig ist.«

»Dann mußt du ihm sagen, daß du an einem Heilmittel für die Pest arbeiten mußt. Gewiß wird er den Wert dieser Arbeit verstehen und dein Gönner werden. Und sicher ist auch seit Kates Heilung genug Zeit verstrichen, so daß seine Reaktion sie nicht mehr in Gefahr bringen würde.«

»In diesem Punkt kann ich ihm nicht vertrauen.«

Adele seufzte enttäuscht. »Dann mußt du ihm einfach sagen, daß du bleiben möchtest. Und daß du dich mit deiner Arbeit als Arzt selbst ernähren wirst.«

Plötzlich wurde ihre Stimme lebhaft, und ihre Augen funkelten. »Ich habe eine Idee«, sagte sie. »Auf meinem Gut werden Lämmer erwartet; ich werde Isabella sagen, daß ich hingehen muß, um das zu überwachen. Es dauert nicht mehr lange, bis die Blumen blühen, und dann wird sie mit ihrer Garderobe so beschäftigt sein, daß sie wenig Zeit für mich hat. Ich werde sie erneut um Erlaubnis bitten, das Schloß zu verlassen. Ich weiß, sie wird sie gewähren. Bitte auch du den König um Erlaubnis zur Abreise, aus irgendeinem Grund ...«

Die Möglichkeiten, die Adele darlegte, begannen auch Alejandro zu erregen. »Ich könnte sagen, daß ich neue Vorräte an Kräutern für Medikamente brauche . das wäre keine Lüge .«

»Und wenn es eine wäre«, sagte Adele froh, »so würde er es doch nicht wissen! Und dann kommst du zu mir auf mein Gut. So haben wir Zeit, uns einen Plan auszudenken, Isabellas Einverständnis zu gewinnen.«

Das war mehr, als er zu hoffen gewagt hatte; eine winzige Flamme von Optimismus begann in seinem Herzen zu brennen und ihn zu wärmen; was zuvor unmöglich geschienen hatte, lag nun vielleicht in Reichweite. Und während Adele sich um ihre Güter kümmert, werde ich dafür sorgen, daß ich alles Notwendige habe, um die Pest zu heilen, falls sie wiederkommt, dachte er. Ich werde die Zeit und die Freiheit haben, mich damit zu befassen. Sein Herz begann vor Freude zu schwellen, als er daran dachte, daß seine beiden größten Wünsche vielleicht in Erfüllung gehen könnten.

An einem klaren Tag Mitte Februar wurde ächzend die Zugbrücke hochgezogen, und die Bewohner Windsors strömten aus dem Tor, eine hektische Menge von Gefangenen, die plötzlich und unerklärlicherweise aus ihrer langen, qualvollen Haft befreit waren. Alejandro beobachtete, wie die Feiernden die weißen und purpurnen Krokusse pflückten, herumtanzten und einander umarmten; Reiter galoppierten zur langersehnten Jagd oder zu ihren heimatlichen Gütern. Binnen weniger Tage kamen Scharen von hungrigen Händlern, die gehört hatten, daß man das Schloß wieder betreten durfte; Isabella verbrachte ihre ganze Zeit damit, ihre Waren zu begutachten. Gierig wanderten ihre Augen von einem kostbaren Gegenstand zum nächsten. Da sie auf diese Weise beschäftigt war, gewährte sie Adele bereitwillig die Erlaubnis, sich aus Windsor zu entfernen.

Wie er es mit seiner Geliebten verabredet hatte, bat Alejandro den König, sich auf eine ausgedehnte Reise begeben zu dürfen, um Frühlingskräuter für seine Medizinvorräte zu sammeln, die über den Winter gefährlich knapp geworden waren.

»Nun, Doktor«, lachte der König, »Ihr seid also auch nicht gefeit gegen die tiefe Sehnsucht nach frischer Luft, die die Opfer Eurer strengen Einschränkungen empfinden! Bei allen Heiligen, dieser Winter war qualvoll lang und elend. Geht nur und bringt Wagenladungen von allen Kräutern mit, die Ihr wollt! Und wenn Ihr wiederkommt, werden wir über die Vorkehrungen für Eure Rückkehr nach Spanien sprechen, denn glücklicherweise hat Eure gute Arbeit Eure weiteren Dienste überflüssig gemacht. Ich bin sicher, daß Ihr Euer Heim und Eure Lieben in Aragon vermißt.«

Doch in den immer zahlreicher werdenden müßigen Stunden, die er seit dem augenscheinlichen Ende der Pestwelle genoß, war Alejandro allmählich zu der Annahme gelangt, daß das, was Adele vorschlug, vielleicht möglich wäre; vielleicht konnte er hier in England ein gutes Leben finden, konnte sich als Arzt in einer nahen Stadt niederlassen. In Aragon gab es nichts, wohin er zurückkehren konnte, und Avignon erschien ihm auch nicht vielversprechender.

Hat der isolierte König genug von mir? Wird er bei der Bitte zürnen, die ich Vorbringen möchte? Das konnte er nur feststellen, indem er fragte. »Sire«, begann er schüchtern, »ich denke daran, mich vielleicht in Eurem Land niederzulassen. Ich weiß nicht, was ich in Avignon vorfinde, wenn ich zurückkehre.«

»Wahrhaftig, Doktor? Daran hatte ich nicht gedacht. Doch es könnte eine gute Sache sein, wenn Ihr Euch hier niederlaßt. Wir leiden unter einem Mangel an erfahrenen Ärzten. Aber was ist mit Eurer Familie? Wie wird es ihr ergehen?«

»Ach«, sagte der Arzt, »es ist so lange her, daß wir zuletzt über solche Dinge gesprochen haben. Ich bin noch immer Junggeselle, Euer Majestät, und bin zu der traurigen Überzeugung gelangt, daß ich auch Waise bin. Die letzten Nachrichten über meinen Vater und meine Mutter erhielt ich zu Beginn von deren Reise nach Avignon, wo wir uns hatten treffen wollen. Doch solange ich dort war, sind sie nicht angekommen; ich nehme an, daß sie umgekommen sind wie zahllose andere. Ich glaube nicht, daß ich sie jemals wiederfinden oder mir Gewißheit über ihren Tod verschaffen kann.«

Im Gegensatz zum König, der entspannt in seinem Sessel saß, hockte Alejandro mit steifem Rücken auf seinem Stuhl. Seine Spannung war sogar für einen unaufmerksamen Beobachter sichtbar. Seine Zukunft lag in den Händen dieses Mannes, dem er viele Monate lange schwere und unerwünschte Einschränkungen auferlegt hatte. In diesem Augenblick, als er an die unmittelbare Macht des Königs über sein Schicksal dachte, bedauerte Alejandro einige der strengen Regeln sehr, die er dem königlichen Haushalt vorgeschrieben hatte. Gebe Gott, daß er sich an sein Überleben erinnert und nicht an seine Unzufriedenheit.

Doch Edward nahm Alejandro seine frühere Strenge nicht mehr übel, so froh war er über die Aufhebung der Beschränkungen. Er antwortete dem nervösen Bittsteller: »Wenn ich nochmals darüber nachdenke, Doktor, so sehe ich keinen Grund, warum Ihr nicht bleiben solltet, falls das Euer aufrichtiger Wunsch ist.«

Da ihm das Gewicht der Ungewißheit von den Schultern genommen war, erklärte Alejandro eifrig: »Ja, Sire, das ist es wahrhaftig.«

»Dann möge es so sein«, sagte der König.

Alejandro freute sich. »Sire, ich kann Euch gar nicht genug danken. Wenn Ihr gestattet, so werde ich hinausgehen, um einige der Dinge zu suchen, die für meine neue Praxis notwendig sind.« Er erhob sich von seinem Stuhl und verneigte sich vor dem Monarchen, der sitzen blieb. Als er gerade aus der Tür gehen wollte, rief Edward seinen Namen. Alejandro hielt inne, drehte sich um und ging ein paar Schritte zurück.

»Sire?«

»Ich wollte noch mehr sagen. Doktor, aber Eure Eile beraubt mich dieser Gelegenheit.«

Er sagte das nicht im Ton eines Monarchen, der seinem Untertan einen Befehl gibt, sondern so wie ein Mann zum anderen spricht. »Damit das einmal ausgesprochen wird, Doktor: Ich bin Euch großen Dank schuldig. Ihr habt so tapfer gedient wie die Soldaten unter meiner Flagge, wenn Euer Mut auch nicht immer von der Art war, daß diejenigen, denen er nützlich war, daran Gefallen finden konnten. Ich bin dankbar, daß von allen Kindern, die meine Königin mir geboren hat, nur unsere geliebte Joanna der Pest zum Opfer gefallen ist, und ich verdanke es nur Euren Anstrengungen, daß ich das sagen kann. Ihr habt Glück, daß Ihr mit so großen Fähigkeiten gesegnet seid, und wir danken Gott für Seine Weisheit, Euch in unser Königreich zu schicken.«

Nachdem der König so seiner Dankbarkeit Ausdruck gegeben hatte, schritt er zu einer Entschuldigung, und Alejandro entnahm seiner umständlichen Art, daß ihm das erheblich schwerer fiel. »Ich bedaure, daß es Anlässe gegeben hat, bei denen wir Euch guten Grund gaben, Euch mißverstanden oder schlecht behandelt zu fühlen. Ihr wart für mich und ganz England von größerem Wert, als Ihr jemals wissen werdet.«

Dann nahm seine Stimme wieder eine königliche Färbung an, und Edward holte eine Landkarte hervor und sagte: »Und nun kommt her, bevor ich es mir anders überlege, denn mir ist plötzlich der Gedanke gekommen, Eure Stellung hier zu verbessern. Da Ihr beschlossen habt, in meinem Königreich zu bleiben, müssen wir dafür sorgen, daß Ihr ordentlich untergebracht werdet. Hätte ich vorher gewußt, daß Ihr bleiben wollt, so hätte ich Euch eine bessere Auswahl bieten können. Doch es gibt noch immer einiges Hübsche. Dies hier wird Euch gefallen, denke ich.«

Alejandro verstand nicht, was der König meinte. »Euer Majestät, ich bin verwirrt ...«

Der König drückte ein wenig die Brust heraus und lächelte. »Ich mache Euch ein Geschenk, Doktor; Ihr werdet dieses Anwesen und seine Güter ganz für Euch haben.« Er legte die Karte nieder und zeigte Alejandro das Gebiet, das er im Sinn hatte. »Hier, ein wenig im Norden; der Gutsherr, dem es gehörte, ist ohne Erben gestorben, und das Recht auf den Titel ist an mich zurückgefallen.«

Alejandro war überwältigt. »Majestät, ich bin sprachlos. Ihr erweist mir eine große Ehre.«

»Und Ihr werdet mir dafür die Ehre erweisen, mein Geschenk anzunehmen. Natürlich wird das vom guten Willen und der Tüchtigkeit des Advokaten dieses Herrn abhängen; jetzt, da die Pest vorbei ist, scheint in diesem Land eine neue Seuche auszubrechen, deren häufigstes Symptom ein plötzlicher Anstieg der ohnehin schon übergroßen Anzahl von Rechtsanwälten ist, und ihr Hauptbeitrag zu unserer Gesellschaft scheint darin zu bestehen, die Krankheit der Habgier zu verbreiten. Hätte doch diese böse Pest mehr Ärzte zurückgelassen und dafür mehr Advokaten dahingerafft!« Er brüllte vor Lachen über seinen eigenen Scherz. »Nun ja, ich wünsche mir da Dinge, die zu erhalten ich nicht hoffen kann. Die Arrangements für Euren Besitz werden getroffen sein, wenn Ihr von Eurer Expedition zurückkehrt. Ihr werdet außerdem den Titel erhalten, der mit diesem Gut verbunden ist, und zwar bei der Zeremonie, die in drei Monaten in Canterbury abgehalten wird. Ich habe eine Botschaft von Seiner Heiligkeit erhalten, daß unser neuer Erzbischof bis dahin angekommen sein wird, und seine Amtseinführung wird gleichzeitig erfolgen.«

Alejandro nahm an, daß der Papst de Chauliacs Armee von Ärzten längst vergessen hatte, aber er konnte sich der Frage nicht enthalten: »Darf ich daraus schließen, daß die jüngste Botschaft Seiner Heiligkeit keine Anweisungen für mich enthielt?«

»Ihr wurdet nicht erwähnt.«

Gut, dachte Alejandro, dann ist meine Mission ja endlich zu Ende. »Ich danke Euch, Sire. Ich bitte um Erlaubnis, mich jetzt zu entfernen.«

»Noch eines, Doktor, dann bekommt Ihr meine Erlaubnis. Ich habe noch beträchtliche Gaben zu verteilen, und etwas davon soll Euch zufallen. Da Ihr Junggeselle seid - habt Ihr im Sinn, Euch zu verheiraten? Vielleicht kann ich Euch in diesem Punkt behilflich sein. Es gibt viele vornehme Damen, die keine Bindung haben.«

Alejandro war entsetzt über diese unerwartete Frage des Königs. Denk sorgfältig nach, bevor du antwortest, sagte er sich. »Habt Ihr eine Lady für mich im Sinn, Majestät?«

»Im Augenblick nicht«, sagte der König, »aber es gibt viele Kandidatinnen von passendem Stand, einige verwaist, einige verwitwet, die annehmbare Gattinnen für Euch wären. Im Hinblick auf Eure neuen Güter bezweifle ich, daß Eure spanischen Vorfahren als unpassend gelten könnten. Und wenn Eure Ländereien gut verwaltet werden, wird es Euch auch nicht schwerfallen, eine Ehefrau zu ernähren, die dem Luxus zugeneigt ist.«

Da dem König das Schweigen des Arztes auffiel, fragte er: »Nun?« Alejandros lauwarme Reaktion auf sein Angebot schien ihn zu enttäuschen. »Ihr seid nicht erfreut? Oder gibt es eine Dame, auf die

Ihr ein wohlwollendes Auge geworfen habt? Nennt sie nur beim Namen, und ich werde das arrangieren.«

Es ist noch zu früh, um Adeles Hand zu bitten, dachte Alejandro, obwohl ihn das stark verlockte. Laß zuerst etwas Zeit vergehen. Halte dich an den Plan. »Um die Wahrheit zu sagen, Sire«, antwortete er, »bis zu Eurem heutigen Anerbieten habe ich kaum an eine Heirat gedacht. Mein oberstes Anliegen war immer mein Beruf, und ich hatte nicht vorgehabt, hier zu bleiben. Laßt mir ein wenig Zeit, darüber nachzudenken.«

Der König nickte. »Wie Ihr wollt, Doktor. Aber seid gewarnt! Ich genieße meine Rolle als Ehestifter sehr! Bald werde ich die begehrenswertesten Damen vergeben haben, und Ihr müßt unter den zahnlosen, vertrockneten alten Jungfern wählen!«

Nachdem er seines eigenen Scherzes endlich müde geworden war und zu lachen aufgehört hatte, sah der König den Arzt an und sagte: »Unsere unmittelbaren Geschäfte sind also erledigt. Geht fort, wie Ihr wünscht, und nehmt meinen Segen und Dank mit. Ich selbst werde mich nach London begeben; Windsor wird leerstehen, denke ich; es wurde auch Zeit.« Mit einer Handbewegung entließ er Alejandro. »Geht mit Gott, Doktor Her- nandez.«

Adele ritt in der großen Reisegesellschaft, die den König auf seinem Ritt nach London begleitete, bis zu ihrem Besitz mit; sie bot zwar die Gastfreundschaft ihres Hauses für die Nacht an, doch Edward lehnte ab, da er es eilig hatte, zu seinen Regierungsgeschäften zurückzukehren und die verschiedenen Kriege wieder aufzunehmen, die ihn vor Ausbruch der Pest beschäftigt hatten.

»So viele sind gestorben«, erklärte Adele Alejandro, als er einen Tag später eintraf, »daß er seine ganze Armee neu organisieren muß. Viele von seinen Beratern sind verstorben, und er muß sie durch neue ersetzen. In London werden sich viele, die befördert werden möchten, um seine Aufmerksamkeit reißen! Ich beneide ihn nicht. Er wird lange mit Regieren beschäftigt sein.«

Dem Arzt, der sich mit ganz anderen Dingen beschäftigte, galt all das nichts; Dinge dieser Art hatten ihm nie etwas bedeutet. Und so erkannte er nicht, was der offenkundigste Nutzen seiner zukünftigen Stellung in England war. Als es ihm endlich einfiel, Adele vom Geschenk des Königs zu erzählen, überraschte sie ihn dadurch, daß sie sofort auf die Knie fiel und glühend zu beten begann.

»Was ist, Liebste? Freust du dich nicht für mich?«

»Alejandro! Du bist ein Einfallspinsel, und ich bin noch dümmer, weil ich dich liebe! Begreifst du denn nicht, was das bedeutet? Wenn du in den Ritterstand erhoben wirst, gehörst du zum Adel, auch wenn du kein Engländer bist. Oh, mein Liebster, wir können heiraten!«

Bald verlor er sich im täglich Vergnügen von Adeles Gegenwart und ihren gemeinsamen Zukunftsplänen, und obwohl es jeden Tag länger hell war als am vorhergehenden, vergingen die drei Wochen Abwesenheit, die Isabella Adele zugestanden hatte, nur zu schnell. Er vergaß, daß er zu Mutter Sarah hatte zurückkehren wollen, um seinen Vorrat an eigenartigen Medikamenten aufzufüllen, denn andere, süßere Dinge beschäftigten seine Aufmerksamkeit. Bald würde er ein eigenes Gut zu verwalten haben, und er mußte viel lernen, indem er beobachtete, wie Adele und ihre Pächter die täglichen Geschäfte führten.

»Wenn der Zeitpunkt günstig ist«, sagte Adele an ihrem letzten gemeinsamen Tag, »werde ich unter vier Augen mit Isabella über unser Verlöbnis sprechen. Dann wirst du den König direkt um meine Hand bitten müssen, aber ich schwöre dir, daß du nicht vor ihn zu treten brauchst, ohne daß Isabella ihren Segen zu deiner Bitte gegeben hat. Es kann für uns nur von Nutzen sein, wenn sie in dieser Sache unsere Verbündete ist.«

»Ich bedauere, daß ich mir solche Mühe gegeben habe, sie einzusperren«, sagte er.

»Daran wird sie nicht mehr denken, wenn sie mit anderen Dingen beschäftigt ist.«

Er erinnerte sich, wie bösartig Isabella ihn manchmal behandelt hatte. »Hoffen wir, daß du recht hast«, sagte er und dachte dabei, daß er ihr Vertrauen auf die launische Prinzessin nicht teilte.

Als sie im Hof standen, bereit zur Abreise, duftete die frische Frühlingsluft nach Fichten und Blumen, und der Wind spielte mit den Locken von Adeles flammend rotem Haar, das im hellen Sonnenlicht wie Kupfer glänzte. Er küßte ihr die Hand, wie er es bei ihrer ersten Begegnung getan hatte, und wieder verweilten seine Lippen hungrig auf ihrer duftenden Haut.

»Ich werde an nichts anderes denken als daran, dich zu umarmen, bis wir uns wiedersehen«, sagte er leise.

Wieder widmete er den Tag nicht der Aufgabe, auf dem Lande nach Vorräten für seine Apotheke zu suchen. Er kehrte auch nicht durch den Durchgang zwischen den Eichen zu Mutter Sarahs Hütte zurück, was viel wichtiger gewesen wäre als die Mission, die er jetzt unternahm, das wußte er.

Während er über die schlammigen Wege ritt, verfluchte Alejandro deren schlechten Zustand mit den gleichen verächtlichen Worten, die einst Eduardo Hernandez gebraucht hatte. Doch trotz dieser

Umstände war Alejandro sehr froh, den Weg gefunden zu haben, denn er würde ihn geradewegs zu dem Ort führen, den er aufsuchen wollte und wo er erst einmal gewesen war.

Und er erreichte ihn müde nach einem langen Ritt. Vor ihm lag die kleine Kirche, bei der Adele und er auf der ersten Rückreise nach Windsor haltgemacht hatten. Oben an der Treppe zog er an einem Klingelzug und wartete nervös, starrte auf seine schmutzigen Stiefel, ohne etwas zu sehen, und fühlte sich abwechselnd voller Freude und stark beeindruckt. Er hatte von vielen Juden gehört, die ihren Glauben und ihren Gott aufgegeben hatten, um ein längeres und einfacheres Leben zu haben; diese Schwäche hatte er immer verachtet. Nun, da er im Begriff stand, dasselbe zu tun, war sein Herz weicher, und er sah ein, daß es manche Dinge gibt, die einen Mann veranlassen können, sich zu ändern und seine Vergangenheit hinter sich zu lassen.

Dennoch war er von brennender Scham erfüllt und erinnerte sich an die unglücklichen Juden in Frankreich, die auf dem Scheiterhaufen gestorben waren und denen nur die gut gezielten Pfeile eines mitfühlenden christlichen Soldaten die Qualen des Feuers erspart hatte. Er erinnerte sich auch an den mißtrauischen Blick, den der grimmige Hauptmann ihm nach dem bedauerlichen Vorfall zugeworfen hatte. Wenn er von dem Mord an dem Bischof mit dem falschen Herzen gewußt hätte, dann wäre es meine Seele gewesen, die aus dieser Feuerhölle aufstieg.

Traurig und resigniert dachte er, daß es sein unausweichliches Schicksal zu sein schien, in seinem Leben nie volle Zufriedenheit zu erreichen. Er wußte, welchen Glauben er auch wählte, er würde immer etwas zu verbergen oder zu bereuen haben. Ach ja, dachte Alejandro, auch der Jesus der Christen war nichts anderes als ein abtrünniger Jude, und das bin ich auch.

Noch während er das dachte, öffnete sich vor ihm die Tür, und er sah denselben Priester, der Adeles Beichte gehört hatte. Die Kerze in seiner Hand flackerte leicht im sanften Abendwind und warf ein seltsames, erschreckendes Licht auf die strengen Züge des Mönches.

»Ja, mein Sohn?« sagte er langsam und beäugte den Arzt mißtrauisch.

»Ich bin Alejandro Hernandez, ein Heide aus Aragon. Ich suche Unterweisung in Eurem Glauben.«

Als er zwei Tage später nach Windsor zurückritt, grübelte er über die strengen Lektionen nach, die ihm der Priester gegeben hatte. Seit dem Ausbruch der Pest waren so wenige Menschen ins Kloster gekommen, um sich zu bekehren oder unterweisen zu lassen, daß der Priester für eine solche Herausforderung ungeheuren religiösen Eifer angestaut hatte.

Kühn und mit selbstgerechter Glut versuchte der Geistliche, Alejandro mit Drohungen von Hölle und Verdammnis so zu erschrecken, daß er sich unterwarf. Alejandro schwieg weise, denn wenn er die Wahrheit gesagt hätte, so hätte das Argwohn erregt, und sagte immer nur: »Ich bekenne meine Sünden.« Näheres äußerte er dazu nicht. »Solche Dinge geschehen zwischen mir und Gott allein, und Gott ist gewiß weise genug, um die Sünden zu kennen, die seine Geschöpfe begangen haben, ohne daß diese sie ihm erst darlegen müssen«, hatte er dem hartnäckigen Geistlichen gesagt.

Außerdem, dachte er, und seine Wut wuchs, während er dahinritt, muß man ein kompletter Narr sein, um einige von ihren lächerlichen Lehren zu glauben. Daß man sich den Zutritt zur ewigen Glorie erkaufen könne, war eine so absurde Behauptung, daß kein intelligenter Mensch sie akzeptieren konnte. Und die Sache mit dieser angeblichen Jungfrau, der Mutter ihres Jesus, und ihrer »unbefleckten« Empfängnis beim Besuch des Heiligen Geistes sprach jeder Logik Hohn!

Das war eine Frau, die wirklich Verehrung verdient, hatte er sich dabei gedacht, als der Priester ihn schalt, denn mit ihrer Klugheit ist ihr eine der phantastischsten Listen aller Zeiten gelungen! Eine arme Bauersfrau ist ihrem Gatten untreu und erfindet eine unglaubliche Geschichte, um ihre Schwangerschaft zu rechtfertigen, und die halbe Welt hängt dem Kind aus dieser erfundenen Geschichte an, als es erwachsen ist. Sie schafft es, den düpierten »Vater« zu überreden, ihr bei der Aufzucht des Kindes zu helfen und selbst an die Geschichte zu glauben. Überaus bemerkenswert! Wie anders wäre sie im richtigen Leben gewesen als die leidende, mystische Märtyrerin, als die die Priester sie darstellten.

Sie war eine geschickte und kluge Jüdin, die ihren scharfen Verstand benutzte, um zu überleben, wie es viele ihrer Vorfahren getan hatten und Nachfahren noch tun sollten.

Und wie es Alejandro im Augenblick auch tat. Gedanken an Adele und den Frieden, den er für ihre Ehe erhoffte, waren das einzige, was ihn davon abhielt, dem Priester laut ins Gesicht zu lachen, als dieser immer wieder über die sichere Verdammnis und Verlassenheit palaverte, der Alejandro anheimfallen würde, weil er nicht beichtete. Segnet mich, Vater, denn ich habe gesündigt; ich bin ein einsamer Jude, der versucht, eine Heimat zu finden, nachdem er durch ganz Europa gewandert ist, eine Reise, die ich nach der bösartigen Täuschung und dem Verrat unseres aufgeblasenen Bi- schofs unternahm, der das, was er von mir bekam, reichlich verdient hatte. Ich suche Frieden, indem ich vermeintlich zu dem widersinnigen christlichen Glauben übertrete, um mit einer Frau einen Hausstand zu gründen, deren blinde Anhänglichkeit an euren Wahnsinn ihr nicht verdient, denn sie ist viel zu gut, um sich mit euresgleichen gemein zu machen! Und obwohl ich große Scham über meinen Eifer eingestehe, sie zu täuschen, wird sie immer wissen, daß meine Liebe zu ihr ganz echt und aufrichtig ist.

Er war so in seine Gedanken versunken, daß er nicht merkte, wie weit er schon gekommen war, und auf einmal erschien zu seiner Überraschung Windsor Castle am grünen Horizont. Hier, dachte er voller Freude, erwartet mich wirklich ein neues Leben. Er gab seinem Pferd die Sporen, und es wieherte laut, ehe es hügelabwärts auf das ferne Schloß zugaloppierte.

Amen, dachte er. So sei es.