21
Nach Windsor zurückgekehrt, ordnete und packte Alejandro rasch die wenigen Habseligkeiten, die er bei seiner ersten Ankunft mitgebracht hatte. Alles, was er zu seinem neuen Heim mitnehmen würde, war leicht auf dem zweiten Pferd zu transportieren, das er an den Sattel seines Reittiers gebunden hatte; er hätte noch mehr mitnehmen können.
Die Stunde der Abreise nahte, und er war bereit. Nun machte er sich an die traurige Aufgabe, sich von den Menschen zu verabschieden, mit denen er in den schweren Monaten der Abgeschiedenheit so eng zusammengelebt hatte. Er suchte die Diener auf und gab jedem eine Goldmünze, denn auf seiner ganzen Reise hatte er nicht ein Hundertstel von dem ausgegeben, was sein Vater ihm zu Beginn der Reise gegeben hatte.
Nachdem er das erledigt hatte, ging Alejandro langsam zu Isabellas Gemächern im Südwestteil des Schlosses; er schob absichtlich den unvermeidlichen, traurigen Moment der Trennung von Adele auf, bis sie sich in Canterbury wieder treffen würden. Isabella persönlich war die erste, die ihn begrüßte. Er machte eine makellose Verbeugung, da er dieses höfische Ritual nun endlich beherrschte. Die Prinzessin grinste und klatschte leicht in die Hände.
»Monsieur, Eure Fortschritte sind lobenswert! Wir bewundern, wie gut Ihr Euch unsere Sitten zu eigen gemacht habt; nicht alle exotischen Fremden lernen so gut wie Ihr! Und jetzt werdet Ihr Windsor verlassen. Es ist ein Jammer, daß Ihr Eure Fähigkeiten nicht hier nutzen könnt.«
Exotisch? dachte er. Würden ihre Spitzen denn nie aufhören? Wenn er und Adele verheiratet wären, würde diese schnippische Prinzessin eine Art Schwester für ihn sein, da sie seiner Braut so nahe stand. Mich schaudert bei dem bloßen Gedanken! Wieder unterdrückte er seine Abneigung gegen sie und sagte: »Danke, Hoheit, aber Ihr erweist mir zuviel Ehre. Ohne die Selbstlosigkeit und fleißige Hilfe der edlen Dame an Eurer Seite wäre ich elend gescheitert, und Ihr würdet für immer über meine linkischen Versuche lachen.«
Kate spähte hinter Isabellas Rock hervor, wo sie sich »versteckt« oder doch so getan hatte, und blickte zu ihrer Schwester auf.
»Isabella, darf ich es ihm jetzt geben?«
»Nun gut, ja; Gott verdamme deine Ungeduld! Ich muß dem guten Doktor noch Lebewohl sagen, aber bitte, nur zu.«
Kate trat vor und streckte Alejandro eine rechteckige Holzdose entgegen, die dieser mit dramatischen Gesten und unter vielen »Ohs« und »Ahs« entgegennahm und betrachtete.
»Wie schön ist das! Und was für eine feine Arbeit. Aber was mag es enthalten?« Er fingerte an dem Kästchen herum, fand den Verschluß, der den Deckel hielt, staunte, wie genau er eingepaßt war, und öffnete die Dose. Überrascht stieß er den Atem aus. Er lächelte Kate zu und sagte: »Das Kästchen allein wäre schon viel zu großartig gewesen, aber schaut nur die Schätze, die ich darin finde!« Eine nach der anderen nahm er die exquisit geschnitzten Schachfiguren heraus und untersuchte sie genau.
»Freut Ihr Euch, Monsieur?«
Er nahm das Kind in die Arme und sagte: »Noch mehr werde ich mich freuen, wenn Ihr mich bald in meinem neuen Heim besucht und mir alle Geheimnisse erfolgreichen Spiels beibringt. Diese Figuren dürfen nur von den besten Spielern benutzt werden, weil sie so wunderbar fein gearbeitet sind. Wenn Ihr im Schach eine ebenso gute Lehrerin seid wie in der höfischen Verbeugung, dann werde ich unsere Partien bald gewinnen.«
Das Kind umarmte ihn fest und flüsterte ihm ins Ohr: »Ich werde Euch so vermissen! Bitte, Monsieur, könnt Ihr mich nicht jetzt mitnehmen?«
Sanft setzte er sie ab und sah, wie ihre Augen sich mit Tränen füllten. Ja, ich werde sie auch vermissen, dachte er. »Wer weiß, wie lange es dauern wird, bis mein Heim so ausgestattet ist, daß es eine junge Lady von Eurem Rang aufnehmen kann?« sagte er. »Ihr müßt mir genug Zeit zur Vorbereitung lassen. Wir sehen uns in Canterbury wieder, und dann sprechen wir darüber.«
Isabella war ungewöhnlich geduldig, während Alejandro sich Kate widmete, doch nun verlangte sie wieder seine Aufmerksamkeit. »Ich danke Euch, daß Ihr mich und meine Familie sicher durch die Seuche gebracht habt, und obwohl Ihr manchmal selbst eine Pest gewesen seid, stehe ich wegen Eurer ausgezeichneten Arbeit tief in Eurer Schuld.«
Alejandro hatte überraschend das Gefühl, daß sie aufrichtig war. Dann wurde ihr freundlicher Ton düsterer, und nachdem sie sich umgeschaut hatte, um sich zu vergewissern, daß sie nicht belauscht wurden, fuhr die Prinzessin fort: »Ich rate Euch, dafür zu sorgen, daß Adele kein Leid geschieht, denn es würde mir sehr mißfallen, wenn ihr in Euren Händen irgendein Schaden zugefügt würde. In dem Fall müßt Ihr mit strenger Behandlung rechnen.«
Was soll ich auf eine so widersinnige Rede antworten? Wie kann sie auch nur denken, daß ich irgend etwas tun würde, was Adele Schmerz zufügt? Ich habe doch sogar schon meinen Glauben aufgegeben, um mit ihr zusammenzusein! Was könnte ich mehr tun?
Nach diesem zornigen Gedanken flüsterte er: »Solange ich an ihrer Seite bin, soll es Adele niemals an etwas fehlen.«
»Sorgt dafür, daß dem so ist, Doktor, oder Euch selbst wird es an einigem fehlen.« Dann sprach sie absichtlich wieder lauter und fügte hinzu: »Ich wünsche Euch eine sichere Reise, und möge Gott Euch beschützen. Ich weiß, daß Lady Throxwood sich von Euch verabschieden wollte, und ich werde sie zu Euch schicken. Sorgt dafür, daß der Abschied sanft ausfällt, denn sie ist eine überaus sensible Frau.« Sie wandte sich um und rauschte majestätisch davon. Alejandro sah sich um, begegnete aber niemandes Blick.
Ich muß dieses Zimmer verlassen, ich kann keine Minute länger hierbleiben. Er suchte nach einem mitfühlenden Gesicht, und gerade in diesem Augenblick kam die Nurse herein.
»Nurse«, sagte er in leicht bittendem Ton, »bitte, sagt Lady Throxwood, daß ich sie auf dem Westbalkon erwarten werde. Ich brauche etwas frische Luft, denn hier ist es ein wenig stickig geworden.«
Als Adele ihn fand, starrte er in die Ferne und bewunderte das üppige Grün der englischen Landschaft. Als er sie näher kommen hörte, drehte er sich um, lächelte und sagte: »Selbst nach der Kälte des Winters finde ich die Kühle eures Frühlings recht angenehm. Um diese Jahreszeit wäre es in Aragon ziemlich warm, und das Grün wäre schon beinahe braun.«
Sie trat neben ihn und schob ihren Arm durch seinen. Tief atmete sie die Frühlingsluft ein. »Es ist ein Genuß, die kühle Luft zu atmen, vor allem nach unserem langen, qualvollen Winter; dieses Jahr erscheinen die Frühlingsfrische und das grüne Land ungewöhnlich lieblich und willkommen.«
Mit einem liebevollen Blick sagte er zu ihr: »Auch darin stimmen wir überein. Können wir uns auch darauf einigen, uns in Canterbury zu treffen, wo ich den König um die große Ehre bitten werde, dich zur Frau nehmen zu dürfen?«
»Mein Liebster, du hättest nicht einmal zu fragen brauchen.«
»Alsdann, in Canterbury.«
»Ja«, seufzte sie, »in Canterbury.«
Alejandro bestieg sein Reitpferd und vergewisserte sich, daß das Packpferd gut angebunden war und ihm folgte. Er bog um die Ecke des hölzernen Stallgebäudes und ritt auf das Tor zu. Vor ihm im Hof befand sich eine ungewöhnlich große Anzahl von Soldaten, die anscheinend alle auf jemandes Ankunft warteten. Er hatte nicht gehört, daß heute ein wichtiger Gast erwartet würde, und war überrascht über die Menge der Wachen.
Ein Soldat sah ihn und schrie: »Achtung!« Die übrigen stellten sich rasch in zwei parallelen Reihen auf, etwa eine Mannshöhe voneinander entfernt. Alejandro war ziemlich beeindruckt von der Schnelligkeit, mit der diese Truppe in perfekter Ordnung antreten konnte; nur einmal hatte er sie als einheitliche Streitmacht erlebt, als der bemitleidenswerte Gegner ihr armer Kamerad Matthews gewesen war.
Er hielt die Pferde an und blieb stehen, um zu sehen, was nun passierte, nachdem die Leute so feierlich Aufstellung genommen hatten. Wer mag bloß dieser wichtige Besucher sein? dachte er.
Und dann sah er, daß die ganze Versammlung nur ihn anschaute. Sir John Chandos, Alejandros früherer Mitkerkermeister, stand am Ende der Reihe und winkte ihn durch.
Während Alejandro zwischen den beiden Reihen strammstehender Soldaten hindurchritt, zogen alle Männer die Schwerter, hoben sie an und kreuzten die Spitzen, so daß ein Tunnel von Schwertern entstand, den Alejandro langsam passierte. Verblüfft und verlegen schaute er die Männer an, die ihn mit einem solchen Salut ehrten. Als er das Ende der Reihen erreicht hatte, wo Sir John wartete, brachen die Soldaten ihr Schweigen und begannen zu pfeifen und zu jubeln; der Ritter selbst verneigte sich tief vor Alejandro.
»Im Namen der Männer, die unter mir dienen, danke ich Euch dafür, daß Ihr uns das Leben gerettet und uns Gelegenheit gegeben habt, unserem König erneut in Frankreich zu dienen. Gott mit Euch, Doktor; möge die Vorsehung Euch leiten.«
Er hatte solchen Jubel nie erlebt. Er winkte den Soldaten zu, und diese stießen laute Hochrufe aus. Dann lenkte er seine Pferde durch das Tor und wandte sich nach Norden. Er war noch in Hörweite, als die Zugbrücke ächzend hochging und seinen Aufenthalt in Windsor Castle zu einem Abschluß brachte.
Während er auf der Stepney Road nach Norden ritt, müde, staubig und erschöpft von der anstrengenden Reise, begann Alejandro sich zu fragen, ob seine Güter womöglich so weit entfernt waren, daß sie eine Art Verbannung darstellten. Er dachte daran, für die Nacht haltzumachen, als er endlich die Gruppe von Landmarken erkannte, die Sir John ihm in seinen Anweisungen beschrieben hatte. Nun wußte er, daß es nicht mehr weit war und beschloß, die Reise schnell zu beenden.
Er wäre beinahe an seinem »Gut« vorbeigeritten, denn die Straße war nach monatelanger Vernachlässigung beinahe zugewachsen. Das galt auch für den Hof; es gab reichlich Gras, das die Pferde weiden konnten. Hier werde ich leben, dachte er, als er langsam das Tor öffnete; dies ist mein Zuhause. Das Tor quietschte an rostigen Angeln, und er trat vorsichtig ein. Aus der modrigen Dunkelheit heraus schwirrte eine Fledermaus an ihm vorbei; rasch bückte er sich und blieb nervös ein Weilchen geduckt in der Hoffnung, weiteren Kontakt mit den üblen kleinen Geschöpfen zu vermeiden. Lieber Gott, du hast mich heil durch viele Pestmonate geleitet; bitte, laß nicht zu, daß mich jetzt der faulige Speichel der Fledermäuse ansteckt und aus dieser Welt befördert. Das wäre eine allzu große Ironie und unerträglich grausam nach allem, was er überlebt hatte.
An welchen Gott soll ich meine Gebete jetzt richten? fragte er sich.
»Nun«, sagte er dann laut, da er das Bedürfnis hatte, eine Stimme zu hören, »vielleicht wird der eine oder der andere von euch mir die Gnade gewähren, diese Nacht zu überleben. Morgen werde ich dann sehen, was zu tun ist.«
Er breitete eine Decke über die harte Platte eines großen Tisches in der Halle, denn er wagte nicht, in irgendeinem Bett zu schlafen, sofern er eines fand, ehe er sich vergewissert hatte, daß es sauber war. Morgen würde er genug Zeit haben, alles zu erforschen, das wußte er, und sich in seinem neuen Zuhause einrichten, doch nun brauchte er Ruhe.
In dieser Nacht kehrte der Traum von Carlos Alderon zurück; der riesige Schmied hatte Alejandros Frieden lange nicht mehr gestört, doch nun kam er so klar und wirklichkeitsnah wieder, daß es schien, als sei er nie verschwunden gewesen, nicht einmal für eine Nacht. Wieder schleppte der massige Mann seine Leichentücher hinter sich her, wieder grinste Matthews an seiner Seite, und das Klappern der Pfeile in seinem Körper begleitete die schaurige Verfolgungsszene. Doch diesmal tauchte in dem bedrückenden Traum ein neuer entsetzlicher Anblick auf: Der bleiche Geist von Adele, in die blutigen Überreste eines Brautkleides gewandet, holperte auf einem brüchigen Karren hinter ihnen über den zerfurchten Weg und verlor dabei die welken Blüten des Brautstraußes.
Alejandro erwachte mit einem Ruck, rollte sich heftig vom Tisch und landete mit einem Plumps auf dem steinernen Boden. Dort blieb er mit pochendem Herzen und klammer, kalter Haut zitternd liegen und rührte sich nicht von der Stelle, bis endlich die Morgenröte kam.
Alejandro nahm seine ärztliche Praxis wieder auf, und jeden Tag kam mindestens ein Kranker aus der Umgebung, dessen Beschwerden seine Aufmerksamkeit erforderten. Einmal richtete er den gebrochenen Arm eines jungen Knaben wieder ein, der vergeblich versucht hatte, einen überladenen Karren im Gleichgewicht zu halten. Alejandro zuckte zusammen, als er sich an seine eigene Erfahrung mit einem umgestürzten Wagen vor vielen Monaten in Aragon erinnerte, und er hoffte aufrichtig, daß sich das Leben des Jungen dadurch nicht so dramatisch verändern würde wie sein eigenes nach diesem schicksalhaften Augenblick.
»Ich habe viele solche Verletzungen gesehen, und ich fürchte, es werden noch mehr werden«, sagte er zu dem wütenden Vater des Jungen. »Der Knochen ist gebrochen.«
»Ich hatte gehofft, daß es nur eine Schwellung wäre, aber der Junge behauptet, er könnte den Arm nicht gebrauchen.«
»So ist es«, sagte der Arzt. »Ich fürchte, er wird mindestens einen vollen Monat Ruhe brauchen, Sir. Danach wird sein Arm soweit verheilt sein, daß er wieder arbeiten kann, aber er ist noch jung, und seine Knochen sind zart. Mein Rat wäre, ihn nicht zu schwer arbeiten zu lassen, wenn er wieder gesund ist.«
»Tja«, sagte der unglückliche Mann, »falls er nicht verhungert, bevor er gesund wird. Ohne seine Hilfe kann ich die Ernte nicht einbringen! Er wird seinen Teil der Arbeit leisten müssen; trotz seines unzureichenden Arms kann ich ihn nicht entbehren.«
»Dann muß ich Euch warnen, denn mit einem krummen und empfindlichen Arm wird er Euch nächstes Jahr nicht von großem Nutzen sein. Am besten laßt Ihr ihn ruhen, dann wird er bald wieder wohlauf sein. Gott schenkt Kindern die Gnade schneller Heilung, während es bei älteren Menschen viel länger dauert.«
»Wenn das so ist«, fragte der wütende Bauer, »warum sind dann so viele von den Jungen bei der Pest umgekommen? Gerade letzte Woche starb wieder einer in einem Dorf nördlich von meinen Weiden. Der Gutsherr beschwert sich, daß niemand die Pacht wird bezahlen können, wenn alle Pächter umkommen.«
Alejandro, der sich darauf konzentriert hatte, den Arm des Kindes in einen Verband aus Lehm und Hanffasern zu hüllen, hielt ruckartig inne und packte den Mann an der Schulter.
»Was sagt Ihr da? Noch jemand an der Pest gestorben? Seid Ihr sicher, daß es dieselbe Seuche war?«
»Ich weiß nur, was mir die Mutter des Jungen erzählt hat, die mich um ein paar Nägel bat, um den Sarg zu schließen. Sie hat von Schwellungen am Hals und schwarzen Fingern berichtet, und ich habe keinen Zweifel, daß es die Pest war.«
Der Arzt beendete rasch seine Arbeit, wusch sich die Hände und kratzte sich dann den trockenen Lehm mit der Spitze seines Messers unter den Fingernägeln hervor. »Ich werde mit Euch reiten«, sagte er, »denn ich möchte die Frau ausführlicher befragen.«
»Wie Ihr wollt, Doktor, aber ich zweifle nicht an ihren Worten. Sie hat jetzt sieben von ihren neun Kindern verloren, und sie kann die Pest wohl erkennen, wenn sie ein weiteres ihrer Kinder holt.«
Alejandro bot ihnen an, sein zweites Pferd zu reiten, denn der Mann und der Junge waren den langen Weg zu seinem Haus zu Fuß gekommen, und er wußte, daß seine eigene Ungeduld ihn hindern würde, langsam zu reiten.
Als sie eine Stunde später den Hof der Frau erreichten, sah Alejandro die sieben frisch zugeschütteten Gräber, auf denen nur spärliches Grün wuchs, und sein Herz wurde schwer vor Mitgefühl mit dem tiefen Leid dieser Familie. Er band sein Pferd an einen Baum, ging zum Fenster der Lehmhütte und spähte durch die Ritzen der Fensterläden. Obwohl er bei dem hellen Licht, das draußen herrschte, nicht viel sehen konnte, machte er drei reglose menschliche Gestalten aus. Die größte, die er für die Mutter hielt, lag auf einem Bett aus Stroh, zwei kleinere, beides Mädchen, auf dem Lehmboden daneben. Schwärme von Fliegen umkreisten sie, und sogar durch die Ritzen der Fensterläden konnte Alejandro die dunklen Verfärbungen an Nacken und Kehlen sehen.
»Es ist, wie ich befürchtet hatte; sie sind alle tot«, sagte er zu dem Bauern, als er ihm den Anblick beschrieb. »Wir müssen verhindern, daß sich die Krankheit weiter ausbreitet, und den Ort mit Feuer reinigen. Besitzt Ihr Öl?«
»Nur auf meinem eigenen Hof, an dem wir auf dem Weg nach hier vorbeigekommen sind.«
Sie ritten zurück zum Haus des Bauern, das er mit seinem Vieh teilte, und tränkten einen Lappen mit etwas von seinem kostbaren Ölvorrat.
»Genug!« sagte der Mann. »Öl ist teuer!«
Ärgerlich, weil der Mann gegen die Verwendung von Öl für einen so guten Zweck protestierte, schlug Alejandro einen Handel vor. »Meine Dienste für Euren Sohn gegen Euer Öl. Das scheint mir ein fairer Tausch.«
Der Bauer brummte, akzeptierte aber das Angebot. Alejandro ritt davon, den ölgetränkten Lappen auf den Sattel seines Packpferdes geschnallt. Er wußte, daß der Vater den Knaben so bald wie möglich wieder arbeiten lassen würde und daß der Junge infolge der Uneinsichtigkeit seines Vaters lebenslänglich verkrüppelt bleiben würde.
Als er die Hütte wieder erreicht hatte, vergeudete er keine Zeit. Mit seinem Feuerstein zündete er den Öllappen an und warf ihn auf das trockene Strohdach. Es fing sofort Feuer, und bald stieg dichter Rauch zum Himmel. Rasch sprang Alejandro auf sein wartendes Reittier und griff nach den Zügeln des Packpferdes. Dann entfernte er sich ein wenig und wandte sich noch einmal um, ehe er zu seinem eigenen Haus zurückkehrte. Während er blinzelnd im Sonnenlicht auf das sich ausbreitende Feuer schaute, konnte er Ratten erkennen, die die Hütte verließen, sich durch die Überreste der geborstenen Außenwände zwängten und davoneilten, um sich ein neues Versteck zu suchen.
Ratten. Immer Ratten, überall.
Überall Ratten, wo Leute krank werden. Ratten auf Schiffen, Ratten in Häusern und Scheunen. Ratten mit ihren verfluchten Fliegen, die jede arme Seele quälen, die lange genug stillhält.
Und mit dem gleichen Gefühl der Offenbarung, das ihn überflutet hatte, als er Carlos Alderons verhärtete Lunge sah, wußte er, daß die Ratten und Fliegen ein Teil der Pestseuche waren.
Er gab seinem Pferd die Sporen und ritt rasch davon, da er so viel Abstand wie möglich zwischen sich und die schreckliche Szene legen wollte.
Als er wieder in seinem eigenen Haus war, versorgte Alejandro schnell seine Pferde, reinigte sich vom Schmutz der Straße und ging dann sofort mit Feder, Tinte und Pergament an den großen Tisch.
An Seine Majestät, König Edward III.
In einem Dorf nördlich meines Hauses, für das ich Euch großen Dank schulde, ist eine Familie von neun Personen gestorben, alle mit den Anzeichen der Pest, von der wir geglaubt hatten, sie habe uns endlich verlassen. Ich habe zwar keine weiteren Fälle gesehen, kann aber die Möglichkeit nicht von der Hand weisen, daß es solche geben wird. Ich habe alle Vorkehrungen gegen die Ausbreitung der Krankheit getroffen, indem ich die Hütte der Familie niedergebrannt habe, doch während sie von den Flammen verzehrt wurde, sah ich Dutzende von Ratten fliehen. Die Anwesenheit dieses Ungeziefers habe ich fast überall bemerkt, wo die Pest sich zeigte, und ich muß daraus schließen, daß sie möglicherweise die Krankheit auf ihre Opfer übertragen. Sicherlich ist die Pest auf diese Weise nach England gekommen; ich kann mir nicht vorstellen, daß es in den Lagerräumen der Schiffe, die regelmäßig aus Frankreich kommen, an Ratten fehlt. Ihr müßt deshalb unverzüglich Maßnahmen ergreifen, um Eure Schlösser und Eure Flotte von Ratten zu befreien.
Von einer weisen alten Frau, einer höchst verehrungswürdigen Heilerin, habe ich außerdem gelernt, daß ein Pulver, welches aus den Überresten der Opfer gewonnen wurde, die Macht des Geistes des Dahingeschiedenen auf ein noch lebendes Opfer überträgt, wenn man diesem davon eingibt, und es so unter Umständen am Leben erhält! Ich bitte untertänig um Eure Erlaubnis, den Leichnam eines Menschen zu exhumieren, der der Pest erlegen ist, damit wir ein Mittel erlangen, die neu Erkrankten am Leben zu erhalten.
Betet zu Gott, daß dieses Geschehen nur ein letztes Aufbäumen der Pest ist, die ebenso ungern sterben will wie ihre unglücklichen Opfer. Es wäre mir eine Ehre, Eurer Familie erneut zu dienen, falls das nötig werden sollte. Möge es dem Allmächtigen gefallen, eine solche Notwendigkeit nicht entstehen zu lassen, und möge die Ausrottung der Nagetiere dieser Seuche ein Ende machen.
Mit großer Erwartung sehe ich Eurer Antwort entgegen.
Euer untertänigster Diener
Alejandro Hernandez
Er schickte den Brief noch am gleichen Tag durch einen Boten ab. Während der nächsten paar Tage hörte er sich in der Umgebung um, ob irgend jemand vom Wiederauftauchen der Pest in der Gegend erfahren habe. Das war nicht der Fall, obwohl er genügend Patienten mit anderen Beschwerden hatte. Dennoch war er nicht ganz beruhigt.
Nun, vielleicht liegt es einfach in meiner Natur, Unheil zu erwarten, wo andere das Licht der Hoffnung sehen, dachte er. Dennoch wäre es ein Trost, sich einmal wirklich sicher zu fühlen, und ich wünschte, diese Vorahnung würde mich in Ruhe lassen.
»Verdammte Seuche!« schrie der König. »Werden ihre Zerstörungen denn ewig anhalten? Ich kann nicht durch die Straßen meiner eigenen Stadt gehen, ohne über den Leichnam irgendeiner armen Seele zu stolpern und den faulen Gestank zu atmen! Schickt sofort nach dem Oberbürgermeister! Ich will eine Erklärung für diesen grauenhaften Zustand.«
Seine fröhliche Stimmung bei der Rückkehr nach London war sofort vergangen, als er die Stadt inspizierte und sah, wie es dort wirklich zuging. Verweste Leichen vom herbstlichen Angriff der Pest lagen an vielen Stellen der Stadt noch immer unbestattet in den Rinnsteinen, und die Themse war eine einzige schlammige Masse aus Abfall, Fäkalien und Leichen, die wenig Raum für Wasser ließen. Obwohl nichts König Edward mehr beglückte, als sein schönes Reich zu regieren, waren die Probleme, vor denen er jetzt stand, viel zu zahlreich, um sie sofort in Angriff zu nehmen. Als ein atemloser Bote ihm Alejandros Brief überbrachte, war Seine Majestät daher alles andere als erfreut.
»Ratten!« brüllte er. »Ich soll die Paläste von Ratten befreien? Eine unmögliche Aufgabe! Es wäre einfacher, all meine Schlösser von Steinen zu befreien. Habt Ihr jemals solchen Unsinn gehört, Gaddesdon?«
Sein üblicher Leibarzt, der sich in London wieder zu ihm gesellt hatte, nachdem er mit seinen jüngeren königlichen Kindern ein Jahr lang nach Eltham Palace verbannt gewesen war, spottete über die Gefahr und versuchte, die Bedrohung herunterzuspielen. »Wir können diesem Spanier nicht erlauben, das Königreich von neuem in Panik zu versetzen! Seit dem Frostmond habe ich keinen einzigen neuen Pestfall gesehen; ich glaube, daß er sich voreilig und allzu überzeugt äußert. Ich glaube fest daran, daß wir nichts zu fürchten haben. Ich kann Euch versichern, daß wir beruhigt mit den Plänen für die Einsetzung des Erzbischofs vor der Sonnenwende fortfahren können. Erlaubt diesem Ausländer nicht, Euch von Euren Vorhaben abzubringen.«
Aber der König war unsicher; er war ein schlauer Mann, gewohnt, ein Risiko gegen ein anderes abzuwägen. Er dachte weiter über den Inhalt von Alejandros Brief nach. »Master Gaddesdon«, sagte er, »vielleicht sind wir zu hastig in unserem Urteil. Erinnert Euch bitte daran, daß der gute Doktor Hernandez, wenn er auch ansonsten ein unwissender Spanier war, während seines Aufenthalts in Windsor äußerst zutreffende Vorhersagen über die Pest gemacht hat. Und wenn ich durch London reite, sehe ich Tausende von Ratten! Vielleicht ist seine Theorie doch nicht so verrückt, wie wir meinen! Und wenn es ein Heilmittel gibt, soll ich dann nicht seiner Bitte nachgeben, einen Leichnam zu exhumieren?«
»Das wird der Erzbischof nicht zulassen, Sire.«
»Es gibt keinen Erzbischof«, erinnerte Edward ihn in barschem Ton. Er erhob sich zur ganzen imposanten Größe, die allen Plantagenets zu eigen ist; sofort sprangen alle Höflinge im Raum ebenfalls auf die Füße, Gaddesdon eingeschlossen. »Er kam durch die Seuche um, habt Ihr das vergessen? Und auch wenn es einen Erzbischof gäbe, ist das nicht mein Königreich, in dem ich tun kann, was ich für richtig halte?«
»Sire, ich flehe Euch an, hört mir zu ...«, sagte Gaddesdon.
»Nennt mir einen guten Grund, warum ich mehr auf Euch als auf den Spanier hören sollte.«
Gekränkt antwortete Gaddesdon: »Auch ich habe Eure Familie beschützt, wenn auch nicht in Eurer Gegenwart. All Eure jüngeren Kinder sind unter meiner Obhut in Eltham gewachsen und gut gediehen. Und in Eltham mangelte es nicht an Ratten. Und, Sire, selbst ohne den Rat eines Erzbischofs, wie kann ein christlicher König eine solche Entwei- hung zulassen wie das Ausgraben der sterblichen Überreste eines Menschen, der schon gelitten hat?«
»An toten Bauern fehlt es uns nicht, Gaddesdon; seht Euch in den Straßen dieser einstmals schönen Stadt um! Überall verwesende Leichen! Warum keinen Nutzen aus ihnen ziehen, wenn Hernandez recht hat?«
»Haben denn diese Toten nicht schon gelitten? Warum den Fluch vergrößern, indem man die heiligen Belohnungen jener in Gefahr bringt, die noch nicht einmal bestattet sind?« Mit gekränkter Stimme fügte er hinzu: »Ich habe kein Heilmittel für diese Seuche gesehen, und mich ärgert Eure Bereitschaft, meine Leistungen zum Schutz der Gesundheit Eurer anderen Kinder herunterzuspielen.«
»Mißversteht mich nicht«, antwortete der König in verzweifeltem Ton. »Ich werte Eure gute Arbeit nicht ab. Aber in meinem Bauch, nicht in meinem Kopf, gibt es eine Furcht, daß unser Leben noch einmal vom Schrecken dieser Seuche gestört wird, vor allem jetzt, wo ich endlich wieder dabei bin, dieses geschwächte Reich zu regieren.«
»Dann, Eure Majestät, laßt bitte nicht zu, daß sein Gerede von Verhängnis und Phantasien über ein Heilmittel Euch behindert. Tut, was Ihr tun müßt, und laßt der Pest ihren Lauf, wenn es denn sein soll. Gott wird uns ein Heilmittel dagegen schenken, wenn es Sein Wille ist.«
Der König seufzte und verriet damit allen Anwesenden seine Frustration. »Genug davon, es reicht.« Er befahl, einen Brief an Alejandro zu schicken, in dem er ihm für seine Wachsamkeit dankte, sein Hilfsangebot aber ablehnte und außerdem seine Erlaubnis zu einer Exhumierung verweigerte. Dann schickte er nach seiner Tochter Isabella und hoffte, die gute Nachricht, die er eben erhalten hatte, werde sie ebenso erfreuen wie ihn.
»Vater!« rief Isabella. »Ich bitte Euch! Tut mir das nicht an! Ich werde in diesem entlegenen Land für alle Zeit unglücklich sein!«
»Isabella, ich warne Euch«, sagte der König, »fordert mich nicht heraus, denn ich werde mein eigenes Versprechen nicht brechen. Ihr werdet Karl von Böhmen heiraten, sobald ich die Vorkehrungen für Eure Reise treffen kann.«
»Großer Gott, hab Erbarmen mit mir«, schrie die Prinzessin hektisch, »denn mein herzloser König schickt mich auf eine zweimonatige Reise in die Arme eines unaufgeklärten Wilden!«
Der König sprang von seinem Stuhl auf. »Schweigt!« zischte er, wütender denn je auf seine störrische Tochter. »Ihr sprecht in Eurer lasterhaften Sprache immerhin über den Kaiser von Böhmen!«
»Soweit ich mich erinnere, ist er noch nicht gekrönt«, erwiderte die Prinzessin trotzig.
Die Wut des Königs nahm zu; er sprang vor und hob die Hand, als wolle er ihr ins Gesicht schlagen, hielt aber kurz davor inne. Schockiert von der Gewalttätigkeit ihres Vaters, wandte Isabella ihm die Wange zu und schloß fest die Augen; als der befürchtete Schlag nicht kam, machte sie sie wieder auf und erblickte die große Hand ihres Vaters Zentimeter vor ihrer Nase. Alle anwesenden Höflinge sahen deutlich, von wem Isabella ihr berüchtigtes Temperament geerbt hatte.
»Widersprecht mir nicht, Kind, denn Ihr seid nicht mehr als das, mein Kind, das ich verheiraten kann, mit wem ich will; danach wird Euer armer Gatte dann das Kreuz mit Euch tragen müssen! Ich würde Euch mit dem Fürsten der Dunkelheit vermählen, wenn mir das gefiele, obwohl ich fürchte, selbst der Böse persönlich würde Euch wegen Eurer zänkischen Art nicht haben wollen! Und jetzt kehrt in Eure Gemächer zurück, und beginnt mit den Vorbereitungen für Eure Brautreise. Gebt nur noch mehr von meinem Geld für Euren Tand aus! Ich werde Eure undankbare Gegenwart nicht länger dulden.«
Isabella, deren Stolz völlig gebrochen war, weinte offen vor dem versammelten Hof und blieb trotz des väterlichen Befehls, wo sie war. Sie trat näher an ihn heran und sagte mit flehender Stimme: »Vater, ich bitte Euch um ein Wort unter vier Augen, bevor ich diesen Raum verlasse.«
Edward sah das unglückliche Mädchen an, sein Lieblingskind, die gehätschelte Tochter, die zum Ebenbild ihrer großartigen Mutter herangewachsen war, und er hatte nicht das Herz, ihr ihre Bitte abzuschlagen. Mit einem raschen Wink seiner Hand entließ er die Anwesenden, die hastig unter gedämpftem Flüstern und dem Rascheln von Kleidern die Halle verließen.
Isabella kniete zu Füßen ihres Vaters nieder und flehte dramatisch um Gnade. »Mein König und Vater, warum bestraft Ihr mich mit der Verbannung in eine so elende Ferne? Habe ich Euch in letzter Zeit mißfallen? Sagt mir, wo ich gegen Euch gesündigt habe; kann ich nichts tun, um den Verstoß zu sühnen, von dem ich nichts weiß?«
Edward brach schier das Herz; im Grunde wollte er seine Tochter nicht so weit fortschicken, aber die Chance, durch ihre Vermählung eine solche Allianz zu schmieden, war zu verlockend, um sie nicht zu nutzen.
Mit einer Stimme, die entschlossener klingen sollte, als er tatsächlich war, sagte der König: »Ihr verstoßt gegen Eure Stellung als Prinzessin von England, wenn Ihr Euch so benehmt wie heute. Meine Berater sagen mir schon, daß ich Euch verhätschele und dulde, daß Ihr gegen die königlichen Pflichten verstoßt, für die Ihr erzogen wurdet; zu diesen Pflichten gehört auch die bereitwillige Annahme einer vorteilhaften Heirat, sosehr Euch der Bräutigam auch mißfallen mag. Meine Feinde werden mich für schwach halten und sich listige Mittel ausdenken, um mich von meinem gewählten Kurs abzubringen. Wollt Ihr die Ursache solcher Missetaten sein?«
Isabella wußte ihrem Vater, der die Auswirkungen ihres Verhaltens zweifellos richtig einschätzte, nichts zu erwidern. Beschämt ließ sie den Kopf hängen, weinte von neuem und versuchte verzweifelt, sein Mitgefühl zu erregen. Doch der König, der für die Wünsche seiner störrischen Tochter nie unempfindlich gewesen war, konnte und wollte in diesem Fall seine Politik nicht ändern, um ihr zu willfahren.
Isabella überlegte verzweifelt, wie sie die Situation erträglicher gestalten könnte; erschüttert von dem Mißerfolg des Versuchs, ihren Vater umzustimmen, entschloß sie sich, es sich in ihrer Verbannung wenigstens so komfortabel wie möglich einzurichten. Und zu diesem Zweck wurde sie zu Wachs in den Händen ihres Vaters, bereit, ihm zu gefallen und seiner Sache im Ausland zu dienen; fast eine Stunde lang sprachen sie unter vier Augen über seine Pläne für sie, und die wartenden Mitglieder von Edwards Hof fragten sich schon, wie ihr Streit wohl ausgehen mochte. Edward war entzückt: über den plötzlichen und unerwarteten Sinneswandel seiner Tochter und dachte bei sich, er hätte ihr gegenüber schon viel früher fest bleiben sollen, wenn er mit rauher Behandlung eine so schöne Eintracht erreichen konnte.
Als ihre Diskussion sich dem Ende näherte, stand Isabella auf, küßte ihren Vater auf die Stirn und dankte ihm dafür, daß er ihren kindischen Ausbruch hingenommen hatte. Doch bevor sie ging, fügte sie hinzu: »Es gibt noch eines, was meinen Schmerz, meine geliebte Familie verlassen zu müssen, sehr lindern würde.«
»So nennt es, und wenn es in meiner Macht steht, sollt Ihr es haben.«
»Bitte, schickt Lady Throxwood als meine Gefährtin mit mir nach Böhmen.«
Der König zögerte. »Ich hatte daran gedacht, auch für sie eine geeignete Partie zu arrangieren, und es gibt viele gute Kandidaten, deren Unterstützung mir bei meinen Ansprüchen auf Frankreich sehr nützlich wäre. Schließlich seid Ihr keine kleinen Mädchen mehr, die einander ständig Gesellschaft leisten müssen.«
»Vater, bitte«, flehte sie. »Wie könnt Ihr von mir erwarten, daß ich meinen Gatten lieben lerne, wenn ich mich ansonsten elend fühle? Sie würde mir ein großer Trost sein. Und bis ihr Alter eine Rolle spielt, ist noch Zeit.«
»Sie ist neunzehn. Meine Phillippa war in diesem Alter dreifache Mutter. Meine eigene Mutter wurde mit dreizehn verheiratet. Wie sollte ihr Alter keine Rolle spielen? Die Jahre ihrer Fruchtbarkeit vergehen schnell.«
»Vater, ich bitte Euch, trennt mich nicht von allem, was ich liebe, und werft mich in die Arme eines unbekannten Mannes ...«
Ihm brach fast das Herz, und so gab er nach. »Also gut«, sagte er. »Aber sie wird nur für ein Jahr bei Euch bleiben. Dann wird sie zurückkehren und angemessen verheiratet werden. Ich muß alle Verbündeten nehmen, die ich bekommen kann, und ihre Güter sind eine wertvolle Mitgift.«
»Oh, ich danke Euch, Vater!« Sie küßte ihn wieder. »Aber ich bitte Euch, sagt ihr nicht, daß es meine Idee war, daß sie mich begleitet. Ich glaube, sie fühlt sich meiner Großzügigkeit wegen ohnehin schon tief in meiner Schuld. Laßt sie denken, diese Ehre käme von Euch, denn ich möchte nicht, daß ihre Dankbarkeit einen Schatten auf unsere Freundschaft wirft.«
Er zögerte und fragte sich, was seine Tochter dazu veranlaßt haben mochte, so eine eigenartige Bitte zu stellen. »Nun gut«, stimmte er schließlich zu, obwohl er immer noch leise Neugier empfand, »ich werde ihr sagen, daß es ausschließlich mein Wille ist. Schickt sie zu mir, wenn Ihr in Eure Gemächer zurückkehrt. Ich würde Eure Verlobung gern in Canterbury bekanntgeben.«