12

 

Caroline erwachte mitten in der Nacht, und der soeben durchlebte Traum stand ihr noch vor Augen. Sie sah ihn nur bruchstückhaft und hätte sich gern an viel mehr erinnert; sie bemühte sich, die Benommenheit abzuschütteln, die ihr Bewußtsein trübte und die Einzelheiten des Traumes verschwimmen ließ.

Ein Pferd. Ein langer Ritt.

Sie lag im Bett und glitt hin und her zwischen zwei gegensätzlichen Zuständen, einem, in dem sie hätte schwören können, daß sie das Auf und Ab ihres eigenen Körpers auf dem Rücken des Pferdes so deutlich spürte, als sei es Realität, und einem anderen, in dem alles so undeutlich war, daß sie nicht einmal mit Sicherheit hätte behaupten können, ihr Arm ende in einer Hand. Sie träumte und wachte abwechselnd, warf sich fiebernd im Bett herum, bis die Decken hoffnungslos verknäuelt waren und sie sich kaum noch bewegen konnte. Die Einzelheiten des Traumes wurden lebhafter, und endlich tauchte sie ganz hinein. Das große Tier bewegte sich rhythmisch unter ihr, und sie duckte sich, um sich vor dem Wind zu schützen. Die sturmzerzauste Mähne des Pferdes stach ihr ins Gesicht, als sie sich dichter über seinen langen Hals beugte.

Aber ich habe noch nie auf einem Pferd gesessen! protestierte ihr Verstand. Wie kann ich wissen, wie sich das anfühlt? Sie bemühte sich aufzuwachen, doch ihre eigenen Phantasien fesselten sie. Der Schritt des Pferdes wurde schneller, und sie glaubte eine gewisse Dringlichkeit zu spüren, irgendeine Notwendigkeit, daß der Reiter sich von diesem Strand entfernte. Während die Geschwindigkeit des Pferdes zunahm, wurde ihr bewußt, daß ihr das unangenehm war, und sie wünschte sich, ihre Hosen ...

Hosen?

... wären nicht so eng und das Leinen des Hemdes, das sie trug, nicht so rauh; die Anstrengung des Reitens erzeugte eine unangenehme Feuchtigkeit, und der Stoff kratzte auf ihrer Haut. Sie drückte die Schenkel fester an die Flanken des Pferdes und spürte ein scharfes Stechen in der Leistengegend. Im Reiten hob sie sich ein wenig aus dem Sattel, wobei die Muskeln ihrer Schenkel sich verhärteten, und setzte sich so wieder hin, daß der Sattel nicht auf ihre Hoden drückte .

O mein Gott ...

Sie riß sich von dem Traum los und schälte sich hektisch aus den Fesseln der Laken. Nachdem sie sich von ihrer verschwitzten Umhüllung befreit hatte, saß sie kerzengerade auf dem zerwühlten Bett. Rasch legte sie eine Hand zwischen ihre Beine, und zu ihrer ungeheuren Erleichterung fand sie dort keine physischen Beweise von Männlichkeit. Sie fuhr sich mit der Hand über einen Schenkel und verglich dessen Umfang mit dem, den er im Traum maß. Dankbar fühlte sie die vertraute Weichheit. Es war nicht der harte, fremde Schenkel, den sie noch vor ein paar Augenblicken an die bebende Flanke des Pferdes gepreßt hatte.

»Großer Gott«, sagte sie laut und mit zittriger Stimme. Sie hätte schwören können, daß all das real war, Teil ihres eigenen Körpers, und daß es die natürlichste Sache der Welt war, wie sie mit engen Hosen und schmerzenden Hoden an diesem unbekannten Strand entlangritt. Sie erinnerte sich an einen Gefährten in ihrem Traum, einen weiteren Reiter, von dem sie nur noch wußte, daß er ebenfalls ein Mann war; seine Gegenwart war vage, aber beharrlich, und irgendwie wußte sie, daß er wichtig war, daß ihr Überleben im Traum von ihm abhing. Etwas von seinem Namen . haftete verschwommen in ihrem Gedächtnis, aber sie konnte es nicht hervorholen. Doch sie erinnerte sich deutlich an die physische Erscheinung des Mannes, in dessen Bewußtsein sie sich im Traum, wie kurz auch immer, befunden hatte.

Sie schloß die Augen und beschwor das Bild wieder herauf; es war von großer physischer Schönheit und jugendlicher Kraft. Vor ihrem inneren Auge sah sie die hübschen, dunklen, südländischen Züge im ernsten Antlitz eines jungen Mannes von etwa Mitte Zwanzig. Sein Gesicht war sonnengebräunt, und er war groß und drahtig, ohne jedes Fett, schlank wie ein Athlet; er hatte fein- gliedrige, geschmeidige Hände mit langen, eleganten, fast weiblichen Fingern, aber ein paar verheilenden Schnitten, als habe er kürzlich eine schwere Arbeit getan. Sein langes, dunkles Haar wurde von einer Art Kordel zusammengehalten, ein paar lockige Strähnen hatten sich an den Schläfen gelöst. Er hatte etwas überraschend Starkes und Angespanntes an sich und war ständig auf der Hut. Läuft er vor etwas davon? fragte sie sich. Seine Augen bewegten sich fast nervös hin und her und nahmen rastlos alles ringsum in sich auf. Angst. Sorge. Unruhe. Qual und Kummer. Und eine so liebevoll gehegte Hoffnung, daß es beinahe schmerzte.

Eine Welle von Übelkeit durchfuhr sie, und ihr Kopf begann zu pochen. Sie öffnete die Augen und legte eine Hand auf ihren Magen. Als sie aufzustehen versuchte, schwankte sie benommen. »Hui!« sagte sie laut und stützte sich am Bettpfosten. Als sie aufrecht stand, spürte sie den Drang zu urinieren, doch nachdem sie zur Toilette gewankt war, brachte sie nur einen dünnen Strahl zustande. Sie verließ das Badezimmer unbefriedigt, denn der Drang hielt an. Etwas schien auf ihre Blase zu drücken, obwohl ihr Schlafanzug locker saß und normalerweise sehr bequem war.

Sie ging zurück ins Bett und fiel in einen unruhigen Schlaf. Als das erste schwache Tageslicht durchs Fenster fiel, hatte sie viele Stunden im Bett gelegen, fühlte sich aber noch immer müde und unausgeruht.

Unter großen Schwierigkeiten kochte sie sich eine Kanne Kaffee, doch obwohl sie normalerweise süchtig war nach der dunklen Flüssigkeit, fand sie sie jetzt unbefriedigend und hatte das Gefühl, nichts anderes als heißes, schmutziges Wasser getrunken zu haben. Sie hatte immer noch Kopfschmerzen, und ihr Hals war noch steifer als am Vortag. Sie versuchte, einen Becher Joghurt zu essen, aber er schmeckte metallisch und ungenießbar, und sie konnte ihn nicht leeren.

Na, vielleicht werde ich ein oder zwei Pfund abnehmen, bis ich das loswerde, dachte sie, was immer es sein mag. Doch nicht einmal der Gedanke an etwas lockerer sitzende Jeans linderte ihr zunehmendes Elend. Sie ging zum Schrank und nahm die illegale Flasche mit Ibuprofen aus der Spitze eines Schuhs. Sie schüttelte drei Tabletten auf ihre Handfläche und schluckte sie mit Wasser. Dann setzte sie sich in einen zu weich gepolsterten Sessel und wartete auf die schmerzlindernde Wirkung. Eine halbe Stunde später hatten ihre Kopfschmerzen etwas nachgelassen, waren aber noch nicht vergangen; trotzdem hatte das Medikament eine leicht betäubende Wirkung, und sie war entspannter. Sie ging wieder ins Bett und schlief bald erneut ein.

Das Läuten des Telefons brachte sie wieder zu Bewußtsein. Janie, dachte sie froh und hatte Visionen von Hühnersuppe und Thermometern. Sie wird mir Vitamine und Wick Vaporub bringen und mich warm zudecken, und in ein oder zwei Tagen geht es mir besser. In erwartungsvoller Erleichterung, mit ihrer Chefin zu sprechen, nahm sie den Hörer ab und war überrascht, wie schwach ihre eigene Stimme klang. Noch überraschter war sie, als sie am anderen Ende der Leitung nicht Janies Stimme hörte.

»Caroline, hier ist Ted Cummings.«

Caroline war einen Moment verwirrt; sie konnte noch immer nicht klar denken und brauchte ein paar Augenblicke, um sich zu erinnern, daß Ted versprochen hatte, in Janies Abwesenheit nach ihr zu sehen. Sie kam sofort zu dem Schluß, daß Janie noch nicht zurückgekommen war und daß es weder Hühnersuppe noch Gingerale geben würde. Ihre Enttäuschung war beinahe offenkundig.

»Oh, hallo«, sagte sie nach kurzer Pause. »Tut mir leid, wenn ich mich verwirrt anhöre. Ich hatte vergessen, daß Sie anrufen wollten. Ich bin heute morgen noch immer nicht ganz auf dem Posten.«

»Sie brauchen sich nicht zu entschuldigen«, sagte er. »Aber vielleicht möchten Sie auf die Uhr sehen. Es ist Nachmittag.«

Caroline wollte den Kopf nach der Uhr auf dem Nachttisch umdrehen, aber ihr Hals war viel zu steif. Also drehte sie den ganzen Oberkörper und entdeckte, daß es schon nach fünfzehn Uhr war. »Mein Gott, ich bin früher wach geworden und dann wieder ins Bett gegangen. Offenbar fehlen mir ungefähr sechs Stunden.«

»Geht es Ihnen denn jetzt ein bißchen besser?« fragte er.

»Eigentlich nicht«, sagte sie. »Gerade wollte ich den Kopf drehen, und es tat richtig weh. Wirklich eine schlimme Erkältung.«

Du hast ja keine Ahnung, dachte Ted. »Weshalb ich anrufe ...«, sagte Ted. »Ich habe heute morgen mit einem meiner Kollegen aus der medizinischen Abteilung des Instituts gesprochen. Ich habe erwähnt, daß Sie vielleicht ärztliche Hilfe brauchen, und gesagt, Sie hätten vielleicht eine Art Grippe. Er war ziemlich besorgt; er hat gesagt, es gäbe da einen Bakterienstamm, den wir gerade erst gefunden haben, und die ersten Symptome wären ganz ähnlich wie bei Grippe. Leider wird die Sache sehr viel schlimmer als eine Grippe, wenn sie nicht behandelt wird. Sie kann tödlich sein, und er hat mir versichert, damit sei nicht zu spaßen. Sie haben die Quelle des Ausbruchs noch nicht entdeckt, Sie könnten es sich also überall geholt haben.«

Caroline geriet allmählich in Panik, und ihre Stimme verriet das. »Was treten sonst noch für Symptome auf?«

»Zuerst ein steifer Hals«, sagte er. »Hohes Fieber, auch bei Bettruhe. Schwellung der Drüsen am Hals und in der Leistengegend. Dunkle Stellen auf der Haut, die fast wie blaue Flecken aussehen.«

»Diese Symptome habe ich! Jedes einzelne davon! Oh, mein Gott ...«

»Keine Panik«, sagte er mit seiner beruhigendsten Stimme. »Es ist bakteriell, und anscheinend handelt es sich um eines der seltenen Tierchen, die noch auf Antibiotika ansprechen.«

»Gott sei Dank«, sagte Caroline. Ihre Stimme klang ungeheuer erleichtert. »Was soll ich jetzt tun? Muß ich mich testen lassen oder so?«

»Leider ist die medizinische Abteilung des Instituts für ein paar Tage geschlossen, weil wir im Augenblick keine stationären Patienten im Haus haben. Ich kann Sie erst testen lassen, wenn sie wieder geöffnet ist.«

»Aber brauche ich nicht einen Test, um behandelt zu werden? Hier geht doch sonst alles der Reihe nach.«

»Ja, das ist schon richtig, aber in Ihrer Situation würde das keinen Unterschied machen. Es handelt sich um eine neu aufkommende Krankheit, und die ist im System noch nicht vorgesehen.«

»Warum nicht?«

»Nicht genug Fälle wahrscheinlich. Eine gewisse Schwelle muß überschritten sein, ehe sie in das ganze System aufgenommen wird.«

»Wie kommt es dann, daß es schon einen Test dafür gibt?«

Es gefiel ihm nicht, daß sie all diese schwierigen Fragen stellte. Warum mußte ich ausgerechnet jemanden infizieren, der ein Gehirn im Kopf hat? dachte er. Aufgepaßt jetzt ...

»Es ist eigentlich kein Test, sondern nur ein Mittel, die spezifischen Bakterien festzustellen, nach denen wir suchen. Wir benutzen eine Art Polymerase-Kettenreaktion, um genug Material für Identifikationszwecke zu züchten. Das ist sehr schnell und ziemlich genau.«

Dann legte er eine effektvolle Pause ein; er wollte, daß sie dachte, er halte irgendein wichtiges Detail vor ihr geheim, etwas so Schreckliches, daß sie es nicht bewältigen könnte.

Caroline schnappte nach dem Köder und durchbrach das Schweigen. »Aber ich muß behandelt werden! Ich werde in eine Klinik gehen müssen. Wenn die Krankheit so schrecklich ist, sollte ich wohl nicht warten .«

»Beruhigen Sie sich«, sagte er. »Panik hilft uns jetzt nicht weiter.« Aber Panik war genau das, was er hatte erzeugen wollen; er wollte die Kontrolle über sie erlangen, notfalls mittels ihrer Angst, solange Janie noch nicht zurück war. Er mußte sie in diesem Hotelzimmer festhalten und so aus dem Verkehr ziehen. Er würde sie unter seine Kontrolle bringen, wenn er sich selbst in die von ihm geschaffene Lösung des Problems einbezog. »Das wäre für uns beide im Moment keine gute Idee«, sagte er daher. »Es bringt uns in eine heikle Situation. Wenn eine medizinische Überwachungsstelle denkt, daß etwas Ansteckendes vorliegt, dann ist Ihr Status als Ausländerin ein großer Nachteil.«

»O Gott! Was würde dann passieren?«

Ein weiteres vielsagendes Zögern. Dann, vorsichtig: »Biopol müßte Sie unter Quarantäne stellen, bis eine definitive Diagnose erfolgt. In letzter Zeit sind die Einrichtungen von Biopol so überlaufen, daß es mehrere Tage dauert, bis sie jeden Patienten erst einmal untersucht haben. Das könnte eine lange Wartezeit in einem Lager bedeuten. Und in neun von zehn Fällen kommen die Leute auch dann in ein Lager, wenn es sich bloß um eine Erkältung handelt. Ich glaube nicht, daß wir im Moment in so eine Einrichtung geraten wollen, vor allem, wenn Sie wirklich krank sind und es Ihnen sehr schlecht geht.«

»Das tut es. Ich kann kaum den Hals bewegen.«

Und deine Leisten schwellen an, deine Achselhöhlen schmerzen, und die Haut an deinem Hals wird dunkel, dachte er. »Das ist eines der Symptome, nach denen ich Ausschau halten soll. Und noch etwas müssen wir berücksichtigen. Wenn Sie noch nicht geprintet sind, dann wird das nachgeholt, während Sie in Quarantäne sind. Die Prozedur ist ohnehin nicht sehr angenehm, und ich denke, sie könnte ziemlich scheußlich sein, wenn man bereits krank ist.«

Carolines Schweigen war genau die Reaktion, die er erhofft hatte. Er wußte, sie stellte sich die schauderhaften Konsequenzen vor, wenn sie außerhalb der von ihm angebotenen Kanäle medizinische Hilfe suchte. Übertriebene und ungenaue Vorstellungen von den Schrecken des Bodyprintings gingen ihr durch den Kopf, zusammen mit der Angst davor, gegen ihren Willen festgehalten zu werden, während die Gesundheitsbehörden entschieden, was mit ihr zu geschehen hatte. Er hoffte, daß sie sich eine Art Viehpferch mit unzulänglichen sanitären Einrichtungen und Horden von schmutzigen, ansteckenden Leuten vorstellte. In Wirklichkeit waren die Einrichtungen ziemlich modern und sauber, und die Insassen wurden gut behandelt, aber er wollte sie in ihrer falschen Vorstellung bestärken, damit sie ihn für ihren Beschützer hielt; er wollte ihr solche Angst einjagen, daß sie tat, was immer er verlangte, damit er sie gegen die Pest behandeln konnte, ohne daß jemand außer ihm von ihrer Erkrankung erfuhr.

Ohne auf eine Antwort von ihr zu warten, fuhr er fort: »Ich könnte Sie heute nachmittag besuchen und mit der medikamentösen Behandlung anfangen. Morgen brauchen Sie dann eine Wiederholungsdosis.«

»Oh, Ted ... ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie dankbar ich bin, daß Sie das für mich tun. Sie machen sich so viel Mühe für jemanden, den Sie kaum kennen.«

»Nein, ganz und gar nicht. Ich freue mich, wenn ich Ihnen helfen kann. Ich weiß, wie unangenehm diese Dinge sein können . heutzutage ist das alles so schwierig. Sie sind in einem fremden Land und kennen das System nicht. Es macht wirklich keine Mühe.«

»Sind Sie sicher, daß Sie sich damit nicht in Schwierigkeiten bringen? Ich meine, mir kommt es so vor, als wäre das alles womöglich illegal .«

Er schwieg für einen kurzen Moment. »Die Legalität ist fraglich, sicher, aber ich glaube nicht, daß ich Probleme bekommen werde. Es gibt hin und wieder so eine Art >Illegalität< der Medizin. Manchmal werden wir dazu gezwungen, weil das alles so kompliziert ist. Ich bin oft frustriert wegen der Hindernisse, die unsere Regierung uns in den Weg legt. Wenn nötig, haben wir so unsere kleinen Tricks, um sie zu umgehen. Und ich kann Ihnen versichern, daß mein Kollege sehr diskret sein wird. Er kennt nicht einmal Ihren Namen.« Er wünschte sich, er hätte ihr zulächeln können, aber ihr Hotel hatte keine Bildtelefone.

»Nun, ich denke, dann ist es ja in Ordnung .«

»Alles bestens«, versicherte er ihr. »Bestens. Sie müssen mir vertrauen, wenn ich Ihnen sage, daß es Ihnen in ein paar Tagen bessergehen wird, ohne daß jemand etwas merkt. Dann können Sie wieder an Ihre Arbeit gehen, und ich kann Bruce mit unserem Projekt anfangen lassen.«

»Daran habe ich gar nicht mehr gedacht«, sagte sie in entschuldigendem Ton. »Er hilft Janie, obwohl er eigentlich mit Ihnen arbeiten sollte. Wahrscheinlich haben wir dadurch, daß wir hier einfach aufgetaucht sind, ein ganz schönes Durcheinander angerichtet, nicht?«

Er tat nichts, um ihr ihre Schuldgefühle zu nehmen. »Das ist schon in Ordnung; ich verstehe, daß so etwas hin und wieder passiert. Dagegen kann man nichts machen. Aber bald geht es Ihnen wieder besser, und dann läuft alles wieder normal.«

»Hoffentlich haben Sie recht.«

»Oh, ich weiß, daß ich recht habe. Und jetzt sollten wir mit der Behandlung anfangen. Ich muß gleich aus dem Haus und kann dann bei Ihnen vorbeikommen, wenn Sie einverstanden sind. Mal sehen ... jetzt ist es Viertel nach drei; ich denke, ich kann in ungefähr einer Stunde bei Ihnen sein.«

»Ich bin Ihnen wirklich dankbar, daß Sie das tun.«

Es ist mir ein Vergnügen, dachte er.

Der alte Hund lag im Gras neben Sarin, den Kopf auf den Vorderpfoten, die Augen halb geschlossen. Hin und wieder zuckte er, und sein Herrchen schaute auf ihn herunter und fragte sich, wie schnell die Kaninchen in seinem Hundetraum wohl rannten.

Er schaute hinüber auf die leicht abfallende Ebene und sah zu, wie das Tageslicht verblaßte, eine neue Angewohnheit, die nun zu ihren spätnachmittäglichen Spaziergängen gehörte. Jeden Tag hielten sie an dieser Stelle an und sahen zu, wie die Sonne hinter dem Horizont verschwand; für Sarin war das die einfachste Art, sich das Vergehen der Zeit zu vergegenwärtigen, die für ihn seit dem Besuch der amerikanischen Frauen eine neue Bedeutung gewonnen hatte. Er wußte, daß seine Zeit begrenzt war, und er wollte sehen, wie sie verging.

Die Sonne ging unter; sein Herz erhob sich. Dieses Wunder faszinierte ihn jedesmal von neuem; er konnte sich vorstellen, wie all seine Vorgänger dasselbe getan hatten, zurück bis zum allerersten.

Er bezweifelte, daß das Feld jetzt sehr anders aussah. Abgesehen von den Lichtern der Stadt in der Ferne und den verwahrlost aussehenden Leuten, die immer an den Grundstücksgrenzen herumzulungern schienen, war es eigentlich unverändert; in diesem kleinen Protektorat schien es keinen großen Wandel zu geben, so deutlich man auch bei Sonnenuntergang das Vergehen der Zeit wahrnehmen mochte. Die Zeit schritt voran, unbekümmert um die kleinen Intrigen derer, auf die sie ihren dunklen Schatten warf.

Doch ihn würde die Zeit bald einholen, das wußte er. In den letzten paar Tagen nach dem Energieschub, der ihn angeregt hatte, die Dinge wieder in Ordnung zu bringen, erschlaffte er nun allmählich, als sei die Luft plötzlich dünner geworden. Jeder Tag brachte ihn seinem letzten Tag näher, und jetzt kam es ihm so vor, als rase die Sonne förmlich über den Himmel, um sich wie wahnsinnig hinter den Horizont zu stürzen. Er hatte Angst, und bis auf seinen Hund war er allein; er schaute auf seinen schlafenden Gefährten nieder und beneidete das sanfte Geschöpf um den schlichten Frieden, in dem es immer zu leben schien.

Ted ging den Gang im sechsten Stock des Hotels hinunter, unsicher wie ein Betrunkener, und stützte sich dabei mit einer Hand an der Wand ab. Sein Zustand hatte sich seit dem Gespräch mit Caroline dramatisch verschlechtert. Er war überzeugt gewesen, daß es ihm bald bessergehen würde, denn er hatte schon vor vielen Stunden seine erste Dosis Antibiotika genommen. Die Wirkung auf die Bakterien, die in seinen Körper eingedrungen waren, hätte sich eigentlich schon bemerkbar machen müssen. Doch er konnte keine Besserung spüren, seine Energie hatte um keinen Deut zugenommen, und er machte sich von Stunde zu Stunde größere Sorgen.

Endlich erreichte er die Tür mit der Nummer, die Caroline ihm genannt hatte. Hinter ihm an der Wand hing ein Spiegel; er drehte sich um, um sich anzusehen, bevor er klopfte, und sich zu vergewissern, daß seine sorgfältigen Vorbereitungen seine immer schlechter werdende Verfassung wirklich verbargen.

Gott sei Dank, dachte er, während er sich musterte; das Fieber gibt mir eine schöne rosige Ge- sichtsfarbe . Er zog am Halsausschnitt seines Pullovers, um ihn zu weiten, denn er fühlte sich jetzt noch knapper und beengender an als am Vortag. Er hatte es geschafft, mit einem Taxi herzukommen, ohne Verdacht zu erregen, doch keiner hatte sich ihm so weit genähert, daß er ihm in die Augen hätte sehen können. Mit Caroline würde er allerdings in nähere Berührung kommen, doch er hoffte, daß sie mit ihrer eigenen Verfassung zu beschäftigt war, um auf seine zu achten.

Er hob die Hand, um anzuklopfen, hielt dann aber inne. Er schaute den Gang auf und ab, bis er an einer Tür in der Nähe ein BITTE-NICHT- STÖREN-Schild hängen sah. Er nahm es ab, verbarg es hinter seinem Rücken, klopfte an und starrte dann auf seine Füße, während er auf Carolines Reaktion wartete.

Sie läßt sich Zeit, dachte er nervös und hoffte, daß niemand vorbeikam und ihn warten sah. Wenn mit Caroline etwas schiefging, wollte er keine Zeugen.

»Wer ist da?« kam es schwach von der anderen Seite der Tür.

Er trat so dicht wie möglich an die Tür und sagte so leise, daß es hoffentlich nur Caroline hören konnte: »Ich bin’s, Ted.«

Er war erleichtert, als Caroline die Tür öffnete, und ziemlich sicher, daß ihn aus den benachbarten Zimmern niemand hatte hören können. Beim Eintreten hängte er das BITTE-NICHT-STÖREN- Schild außen an die Tür, ohne daß Caroline es bemerkte.

Als er sie sah, erfaßte ihn blankes Entsetzen. Ihr flammend rotes Haar war stumpf und zerzaust, ihre Haut geisterhaft bleich. Sie sah unverkennbar krank aus, so krank, daß es niemandem entgehen würde. Er schämte sich sehr, die Ursache ihrer Krankheit zu sein, aber er wischte die Schuldgefühle beiseite, denn im Augenblick waren sie nicht wichtig; er mußte den Schaden begrenzen, und dazu mußte er als erstes ihr Aussehen verbessern. Er brauchte ihr volles Vertrauen und wollte sie auf keinen Fall vor den Kopf stoßen; deshalb mußte er mit seinen Vorschlägen taktvoll vorgehen. Sie wird beleidigt sein, wenn ich ihr rate, sich zu waschen, dachte er ängstlich, aber ich kann nicht zulassen, daß jemand sie so sieht.

Er hätte sich keine Sorgen zu machen brauchen; Caroline mißdeutete seinen verwirrten und schuldbewußten Blick als Abscheu vor ihrem Aussehen und zog ihren Morgenrock enger um sich. »Ich sehe schrecklich aus, ich weiß«, sagte sie. »Lassen Sie mir Zeit, mich ein bißchen zurechtzumachen.«

Wirklich erstaunlich, was man mit einem angemessen mißbilligenden Blick ausrichten kann, dachte er und sagte: »Unsinn.« Er trat ein. »Sie sehen nur ein bißchen müde aus, das ist alles, und es ist ganz normal. Ein paar Tage Ruhe, und alles ist wieder in Ordnung.«

Aber sie wankte bereits ins Badezimmer, eine Jeans und ein Flanellhemd umklammernd, und als sie nach ein paar Minuten wieder herauskam, wirkte sie ein bißchen frischer Ihr Haar war ordentlich gekämmt und zu einem Pferdeschwanz zurückgebunden, was ihm Sorgen machte, denn nun, da ihr Hals frei war, konnte man die Verfärbungen deutlich sehen. Es war nur eine Frage der Zeit, bis sie sie selbst bemerkte.

»So, hoffentlich sehe ich jetzt ein bißchen besser aus«, sagte sie. Sie setzte sich auf das zerwühlte Bett, und Ted bemerkte, wie steif ihre Sitzhaltung war. »Ich fühle mich ein bißchen menschlicher, aber nicht viel.« Mit einer Hand rieb sie ihren Hals und zuckte dabei sichtbar zusammen. Sie schaute zu Ted auf, merkte, daß er sie anstarrte, und fühlte sich unbehaglich. Sie lächelte schwach, um den Bann zu brechen, unter dem er zu stehen schien. »Erzählen Sie mir von dieser Medizin«, sagte sie.

Was gibt es da zu erzählen? dachte er. Das ist ganz einfach. Ich gebe dir Spritzen, und entweder geht es dir danach besser oder nicht. Aber wie auch immer, du wirst dieses Zimmer erst einmal nicht verlassen ...

»Ich habe zwei Antibiotika mitgebracht, und ich werde Ihnen beide spritzen. Morgen brauchen Sie dann wieder neue Injektionen.« Eines der angeblichen »Antibiotika« war in Wirklichkeit ein starkes Beruhigungsmittel mit Langzeitwirkung, das sie für eine Weile außer Gefecht setzen sollte. »Sie sind beide ziemlich stark. Es würde mich nicht überraschen, wenn es die Nebenwirkung hätte, Sie ziemlich benommen zu machen.«

Ihr Gesicht nahm einen argwöhnischen Ausdruck an. »Ich habe noch nie von einem Antibiotikum gehört, das einen schläfrig macht.«

Ted brauchte ein paar Sekunden, um sich eine plausible Erklärung auszudenken. »Äh, nun ja, nicht schläfrig, wie man es normalerweise versteht, sondern eher . diese Medikamente sind ziemlich stark, und manchmal können sie für den Körper so eine Art >Schock< sein, und der Patient fühlt sich recht müde. Sie sollten wirklich im Bett bleiben, während Sie sich erholen, wenn es irgend möglich ist.«

Das war etwas unbeholfen, er wußte es, aber es schien sie zufriedenzustellen. »Nichts tue ich lieber, glauben Sie mir«, sagte sie. »Aber ich muß bald wieder auf den Beinen sein. Wir haben einen Abgabetermin, und Janie wird meine Hilfe brauchen. Ich möchte sie nicht noch unglücklicher machen, als sie ohnehin schon ist.«

Ted zweifelte nicht daran, daß Janie unglücklich sein würde, aber nicht aus den Gründen, an die Caroline dachte. Er hatte keine der Nachrichten beantwortet, die Bruce ihm aus Leeds übermittelt hatte, und hatte auch nicht Janies wegen im Depot angerufen, obwohl man ihn darum gebeten hatte. Wenn sie schließlich nach London zurückkehrten, würden sie Erklärungen von ihm erwarten, aber Ted hatte schon beschlossen, Bruce (natürlich unter vier Augen und mit der Hoffnung auf Verständnis) zu erklären, er sei krank gewesen und hätte das nicht bekanntmachen wollen. Er würde sagen, er wäre mit abgeschaltetem Piepser zu Hause geblieben, damit er sich erholen konnte, ohne gestört zu werden; Bruce würde das verstehen. Ob Janie es verstand oder nicht, war ihm gleichgültig.

»Na«, sagt er und zog seinen Stuhl näher an das Bett heran, auf dem sie saß, »dann wollen wir mal, damit Sie möglichst bald wieder an Ihrem Projekt arbeiten können und ich an meinem. Krempeln Sie bitte Ihren Ärmel hoch.«

Sie tat es. Er riß einen Beutel mit einem Alkoholtupfer auf und wischte einen Bereich auf ihrem Oberarm damit ab. Dann zog er eine der Spritzen mit dem Antibiotikum auf und klopfte dagegen, bis die Luftbläschen nach oben stiegen. Er betätigte leicht den Drücker, bis alle Luft entwichen war, und faßte dann Carolines Handgelenk. »Halten Sie jetzt still«, sagte er. »Es dauert nur eine Sekunde.« Er stach mit der Nadel rasch in das Fleisch ihres Oberarms und drückte den Kolben hinunter.

Caroline haßte Spritzen; es kam ihr immer vor wie eine kleine Vergewaltigung, wenn die Nadel in ihr Fleisch drang. Sie beobachtete Teds ausdrucksloses Gesicht, während er ihren Arm festhielt und die Nadel herauszog.

»Noch eine, und dann sind wir fertig«, sagte er.

Gott sei Dank, dachte sie. Sie spürte den Einstich und die Flüssigkeit, die sieb im Muskel ihres Oberarms verteilte, und endlich war die Nadel wieder draußen. Ted steckte die beiden benutzten Spritzen und die Alkoholtupfer in eine Plastiktüte und diese in seine Tasche.

»Ich bleibe noch ein paar Minuten, bis ich sicher bin, daß Sie nicht allergisch reagieren, und dann gehe ich. Ich rufe Sie morgen früh an und frage, wie es Ihnen geht. Sie brauchen mich nicht hinauszubegleiten; ich ziehe die Tür hinter mir zu.«

Caroline spürte, wie sie müde wurde, und war schockiert, daß ein Antibiotikum eine solche Wirkung auf sie haben konnte. Die Sekunden vergingen, und sie verlor mehr und mehr die Kontrolle über sich; schließlich machte sie die Augen zu und sank in Schlaf.

Sofort setzte der Traum erneut ein; wieder war sie darin der dunkle junge Mann und befand sich in einem Gutshaus oder einem anderen großen, steinernen Gebäude. Sie beobachtete eine Frau, die ihrem eigenen wachen Selbst glich und die sich vor einem Feuer das Haar trocknete. Als Mann in ihrem Traum betrachtete sie diese Frau mit schmerzhafter Liebe; sie stöhnte im Schlaf unter dem Widerstreit ihres Unbehagens und seines Verlangens.

Ted betrachtete sie von einem Stuhl neben dem Bett und wunderte sich, warum ihre Hand plötzlich an ihren Hals fuhr, als wolle sie etwas verbergen. Vielleicht träumt sie von ihren Flecken, dachte er. Er war unglaublich müde; er konnte kaum von seinem Stuhl aufstehen. Er hatte fast seine gesamte Energie gebraucht, um Caroline zu behandeln, ohne selbst unter seiner Krankheit zusammenzubrechen. Sein Herz schlug wie rasend, aber er wußte nicht, ob das die Krankheit war oder seine Angst.

Nachdem er etwas Kraft gesammelt hatte, ging er zu Carolines Kühlschrank, um nach der Stoffprobe zu suchen. Er kramte herum, brachte alles durcheinander und fühlte sich wütend und frustriert, als er erkennen mußte, daß das, was er suchte, einfach nicht da war. Er wußte, er würde all seine verbliebenen Energiereserven aufbrauchen, wenn er diese Wut zuließ, und deshalb setzte er sich wieder auf den Stuhl neben dem Bett und versuchte, sich zu beruhigen. Er beobachtete die schlafende Caroline.

In ihrem Fieber warf sie sich unruhig herum. Sie schleuderte die Decken von sich und enthüllte ein langes, blasses Bein, wo ihr Nachthemd verrutscht war. Der Anblick dieses nackten Beins weckte Gefühle in ihm, die er normalerweise nicht mit einer solchen Situation in Verbindung gebracht hätte; er erregte ihn, weckte den Wunsch in ihm, sie zu berühren, und einen Augenblick lang schämte er sich dieser unpassenden Reaktion.

War das der Beginn der Demenz, die das medizinische Lehrbuch angekündigt hatte? Er erschauerte in einem unwillkürlichen Krampf und schüttelte den Kopf, um wieder klar denken zu können. Dann beugte er sich vor, streckte die Hand nach der Bettdecke aus, und als er sie endlich zu fassen bekam, deckte er Caroline wieder zu.

Erschöpfung und Entmutigung überwältigten ihn. Er spürte, daß er von Minute zu Minute tiefer in Depression und Angst fiel; dem Buch zufolge ein weiteres Symptom. Das Antibiotikum, das er sich selbst gespritzt hatte, schien keine große Wirkung zu haben, und er fragte sich, ob er die nächste Dosis verdoppeln sollte. Darüber dachte er einen Augenblick nach und kam zu dem Schluß, daß wohl kaum die Gefahr einer allergischen Reaktion bestand. Er hoffte, diesmal würde die Droge schneller wirken. Aus zusammengekniffenen Augen schaute er auf den Wecker auf Carolines Nachttisch und sah, daß die nächste Dosis bald fällig war. Vielleicht sollte ich vorher nach Hause gehen und mich hinlegen, dachte er, vielleicht auch etwas essen. Doch bei dem Gedanken an Essen wurde ihm übel, und er entschied, daß er sich das Medikament genausogut gleich hier spritzen konnte. Warum warten? dachte er. Es wird schneller wirken, wenn ich es jetzt gleich mache.

Mit einem tiefen Seufzer rollte Ted den Ärmel seines Hemdes auf und wischte mit einem Tupfer die Haut ab. Er nahm eine Ampulle aus der einen Tasche und eine saubere Spritze aus der anderen und zog zehn Milliliter von der Flüssigkeit in den klaren Glaskolben, also die doppelte Dosis der erforderlichen fünf. Dann kniff er die Augen zu, denn auch er haßte Spritzen, stieß die Nadel in seinen Arm und zog sie so schnell wie möglich wieder heraus.

Erst danach sah er sich die kleine Ampulle näher an. Statt der Bezeichnung des Antibiotikums trug sie den Namen des Beruhigungsmittels. Statt der empfohlenen Dosis von einem Milliliter hatte Ted sich eine Dosis von zehn Millilitern gespritzt.

In dem Augenblick wußte er, daß er keine andere Wahl hatte, als um Hilfe zu rufen, denn das Beruhigungsmittel war stark und wirkte schnell; er hatte es speziell wegen dieser Eigenschaften ausgewählt. Er vergeudete ein paar kostbare Sekunden, indem er an der Haut seines Arms herumdrückte, als könne er die tödliche Flüssigkeit herauspressen, die sich nun lautlos, aber stetig in seinem Körper verteilte. Alles, was er so sorgfältig geheimzuhalten versucht hatte, würde infolge seines Irrtums nun ans Licht kommen; er würde denen, die ihm zu Hilfe kamen, die Wahrheit sagen müssen. Er wäre ruiniert, daran bestand kein Zweifel. Und wenn schon, dachte er bei sich, als das Beruhigungsmittel zu wirken begann. Ich bin lieber lebendig und ruiniert als ein angesehener toter Mann.

Diese traurigen Gedanken gingen ihm blitzschnell durch den Kopf, und er war selbst überrascht, wie leicht er sich entschließen konnte, alles aufzugeben, wofür er gearbeitet hatte, um noch ein wenig leben zu können. Ich bin der Anti-Faust, dachte er leicht amüsiert, ich handle mit Gott, um meine Seele zu behalten. Beim zweiten Anlauf werde ich alles besser machen, versprach er. Mit dem verzweifelten Verlangen, am Leben zu bleiben, stand er auf und ging auf den kleinen Tisch zu, auf dem das Telefon stand, seine Rettungsleine, und die Wählscheibe darauf wartete, von seinen sterbenden Fingern bedient zu werden.

Er hatte es fast geschafft, doch bei den letzten Schritten durch das kleine Zimmer überwältigte ihn das Sedativum. Seine Knie gaben nach, sein Bewußtsein schwand. Sein letzter klarer Gedanke war ein wütendes: Verdammt, zu kurz. Er knickte neben dem Bett zusammen und versuchte noch immer, das Gleichgewicht zu halten, obwohl er seinen instinktiven Versuch, aufrecht zu bleiben, schon nicht mehr bewußt erlebte. Er taumelte wenige Sekunden, stürzte dann nach vorn und brach über der schlafenden Caroline zusammen, die selbst zu betäubt war, um das Gewicht seines Körpers zu bemerken. Seinen letzten Atemzug tat er auf ihrer Brust.