11
Alejandro hatte seine erste Audienz bei König Edward III. im Ankleidezimmer innerhalb der Privatgemächer des Königs.
Der König trug noch seinen Morgenrock, einen Mantel aus schimmerndem Goldbrokat, den ein geringerer König sich vielleicht als Staatsgewand gewünscht hätte, und war mit seiner ausgedehnten Morgentoilette beschäftigt. Er winkte Alejandro wortlos hinein und widmete sich dann weiter seinen morgendlichen Aufgaben, während der Arzt in einer Ecke wartete.
Vor dem König ausgebreitet, lag ein Sortiment feinster Kleidungsstücke, hübsche Hemden mit gefältelten Ärmeln, Samthosen, Westen mit aufgestickten Bordüren aus Perlen und Edelsteinen. Der König schritt daran vorbei und zeigte entschlossen auf die Stücke seiner Wahl, und die Diener trugen die abgelehnten Gegenstände fort. Dann brachten sie eine Fülle von langen Strümpfen, eleganten Strumpfhaltern und seidenen Unterkleidern herein, und der gutaussehende Monarch musterte sie mit offenkundigem Vergnügen. Er wirkt viel zu heiter für einen König, dem solche Not aufgebürdet ist, dachte Alejandro bei sich. De Chauliac hatte gesagt, England liege im Krieg, und wenn das stimmte, was er auf seiner Reise von Avignon nach England hatte flüstern hören, dann hatten die Kosten das Land beinahe in den Bankrott getrieben.
Und außerdem war da noch die Pest, die schon fast bis nach Windsor vorgedrungen war.
»Setzt Euch, Doktor!« sagte der König. »Wir werden uns unterhalten, während meine Männer mich ankleiden.«
Alejandro musterte die Diener vorsichtig und kam zu dem Schluß, daß keiner aussah wie ein Minister oder Berater, der vielleicht beleidigt sein könnte, weil man ihn von der Diskussion einer wichtigen Angelegenheit ausschloß. Die Zungen von Dienern lassen sich für einen geringen Preis lösen, dachte er bei sich. Zum König sagte er: »Majestät, ich halte es für ratsam, daß wir zunächst unter vier Augen sprechen.«
Der König sah ihn einen Moment überrascht an und bemerkte den ernsten Gesichtsausdruck des Arztes. »Also gut«, sagte er. Er entließ die Diener, und sie entfernten sich sofort; der zweite schloß die Tür hinter sich. Der König starrte Alejandro mit bohrendem Blick an und sagte: »Ich bin es nicht gewohnt, daß meine Morgenroutine gestört wird.
Ich mache eine Ausnahme, weil Ihr unsere Bräuche nicht kennt. Ihr tätet allerdings gut daran, Euch damit vertraut zu machen. Und nun sprecht.«
Vielleicht ist er doch nicht so heiter, dachte Alejandro bedrückt und hegte auf einmal Zweifel an seiner bisherigen Einschätzung des Königs. Jetzt war der Monarch viel weniger gastfreundlich als bei dem herzlichen Empfang am Vorabend. Er räusperte sich nervös. »Euer Majestät«, begann er, »ich bin besorgt wegen der schmeichelhaften Berichte, die Ihr vom Papst erhalten habt. Ich fürchte, Seine Heiligkeit hat meine Fähigkeiten übertrieben. In Wahrheit, Sire, kann weder ich noch irgend jemand sonst, de Chauliac eingeschlossen, diese Pest heilen. Ich bin nur dafür ausgebildet, eine Ansteckung durch Isolierung zu verhindern. Ich möchte nicht, daß Ihr etwas anderes annehmt.«
Edward goß sich einen Becher mit Wasser vermischten Wein ein und bot auch seinem Gast einen an, doch dieser lehnte ab. Nachdem er einen Schluck getrunken hatte, sagte er. »Sicher seid Ihr nicht so machtlos gegen die Pest, wie Ihr mich glauben machen wollt, Doktor.«
»Majestät, ich kann diese Pest so gut heilen, wie eine Schlange mit den Flügeln schlagen und fliegen kann.«
Die scharfgeschnittenen Züge des Königs nahmen einen erzürnten, ärgerlichen Ausdruck an.
»Warum in Gottes Namen hat Clemens Euch dann hergeschickt? Für nichts und wieder nichts war das eine lange Reise.«
»Ich hatte nie das Privileg, Seine Heiligkeit direkt danach fragen zu können, Euer Majestät. Soweit ich weiß, erfolgte diese meine Reise auf Euren Wunsch. Alles wurde mir durch de Chauliac übermittelt; alle meine Anweisungen habe ich von diesem gelehrten Arzt erhalten, der sich seiner Arbeit mit Fleiß und Begeisterung widmet.«
Der König gab dazu keinen Kommentar ab; er rieb sich die Stirn, als versuche er, Kopfschmerzen zu lindern. »Diesen de Chauliac kenne ich nicht. Clemens kenne ich. Erzählt mir von de Chauliac.«
Alejandro hatte das Gefühl, von den blauen Augen des Königs beinahe verbrannt zu werden. Er konnte nicht glauben, daß dieser Mann, den alle als schlau und gerissen schilderten, keine ausreichenden Informationen über einen so wichtigen Mann wie de Chauliac besaß. Vielleicht stellt er mich auf die Probe, um zu sehen, ob ich die Wahrheit sage, dachte Alejandro. »Er ist ein Mann von machtvoller Präsenz und sehr klug; er kann geschickt mit Worten umgehen. Er ist ein höchst gelehrter Mann, ein brillanter Denker und ein Mensch voller Ideen. Er scheint das völlige Vertrauen des Papstes zu besitzen. Ich glaube allerdings, daß er bei Bedarf seine Haut wechselt wie ein Chamäleon. In einer Minute tropft Honig von seinen Lippen, in der nächsten Essig. Wie er es gerade braucht.«
Der König lächelte listig. »Das habe ich auch aus anderen Quellen gehört.«
Ich habe die Probe bestanden, dachte Alejandro mit fast sichtbarer Erleichterung, daß sein Verdacht sich bestätigt hatte.
Edward wurde wieder ernst. »Was aber sollen wir jetzt tun, wenn Ihr nicht in der Lage seid, unsere Sicherheit zu gewährleisten?«
Der Arzt versuchte, den besorgten Monarchen zu beruhigen. »Ich bin nicht ganz ohne Hilfsmittel für den Schutz Eurer Familie. De Chauliac hat mir all sein Wissen über Vorsorgemethoden mitgeteilt. Er meinte, so könnte ich Euch am besten dienen.«
Der König antwortete nicht sofort; statt dessen sah er Alejandro mit zusammengekniffenen Augen an, und der Arzt spürte, daß er wieder abgeschätzt wurde. Er fühlte förmlich, wie der König sich fragte: Was ist das für ein Mann? Er fand eine gewisse Ironie darin, daß er vielleicht der vertrauenswürdigste Arzt war, den der Papst nach England hätte schicken können, denn er war weder mit der Kirche noch mit irgendeinem anderen Königreich verbündet. Doch das konnte er nicht beweisen, ohne sich als Jude erkennen zu geben.
Endlich brach der König sein Schweigen. »Dann sprecht über das, was Ihr tun müßt. Ich werde nicht zulassen, daß noch eines meiner Kinder diesem Fluch zum Opfer fällt.«
»Sire, diesen Euren Wunsch teile ich völlig. Und ich bin mit einer Methode gekommen, ihn zu erfüllen. Es handelt sich um eine komplizierte Vorgehensweise, die sorgfältige Isolierung mit verschiedenen Vorsorgebehandlungen verbindet, und ich bin ziemlich sicher, daß sie denen, die zu ihrer Anwendung gezwungen werden, nicht gefallen wird. Meine größte Angst ist, daß Eure Kinder sich gegen die Strenge der Vorsorgemaßnahmen auflehnen. Meine Hoffnung auf Erfolg hängt ganz von der Bereitschaft der Patienten zur Mitwirkung ab.«
Edwards enttäuschter Ausdruck verstärkte sich. »Ihr habt meinen Sohn und meine Tochter kennengelernt, Doktor Hernandez. Wie schätzt Ihr Eure Chancen ein, Ihr Verhalten zu kontrollieren?«
Der Arzt wollte sich nicht zu einem Ohnmachtseingeständnis verführen lassen, solange er seine Arbeit noch nicht einmal begonnen hatte. Dazu wird später noch Zeit sein ..., dachte er nüchtern. »Um ehrlich zu sein, Sire, das wage ich nicht zu sagen. Wie man mir zu verstehen gab, sind die königlichen Kinder an beträchtliche Entscheidungsfreiheit und Unabhängigkeit gewöhnt. De Chauliac gibt bereitwillig zu, daß der Papst seine Isolierung verabscheut und als unerträgliche Gefangenschaft bezeichnet.«
Edward grinste und gab damit seine wenig schmeichelhafte Meinung über die verweichlichten Gewohnheiten des Papstes zu erkennen. »Zweifellos vermißt er seine Schloßherrin; der gute Oberhirte hat sich den Luxus eines weltlichen Lebens nie versagt. Es ist ein Wunder, daß er seinem Arzt sein Wohlwollen noch nicht entzogen hat, um der Verantwortung zu entgehen, sich vernünftig zu verhalten.«
»Alle weisen Männer fürchten diese Pest, Majestät, und jemand, der Papst ist, muß doch weise sein, nicht wahr? Die Reichen und Mächtigen fallen ihr genauso zum Opfer wie die Armen und Hilflosen; die Krankheit macht da keine Unterschiede.«
Der König stimmte ihm zu. »Ich bin ein weiser König, das versichere ich Euch. Ich fürchte sie mehr als die blutigste Schlacht.« Mit fester Stimme fügte er hinzu: »Und davon habe ich mehr als meinen Teil überlebt.«
»Die Schlacht, die uns nun bevorsteht, ist nicht blutig, aber sie erfordert Tapferkeit und Entschlossenheit.«
»England besitzt beides in reichem Maße, da könnt Ihr sicher sein.«
»Nun«, sagte Alejandro und stand auf, »dann ist folgendes zu tun. Wir müssen damit beginnen, daß wir das Schloß vollkommen abriegeln. Keiner darf ohne eine Zeit der Quarantäne ein- oder ausgehen; keine Güter, die nicht vorher für eine gewisse Zeit außerhalb des Schlosses gelagert wurden, dürfen die Tore passieren. Ihr müßt der Dienerschaft befehlen, Vorräte für mindestens drei Monate heranzuschaffen.« In höchster Konzentration begann er, im Audienzzimmer auf und ab zu gehen. »Die wichtigsten Nahrungsmittel müssen eingelagert werden, und für Fleisch müssen Schlachttiere ins Schloß gebracht werden. Ihr müßt Euch vorbereiten, wie mir scheint, als ob Ihr eine Belagerung erwarten würdet. Laßt alles heranschaffen, was Ihr vielleicht brauchen werdet. Und dann laßt nichts und niemanden mehr herein.«
Als er zu Ende gesprochen hatte, sah Alejandro den König an und wartete auf eine Antwort. Der Monarch sah sehr bekümmert aus. »Ihr habt recht, Doktor; das wird nicht gut aufgenommen werden. Gibt es keine andere Möglichkeit?«
»Mir ist keine genannt worden, und Ihr kennt den Erfolg meines Lehrmeisters.«
Edward ging zum Fenster und betrachtete die umliegende Landschaft. Er seufzte tief. »Tut, was Ihr tun müßt«, sagte er. »Ich werde bekanntgeben, daß Ihr von mir bevollmächtigt seid.«
Nach der Besprechung einiger weiterer Einzelheiten entließ der König Alejandro, und er war sich selbst überlassen. Der Arzt nahm sich ein paar Stunden Zeit, um auf dem Gelände von Windsor umherzustreifen, alle Ein- und Ausgänge zu erkunden, sich den Zustand der Küchen und Wäschereien anzusehen und die Aborte zu inspizieren. Es war eine ungeheuer große Anlage, die den Papstpalast im Vergleich dazu klein erscheinen ließ, und obwohl die Einrichtung nicht weniger üppig war, dachte Alejandro, daß de Chauliac recht gehabt hatte: Der französische Schönheitssinn war verfeinerter. Die Steine von Windsor waren größer und gröber behauen, die Tapisserien weniger fein, die Bodendielen weniger glatt. Außerdem gab es Gerüste, denn der König war dabei, umfangreiche Ausbauten in Windsor vorzunehmen, da es der Größe des englischen Reiches angemessen sein sollte. Es war ein prachtvolles Werk, das von Tag zu Tag voranschritt, wie sein Herr und Meister es sich erträumte; in Kürze würde er behaupten können, daß Englands Herrscher majestätisch residierte.
Später am Tag machte Alejandro sich daran, de Chaulicas Anweisungen zu befolgen, indem er eine Versammlung der königlichen Astrologen einberief. Der König tat deren Ratschläge zwar als närrische Quacksalberei ab, doch Königin Phillippa verließ sich sehr auf ihre täglichen Vorhersagen, und Edward duldete grollend ihre Abhängigkeit von ihnen.
»Ich beschäftige drei Astrologen«, erklärte die Königin bei ihrem ersten Gespräch. »Mein Gatte hält das für extravagant und meint, einer sollte genügen, aber ich denke nicht daran, mich von ihnen zu trennen.« Sie lächelte liebreizend, wobei man sah, daß sie in ihrer Jugend eine große Schönheit gewesen war, und fügte hinzu: »Natürlich würde er nicht für alles Gold auf Kleopatras Schiff einen der Leute hergeben, die ihm beim Ankleiden helfen. Und ich werde keine meiner Vergnügungen hergeben.«
»Dann, Majestät«, sagte Alejandro, »bittet doch, wenn es Euch recht ist, Eure Astrologen um einen Zeitplan, der angibt, wann die Zeit für jedes Mitglied des Haushalts günstig ist, um zu baden und zu speisen, und bittet sie auch um Ratschläge, welche Nahrungsmittel der Gesundheit förderlich sind.«
»Eine ungeheure Aufgabe!« sagte die Königin. »Sie werden gewiß protestieren.«
»Sie ist aber notwendig«, sagte Alejandro. »Ich bitte Euch darum, Eure Astrologen von der Wichtigkeit dieser Auskünfte zu überzeugen. Die Gesundheit der Bewohner Windsors kann davon abhängen.«
Widerstrebend erklärte die Königin sich bereit, seiner Bitte nachzukommen, doch ihre Bemühungen waren nicht so fruchtbar, wie er gehofft hatte. Das unmittelbare Ergebnis der okkulten Wahrsagungen war eine Küche voll höchst verärgerter Köche und eine Tafel mit lauter unzufriedenen Essern, denn die Astrologen und ihre Schützlinge konnten sich kaum darauf einigen, daß an einem bestimmten Tag ein einziges Gericht für die ganze Familie wohltuend sei. Und die Zimmermädchen waren auch nicht erfreut, zu den eigenartigen Zeiten, zu denen die Astrologen Bäder für angezeigt hielten, Eimer mit heißem Wasser für die Wannen ihrer Herrschaft herbeischleppen zu müssen.
Doch diese Probleme schrumpften an dem Tag zu kleineren Ärgernissen, an dem einer der Astrologen zur Königin sagte: »Es gibt gewisse Tage, an denen eheliche Beziehungen zwischen Euch und dem König für Eure Gesundheit am förderlichsten sind. Unglücklicherweise gibt es andere, an denen gegenteilige Folgen zu erwarten sind. Ich habe einen Kalender für Euch vorbereitet.«
Als die Königin diese Information in entschuldigendem Ton an ihren Gatten weitergab, bekam er einen Wutanfall. »Diese jämmerlichen Ketzer! Wie können sie es wagen, sich einzubilden, sie hätten mir in meinem Schlafgemach Vorschriften zu machen! Genug des Unsinns! Ich will nichts mehr davon hören!«
»Edward, sie wollen uns nur beschützen; der Arzt hat gesagt ...«
Er unterbrach sie. »Vielleicht könnten sie ihre Fähigkeiten darauf verwenden, mir eine andere Dame zu suchen, deren Gesellschaft von ihnen für angemessen erachtet wird, wenn Eure es nicht ist.«
Die Königin rauschte eilig davon, und von da an wurde die Tätigkeit der Astrologen auf jene Angelegenheiten beschränkt, die nichts mit den ehelichen Freuden des Königs und seiner Gemahlin zu tun hatten.
Nachdem Alejandro so die Grenzen seines Einflusses auf das Verhalten des Königs kennengelernt hatte, wandte er seine Aufmerksamkeit schon ein wenig entmutigt dem Zutritt jener Personen zu, die nicht auf dem Schloßgelände wohnten, und hoffte dabei auf verstärkte Mitarbeit des Hauptmanns der königlichen Garde. Doch als er den Mann aufsuchen wollte, stellte er fest, daß dieser sich entschlossen hatte, Windsor zu verlassen, um zu seiner Familie zurückzukehren, und daß der König ihm dies widerwillig gestattet hatte. Alejandro traf an seiner Stelle Sir John Chandos, der ihn vorübergehend vertrat.
»Ich freue mich, Euch in diesem Amt zu sehen«, sagte Alejandro. »Der Anblick eines vernünftigen Mannes ist mir wirklich willkommen. Die anderen setzen mir viel Widerstand entgegen, und dabei habe ich mit meiner Aufgabe noch kaum begonnen. Manches ist mir schon verwehrt worden.«
»Ich werde versuchen, Euch behilflich zu sein, wenn ich kann, Doktor«, sagte Chandos.
»Ich hatte nichts anderes von Euch erwartet, Sir«, sagte Alejandro. »Wir müssen folgendes tun. Wir müssen das Schloß vollständig abriegeln und ohne strikte Quarantäne niemanden hereinlassen.«
»Wie lange soll die Quarantäne dauern?« fragte Sir John.
»Vierzehn Tage dürften ausreichen, denke ich.«
»Und wenn jemand ausgeht, was dann?«
»Dasselbe«, sagte Alejandro.
»Und wo sollen die Männer des Königs sich an den Waffen üben?«
Alejandro sah sich auf dem Gelände um. »Hier, meine ich.«
»In diesen Höfen? Da ist nicht genug Platz!«
»Leider wird er genügen müssen, Sir John. Wenn die Tore einmal geschlossen sind, darf niemand hinausgehen und ohne Quarantäne wieder hereinkommen, so kurz er auch fort war.«
»Und was ist mit Reparaturen an den Waffen und der Versorgung der Soldatenunterkünfte?«
»Kann das nicht im voraus erledigt werden? Gibt es nicht einen Waffenschmied, der bereit wäre, solange auf dem Gelände zu wohnen?«
»Bereit oder nicht, ich werde jemanden finden und dazu überreden«, sagte Chandos.
Noch jemand, der aus Not zum Dienst gepreßt wird, dachte Alejandro und erinnerte sich an seine eigene Rekrutierung durch den Papst. »Tut, was getan werden muß, Sir John, und laßt uns auf eine kurze Internierung hoffen«, sagte er. »So Gott will, werden wir hier nicht lange eingesperrt sein.«
Dann wurden die Arbeiter des Schlosses versammelt, und man weihte sie in den Plan ein, Windsor vollständig abzuriegeln, bis die Pest vorbei war. Sofort erhoben sie heftige Einwände. Sattler, Bogenmacher, Schneider und alle möglichen anderen Handwerker sollten nach Alejandros Willen außerhalb der verriegelten Tore bleiben. Alle Nahrungsmittel und Getreidevorräte, einschließlich des Viehfutters, sollten vernichtet und durch frische Vorräte ersetzt werden. Alle Truhen, Schränke und Behältnisse sollten geleert und gereinigt werden, ehe man sie wieder füllte.
Jede Anordnung, die er der Versammlung verkündete, löste unzufriedenes Gemurmel aus, doch mit Geduld und sorgfältig gewählten Worten gelang es ihm, die Bewohner Windsors davon zu überzeugen, daß die ihnen auferlegten Einschränkungen sie vor der Pest bewahren würden. Dann holte er zum letzten Schlag aus.
»Von nun an werden alle Bewohner des Schlosses täglich baden und frische Kleider anlegen. Getragene Kleider sind sofort zu waschen; die Wäschereien werden zu jeder Stunde heißes Wasser für diesen Zweck bereithalten.«
Die Schloßbewohner heulten förmlich auf. Alejandro klatschte ärgerlich in die Hände, um ihre Aufmerksamkeit zu gewinnen. Als sie endlich wieder schwiegen, sagte er: »Wollt Ihr alle diese Pest überleben, um hinterher zu Eurer üblichen Lebensweise zurückzukehren, die Euch besser zu gefallen scheint?«
Er hörte leises Brummen, aber keine so heftigen Einwände mehr wie vor ein paar Augenblicken. »Dann müßt Ihr tun, was ich sage. Seine Majestät unterstützt mich in dieser Angelegenheit.«
Als die Menge sich zerstreute, sagte Sir John, der aus einiger Entfernung zugesehen hatte: »Ihr werdet innerhalb dieser Mauern ein sehr unbeliebter Mann sein.«
Alejandro zuckte mit den Schultern. »Ich war schon früher unbeliebt, und noch erheblich mehr. Aber sie werden alle Unannehmlichkeiten vergessen, wenn die Tore wieder geöffnet werden und sie noch am Leben sind.«
Während er weiterhin seine Maßnahmen durchsetzte, stellte Alejandro zu seinem Erstaunen fest, daß seine Befehle, je unerbittlicher er sie gab, desto bereitwilliger befolgt wurden, sogar von den königlichen Kindern, deren angeblicher Mangel an Respekt vor Autoritäten sich ansonsten durchaus bestätigt hatte. Doch wie de Chauliac vorhergesagt hatte, dauerte es nicht lange, bis ihre fröhliche Bereitwilligkeit sich in grollenden Gehorsam verwandelte. Der Krieg mit Frankreich war einstweilen unterbrochen, und die jungen Männer des Schlosses unter Führung des Schwarzen Prinzen wurden unruhig, weil sie nichts zu tun hatten. Sie baten darum, mit ihren Pferden und Waffen in die Umgebung ziehen zu dürfen, um sich zu üben, und der König war dafür und behauptete, die Aufrechterhaltung der Kampfkraft seiner Streitmacht sei genauso wichtig wie die Vermeidung der Pest. Alejandro widersprach heftig und wollte nichts davon hören; er bestand darauf, daß die Männer sich zur Übung ihrer Fertigkeiten auf das Schloßgelände beschränkten.
Der König schien seinen Absichten bei jedem Zusammentreffen mehr zu mißtrauen. Alejandro begann sich zu fragen, ob Edward wohl glaubte, er habe eine geheime Mission und sei gar kein Arzt, sondern ein Spion des französischen Papstes, ausgesandt, um Englands Kampfesstärke in der Schlacht mit Frankreich zu schwächen, die zweifellos Wiederaufflammen würde. Es kam der Tag, an dem Alejandros Befürchtungen sich bewahrheiteten und der König eine strenge Warnung aussprach.
»Arzt, die Dinge, die Ihr uns tun laßt, kommen mir allmählich verräterisch vor; wenn Eure Anweisungen anfangen, in meinen Ohren wie tückische Einflüsterungen des Königs von Frankreich zu klingen, die die Stärke meiner Truppen mindern sollen, dann lasse ich Euch in Ketten zu Seiner Heiligkeit zurückschaffen.«
Wieder einmal spürte Alejandro das Mißtrauen des Königs und war enttäuscht und verärgert, es nicht entkräften zu können. Er konnte nur sagen: »Sire, ich bin Spanier und als solcher nicht mit Frankreich im Bunde; und ich stehe auch nicht unter übermäßigem Einfluß des Papstes. Ich flehe Euch an, vertraut mir. Ich bin nur daran interessiert, meine Aufgabe gut und gründlich zu erfüllen. Ich bin nur meinem Beruf verpflichtet, ihm allein gehört meine Loyalität.«
Diese Erklärung schien den König für eine Weile zufriedenzustellen, und die Dinge verliefen verhältnismäßig friedlich. Doch es dauerte nicht lange, bis einige der Gefolgsleute des Königs Alejandros Erlaubnis forderten, Windsor zu verlassen und auf ihre eigenen Güter zurückzukehren.
Als sie zu ihm kamen, sagte er: »Es ist nicht an mir Euch das zu gestatten oder zu verbieten. Das ist Sache des Königs. Ich habe lediglich darüber zu bestimmen, wer das Schloß wieder betreten darf. Wenn Ihr zurückkommen wollt, müßt Ihr so lange in Quarantäne bleiben, bis ich es für ungefährlich halte, daß Ihr wieder mit den anderen Bewohnern in Berührung kommt. Denn es ist möglich, daß die Anzeichen der Infektion nicht sofort, sondern erst später auftreten; soviel ich gesehen habe, liegt immer ein zeitlicher Abstand zwischen den Symptomen des ersten Opfers und der Erkrankung des nächsten. Nach Meinung des päpstlichen Leibarztes, der mir sein Wissen persönlich übermittelt hat, kann bloßer Augenkontakt die Ansteckung von einer Person auf die nächste weitergeben.« Er fügte nicht hinzu, daß er dieser Theorie nicht zustimmte, denn ihm war jeder Aberglaube recht, wenn er nur seinen Erfolg bei der Isolierung der Schloßbewohner von der Außenwelt förderte.
Dennoch entschlossen sich viele, zu ihren Familien heimzukehren. Nachdem er dem Hauptmann der Garde den Abschied gestattet hatte, konnte der König ihn den anderen kaum verweigern und ließ widerstrebend zu, daß viele seiner besten Gefolgsleute und Ritter zu ihren eigenen Gütern aufbrachen. Einer nach dem anderen verließen seine Waffenbrüder Windsors Bequemlichkeit und Sicherheit und machten sich auf die ungewisse Reise zu ihren verschiedenen Gütern, meist ohne zu wissen, was sie antreffen oder mitbringen würden, wenn sie das Glück hatten, dort anzukommen.
So wurde der königliche Haushalt kleiner, und die Tage vergingen ruhiger als je zuvor. Alejandro fand es günstig, daß die älteren Kinder des Königs eigene Suiten besaßen, weil sie sonst auf der ständigen Suche nach Unterhaltung sehr lästig geworden wären. Prince Edward hatte drei Diener, die für seine Bedürfnisse sorgten, und die Gesellschaft von Sir John Chandos, der sich erfolgreich bemühte, den Prinzen und seine Kameraden mit Schwertübungen und Strategielektionen beschäftigt zu halten. Der jüngere Edward amüsierte sich dabei recht gut, akzeptierte sein Schicksal stoisch und ertrug es wie der tapfere Krieger, der er eines Tages sein wollte. Die Damen der Königin, an Unterhaltung durch Dichter, Musikanten und Geschichtenerzähler gewöhnt, beschäftigten sich mit Stickereien und fingen an, sich gegenseitig vorzulesen und vorzusingen. Ständig hörte man aus ihren Gemächern leise Singstimmen und Leierklänge. Alejandro hatte sogar gehört, einige hätten sich dem Würfelspiel zugewandt, dem Damen sonst selten frönten, und er hielt es für möglich, daß deshalb aus diesem Teil von Schloß Windsor neuerdings häufiger Gelächter zu vernehmen war.
Prinzessin Isabella allerdings war eine große Herausforderung für Alejandro und stellte seine Autorität und Vorschriften ständig in Frage.
Eines Morgens hörte er ein schüchternes Klopfen an seiner Tür. Als er öffnete, sah er ein kleines Mädchen, ein Kind noch, das er schon einmal in Isabellas Gemach gesehen hatte. Die Kleine bat, er möge sofort die Prinzessin aufsuchen, und knickste höflich, wobei sie ihren Rock seitlich mit beiden Händen festhielt. Dann strich sie sich eine widerspenstige goldene Locke aus der Stirn und versuchte, sie unter ihre Haube zu schieben. Doch die Locke löste sich wieder, und die Kleine legte eine Hand vor den Mund und kicherte. Unwillkürlich mußte Alejandro lächeln.
»Ja?« sagte er.
Sie wartete einen Augenblick und sagte dann: »Sir, wollt Ihr meinen Knicks nicht mit einer Verbeugung erwidern?«
»Ach, ja«, antwortete er und errötete. »Verzeiht mir.« Er machte aus der Taille eine tiefe Verbeugung und richtete sich dann wieder auf. Er sah ihren mißbilligenden Blick und sagte: »Diese Verbeugungen beherrsche ich noch nicht. Ich entschuldige mich bei Euch.«
Mit einem Lächeln sagte sie: »Ich nehme Eure Entschuldigung dankend an.« Dann versuchte sie, die ernste Miene aufzusetzen, die ihrer Mission entsprach. Sie streckte den Rücken und sagte mit fester, aber kindlicher Stimme: »Meine Herrin ist sehr bekümmere und schlechter Laune, weil die Nurse sie gescholten hat.« Dann wartete sie ungeduldig zappelnd auf Alejandros Antwort.
»Und was möchte die Dame, daß ich tun soll, um dieser unerträglichen Situation abzuhelfen?« fragte er.
»Sie möchte, daß Ihr gewisse Dinge in Gegenwart der Nurse klärt, denn diese hat Eure Vorschriften erwähnt, um die Aktivitäten der Prinzessin einzuschränken.«
Er lächelte amüsiert über die Selbstsicherheit der Kleinen. »Und was ist Eure Meinung in diesem Streit?«
Sie lächelte so spitzbübisch, daß er annahm, sie werde unter dem Deckmantel ihrer eigenen Meinung irgendeine ungehörige Enthüllung zum besten geben. »Sir, meine Meinung ist ganz unwichtig, denn ich bin noch ein Kind und außerdem ein Mädchen«, sagte sie, »aber ich gestehe, daß ich glaube, daß die Nurse ständig nach Gründen sucht, um meine Schwester einzuengen. Sie will, daß Isabella immer ein Kind bleibt.«
Aha, ihre Schwester! dachte er und war von dem Kind fasziniert. Er wollte noch mehr hören. »Und wie alt ist Eure Lady, da sie schon genügend Weisheit erworben hat, um selbst über sich zu bestimmen?«
»Sechzehn«, lautete die selbstsichere Antwort. »Meine Schwester war schon zweimal verlobt und steht jetzt ihrem eigenen Haushalt vor.«
»Dann überrascht mich Euer offenkundiger Stolz auf ihre Unabhängigkeit nicht, denn sie hat in ihrem zarten Alter viel erreicht.«
Die Kleine, die sich jetzt bei ihrer Mission wohler zu fühlen schien, strahlte ihn an, erfreut über das erfolgreiche Überbringen ihrer Botschaft. »Wir müssen uns beeilen«, sagte sie und streckte ihm die Hand hin, »sonst wird Isabella böse auf mich, weil Ihr nicht gleich gekommen seid. Sie ist selten freundlich, wenn man sie warten läßt.«
Er nahm kurz ihre Hand und ließ sie dann wieder los. »Dann laßt uns nur gleich gehen, um dem Wunsch Ihrer Hoheit nachzukommen.«
Als sie sich Isabellas Privatgemächern näherten, konnte Alejandro die schrillen Wutschreie einer jungen Frau und das Poltern von Gegenständen hören, die durch den Raum geschleudert wurden. Ab und an waren in dem gereizten Getöse die Erwiderungen einer älteren Frau zu vernehmen. Vor der Tür gab das Kind Alejandro ein Zeichen, er möge stehenbleiben, legte den Finger an die Lippen und sagte leise: »Bitte wartet hier, Sir. Ich melde der Prinzessin, daß Ihr gekommen seid.«
Bis die Kleine wiederkam, hatte Alejandro alle Steine in der Wand gezählt und kannte das Muster der Fliesen auf dem Boden auswendig. Er saß auf einer ziemlich unbequemen Bank vor dem Vorzimmer der Prinzessin und hörte drinnen geschäftige Dienstboten. Er versuchte sich das Durcheinan- der vorzustellen, daß Isabella so geräuschvoll angerichtet hatte. Die Kleine erschien, knickste erneut, und Alejandro erhob sich und deutete eine Verbeugung an.
»Möchtet Ihr Euch setzen, Prinzessin?«
»Ach, danke, Sir; im Augenblick ist mir nicht nach Sitzen zumute. Meine Lady erwartet uns. Und bitte, erlaubt mir, Euch zu korrigieren. Ich bin keine Prinzessin. Mein Name ist Catherine; die Mitglieder unseres Haushalts nennen mich Kate.«
»Darf ich dann um die Ehre bitten, Euch ebenso anzureden?«
Die Kleine kicherte und genoß ihre Rolle als Isabellas erwachsene Abgesandte. »Die Ehre ist ganz auf meiner Seite, Sir. Und nun laßt uns eintreten, bevor die Prinzessin wieder so rastlos wird, daß sie alles kurz und klein schlägt.«
Kate öffnete die äußere Tür und führte Alejandro in den Vorraum. Er war groß, sehr hell und exquisit ausgestattet; die Farben und Muster von Teppichen und Tapisserien ließen sofort auf eine überaus feminine Bewohnerin schließen. Alejandro war schon an diesem Raum vorbeigekommen, hatte ihn aber nicht betreten. Er starrte wie ein sprachloses Kind.
»Bewundert Ihr meinen Geschmack bei Möbeln, Doktor Hernandez?«
Alejandro fuhr zusammen beim Klang der hellen Stimme der Prinzessin auf der anderen Seite des Vorraums. Er drehte sich um, um sie anzusehen, bereit, sich grüßend zu verbeugen. Seit dem ersten Abend in Windsor, als er beinahe die Tafel umgestoßen hatte, hatte er das Verbeugen immer wieder geübt in der Hoffnung, diese fremdartige Technik zu meistern und nicht wieder in Verlegenheit zu geraten. Seine Verbeugung vor Kate war besser gewesen, aber vor Isabella hatte er nicht mehr Erfolg als beim ersten Mal, denn mitten in der Bewegung hielt er inne, schnappte nach Luft und starrte staunend die junge Frau an, die still neben Isabella stand. Beim Begrüßungsdinner hatte sie weit entfernt von ihm gesessen, und im Abendlicht hatte er ihre Gesichtszüge nicht genau sehen können. Doch er erinnerte sich an ihr Haar.
Er hatte schon früher Haar von dieser glänzenden Kupferfarbe gesehen, aber noch nie eine Frau, die eine solche beinahe durchsichtige Haut hatte. Sie stand etwas hinter der großen, gertenschlanken Prinzessin, klein und zierlich in einem rosenfarbe- nen Kleid, das mit weißen Blüten bestickt war. Sie wirkte ein wenig älter als ihre Herrin, und obwohl ihre Haltung eindeutig edel war, hatte sie nichts von den gebieterischen Allüren der Prinzessin. Um den Hals trug sie eine Kette aus kleinen goldenen Perlen, an der ein goldenes Kreuz mit einem leuchtenden Rubin in der Mitte hing. Sie blieb zurückhaltend hinter der Prinzessin und hatte die großen Augen niedergeschlagen, als sei sie fasziniert von dem komplizierten bunten Muster des Webteppichs unter ihren Füßen. Isabella verhielt sich angemessen reserviert und wartete geduldig, bis Alejandro sich wieder in der Gewalt hatte; sie unternahm keinen höflichen Versuch, ihn vorzustellen, sondern sah ihn unverwandt an. Alejandro war ganz in die Bewunderung ihrer Begleiterin versunken.
»Doktor Hernandez? Ist Euch nicht wohl, Sir?« fragte sie und klang ärgerlich. »Sollen wir so tun, als wäret Ihr die Prinzessin und ich der Arzt?«
Es gelang ihm, sich so weit aus dem bezaubernden Bann der stillen jungen Frau zu lösen, daß er ihrer Herrin antworten konnte. »Ich bitte um Entschuldigung, Hoheit; die große Schönheit in diesem Raum nahm mich einfach für einen Moment gefangen.« Diese kühne, aber eifrige Erwiderung glitt ihm von der Zunge wie Honig, und er war über seine eigene Kühnheit verblüfft.
Die kupferhaarige Frau an Isabellas Seite sog den Atem ein und hielt sich eine Hand vor den Mund, vielleicht, wie Alejandro dachte, um ein Lächeln zu verbergen. Widerstrebend löste er den Blick von ihrem bezaubernden Gesicht und sah wieder Isabella an. »Ich glaube, Ihr habt mich rufen lassen. Womit kann ich Euch dienen?«
»Nun, da Ihr endlich fragt - Ihr dient mir am besten, wenn Ihr mir gestattet, meine persönlichen Schneider und Juweliere kommen zu lassen. In der von Euch verhängten Haft mußte ich mich mit Kleidern begnügen, die ich lieber wegwerfen als tragen würde, und sie sind ganz verdorben durch diesen Unsinn, sie dauernd zu waschen. Ich brauche unbedingt meinen Schneider, damit er sofort meine Garderobe aufbessert. Ihr könnt doch unmöglich etwas gegen seine Anwesenheit haben.«
Ihr herablassender Tonfall und ihre verächtliche Art, ihre hauteur, waren genau das, worauf man ihn vorbereitet hatte, doch trotz der Warnung de Chauliacs war Alejandro nicht auf ihre scharfe Zunge gefaßt gewesen. Paß auf, daß du sie nicht kränkst, dachte er bei sich. Er wünschte sich von ganzem Herzen, de Chauliac hätte ihm nicht nur eine medizinische, sondern auch eine Ausbildung in Diplomatie gegeben. Am liebsten hätte er gesagt: Gebt zwei Tropfen von diesem pflanzlichen Trank in euren Wein, Hoheit, und Ihr werdet sofort von Eurer Arroganz geheilt sein. Doch er fürchtete, eine solche Arznei würde nicht gut aufgenommen.
»Wäre es nicht möglich, daß die Kleider wie vorgeschrieben draußen bleiben und Euch dann zur Musterung vorgelegt werden? Gewiß würden sie in dieser kurzen Zeit nicht aus der Mode kommen.«
Er bedauerte diese Stichelei sofort, als alle Damen im Raum den Atem anhielten, als erwarteten sie einen erneuten Wutanfall. Die Frau an Isabellas Seite wandte den Kopf ab, die Hand noch immer vor dem Mund; diesmal war Alejandro sicher, daß sie ein Lachen unterdrückte. Rasch sah er sich im Raum um und suchte verzweifelt eine Verbündete, doch niemand kam ihm zu Hilfe.
Bemerkenswerterweise explodierte die Prinzessin nicht, sondern bemühte sich sichtlich, sich vor so vielen Zeugen zu beherrschen. Sie sah Alejandro direkt an, hob hochmütig das Kinn und holte zu einem möglicherweise vernichtenden Schlag aus.
»Ich werde mit meinem Vater über diesen Vorfall sprechen.«
Sie wandte sich ab und sah ihre rothaarige Gefährtin an. »Kommt, Adele, wir ziehen uns in den Salon zurück.« Damit verließ sie das Vorzimmer. Die kupferhaarige Dame hob endlich die Augen, schaute in Alejandros Richtung und erwiderte seinen intensiven Blick. Doch sie reagierte nicht mit dem erwarteten Erbeben, sondern mit einem fröhlichen Zwinkern. Dann folgte sie rasch ihrer Herrin und beeilte sich, sie einzuholen, als Isabella den Arzt entschlossen stehen ließ. Ehe sie in Isabellas Salon verschwand, drehte sie sich noch einmal um.
Ihre Augen waren grün. Alejandro war sprachlos.
Kate begleitete ihn zu seinen Zimmern zurück und plauderte dabei freundlich. »Meine Schwester genießt die aufgeregte Aufmerksamkeit ihres Schneiders fast so sehr, wie sie es liebt, die schönen Kleider zu tragen, die er für sie anfertigt. Sie wird sich nicht damit zufrieden geben, daß ihre neuen Kleider einfach geschickt werden. Die Nurse hat den Verdacht, daß der Schneider nur solche Sachen bringt, die schlicht sind, aber weitere Verschönerung verdienen, damit Isabella noch mehr von ihrem Einkommen für modische Stickereien und Knöpfe ausgeben kann. Der Schneider selbst würde einfachere Verzierungen aus Knochen und gebranntem Ton wählen, sagt die Nurse, um seine eigenen Kosten für das Kleid zu verringern; Isabella wählt stets die feinsten Dinge aus Gold und Silber, und der Schneider verdient auf diese Weise mehr, ohne daß er sich dafür anstrengen muß. Isabella ist so verliebt in seine Arbeit, daß sie gar nicht merkt, wenn er Wucherpreise verlangt.« Sie kicherte über ihre skandalöse Enthüllung, als gebe sie ein wohlgehütetes Geheimnis preis.
»Und was sagt Eure Mutter zu solcher Extravaganz?«
Kate zögerte mit der Antwort. Endlich sagte sie: »Meine Mutter gehört nicht zu diesem Haushalt, und in Dingen, die Isabella betreffen, sind ihre Ansichten noch unerheblicher als meine. Sie lebt in London und hört selten den Klatsch über die königliche Familie. Wenn ich sie besuche, berichte ich ihr immer von den Hofintrigen, so gut ich kann, aber die interessantesten Dinge höre ich nicht immer. Was mein Vater für das Ohr eines jungen Mädchens nicht angemessen findet, wird vor mir verheimlicht.«
Also haben dieses Kind und Isabella den gleichen Vater, dachte Alejandro, und es schmerzt sie, über ihre Mutter zu sprechen. Er beschloß, einstweilen keine Fragen mehr zu stellen.
Kate, die nichts von seinen Überlegungen merkte, fragte: »Spielt Ihr gern Schach?«
»Ich habe es noch nie gespielt, aber ich stelle mir vor, es würde mir gefallen, wenn ich es könnte.«
»Soll ich es Euch beibringen?« fragte sie eifrig.
»Ich wäre entzückt, eine so wertvolle Fertigkeit von einer so charmanten Lehrerin zu lernen«, antwortete er.
»Wunderbar!« sagte sie. »Dann erwarte ich Euch nach dem Dinner im Damensalon. Ich freue mich, einen neuen Partner zu haben, denn keine der Frauen meiner Schwester ist darin so gut wie ich, und ich bin es müde, sie gewinnen zu lassen.«
»Spielt die Hofdame Eurer Schwester, Adele, mit Euch Schach?« fragte er.
»Ja, aber ihr liegt wenig an dem Spiel, und sie ist nur mittelmäßig. Ich glaube, sie liest oder stickt lieber, und häufig nimmt Isabella all ihre Zeit in Anspruch. Ich rechne damit, daß Ihr schnell geschickter sein werdet als sie, auch wenn Ihr Anfänger seid.«
Alejandro lachte. »Erwartet nicht zuviel von mir, Kate, denn ich weiß nichts über das Spiel außer dem, was ich beobachtet habe, seit ich hier in Windsor bin. Wenn Ihr sofort mit einem guten Partner rechnet, werdet Ihr bitter enttäuscht sein.«
»Ach, Monsieur«, sagte sie abschließend, »für die unmittelbare Zukunft werde ich meine Erwartungen auf ein Minimum beschränken, aber heute abend werden wir sehen, wie vielversprechend Ihr seid. Meine Mutter sagt, daß man immer mit dem Unerwarteten rechnen muß.«
Und mit den angemessenen höflichen Verbeugungen und Knicksen trennten sie sich.
Keine Stunde nach Kates Fortgang erschien Sir John Chandos an Alejandros Tür. Alejandro hatte sich mit dem umgänglichen Mann angefreundet, dessen barsches Auftreten ein angenehmes und gefälliges Wesen verbarg.
»Ich beneide Euch nicht, Monsieur«, sagte Chandos, »denn Isabella hat sich fast eine Stunde lang beim König beschwert und ihn davon zu überzeugen versucht, daß Eure Behandlungsmethoden schlecht und unerträglich sind. Sie würde Euch am liebsten auf der Stelle nach Avignon zurückschicken.«
Wozu? fragte sich Alejandro. Inzwischen könnten, soweit man in England darüber unterrichtet war, in Avignon alle tot sein. Er bedauerte, daß er so wenig über die Intrige zwischen dem Papst und dem eigenwilligen König und darüber wußte, in welcher Weise sie ihn selbst betreffen könnte.
Was er wußte, war, daß der König von Frankreich, den Edward als Usurpator auf dem eigentlich ihm zustehenden Thron bezeichnete, viel stärker unter dem Einfluß von Papst Clemens stand als sein weltlicher Vetter Edward. Das hatte er auf seiner Reise nach England an den Lagerfeuern erfahren; der Hauptmann seiner Eskorte kannte viele solcher wundervoller Intrigen, und nach Einbruch der Dunkelheit gab es außer dem Erzählen langer und anschaulicher Geschichten, die zweifellos mit jeder Wiederholung bunter wurden, nicht viel zu tun.
Wie hätten diese Lagerfeuer Hernandez gefallen! dachte Alejandro. Für ihn selbst waren sie allerdings nicht ganz ungefährlich gewesen; bei mehr als einer Gelegenheit hatte er sich rasch eine persönliche Vorgeschichte ausdenken müssen, die seine wahre Identität nicht verriet, und wenn er mit Erzählen an der Reihe war, setzte er sich mit dem Erfindungsreichtum seiner Fabeln oft selbst in Er- staunen. Der Hauptmann hatte ausführlich über den Krieg gesprochen, der schon mehr als ein Jahrzehnt dauerte, jetzt herrschte Waffenstillstand, da die Pest sehr viel mehr Krieger dahingerafft hatte als die Kämpfe.
Nach dieser kurzen Ablenkung kehrte Alejandro in die Gegenwart zurück und antwortete Sir John, wobei er seine Worte sorgfältig wählte: »Ich habe bemerkt, daß die Prinzessin eine temperamentvolle Frau ist. Sie scheint ihre Abgeschiedenheit nicht besser zu ertragen als der Papst die, die mein Lehrmeister ihm aufzwang.«
Sir John lachte. »Ich kenne sie von Kindesbeinen an; man sieht deutlich, welche Folgen es hatte, daß ihr Vater sie übermäßig zu verwöhnen pflegte. Er gibt sogar zu, daß er seine Kinder verwöhnt, vor allem Isabella; die anderen murren häufig, er würde sie ihnen vorziehen, sogar mein Lord, der Prinz von Wales, der Thronerbe seines Vaters ist.«
Daß Sir John so beiläufig über die Mitglieder der königlichen Familie sprach, ermutigte Alejandro, sich nach Kate zu erkundigen. »Ich habe ein reizendes junges Mädchen kennengelernt, das Isabella als seine Schwester und den König als seinen Vater bezeichnete. Dürfte ich fragen, welche Position dieses Mädchen hier einnimmt?«
Der ältere Mann lächelte. »Sie ist ein bemerkenswertes Kind, nicht wahr?«
»Ja«, antwortete Alejandro, »und sie besitzt eine wunderbar schnelle Auffassungsgabe.«
»Sie ist die Tochter des Königs und einer der früheren Hofdamen der Königin. Der Mann dieser Dame diente einst dem König in Frankreich, wurde aber in der Schlacht getötet, während Edward selbst hier in Windsor weilte und sich um andere Angelegenheiten kümmerte. Der König umwarb die Lady ziemlich heftig, die, wie man munkelt, seinen Avancen zunächst widerstand. Doch schließlich gab sie, noch bevor sie vom Tod ihres Gatten erfuhr, seinem Werben nach; es heißt, sie habe die Stellung ihres Gatten im Gefolge des Königs schützen wollen. Etwas weniger als ein Jahr nach der Abreise ihres Gatten nach Frankreich gebar sie Catherine. Ihr Mann kam nie zurück. Edwards Neigung zu der Dame war innerhalb des Haushalts kein Geheimnis; kaum jemand zweifelte daran, daß Kate sein Kind war, und sie wurde mit dem unverkennbaren Aussehen einer Plantagenet geboren. Natürlich«, sagte Sir John, »war die Königin wütend, daß ihr Mann ihr vor ihrer Nase untreu war; sie rächte sich an Edward, indem sie die betreffende Dame zu ihrer Familie in London zurückschickte. Ihre Strafe für die Lady bestand darin, daß sie das Kind behielt und mit seiner Nurse in Isabellas Gemächern unterbrachte, wo sie als Hofdame der Prinzessin großgezogen wird.«
Alejandro war schockiert. »Hatte die Königin denn kein Mitleid mit einer Frau, die auch ihren Gatten verloren hatte? Die Strafe kommt mir ungewöhnlich grausam vor.«
Sir John zuckte mit den Schultern und seufzte. »Die Königin ist machtlos in Dingen, die üblicherweise der Kontrolle des Königs unterliegen, aber ihre häuslichen Angelegenheiten kann sie auch ohne seine Zustimmung regeln. Das war nicht die erste Indiskretion des Königs; ein paar Jahre zuvor verliebte er sich in die Frau eines seiner treuesten Gefolgsleute, des Herzogs von Salisbury, während Salisbury in seinem Auftrag auf Reisen war. Ich kann es ihm nicht verübeln«, sagte Chandos. »Ich erinnere mich gut an die Dame; sie hielt ihre Burg mehr als einen Monat lang gegen die schottischen Angreifer, obwohl ihr Gatte nicht anwesend war. Als der König ihr zu Hilfe kam, begrüßte sie ihn in ihren feinsten Kleidern und mit der Miene der Siegerin. Natürlich war seine Majestät hingerissen; welcher Mann würde einer solchen Frau nicht erliegen?«
Am liebsten hätte Alejandro gesagt: Welcher König würde sich die Frau seines Gefolgsmannes nehmen, nachdem sie seine Grenze verteidigt hat? Doch er sagte statt dessen: »Sie scheint ein Beispiel nobler Weiblichkeit zu sein.«
»In der Tat«, erwiderte Sir John. »Ein großartiges Beispiel. Trotzdem gab es einen großen Skandal, von dem alle Welt wußte, und Salisbury war schließlich gezwungen, all seine Güter abzugeben und das Land zu verlassen. Es heißt, die Herzogin habe sich nie von der Schande erholt und trauere unablässig um ihr früheres Leben. Edward wollte keinen zweiten derartigen Skandal heraufbeschwören, deshalb griff er nicht ein, als Phillippa die Sache mit Kate in die Hand nahm.«
Laut wunderte sich der Arzt: »Und doch wirken die beiden wie ein einträchtiges Paar mit großer Bewunderung füreinander.«
»Das sind sie auch«, sagte Chandos. »Sie haben einander selbst gewählt. So eine Heirat ist unter königlichen Personen selten.«
»Wie ist es dann möglich, daß solche Vorfälle ihre gegenseitige Zuneigung nicht beeinträchtigen?«
Sir John dachte einen Augenblick nach und sagte dann: »Sie hätten viel zu verlieren und wenig zu gewinnen, wenn sie sich auf die unangenehmen Vorkommnisse der Vergangenheit konzentrieren würden. Ich nehme an, beide haben den Willen und die Mittel, einander zu verzeihen, und tun das häufig. Aber es ist nicht erstaunlich, daß Kate Euch aufgefallen ist. Sie ist notorisch schwatzhaft.«
Das ist wirklich kein Wunder, dachte Alejandro bei sich. Ich hin manchmal so einsam, daß ich mit der Hauskatze über ihre jüngste Ausbeute an toten Ratten reden würde, wenn ich glaubte, sie würde mir antworten.
Sie erreichten die Tür zur großen Halle und wurden von der Wache dem König gemeldet. Dieser winkte sie herein, und Alejandro sah zu seiner Bestürzung, daß Isabella auf einem gepolsterten Stuhl neben ihrem Vater saß. Es bereitete ihm Verdruß, dem König seine Argumente gegen ihre Forderungen in ihrer Gegenwart unterbreiten zu müssen.
Nachdem Sir John sich verabschiedet hatte, wandte sich der König an Alejandro und begann, sich nach dem Vorfall am Morgen zu erkundigen. »Doktor Hernandez«, sagte er langsam und bedächtig, »meine Tochter teilt mir mit, daß es Meinungsverschiedenheiten zwischen Euch und ihr über den Zutritt ihres Schneiders zum Schloß gibt. Ich würde gern von Euch hören, wie Ihr die Situation beurteilt.«
Alejandro räusperte sich nervös. »Euer Majestät, ein Schneider kann ebensogut wie ein Bäcker oder ein Schmied den Auslöser der Pest, worin immer er bestehen mag, ins Schloß tragen. Wie ich deutlich gesagt habe, glaube ich, daß eine einzige kranke Person das ganze Schloß anstecken kann, und wir müssen darauf achten, daß wir nicht unwissentlich die Pestilenz in den sicheren Hafen einlassen, den wir auf Kosten unserer Freiheit hier geschaffen haben.«
Isabella hatte ihre Antwort parat, und als sie sprach, wurde Alejandro klar, daß sie bereits mit ihrem Vater geredet und die Grenzen dessen erkundet hatte, was sie erhoffen konnte, denn ihre Äußerungen waren milder, als er erwartet hatte.
»Doktor Hernandez, ich schlage einen Kompromiß vor. Können wir nicht ihn und seine Waren innerhalb des Schlosses in Quarantäne nehmen, bis wir sicher sind, daß er keine Ansteckung verbreitet? Ihr hattet diese Möglichkeit schon erwähnt.« Sie erhob sich von ihrem gepolsterten Sitz und begann händeringend auf und ab zu gehen. »Wenn der Mann nach einem Zeitraum von, sagen wir, sechs oder sieben Tagen keine Anzeichen der Krankheit aufweist, dürfen wir dann nicht annehmen, daß er harmlos ist?«
»Bedauerlicherweise, Prinzessin, kann ich das nicht mit Sicherheit sagen. Wir können einfach nicht mit Gewißheit feststellen, ob der Mann Euch und alle anderen arglosen Seelen innerhalb dieser Mauern anzustecken vermag oder nicht. Und der Zeitraum, den Ihr vorschlagt, ist viel zu kurz.«
Sie warf ihrem Vater einen flehenden Blick zu, der schweigend um seine Hilfe bat. Sie war jetzt eine ganz andere Frau als die zänkische und eigenwillige Person, die er am Morgen gesehen hatte. Sie gab sich liebenswürdig und unschuldig, ganz so wie bei ihrer ersten Begegnung, und Alejandro konnte gut verstehen, warum ihr Vater so schamlos in sie vernarrt war.
Ihr flehender Blick verfehlte seine Wirkung auf den König nicht. Er wandte sich selbst an den Arzt und sagte: »Ich glaube, daß Isabellas Vorschlag etwas für sich hat. Und ich möchte sie nicht leiden sehen. Vielleicht können wir einen nützlichen Kompromiß erreichen.«
Sie leidet, weil sie keinen Schneider hat? dachte Alejandro ungläubig. Er erinnerte sich an die zerlumpten, heimatlosen Kinder, die er auf den Straßen von Avignon gesehen hatte, Kinder, die keine Familien mehr hatten, sich um sie zu kümmern, und es widerte ihn an, daß diese Frau, Prinzessin oder nicht, sich nicht als ungeheuer vom Glück begünstigt betrachtete. Seine Entschlossenheit wuchs.
»Sire, ich muß Euch daran erinnern, daß es keinen Nutzen bringen kann, meine Einschränkungen zu verwässern. Die einzige mögliche Folge wäre eine große Tragödie, die niemandem nützt, am wenigsten Eurer Tochter, die sich sonst auf ein langes und wohlhabendes Leben und zweifellos eine brillante Heirat freuen könnte.« Er sah, wie Isabella zusammenzuckte, als er von Heirat sprach. Soll sie doch diese Unannehmlichkeit ertragen, dachte er, sie kann ihr nur guttun, und sei es für noch so kur- ze Zeit. »Und ich trage nicht zu ihrem Überleben bei, wenn ich mögliche Träger der Infektion in diese Mauern lasse. Ich bitte Euch, denkt daran, daß wir in der Zeit, seit ich Euch diene, kein Mitglied des Haushalts an die Pest verloren haben, obwohl in der Welt außerhalb dieser Tore weiterhin zahllose Menschen sterben. Meine Einschränkungen erzielen also zweifellos die gewünschte Wirkung. Ich kann die Krankheit nicht heilen, wenn sie hier eindringt, weil wir in unserer Wachsamkeit nachlassen, aber ich glaube, daß ich sie fernhalten kann.«
Doch der König, des weinerlichen Gejammers seiner Tochter und der ständigen Nörgelei ihrer Dienerschaft überaus müde, gab ihr schließlich nach und befahl, den Schneider ins Schloß zu lassen.
»Tut alles Nötige, damit die Sicherheit des Schlosses gewahrt bleibt«, sagte er zu Alejandro. Dann wandte er sich an Isabella: »Ich will diesbezüglich keine Klagen mehr hören. Der Schneider wird so lange in Quarantäne gehalten, wie der Doktor es für nötig hält.«
Und so sah sich Alejandro erneut das Schloßgelände an und suchte einen passenden Ort, um einen solchen Besucher in Quarantäne zu nehmen. Nach langem Zögern entschied er sich schließlich für eine kleine, wenig benutzte Kapelle, die auf der Ostseite des unteren Schloßteils lag. Ihre vielen Fenster ermöglichten dem Arzt, den Bewohner genau zu beobachten, ohne mit ihm in Berührung zu kommen. Nachdem er sich unter den verbliebenen Schloßwachen erkundigt hatte, fand er einen Mann, der mit Werkzeug umzugehen verstand, und ließ die Fenster und Türen der Kapelle von ihm mit hölzernen Gittern versehen.
Während die Vorbereitungen ihrem Abschluß entgegengingen, ließ die Prinzessin Alejandro wiederholt in ihre Gemächer kommen, um ihn zu fragen, wie lange der Schneider in Quarantäne bleiben müsse. Sie versuchte jedesmal, den Zeitraum abzukürzen.
Alejandro freute sich zwar immer, einen Blick auf die selten anzutreffende Adele werfen zu können, wurde aber der Tiraden ihrer Herrin bald müde. Eines Tages sagte er schließlich zu ihr: »Prinzessin, ich habe entschieden, daß die Dauer der Absonderung sich auf sechs Monate belaufen wird. Erst dann kann ich sicher sein, daß keine Ansteckung ins Schloß getragen wird.«
Isabella wurde blaß vor Zorn über die offenkundige Impertinenz des Arztes. »Wie könnt Ihr es wagen, Monsieur? Vergeßt Ihr, wer ich bin?«
Darauf antwortete er: »Ganz gewiß nicht, Hoheit. Ihr seid meine Patientin, und Ihr werdet Euch an meine Regeln halten, um Eure Gesundheit zu bewahren. Ich möchte Eure Geduld jedoch nicht zu sehr strapazieren, also können wir vielleicht einen
Kompromiß erreichen, wie wir es schon einmal getan haben.«
»So erklärt Euren Vorschlag«, war ihre vorsichtige Antwort.
»Ich schlage vor, daß die Quarantäne auf vierzehn Tage begrenzt wird und daß Ihr im Austausch dafür während der ursprünglich vorgesehenen Frist von sechs Monaten meinen Einschränkungen Folge leistet, ohne darüber zu verhandeln oder Einwände zu erheben. Gebe Gott, daß unsere Isolation nicht so lange dauern muß.«
Isabella begann erneut, sich zu beschweren, und klagte laut über die »unerträglichen« Bedingungen des von Alejandro vorgeschlagenen Handels. Der Arzt erinnerte sie daran, daß der König ihm unmißverständlich die Vollmacht gegeben hatte, den Schneider so lange einzusperren, wie er es für richtig hielt, und so gab Isabella schließlich nach und stimmte seinem Vorschlag zu.
»Dann ruft eine Eurer Damen, ich werde Sir John zu uns bitten, und wir werden diesen Handel vor Zeugen abschließen.«
Wütend und, wie Alejandro fand, wenig königlich stampfte sie in ihre Privatgemächer, unablässig murmelnd und schimpfend, um die Ankunft von Sir John abzuwarten.
Isabellas Nurse hatte die Vorgänge mit boshafter Befriedigung verfolgt, froh, daß endlich jemand der ungezogenen Prinzessin Herr wurde; insgeheim wünschte sie sich, für all die groben Beleidigungen, mit denen Isabella sie in ihren Dienstjahren überhäuft hatte, ähnliche Rache nehmen zu können. Alejandro störte sie bei diesen Gedanken, indem er darum bat, Kate nach Sir John zu schicken. Die Nurse zog sich zurück, und Alejandro blieb in dem luxuriösen Salon allein.
Gleich darauf hörte er, wie eine Tür geöffnet wurde. Er sah sich um, erkannte Adele und merkte, wie sein Herzschlag für einen Moment aussetzte.
Ihre Schritte waren so leicht, daß sie fast in seine Richtung zu schweben schien; ihre Röcke raschelten, und in ihrem hellen Kleid wirkte sie klein und zart wie ein Porzellanpüppchen. Von ihrer Haube hing ein dünner Schleier herunter, der sich weich um ihre Schultern legte, als sie vor ihm stehenblieb. Einige Strähnen ihres roten Haars hatten sich aus der Haube gelöst, und er sehnte sich danach, mehr von seiner Fülle zu sehen. Lächelnd stand sie vor ihm, und er nahm ihr Bild gierig in sich auf.
In seiner Phantasie legte er einen Arm um ihre Taille und zog sie an sich, während er ihr mit der anderen Hand die Haube und den Schleier abstreifte und ihr herrliches Haar frei über ihren gebogenen Rücken fließen ließ; dann nahm er die Masse der seidigen Locken in die Hand und preßte sie an sein Gesicht, atmete tief den berauschenden Duft ein. In Wirklichkeit allerdings erhob er sich rasch und verneigte sich höflich vor ihr. Sie erwiderte seine respektvolle Geste, indem sie anmutig knickste; dann versetzte sie ihn dadurch in Erstaunen, daß sie ihm die Hand reichte. Ohne nachzudenken nahm er sie, führte sie an die Lippen und küßte sie lange, wobei er intensiv in ihre grünen Augen starrte. Sie zuckte nicht zurück und entzog ihm auch ihre Hand nicht. Schließlich konnte Alejandro das wilde Pochen seines Herzens nicht mehr ertragen; er fürchtete, es werde platzen und ihn so weiterer Freuden berauben. Deshalb ließ er langsam und voller Bedauern ihre Hand los.
Welch seltsame Besessenheit läßt mir das Blut wie Feuer durch die Adern schießen? Ich habe diese Dame nur wenige Male gesehen und nie mit ihr gesprochen, und trotzdem hin ich gefangen von ihrem Zauber. Alejandro kämpfte darum, Haltung zu bewahren, und schwieg verlegen, denn er wußte, wenn er jetzt zu sprechen versuchte, würde er nur krächzen können. Sein Mund war trocken.
»Guten Tag, Doktor Hernandez«, sagte sie.
Warum hat Gott ihr auch noch die Stimme eines Engels gegeben, um mich weiter zu verzaubern? dachte er unglücklich.
Die himmlische Stimme sprach weiter: »Ich bin Adele de Throxwood, und ich diene Prinzessin Isabella als Gefährtin und Vertraute. Sie hat mich gebeten, als Zeugin eines Handels zwischen Euch anwesend zu sein, und ich gehorche ihr mit Freuden.«
Alejandro, der endlich seine Stimme wiedergefunden hatte, dankte ihr und fügte hinzu: »Sir John wird ebenfalls kommen.«
Dann ließ ihn seine große Verlegenheit wieder verstummen. Er hatte nie zuvor eine Frau geküßt, noch nicht einmal eine Frauenhand, und wie es unter seinem Volk üblich war, hatte er angenommen, die erste Frau, die er berührte, werde seine Braut sein. Was würde diese elegante Dame sagen, wenn sie seine wahre Identität entdeckte? Würde sie angewidert zurückzucken, entsetzt über seine böse Täuschung?
Wie selbstzufrieden er in dieser kurzen Zeit fern von Menschen seiner eigenen Art geworden war; wie leicht er seine Vergangenheit einfach vergessen und dieses privilegierte Leben im Dienst eines fremden Königs führen konnte, wie leicht er sich den Umständen anpaßte! Die Trennungslinien zwischen Christen und Juden waren streng und wurden selten überschritten; er wußte, es war völlig undenkbar, daß er sich auf eine Romanze mit einer christlichen Dame von edler Geburt einließ. Er schauderte bei dem Gedanken, welche Strafe ihr Lehnsherr ihm dafür auferlegen würde, im Falle von Adele König Edward persönlich, da sie im Haushalt seiner Tochter lebte.
Sie muß annehmen, ich stamme aus dem spanischen Adel, und daher dürfe sie mit mir kokettieren. Sie weiß nicht, daß ich nicht von ihrem Stand bin. Guter Gott, warum hast du mich sicher hierhergeführt, nur, um mich dann mit etwas zu quälen, das ich niemals haben kann?
Adele nahm auf einer dick gepolsterten Bank Platz und winkte Alejandro, sich zu ihr zu setzen, was er sofort tat. Als sie nebeneinander saßen, beugte sie sich zu ihm und sagte in vertraulichem Ton: »Meine Lady beschwert sich unablässig über die Beschränkung ihrer Freiheit durch Euch, als wäre sie die einzige, die sich nicht ungehindert bewegen kann.«
Geschickt hatte sie das Gespräch auf ein Thema gebracht, über das er ohne Nervosität sprechen konnte. »Ich weiß keinen anderen Weg, Eure Sicherheit zu garantieren. Mein Lehrmeister hat den Papst am Leben erhalten können, während mehr als die Hälfte der Einwohner von Avignon umgekommen sind; dieser Erfolg kann nur darauf zurückzuführen sein, daß er die täglichen Aktivitäten des Papstes streng überwacht hat. Im Palast in Avignon ging das Gerücht, Clemens habe sich darüber so heftig beschwert, daß die Klagen Eurer Lady sich daneben schwächlich ausnehmen.«
»Das kann ich mir nicht vorstellen, denn unsere Isabella ist bei ihrem unablässigen Gejammer richtig zänkisch geworden. In leichteren Zeiten kann sie eine so angenehme Gefährtin sein; ich liebe ihre geistreiche Gesellschaft, aber im Augenblick ist sie recht verdrossen.« Sie seufzte und senkte traurig den Blick. »Ich vermisse ihre frühere Fröhlichkeit und werde froh sein, wenn unsere Aktivitäten nicht mehr eingeschränkt sind.«
»Ich auch, Lady Throxwood.«
Kate erschien mit Sir John im Schlepptau an der äußeren Tür des Vorzimmers. Nach den üblichen höflichen Begrüßungen verschwand Kate durch eine andere Tür, und Adele entschuldigte sich, um der Prinzessin Sir Johns Ankunft zu melden. Sir John sah zu, wie Alejandros Augen begierig jeden ihrer Schritte verfolgten und dann traurig wurden, als sie hinter Isabellas Tür verschwand.
Als Sir John sagte: »Eine reizende Lady, nicht wahr?«, war Alejandro ganz überrascht; er hatte nicht gemerkt, daß seine Betörtheit so offensichtlich war. Die Verliebtheit, die er plötzlich für Adele empfand, hatte geheim bleiben sollen, denn für ihn war sie neu, er hatte keine Erfahrung im Umgang mit der Liebe. Er wußte einfach nicht, wie er auf Sir Johns Bemerkung antworten sollte, ohne sich zu verraten, es war ihm gar nicht in den Sinn gekommen, daß andere Männer Adele ebenso reizvoll finden könnten wie er, und dieser überraschende Gedanke stürzte ihn für ein paar Augenblicke in eifersüchtige Unsicherheit. Unwillkürlich wurde er rot, und Sir John lachte.
»Seid nicht verlegen, mein Freund: und fürchtet nichts, ich selbst habe kein Interesse an der Lady.«
Alejandro war sichtlich erleichtert, wußte aber noch immer nicht, wie er reagieren sollte. Schließlich fragte er voller Angst vor einer unwillkommenen Antwort: »Hat sie einen Liebhaber, oder ist sie verlobt?«
Sir John beruhigte ihn. »Der Prinzessin liegt Lady Throxwoods Gesellschaft am Herzen, und sie hat versprochen, sie so lange zu unterstützen, wie sie in ihren Diensten bleibt. Da Adeles Familie tot ist, ihr Vater ist in Frankreich gefallen, ihre Mutter ein Opfer der Pest, obliegt es dem König, sie zu verheiraten. Edward legt keinen Wert darauf, seiner Tochter zu mißfallen, wie Ihr gesehen habt, und daher ist Adele niemandem versprochen.«
Fröhlich zählte er dann die Reize der Lady auf. »Ich kenne sie seit ihrer Kindheit, denn wir sind entfernt verwandt, und ich begrüße es, daß Ihr ihre guten Eigenschaften zu schätzen wißt. Sie ist bemerkenswert geduldig mit ihrer stürmischen Herrin, wo andere längst enttäuscht aufgegeben haben. Vielleicht ist das der Grund, warum Isabella Adele aufrichtig bewundert; sie allein scheint fähig, die sanftere Natur der Prinzessin zu wecken.«
Er lächelte Alejandro wissend zu. »Doch genug davon. Ihr habt ihre Vorzüge erkannt, und aus Eurem hingerissenen Blick schließe ich, daß aller unfreundliche Klatsch, den ich über die Lady berichten könnte, Euer entzücktes Ohr nicht erreichen würde.«
Als Alejandro antwortete, geschah das nur, um seiner Unsicherheit Ausdruck zu geben. »Ich fürchte, sie wird mich in den amourösen Künsten unzulänglich finden; ich habe wenig Erfahrung mit Frauen, da ich mich ganz meinem Beruf gewidmet habe. Bis heute habe ich nie eine Dame gefunden, deren Tugenden ausgereicht hätten, mich von meinem verzehrenden Interesse an meiner Arbeit abzulenken. Für einen unschuldigen Menschen wie mich ist das ein verwirrender Zustand.«
»In diesem Schloß unschuldig zu bleiben ist eine sehr schwere Aufgabe.«
»Ja, das sagtet Ihr schon«, antwortete Alejandro, der sich an den Bericht über Kates Aufnahme in den Haushalt erinnerte.
Wieder spürte der Arzt den Druck hinter seiner Stirn und den dumpfen Schmerz von der ständigen Anstrengung, die gutturale Sprache und die verwirrenden Bräuche des englischen Volkes zu verstehen. Die Unterschiede waren Alejandro schmerzhaft bewußt, und er zog sich in seine eigenen Gedanken und in die Erinnerung an sein sicheres und bequemes Heim in Cervere zurück. Ich werde niemals einer von ihnen sein, dachte er; zwischen uns liegen Welten.
Plötzlich standen Isabella und Adele vor ihm; er fragte sich, wie lange sie wohl gewartet haben mochten, bis er aus seiner Trance erwachte. Als sie endlich seine Aufmerksamkeit erregt hatte, sah Isabella Alejandro fast herausfordernd an und sagte: »Sir John und Lady Throxwood werden Zeugen unserer Vereinbarung und Eures Versprechens sein, daß die Quarantäne meines Schneiders nur zwei Wochen dauern wird. Bitte wiederholt den Handel, den wir vorhin abgeschlossen haben.«
Der Arzt legte noch einmal die Bedingungen dar, und Isabella fragte die Zeugen, ob sie die Vereinbarung verstanden hätten. Endlich zufrieden damit, einen gültigen Vertrag zu haben, wandte sie sich an Sir John und gab ihm sorgfältig ihre Anweisungen. »Wählt einen schnellen Reiter, der die besten Erfolgsaussichten hat, und sagt ihm, er solle sich auf eine Reise in meinem Auftrag vorbereiten. In Kürze werde ich Lady Throxwood mit weiteren Anweisungen schicken.«
Chandos verneigte sich vor ihr und machte sich auf den Weg zum Tor.
Dann wandte Isabella sich an Adele. »Begebt Euch sofort mit Doktor Hernandez zum Tor. Befehlt dem von Sir John gewählten Reiter, unverzüg- lich aufzubrechen und den Schneider James Reed zu holen. Bittet ihn, Master Reed die Bedingungen des Dienstes, den ich von ihm verlange, genau zu erklären. Sollte der Schneider wegen der Quarantäne zögern, meiner Aufforderung Folge zu leisten, so soll der Reiter ihn an den beträchtlichen Wert meiner weiteren Protektion erinnern.« Sie wandte sich an Alejandro und sagte: »Ihr werdet zweifellos dafür sorgen, daß Master Reed während seiner Quarantäne bequem untergebracht wird. Er soll nicht weniger nobel behandelt werden als unter weniger einengenden Umständen. Ich zähle auf seinen guten Willen. Wie jetzt auch auf Euren, Doktor.«
Alejandro verneigte sich, Adele knickste, und zusammen machten sie sich auf. Sie gingen langsam und nahmen absichtlich einen unnötig langen und gewundenen Weg durch das große Schloß zum Torhaus, da beide die gemeinsame Zeit ausdehnen wollten. Gnädiger Gott, dachte Alejandro, sie hat nichts gegen meine Gesellschaft, sondern genießt sie ebenso wie ich die ihre.
Trotz seiner Abneigung gegen die unangenehme Aufgabe, die vor ihm lag, dachte er, dies sei vielleicht seine schönste Stunde seit dem herrlichen Morgen, als er und der echte Señor Hernandez im warmen Wasser des Mittelmeers gebadet hatten; jetzt wie damals stand die Zeit still, und in Gegenwart dieser Frau schienen seine Dämonen zu schlafen.