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»Was geht hier vor?«, fragte Pas-Tek schroff, während sein Schiff die wilde Jagd zum Tor verlangsamte. Eine Gravitationswelle, die so stark war, dass man sie auch ohne Instrumente gespürt hatte, war soeben durch sein Schiff gelaufen und hatte das übliche Klirren verursacht.

»Ein Frachtschiff ist im Tor erschienen, Kommandant«, meldete sein Fahrens-Meister. »Es fährt den Antrieb hoch, um den Ring freizumachen. Der Frachter hält auf das Schiff zu … diese Dummköpfe werden wahrscheinlich noch mit dem größeren Schiff kollidieren, wenn sie nicht aufpassen!«

Pas-Tek sah, dass der Frachter das große Frachtschiff um Haaresbreite verfehlte und im Sternentor Position bezog, während das andere Schiff sich erkennbar auf dem Schirm bewegte.

»Sie fahren die Generatoren hoch, Kommandant«, meldete sein Sensoren-Bediener und stieß dann einen Fluch in seiner eigenen Sprache aus.

Ein solcher Verstoß gegen das Protokoll wäre normalerweise mit einer empfindlichen Strafe für das arme Besatzungsmitglied geahndet worden. Jedoch nahm Pas-Tek kaum Notiz davon, denn die Szene auf dem Bildschirm erforderte seine volle Aufmerksamkeit.

Ihre Außenbord-Kamera war auf maximale Vergrößerung geschaltet. Man sah, dass der kleine Typ-Sieben-Frachter vom silbernen Ring des Tors bekränzt wurde. Plötzlich verschwammen die Konturen des Spielzeugschiffs, als aus vielen Öffnungen in seiner Oberfläche Dampf herausquoll.

Der Dampf wurde immer dichter, bis sie das Schiff ganz aus den Augen verloren.

Dann explodierte das Weltall!


Auf Captain Harris’ Befehl betätigte Mark Rykand den ›Ausführen‹-Schalter. Nun übernahm der Computer die Regie über das Schiff und leitete eine Reihe vorprogrammierter Manöver ein.

Das erste bestand im abrupten Hochfahren der Sternenantriebs-Generatoren. Die Sprungtriebwerke arbeiteten mit voller Leistung, als Hochleistungsschalter die Spulen des Sternenantriebs-Generators überbrückten, die das Schiff direkt ins Gasak-System befördert hätten. Das Ergebnis war ein Kurzschluss, der eine Überlastung im Sternenantrieb hervorrief und die New Hope aus dem Normalraum katapultierte. Für einen außenstehenden Beobachter wäre das Schiff einfach verschwunden, ohne eine Gravitationswelle zu erzeugen.

Ihre Überlichtreise war kurz. Nur 2,7 Nanosekunden nach der Überwindung der Einstein-Barriere fielen sie wieder innerhalb der Raketenreichweite in den Normalraum zurück. Der Computer schoss eine Überlicht-Rakete auf das Sternentor ab und fuhr den Sternenantrieb wieder bis zum Anschlag hoch. Die nächste Etappe der Reise dauerte zwar länger als die erste, aber immer noch zu kurz, um von den menschlichen Sinnen wahrgenommen zu werden.

Alles, was die Menschen an Bord verspürten, war ein undefinierbares Gefühl, als ob jemand ihre Eingeweide packen und verknoten würde. Das Schiff schien für einen Moment zu erschauern. Das Schütteln wurde von einer plötzlichen Abschwächung der Beleuchtung begleitet, die etwa so lang anhielt wie ein Wimpernschlag. Die Deckenbeleuchtung flackerte einen Augenblick und erlosch.

Dann wurden auch die Computerbildschirme dunkel – die Schutzschaltungen hatten sie zum Schutz vor Überspannung abgeschaltet. Die Brücke wurde in Finsternis getaucht. Die einzige Lichtquelle war noch das bunte Glühen, das von verschiedenen Alarm-Lampen ausging.

»Irgendjemand soll den Strom wieder einschalten!«, ertönte die Stimme des Kapitäns in der Dunkelheit.

Sekunden später ging die Deckenbeleuchtung erneut an. Es dauerte eine halbe Minute, bis die Anzeigen wieder zum Leben erwachten.

»Wo sind wir, Astrogator?«

Mark befahl einer Außenbord-Kamera, nach Etnarii zu suchen. Als sie wieder zum Stillstand kam, prangte ein heller Stern in der Mitte des Hauptbildschirms. Aus der Perspektive des Sternentors war Etnarii zwar geschrumpft, hatte sich aber immer noch als eine Scheibe abgezeichnet. Jetzt nicht mehr. Die Sonne war nur noch der hellste von mehreren Sternen im Sichtfeld.

Der Computer führte sofort eine Suche nach Pastol und den anderen Planeten durch. Innerhalb weniger Sekunden hatte er drei Planeten gefunden, was für eine Parallaxen-Rückberechnung genügte.

»Wir scheinen uns eine Lichtstunde im galaktischen Norden von Etnarii zu befinden, Captain. Genau da, wo wir hinwollten.«

»Gott sei Dank! Gefechtsstand, Status!«

»Ich habe ihren Abschuss zwar nicht gesehen, Sir«, erwiderte Rodriguez, »aber es scheint eine ÜR im Magazin zu fehlen.«

»Glückwunsch, Herr Rykand. Ihr Plan scheint funktioniert zu haben – zumindest bis zu dem Punkt, wo wir eine Rakete auf das Sternentor abgefeuert haben. Gibt es eine Trefferanzeige?«

»Nein, Sir. Nicht in dieser Entfernung.«

»Wann wird das Licht der Explosion uns erreichen?«

»Ich schätze in vierundfünfzig Minuten, Captain.«

»In Ordnung. Alle Sensoren konzentrieren sich auf das Tor. In vierundfünfzig Minuten sehen wir, ob wir das Ziel getroffen haben.«


»Was war denn das?«, fragte Pas-Tek konsterniert, als jeder Sensor auf der dem Tor zugewandten Seite des Schiffs plötzlich den Betrieb einstellte.

»Der Frachter, Meister. Er ist explodiert!«

»Selbstmord?«, fragte Pas-Tek. Plötzlich zerplatzten all seine Träume einer glorreichen Karriere und wichen der ernüchternden Vorstellung, dass er für den Rest seines Lebens Nachrichten im Hinterland würde zustellen müssen. Er würde dann nur noch im traurigen Ruf des Schiffs-Kommandanten stehen, der es seinem Zielobjekt ermöglicht hatte, sich der gerechten Strafe durch schnöden Selbstmord zu entziehen.

»Ich tippe auf einen technischen Defekt. Sie haben etwas ausgeblasen, kurz bevor sie explodiert sind.«

»Sensoren!«

»Ja, Meister.«

»Ich brauche eine Ansicht vom Tor.«

»Geht nicht, Meister. Sämtliche Heck-Kameras sind zerstört, und wir können das Schiff auch nicht drehen, solange wir verzögern.«

»In Bereitschaft bleiben«, erwiderte Saton. »Die Motoren werden in ein paar Herzschlägen starten.«

Der Fahrens-Meister hatte den Satz kaum beendet, als das auf Pas-Teks Brust lastende Gewicht schlagartig aufgehoben wurde und er in die Rückhaltegurte fiel. Er verschwendete jedoch keine Zeit damit, sich erleichtert zu fühlen.

»Sensoren. Das Schiff rotieren lassen. Schaltet mich auf eine funktionierende Kamera!«

»Zu Befehl, Meister.«

Es folgten ein paar unangenehme Empfindungen, während das Schiff sich um seine Achse drehte, bis der Bug wieder in Flugrichtung wies. Der Hauptbildschirm erhellte sich. Keine Spur – weder vom Frachter noch vom Sternentor. Verdammt!

Ein expandierender Feuerball füllte den Raum aus, wo zuvor das Tor gestanden hatte. Die glühende Wolke war schon so groß, dass sie den Bildschirm sprengte. Auf Pas-Teks Befehl verkleinerte der Sensoren-Bediener die Darstellung, bis sie die ganze Wolke sahen. Sie wurde von Turbulenzen geschüttelt und wirkte wie eine schöne weiße, ätherische Blume vor der Dunkelheit des Raums. Ein Maßstab für die Größe der Blume war die Größe des schwarzen Punkts neben dem Zentrum.

»Auf das Frachtschiff konzentrieren!«, befahl Pas-Tek.

Die Ansicht wurde wieder vergrößert, bis die große Kugel die Mitte des Bildschirms ausfüllte. Sogar aus dieser Entfernung erschien das Frachtschiff deformiert, fast wie zerlaufen.

Während er den schrecklichen Anblick auf dem Monitor in sich aufnahm, drangen ihm allmählich die Weiterungen ins Bewusstsein. Nicht nur der Typ-Sieben-Frachter war zerstört, sondern auch das Tor. Am Rand der Wolke war noch ein kleiner Teil des Rings zu sehen, der gemächlich vom Ort der Explosion wegtrudelte. Der Rest des Rings schien nicht mehr zu existieren.

Durch die Zerstörung des Sternentors waren er und sein Schiff gestrandet. Er hatte nun keine Möglichkeit mehr, eine Nachricht an Diejenigen Die Herrschen zu übermitteln und ihnen die Lage zu schildern. Es gab aber auch kein anderes Tor im Etnarii-System. Die Rasse hütete die Sternentor-Technologie wie ihren Augapfel. Dieses Wissen durfte keiner anderen Spezies anvertraut werden.

Das bedeutete, dass ein Ersatztor von einer Heimatwelt seiner Spezies herangeschafft werden musste. Es würde per Einwege-Sprung an Etnarii geliefert. Anschließend würde es sorgfältig positioniert und präzise kalibriert werden – ein Vorgang, der einen demi-Zyklus oder noch länger in Anspruch nehmen würde. Erst wenn das neue Tor mit dem im Gasak-System gekoppelt worden war, könnte sein Schiff dieses Hinterwäldler-System wieder verlassen.

Jedoch würden diese zeitaufwendigen Positionierungs-und Kalibrierungsverfahren erst dann in Angriff genommen, wenn jemand in Gasak bemerkte, dass die Verbindung zwischen diesem System und Etnarii unterbrochen war. In Anbetracht des spärlichen Schiffsverkehrs, der auf dieser Route normalerweise herrschte, konnte es aber wer weiß wie lang dauern, bis Diejenigen Die Herrschen Kenntnis von seinem Missgeschick erlangten.

So lange saß er in der Falle.


»Sie können mit dem Countdown beginnen, Herr Rykand.«

»Eine Minute, Sir … Fünfzig Sekunden …«

Die Brückenbesatzung der New Hope hatte gerade die längste Stunde ihres Lebens verbracht: am Rand des Systems schwebend abgewartet, ob sie ihrem Feind ein Schnippchen geschlagen hatten.

Der Rächer hätte sie fast erwischt. Zum Zeitpunkt des Starts war das broanische Schiff nah genug gewesen, um das ganze Ereignis bis ins kleinste Detail zu registrieren. Die broanischen Wissenschaftler würden diese Aufzeichnung in den kommenden Monaten studieren, und es kam dann darauf an, wie sie es interpretierten.

Alle hofften, die Aufzeichnungen würden den Eindruck vermitteln, dass die New Hope beim Sprungversuch explodiert war. Diese Deutung wäre für die Broa zwar mit einem Fragezeichen versehen, aber die Erklärung war so banal, dass sie wohl nicht weiter nachforschen würden.

Jedoch hing der Erfolg dieses Plans davon ab, das Tor mit einer Überlicht-Rakete zu zerstören. Sie hatten gerade den schnellsten Schuss aller Zeiten ›aus der Hüfte‹ abgegeben, wobei die elektrischen Systeme der New Hope noch dazu Kapriolen geschlagen hatten. Wenn die Rakete nicht zündete oder einfach nicht traf, hätte der Rächer die umfassende Dokumentation eines Schiffs, das durch ein Sternentor verschwand, ohne eine Gravitationswelle zu hinterlassen.

Wenn die Broa erst einmal zur Kenntnis genommen hatten, was die Instrumente ihnen sagten, würden sie zwangsläufig zu dem Schluss kommen, dass irgendwo zwischen den Sternen eine Rasse von Aliens existierte, die sie nicht kontrollierten.

»Dreißig Sekunden«, meldete Mark.

Die Schicht-Besatzung um ihn herum saß reglos da und betrachtete den Hauptbildschirm. Niemand sagte etwas, und die meisten hielten sogar den Atem an. »Zwanzig Sekunden … zehn Sekunde …

… fünf, vier, drei, zwei, eins!«

In einer Spanne von zwei Herzschlägen geschah erst einmal nichts. Der helle Stern in der Bildschirmmitte blieb unverändert. Dann tauchte plötzlich auf einem Drittel der Bildschirmbreite rechts vom Stern ein anderer Stern auf. Er erschien wie aus dem Nichts und loderte auf, bis er genauso hell war wie Etnarii. Ein Dutzend Sekunden lang verharrte er im Maximum und trübte sich dann wieder ein, ohne jedoch ganz unsichtbar zu werden.

»Dieses Objekt erfassen und vergrößern!«, befahl Captain Harris.

Die Bildschirmansicht verschob und vergrößerte sich. Bei maximaler Vergrößerung erschien der neue Stern wie eine winzige Blume, die vor der Schwärze des Alls erblühte. Zuerst in der Farbe violett-weiß, dann ging sie langsam in blau-weiß, grün und schließlich in gelb über.

»Mein Gott, wenn das kein Treffer ist!«, rief der Kapitän. »Glückwunsch, Rodriguez!«

»Vielen Dank, Sir.«

»Irgendeine Spur vom Rächer?«, fragte jemand.

»Er ist zu klein, als dass man ihn auf diese Entfernung sehen würde«, erwiderte Vivian Domedan.

»Und was ist das dann für ein Fleck?«

Inmitten des allmählich sich lichtenden Nebels, der einmal das lokale Sternentor gewesen war, leuchtete ein heller weißer Punkt. Er wirkte massiv.

»Das muss der Massengutfrachter sein«, sagte Simon Rodriguez von seiner Waffenstation. »Er war nah genug dran, um von der Druckwelle erfasst zu werden.«

»Haben wir auch alles aufgezeichnet?«

»Ja, Captain«, erwiderte Vivian Domedan.

»Dann gibt es hier nichts mehr zu sehen. Astrogator, nehmen Sie Kurs auf die Brinks-Basis. Wechsel in den Überlichtbereich auf mein Kommando.«

»Jawohl, Sir!«

Mark rief mit einer Tastenkombination ein Programm auf, um einen Kurs zu dem System abzustecken, das für die nächsten paar Jahre ihr Zuhause wäre. Und sie waren auch nicht die Einzigen. Nachdem sie die Explosion des Tors verfolgt hatten, waren die Chicago und ihre Begleiter wohl schon zur Brinks-Basis unterwegs.

»Bereit für Überlicht, Captain.«

»Ausführung.«

Die von Sternen durchsetzte Dunkelheit auf dem Monitor wich plötzlich der absoluten Schwärze des Hyperraums, und die Schotten vibrierten vom Wummern des Sternenantriebs-Generators. Innerhalb von Sekunden hatten sie das Etnarii-System hinter sich gelassen und waren auf dem Heimweg. Im Safe des Kapitäns lag das Original des Datenwürfels, der die planetarische Datenbank von Pastol enthielt. Und im Laderaum lagerten ein paar hundert Liter vasa-Saft.

Alles in allem war es eine erfolgreiche Mission gewesen.