32
Die Hülle des Landungsboots wurde von einem Sturmwind umtost, als es dem grünen Hauptkontinent von Pastol entgegenfiel. Bernie Sampson konzentrierte sich auf den Flug und peilte einen Punkt hundert Kilometer östlich am westlichsten Zipfel des Kontinents an: eine kleine Halbinsel, von wo aus eine Weltraum-Boje den Himmel bestrahlte. Der Rest der Bodentruppe, Mark, Lisa und Seiichi Takamatsu, bestaunte derweil die Landschaft.
Die Meere von Pastol waren von einem tieferen Blau als die der Erde. Das lag an Etnariis Spektralklasse 5, die etwas kühler war als Sol und deren Spektrum einen größeren Gelb-Anteil hatte. Unter ihnen durchpflügten große Schiffe das Wasser und hinterließen ein sich auffächerndes Kielwasser mit weißen Schaumkronen. In Flugrichtung nahm der große Kontinent am Horizont Gestalt an. Die Umrisse wurden durch die diesige Luft weich gezeichnet.
Auf Backbord zogen große Kumulonimbus-Wolken unter ihnen auf, das Vorzeichen eines aktiven Wetterzyklus. Für einen Planeten, der größtenteils von der Landwirtschaft lebte, wäre viel Regen wohl ein Segen – obwohl diese Annahme auf ihrer Erfahrung mit der irdischen Ökologie beruhte. Auf einer außerirdischen Welt stellte Wasser, das vom Himmel fiel, womöglich ein Problem dar – vor allem, wenn die Einheimischen die Entsprechung von Kaktus-Farmern waren.
»Sieh nur diese Berge!«, rief Lisa, als der Kontinent sich wieder ein Stückchen über den entfernten Horizont erhob. Das östliche Ende des Kontinents wurde durch eine Gebirgskette mit schneebedeckten Gipfeln abgeriegelt, die dem Mount Everest auf der Erde in nichts nachstanden. Direkt vor ihnen ragten noch mehr als ein Dutzend dieser ›Wolkenkratzer‹-Berge auf.
»Das liegt an der niedrigeren Schwerkraft«, sagte Takamatsu. »Dadurch ist die Planetenkruste in der Lage, eine größere Landmasse zu tragen.«
»Ich hoffe nur, dass die Elektroheizung in den Springer-Kombis nicht schlappmacht«, erwiderte Mark. »Es scheint da unten ziemlich kalt zu sein.«
»Weshalb die Einheimischen wahrscheinlich auch Federn entwickelt haben«, sagte der Technologe. »Sie dient ihnen als Wärmeisolierung.«
»Müssen Sie denn alles durch die wissenschaftliche Brille betrachten?«, fragte Lisa. »Können Sie nicht einfach nur die Schönheit genießen?«
»Verzeihung«, sagte er mit einem Grinsen. »Ich übe nur schon mal für meine Rolle als das verkannte Genie auf dieser Expedition.«
»Machen Sie nur so weiter«, sagte Mark. »Wir müssen jetzt alle in unsere Rollen schlüpfen, bis wir wieder sicher an Bord des Schiffs sind. Es besteht eh schon das Risiko, dass uns da unten ein Fehler unterläuft.«
»Ja, Captain Bligh«, erwiderte seine Frau im broanischen Handelsidiom und verballhornte den Nachnamen, wie Sar-Say es getan hatte, als sie ihm zum ersten Mal begegnet war.
»Würdet ihr bitte den Schnabel halten. Ich versuche hier zu fliegen«, sagte Bernie Sampson über die Schulter vom Pilotensitz.
Also hielten sie nun den Mund und konzentrierten sich stattdessen auf die Landschaft, als sie die Bergkette überflogen und eine weite Ebene vor ihnen sich ausbreitete. Etwas wurde sofort offensichtlich: Die Ebene war mit Farmen bedeckt, so weit das Auge reichte.
Das Landungsboot landete mit feuernden Steuertriebwerken und setzte auf einer harten Oberfläche auf, die im Sonnenlicht schimmerte.
Um sie herum ragten Gebäude an der Peripherie des kombinierten Flug-/Raumhafens auf. Ein paar schlanke Flugmaschinen waren vor Einrichtungen abgestellt, bei denen es sich nur um Passagierterminals handeln konnte. Die Flugzeuge waren durch lange, dünne Schläuche mit diesen Gebäuden verbunden. Wie auf der Erde, so folgte auch hier die Form der Funktion.
Nachdem das Wimmern der Motoren verhallt war, erschienen zwei Ranta aus der nahe gelegenen Struktur und hüpften auf das Boot zu.
»Showtime!«, murmelte Mark und löste die Gurte. »Jeder bleibt so lange sitzen, bis ich das Signal zum Aussteigen gebe. Ich werde mal den großen Zeh ins Wasser stecken und hoffen, dass die hiesigen Krokodile ihn mir nicht gleich abbeißen.«
Er ging zur Luftschleuse mittschiffs. Er überprüfte die Instrumente, die die Qualität der Außenluft anzeigten, und legte dann die Hand auf die Sensorfläche, die beide Luftschleusentüren gleichzeitig öffnete. Es knackte in den Ohren, als der Druckausgleich im Boot erfolgte. Er ging durch die offene Schleuse, nachdem die Druckschotten zurückgefahren waren, und bibberte sofort im kalten Wind.
Er machte die broanische Willkommensgeste und sagte: »Grüße! Wir danken Euch vielmals für die Erlaubnis, Eure schöne Welt zu besuchen.« Das war zumindest die Botschaft. Was er wirklich sagte, war: »Hallo. Würdigung Erlaubnis uns hier Planet ästhetisch gut.«
Trotz der geradezu legasthenisch anmutenden Syntax der Lingua franca der Souveränität schienen die zwei Ranta kein Problem damit zu haben, die wesentliche Aussage seiner Grußbotschaft zu erfassen.
»Grüße. Ich bin BasTorNok, Chef-Inspektor dieses Platzes der Ankunft. Das ist CanVisTal, Vertreter unseres Intersystem-Handelsrats. Willkommen.«
»Ich bin Markel Sinth, Meister-Händler und Führer unserer Mannschaft.«
»Und der Zweck Eurer Anwesenheit hier?«, fragte CanVisTal.
»Wir sind auf einer Handelserschließungs-Mission für unseren Meister, den hochwohlgeborenen Sar-Tal vom Sar-Ganth-Clan. Er beauftragte uns, Geschäftsmöglichkeiten außerhalb unserer normalen Handelssphäre zu erschließen in der Hoffnung, dass wir seinen Status bei Denjenigen Die Herrschen erhöhen.«
»Das klingt ganz nach unserem Meister.«
»Und der ist?«
»Zer-Fal.«
»Ist er hier auf dieser Welt? Es ist nämlich Brauch bei uns, dem örtlichen Meister unsere Aufwartung zu machen und ihm Geschenke zu überreichen.«
»Nein, er ist in der Subsektor-Kapitale auf Gasak, die Ihr auf Eurem Weg hierher passiert habt.«
»Ja, natürlich. Wir haben das System besucht und dort wenig gefunden, das wir nicht auch in kürzerer Entfernung zu unserem Stern bekommen könnten. Vielleicht dürfen wir Euch unsere Morgengabe hierlassen, und Ihr präsentiert sie dann Eurem Meister, wenn er Euch wieder einmal einen Besuch abstattet.«
»Das wäre wohlgetan«, erwiderte BasTorNok.
»Ich bitte um Verzeihung, Händler«, sagte CanVisTal, »aber wir kennen Euren Stern nicht. Woran das wohl liegen mag?«
»Unser Stern ist Tanith und unser Planet Troja. Unsere Spezies bezeichnet sich als Trojaner. Wir sind eine kleine Welt in einem System mit nur einem Sternentor. Es verirren sich nicht allzu viele Besucher zu uns, sodass wir unser Glück mit dem Besuch anderer Systeme versuchen müssen, wo wir vielleicht Werte schaffen können.«
»Wo befindet Ihr Euch?«
»Offensichtlich auf der anderen Seite der Zivilisation, denn sonst würden wir voneinander wissen. Unsere Welt ist 1,2 × 121 Sprünge von Eurem System entfernt.«
»Das ist sehr weit. Es muss schwer sein, über solche Entfernungen Werte zu schaffen«, erwiderte CanVisTal.
»Es ist sehr schwer. Aus diesem Grund sind wir auch hierhergekommen. Wir wollen Delikatessen einkaufen, die wir zu Hause als Luxusgüter verkaufen. Vielleicht ein Lebensmittel, das für den Transport konzentriert werden kann, um das Volumen zu reduzieren.«
»Wir werden Euch unsere gesamte Flora zeigen. Vielleicht ist ja etwas dabei, das Ihr als wohlschmeckend und marktgängig erachtet.«
»Vielleicht«, pflichtete Mark ihm bei.
»Es ist trotzdem ungewöhnlich, dass eine Spezies nicht in unserer planetarischen Datenbank verzeichnet ist. Man vermag sich dadurch nämlich auf die Bedürfnisse der Besucher einzustellen«, sagte BasTorNok. Er ließ sich durch das Winken mit lukrativen Handelsgeschäften nicht aus dem Konzept bringen.
»Ja, irgendjemand hat geschludert«, sagte Mark und fügte schnell noch hinzu: »Natürlich nicht die Meister. Sondern ihre Diener.«
»Ja, natürlich«, erwiderte BasTorNok. Mark wusste, dass es unmöglich war, den Gesichtsausdruck eines Außerirdischen zu dechiffrieren, aber er vermutete, dass die Antwort mehr eine Formalität als eine aufrichtige Verteidigung der Broa war.
Mark machte die einem Achselzucken entsprechende broanische Geste und sagte: »Die Zivilisation ist groß. Wir haben ehrlich gesagt auch in unserer eigenen Datenbank viele Punkte gefunden, die der Korrektur bedürfen. Wir haben zu diesem Zweck eigens einen Gelehrten mitgebracht.«
»Was habt Ihr entdeckt?«
»Zum Beispiel existierte Eure schöne Welt bloß als ein Symbol auf unserer Sternentornetzwerk-Karte, bis wir nach Gasak kamen. Dort haben wir dann von Euren landwirtschaftlichen Produkten gehört und sind hierher gekommen, um uns selbst ein Bild davon zu machen.«
»Euer Schiff in der Bahn ist nicht sehr groß. Ihr habt nicht nur eine lange Reise vor Euch, sondern Ihr vermögt auch nur eine begrenzte Menge an Fracht zu befördern. Wie wollt Ihr da einen Profit erzielen?«
»Wir erzielen auch keinen – jedenfalls nicht auf dieser Reise. Wir sind nur auf einem Erkundungsflug. Die New Hope ist mein privates Schiff. Wie Ihr seht, vermögen wir nur Proben der Güter zu transportieren, die wir auf dieser Reise finden. Wenn wir uns handelseinig werden, entsenden wir einen Massengutfrachter wie das Schiff, das gerade das Gasak-Tor verließ, als wir uns auf den Sprung hierher vorbereiteten. Meine Welt hat drei solcher Schiffe für eine so lange Reise zur Verfügung, und wir können auch noch mehr beschaffen, falls Eure Erzeugnisse wirklich von dieser erlesenen Güte sind, wie man uns gesagt hat.«
»Glaubt Ihr, dass dort eine große Nachfrage nach unseren Nahrungsmitteln besteht?«, fragte CanVisTal.
Mark zuckte wieder imaginär die Achseln. »Das wissen wir erst, wenn wir gesehen haben, was Ihr anzubieten habt. Ich kann Euch aber sagen, dass meine Leute gut für eine neue Delikatesse zahlen werden. Wir haben Spezialisten namens cordon bleu, die Virtuosen in der Zubereitung von Atzung vieler Welten sind. Und überhaupt gab es in unserer Geschichte – vor der Ankunft der Meister – Schiffe, die auf der Suche nach Gewürzen und seltenen Delikatessen um die ganze Welt gesegelt sind. Viele dieser Schiffe sind unterwegs verloren gegangen, doch diejenigen, die heil wieder zurückkehrten, haben ihre Besitzer reich gemacht.«
»Ja, so war das auch bei uns«, erwiderte CanVisTal. »Wie Ihr Euch vorstellen könnt, gibt es auf einer Welt wie der unseren ziemlich wenig Industrie. Die Herren haben uns eine andere Rolle zugedacht. Deshalb sind das die Güter, die wertvoll für uns sind. Was habt Ihr uns dafür zu bieten?«
»Viel. Wir führen vithianische Generatoren, gorthanische Verifikatoren und sogar ein paar Reformer von Laca. Außerdem haben wir Spezialitäten von Troja, für die Ihr Euch vielleicht auch interessiert.«
»Vith ist sehr weit von uns entfernt«, entgegnete BasTorNok. »Ich finde es erstaunlich, dass Ihr mit ihnen Handel treibt.«
»Unser Meister ist mit ihrem Meister verbunden. Wir hinterfragen seine Gründe nicht, weshalb er uns dorthin schickt. Wir befolgen nur seine Anweisungen.«
»Gewiss. Der Ratschluss der Meister ist unergründlich. Willkommen, Händler Markel Sinth. Wir freuen uns über Euren Besuch. Der Rest Eurer Besatzung kann nun auch von Bord gehen.«
»Ausgezeichnet«, erwiderte Mark. Er war froh, wenn die Formalitäten endlich erledigt wären und er ins Warme käme. Trotz der elektrischen Heizung spürte er den kalten Wind durch das Gewebe seines Anzugs.
Zwei Wochen später hingen Lisa Rykand die Besuche der Bauernhöfe und das Probieren außerirdischer Lebensmittel gründlich zum Hals heraus. Sie hatte sich bisher zwar keine Lebensmittelvergiftung eingefangen, aber das Zeug war nicht nach ihrem Geschmack. Außerdem war sie es leid, ständig zu frieren – trotz des Parkas, den sie über der gelben Springerkombi trug. Obwohl Pastols Schwerkraft niedriger war als die irdische, war der Luftdruck um siebzehn Prozent höher als auf der Erde – das Ergebnis eines geringeren Masseschwunds bei der Entstehung des Planeten Pasol. Das verlieh dem Wind eine Geschwindigkeit und Kraft, wie sie sie noch nicht erlebt hatte. Und er saugte die Körperwärme regelrecht ab.
Die Sinnhaftigkeit des Federkleids der Ranta erschloss sich ihnen gleich am ersten Tag, als sie eine der Farmen besichtigten. Verglichen mit dem Wind an diesem Tag wäre ein böiger irdischer Wind ein laues Lüftchen gewesen, obwohl die Einheimischen ihr versicherten, dass die Windstärke durchaus normal sei. Wo sie sich zum Schutz vor der Kälte einmummte, trugen ihre Reiseführer wenig mehr als das, was sie insgeheim als ›griechische Tunika‹ bezeichnete. Aber sie schienen sich pudelwohl zu fühlen. Und dann bemerkte sie, dass ihre Federn geplustert waren – und nicht nur vom Wind. Wie die Vögel zu Hause waren auch die Ranta imstande, die Isolierung des Körpers durch ein Aufplustern des Gefieders zu regulieren.
Die Ranta-Farmen, die sie besuchten, waren allesamt landwirtschaftliche Musterbetriebe. Die Feldarbeit vom Pflügen bis zur Ernte der vielfältigen Feldfrüchte war automatisiert. Das geerntete Getreide wurde in riesigen Silos gespeichert, die wahre Wolkenkratzer waren.
Anstatt ihnen die verschiedenen Produkte nur zu präsentieren und sie damit zu verköstigen, bestanden die Ranta darauf, ihnen auch die Herkunft der Erzeugnisse zu zeigen. Das hatte die Besichtigung zahlreicher Farmen zur Folge, von denen jede eine Art Freilichtmuseum für Besucher darstellte. Lisa bezweifelte jedoch, dass jede Farm auf Pastol so herausgeputzt war, und hegte vielmehr den begründeten Verdacht, dass es sich dabei um eine Marketingtaktik handelte. Ihre Sprachkenntnisse wurden nur dahingehend gefordert, die Erzeugnisse der Farmer über den grünen Klee zu loben, auch wenn das Zeug ihr vom Geschmack oder vom Geruch her überhaupt nicht zusagte.
Es gab ein Gewächs, das wie Heu aussah, aber wie Zimt roch und den Ranta als Futter für ein domestiziertes Tier diente, das wie eine Kuh auf sechs Beinen anmutete. Lisa probierte das Heu und erklärte dann, dass ihre Spezies nicht die richtigen Mikroorganismen im Verdauungstrakt beherbergte, um die Zellulose zu assimilieren. Ihr Reiseführer an diesem Tag hatte aus seiner Enttäuschung kein Hehl gemacht, aber auch sein Verständnis bekundet. Wie seine sechsbeinige Kuh war auch der Landmann ein Vegetarier.
Sie fragte ihn, weshalb er überhaupt Tiere züchtete, wenn er sie nicht verzehren wollte. Seine Erklärung ergab für sie wenig Sinn. Leider galt das auch für die meisten anderen Erklärungen, die sie von den Ranta bekam. Es hatte sich schon früh gezeigt, dass die beiden Spezies keinen gemeinsamen Nenner für viele Dinge hatten, über die sie sich zu verständigen versuchten.
In einer Hinsicht bestand jedoch Klarheit: Die Vorstellung, das Fleisch eines Tiers zu essen, erschien den Ranta völlig abwegig. Ihre Reaktion war mit der eines Menschen zu vergleichen, der auf Kannibalen stieß. Die Bodentruppe hatte das gleich schon am ersten Tag erkannt, als Essenszeit war und sie ein paar sich selbst erhitzende Rationen fürs Abendessen geöffnet hatten. Drei von diesen Rationen enthielten Fleisch. Als die Essensgerüche die ihnen zugeteilten Unterkünfte erfüllten, suchten ihre Betreuer mit der Begründung das Weite, dass ihnen bei dem Geruch übel wurde. Seitdem hatten sie sich überwiegend von kalten Rationen in Form von Früchten und Gemüse ernährt.
Je mehr Besichtigungstouren im Hinterland sie unternahmen, desto mehr Sorgen machte Lisa sich wegen ihrer Mission. Sie mussten mindestens ein Nahrungsmittel auf dieser Welt finden, von dem sie glaubhaft behaupten konnten, dass es eine kulinarische Sensation im fiktiven Troja wäre. Leider wussten die Ranta so gut über ihre Biochemie Bescheid, dass sie sich das hiesige Heu mit Zimtgeschmack nicht einfach in den Mund stopfen und ›mmmh, lecker‹ sagen konnten.
Schließlich besuchten sie eine Farm, die sich dem Anbau eines purpurroten kohlartigen Gewächses mit roten Beeren widmete. Das war nicht nur schmackhaft, sondern man hätte es in den besseren Restaurants der Erde durchaus auf die Speisekarte zu setzen vermocht, wenn sie denn ein echtes Interesse am interstellaren Importgeschäft gehabt hätten.
»Was ist das denn?«, fragte sie und hielt die rote Beere hoch, in die sie gerade gebissen hatte. Zu ihrer Überraschung hatte die Beere einen faszinierenden süß-sauren Geschmack.
Der Bauer, der an diesem Tag ihr Reiseführer war, sagte: »Wir nennen es vasa. Es ist der Spross dieser setei-Pflanze.«
»Wir nennen so etwas eine Frucht. Ich sehe aber keine Samen.«
»Was ist Samen?«, fragte der Bauer.
»Die Teile der Frucht, die den genetischen Code der Pflanze tragen. Der äußere Teil dient nur dazu, um Tiere anzulocken, die die Frucht dann fressen und die Samen mit ihren Exkrementen überall verbreiten.«
Die Erklärung schien den Bauersmann zu verwirren. »Die Pflanzen auf Eurer Welt locken wirklich Tiere an, damit sie von ihnen gefressen werden?«
»Sicher. Ist das auf Eurer Welt denn nicht auch so?«
»Nein. Der vasa trocknet mit der Zeit aus, und dann werden seine Sporen vom Winde verweht.«
»Wenn man vasa auspresst, erzeugt er dann eine rote Flüssigkeit mit demselben Geschmack?«
»Ja, obwohl ich nicht weiß, wieso man das tun sollte.«
»Wir haben einen Prozess, den wir Weinmachen nennen«, sagte sie, wobei sie notgedrungen das Standard-Wort benutzte. »Wenn man diese vasa-Beeren zerdrückt und die Flüssigkeit abfließen lässt, würde es sich wohl lohnen, sie zu unserer Heimatwelt zu transportieren, wo wir es mit einem Mehr-Wert verkaufen könnten.«
»Das scheint aber mit einem großen Aufwand verbunden«, erwiderte der Bauer.
»Vielleicht, aber es konzentriert die Essenz, die meine Spezies so schmackhaft findet. Ich muss mit dem Meister-Händler darüber sprechen.«
Und so geschah es, dass die Bodentruppe ins vasa-Wein-Geschäft einstieg; aber nicht, bevor die verblüfften Ranta zur Veranschaulichung des Prinzips den Saft für eine Flasche ausgedrückt hatten.
»Es wird uns aber teuer zu stehen kommen, die benötigten Maschinen zu bauen, um die Mengen von vasa auszupressen, die für den von Euch begehrten Saft erforderlich sind«, nörgelte CanVisTal.
Mark Rykand lächelte innerlich. Wenn es überhaupt eine universale Konstante gab, dann war es die Kunst des Feilschens. Die Vertragsverhandlungen hatten vor zwei Tagen begonnen und von Etnarii-Aufgang bis Etnarii-Untergang gedauert.
Zu seiner Überraschung fand Mark das Verhandeln spannend. Es war die Erregung der Jagd, die Verfolgung des schwer zu fassenden Tiers, das Essen auf den Familientisch bringen würde. Nicht einmal der Umstand, dass die ganze Verhandlung nur eine Farce war, tat seiner Begeisterung Abbruch. Um seine wahren Interessen zu verschleiern, hatte Mark so viel Zeit damit verbracht, seine außerirdische Ersatz-Handelsware anzupreisen und über den Fruchtsaft zu verhandeln. Als Entgelt für die Unterkunft und die technische Unterstützung hatte er CanVisTal bereits mit einem vithianischen Generator bedacht. Wie die Voldar’ik auf Klys’kra’t schienen auch sie dieses besondere Gerät am attraktivsten zu finden. Zu dumm, dass Sar-Says Schiff nicht noch mehr davon an Bord gehabt hatte.
»Ich bin sicher, dass Ihr den Preis der Maschinerie mit den Kosten für den Wein verrechnen werdet«, versuchte er den Einwand von CanVisTal zu entkräften. »Zumal das, was wir in diesen Behältern haben, im Grunde nur der Saft der vasa-Beere ist. Wir werden versuchen müssen, sie zu richtigem Wein zu vergären. Wir werden auf der Heimreise auch eine Destillation versuchen, um einen hochprozentigen Schnaps zu brennen.«
»Destillation? Ich kenne das Wort, aber ich verstehe den Zusammenhang in Bezug auf vasa nicht.«
»Es ist eine Methode, den Saft zu konzentrieren und ihm eine stimulierende Wirkung auf meine Spezies zu verleihen. Während sich der Saft auf Troja gut verkaufen wird, wenn er in konzentrierter Form unseren anderen Weinen entspricht, werden meine Leute viel mehr dafür zahlen. Und Ihr werdet auch einen höheren Mehr-Wert damit erzielen. Es wäre also plausibel, den vasa-Saft an Ort und Stelle zu destillieren, anstatt ihn erst nach Troja zu schaffen und dort zu konzentrieren.«
»Alles, womit ein Mehr-Wert realisiert wird, soll umgesetzt werden«, erwiderte CanVisTal.
»Ja. Unsere Meister werden es zufrieden sein«, stimmte Mark ihm zu.
All diese Gespräche über Verarbeitung, Auspressen, Abfüllen und Destillieren des vasa-Safts dienten indes nur der Tarnung des eigentlichen Auftrags der Expedition, nämlich der Beschaffung einer planetarischen Datenbank und der entsprechenden Karten des Sternentor-Netzwerks. Und nun hob sich der Vorhang für den letzten Akt dieses Schmierentheaters. Mark mimte den Überraschten, als Seiichi Takamatsu hereinplatzte und die Verhandlung unterbrach.
»Was kann ich für Euch tun, Gelehrter?«, fragte er ungnädig. Für diese Nuance hatte der Außerirdische zwar keine Antenne, aber er musste trotzdem eine einheitliche Linie ihm gegenüber verfolgen.
»Ich muss mit Euch sprechen, Händler«, sagte Takamatsu gemäß seiner Rolle.
»Seht Ihr denn nicht, dass wir uns mitten in den Verhandlungen befinden?«
»Verzeihung, aber das kann nicht warten.«
»Was kann nicht warten?«
»Die Aufgabe, mit der Ihr mich betraut habt, Händler, ist undurchführbar. Ich brauche uneingeschränkten Zugang zur Datenbank von Pasol, wenn ich unsere eigenen Daten aktualisieren soll.«
Mark schüttelte heftig den Kopf. »Der Zugang, den wir Euch gekauft haben, war doch schon teurer als geplant. Wäre es möglich, bis zum nächsten Sternsystem zu warten, um dort Eure Arbeit zu vollenden?«
»Bei unserem nächsten Halt wird es wahrscheinlich auch nicht billiger werden. Zumal ich auch schon mit den Such-Routinen für die Pastol-Daten vertraut bin. In ein anderes System würde ich mich erst wieder einarbeiten müssen.«
CanVisTal hörte diesem Parallelgespräch teilnahmslos zu, das aus Höflichkeit ihm gegenüber im Handels-Jargon stattfand. Als sich die Fronten zwischen den beiden Trojanern scheinbar verhärtet hatten, fragte er mit der Geste der Ehrerbietung: »Was ist das Problem? Könnte ich vielleicht bei seiner Lösung behilflich sein?«
Mark wandte sich dem Ranta mit einem Blick der Entrüstung zu. »Wir sind ein Handelsplanet, und wir haben Spezialisten für die Sitten und Gebräuche anderer Spezies, damit wir besser auf ihre Bedürfnisse eingehen können.«
»Das ist klug«, erwiderte CanVisTal.
»Gelehrter Tama hier erlernt diese Kunst gerade«, sagte er. »Aus diesem Grund nimmt er auch an dieser Reise teil. Wenn er nach Hause zurückkehrt, wird man ihn in die Gilde der Gelehrten aufnehmen, und er darf seinen Beruf ausüben.
Wir haben ihm aufgegeben, gewisse Dinge in Eurer planetarischen Datenbank zu recherchieren, die in unserer anscheinend fehlen. Er soll die Lücken schließen und die Dringlichkeit einer Aktualisierung beurteilen.«
»Wir könnten ihm erweiterten Zugang gewähren«, sagte der Handelsattachée der Ranta.
»Dafür reicht die Zeit nicht mehr. Wo wir nun Euren süffigen vasa-Saft entdeckt haben, müssen wir die nächste Welt auf unserer Liste aufsuchen, um die Reise möglichst schnell zu beenden und nach Hause zurückzukehren. Je eher wir dies unserem Meister zum Vortrag bringen, desto früher werden wir zurückkehren, damit Ihr den Abfüllbetrieb im großen Stil aufziehen könnt.«
»Ich verstehe.«
»Gemäß dem aktuellen Plan wollen wir aufbrechen, sobald Ihr unsere erste Bestellung ausgeführt habt.«
»Das wird noch drei Tage dauern, wie ich Euch schon gesagt habe. Die Ausrüstung, die für das Auspressen des Safts erforderlich ist, wird gerade modifiziert.«
»Ich entsinne mich«, erwiderte Mark. »Also bleibt dem Gelehrten zu wenig Zeit, um seine Arbeit zu vollenden.«
»Wieso erwerben wir nicht einfach eine Kopie ihrer Datenbank?«, fragte der Gelehrte aufs Stichwort. »Ich könnte dann während der Heimreise damit arbeiten, ohne Euren verdammten Zeitplan zu verzögern!«
»WAS?«, schrie Mark, um dem Außerirdischen seine Entrüstung zu demonstrieren. »Habt Ihr überhaupt eine Vorstellung, wie viel das kosten würde?«
Die beiden schauten sich finster an, bis Can Vis Tal sich einschaltete. »Verstehe ich das richtig, dass der Gelehrte gern unsere planetarische Datenbank kopieren und sie in seiner Freizeit studieren möchte?«
»Das kommt überhaupt nicht infrage«, sagte Mark stur.
»Vielleicht wären die Kosten gar nicht so hoch, wie Ihr glaubt«, sagte der Handelsattachée der Ranta. »Weil wir zusammen im vasa-Weinmachen-Geschäft sind, wird es mir vielleicht gelingen, mit unserem Bewahrer der Daten zu sprechen und einen Sonderpreis auszuhandeln … sagen wir drei Teile aus zwölf weniger als Entgelt für die Daten im Gegenzug für eine Erhöhung des Preises um einen Teil aus zwölf, den Ihr für vasa bezahlt.«
Die Sache war praktisch schon gebongt. Mark zierte sich noch ein wenig und sagte dann widerstrebend: »Es würde uns helfen, unsere Datenbank zu aktualisieren, die so lückenhaft und löchrig ist wie ein Käse. Wir bräuchten ja nur die öffentlich zugänglichen Dateien. Ich sehe nicht ein, weshalb ich auch noch für die Aufstellung Eurer jährlichen Getreideernten und andere nutzlose Daten zahlen sollte.«
»Natürlich«, sagte Can Vis Tal. »Es wird sich aber vielleicht schwieriger gestalten, die nicht benötigten Daten zu extrahieren, als Daten einzupflegen. Dieser Aufwand muss beim Preis auch berücksichtigt werden.«
»Sehr gut«, sagte Mark. »Erstellt bitte einen Kostenvoranschlag, und ich werde dann eine Entscheidung treffen, bevor wir abreisen. Gelehrter, diesmal lasse ich Euch das noch durchgehen, aber tretet nie wieder mit einem solchen Ansinnen an mich heran.«
»Ich werde den Bewahrer der Daten noch heute Abend nach dem Preis fragen und ihn Euch morgen mitteilen.«
»Das ist akzeptabel«, erwiderte Mark unwirsch, während das Herz ihm bis zum Hals schlug. Hoffentlich ließen die Ranta ihn jetzt nicht von einem Bio-Sensor überwachen; sonst würden sie sich vielleicht fragen, weshalb er plötzlich wieder so aufgeregt war wie beim Feilschen über den Preis des roten Beerensafts.