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Eine steife Brise wehte vom nahen azurblauen Meer ins Büro hoch über der größten Stadt auf der Hauptwelt des Salefar-Sektors. Das Büro befand sich in der Zinne eines goldenen Turms, der keinen Namen trug. Aber er brauchte auch keinen, denn selbst das kleinste Junge der einheimischen Spezies des Planeten wusste, wer in dem Turm residierte und welche Macht er über ihr alltägliches Leben ausübte. Der Name der Stadt in der Sprache der Autochthonen war für den Bewohner des Turm-Büros unaussprechlich. Er nannte sie deshalb einfach ›Kapitale‹. Und sie war auch nur eine von vielen Städten in der Galaxis, die diese Bezeichnung trug. Der Name des Planeten war Sssassalat; ein Wort, das willkürlich ausgewählt worden war, ohne dabei zu berücksichtigen, dass der Stimmapparat der Eingeborenen Schwierigkeiten hatte, Silben zu artikulieren.

Der Wind trug eine Vielzahl fremdartiger Gerüche heran, die alle vom guten Geruchssinn des kleinen Wesens aufgefangen wurden. Es hockte auf dem Sitzgestell hinter dem reich verzierten Schreibtisch aus teurem Schwarzgold-Holz, das nur auf der Heimatwelt zu finden war. In die glänzende Tischplatte waren die Instrumente eingebettet, mit denen der Bewohner des Turms mit seinen vielen Untergebenen zu kommunizieren pflegte. Ein paar Zusatzmonitore waren momentan erleuchtet. Doch er schenkte ihnen keine Aufmerksamkeit.

In den letzten paar demi-Perioden hatte er die Kapriolen eines bunten Vark beobachtet, der in der Thermik im Windschatten des goldenen Turms segelte. Der Vark wusste nicht, dass er weit von den Klüften und Gipfeln seiner gebirgigen Jagdgründe entfernt war. Seine Aufmerksamkeit galt vielmehr einem vierflügeligen Mardak, den er sich als Mittagsmahlzeit auserkoren hatte. Während der Jäger der Lüfte mikrometerpräzise Einstellungen der Flügelgeometrie vornahm, um die launische Thermik optimal auszunutzen, fixierte der lange schlangenartige Hals den Kopf auf der Suche nach der Beute. Und dann faltete der Vark abrupt die Hautschwingen und verschwand im Sturzflug aus dem Blickfeld des Beobachters.

Beim Anblick dieses Manövers überkam den Bewohner des Turms für einen Moment eine sentimentale Anwandlung. Die einzigen Probleme des Vark bestanden darin, jeden Tag etwas in den Bauch zu bekommen und in der Paarungszeit der Rivalen sich zu erwehren, die ihm seinen Harem abspenstig machen wollten. Für jemanden, auf dessen Schultern die Verantwortung für einen ganzen Sternsektor lastete, besaß ein so ursprüngliches Leben eine geradezu atavistische Anziehungskraft.

Ssor-Fel war kein Geschöpf mit großer Statur. Auf die meisten intelligenten Spezies hätte seine kleine Gestalt keinen Eindruck gemacht – wären er und seine Artgenossen nicht die unangefochtenen Herrscher des bekannten Universums gewesen. Er war ein Zweibeiner, wie die meisten intelligenten Wesen. Bei den seltenen Gelegenheiten, wo er aufrecht stand, maß er kaum anderthalb Meter. Seine Vorfahren hatten auf Bäumen gelebt – falls die aus Stiel-Bündeln bestehenden rankenartigen Gewächse der Heimatwelt überhaupt als Bäume bezeichnet werden konnten. Seine Arme waren lang und für eine Umklammerung ausgelegt; er schwang sich damit von Ranke zu Ast und hielt in der Paarungszeit den Körper in der Schwebe, während er das uralte Ballett der Geschlechter vollführte. Auf festem Untergrund bewegte er sich in einem alternierenden Gang, wobei er das Körpergewicht erst auf der geballten sechsfingrigen Faust abstützte und dann den Unterkörper nachzog, bis er auf den Klumpfüßen am Ende der kurzen Beine zu stehen kam.

Sein Fell war braun und hatte ein komplexes Muster aus schmalen schwarzen Streifen, die im Genick zusammenliefen. Um die gelben Augen verliefen die weißen Striche, die eine Entsprechung irdischer Jahresringe waren. Die weißen Striche verdichteten sich dann zu einer gleichfarbigen Fläche um die beiden paddelförmigen Ohren, die im rechten Winkel aus dem Kopf wuchsen. Von den vier Atemlöchern an jeder Seite der Schnauze gingen ebenfalls weiße Linien aus. Unter diesen Nüstern zeigte der offene Mund die Zähne eines Allesfressers und eine lange Zunge mit einem gesunden rosigen Schimmer.

Nachdem er schon zu viel Zeit damit verloren hatte, die Leistungsschau der örtlichen Fauna zu betrachten, rief Ssor-Fel sich stumm zur Ordnung und widmete sich wieder den anstehenden Aufgaben. Wie immer gab es zu viel zu tun und zu wenige Angehörige seiner Spezies, die in der Lage gewesen wären, diese Arbeit zu verrichten. Wenn er schlecht gelaunt war, beschwerte er sich oft über diesen unhaltbaren Zustand. Es war, als ob dieselbe kosmische Instanz, die seiner Rasse die Herrschaft über eine riesige Anzahl von Sternen eingeräumt hatte, ihr gleichzeitig ein Handikap auferlegt hätte, indem sie die Zahl der hierfür geeigneten Administratoren begrenzte.

Seine Spezies war weniger fruchtbar als die meisten intelligenten Rassen. Das war die Folge langer Dürren, die die Heimatwelt einst heimgesucht und sein Volk gezwungen hatten, ausgeklügelte Bewässerungssysteme zu entwickeln. Obwohl diese historischen Dürren längst kein Problem mehr darstellten, waren sie noch immer in seinen Genen manifest. Weil die Vorräte an purpurnen Früchten, die einst das Hauptnahrungsmittel darstellten, begrenzt waren, hatte man den Nachwuchs für jedes Paarungs-Paar pro Zwölfer-Zyklus auf ein oder zwei Junge beschränkt.

Mit der Erfindung der Landwirtschaft und der Entdeckung, dass auch Insektivoide ganz gut schmeckten, war diese Notwendigkeit genauso obsolet geworden wie die Riesenkrebse, die einst die goldenen Ebenen durchstreift hatten. Dennoch blieb die Geburtenrate anhaltend niedrig, weil die Erinnerung an die Dürre in die Lebens-Matrix der Rasse eingeprägt worden war.

Trotz ihrer geringen Anzahl hatte seine Spezies sich langsam zu einer dynamischen Zivilisation gemausert und erst eine Welt in Besitz genommen, dann ein Sternsystem und schließlich die angrenzenden Sternsysteme. Denn die größte Erfindung der Rasse war die Entdeckung und Nutzbarmachung jener präzise modulierten Kräfte, die Pfade zu den Sternen eröffnen.

Es war diese Technologie, die es der – wenn auch zahlenmäßig kleinen – Rasse erlaubt hatte, jedes bekannte bewohnte Sternsystem zu erobern. Jedoch war die Eroberung noch nicht abgeschlossen. Ssor-Fels Aufgaben bestanden zu einem großen Teil darin, intelligente Spezies aufzuspüren, die sie noch nicht unter ihre Kontrolle gebracht hatten, und diese Nachlässigkeit umgehend zu beheben.

Also hatte eine Rasse, die sich nicht durch überlegene körperliche Merkmale auszeichnete, die Kontrolle über eine ganze Galaxis übernommen und allen anderen Bewohnern ihren Willen aufgezwungen. So hatten Ssor-Fels Vorfahren ihr sternenumspannendes Reich errichtet, und sie waren auch darauf erpicht, es zu bewahren.


Der Jagd-Meister des Salefar-Sektors schüttelte sich und zwang sich zur Konzentration aufs Tagesgeschäft. Er wurde sich bewusst, worum es sich bei seiner Ranken-Fantasie wirklich handelte: um den Versuch, konsequente Lösungen für reale Probleme zu vermeiden. Wo seine ehrwürdigen Vorfahren ihm und seinen Artgenossen die Herrschaft über alle anderen intelligenten Wesen vermacht hatten, würden sie es dieser Generation gewiss übel nehmen, wenn sie weniger als ihr Bestes gaben, um das Erbe an zukünftige Generationen weiterzugeben. Es wäre leichter gewesen, sagte er sich, wenn die Verwaltung eines galaktischen Reichs nicht mit so vielen banalen Details behaftet gewesen wäre!

Er musste beispielsweise nur einen Blick auf den Bericht werfen, der auf dem Hauptmonitor abgebildet wurde. Auf den ersten Blick schien es sich um einen Routinevorgang zu handeln. Eine Diener-Rasse, die Voldar’ik, beschwerte sich über eine Schiffsladung Fremder, die sie beim Abflug um die Hafengebühren geprellt hatten, und wandte sich nun mit der Bitte an den Meister des Sub-Sektors, eine Strafe gegen den Planeten der betrügerischen Händler zu verhängen.

Ssor-Fel spitzte die beweglichen Ohren und fragte sich, wieso ein solch trivialer Bericht überhaupt auf seinem Schreibtisch landete. Kommerzielle Streitigkeiten zwischen unterworfenen Spezies waren kein Fall für ihn. Als er die Punkt-und-Schnörkel-Schrift auf dem Bildschirm überflog, entdeckte er jedoch etwas, das seine Neugierde weckte.

Er rief seinen Assistenten.

Die Bürotür fuhr zurück, und der Assistent trat ein. Dal-Vas war ein junges Männchen mit einer vorbildlichen Arbeitsmoral. Eines Tages würde er einen hervorragenden Administrator abgeben. Er hegte vielleicht sogar Ambitionen auf Ssor-Fels Position. Es hätte ihm auch nicht ähnlich gesehen, wenn er diesen Posten nicht angestrebt hätte!

»Dieser Bericht über den kommerziellen Streit zwischen den Voldar’ik und diesen … Vulkaniern«, sagte er, wobei er das unbekannte Wort sorgfältig artikulierte. »Hast du ihn schon gelesen?«

»Jawohl, Sektor-Meister.«

»Dann klär mich auf.«

»Wie daraus hervorgeht, ist ein Handelsschiff in den Orbit um Klys’kra’t gegangen und hat einen Tauschhandel vorgeschlagen. Die Wesen an Bord haben ihre Heimatwelt als Shangri-La bezeichnet, in einer Entfernung von ungefähr 12 Sprüngen. Sie hätten sich auf einer ausgedehnten Handelsreise befunden. Anscheinend hatten sie kürzlich Vith besucht, denn sie hatten eine aus vithianischen Gütern bestehende Fracht an Bord: Generatoren, Ausrüstung und Delikatessen für den Luxusgüter-Markt.

Diese vulkanischen Händler haben ihren Gastgebern erst Muster ihrer Handelsware überreicht, und im Folgenden kam es zu einer Auseinandersetzung. Schließlich sind die Händler ohne eine Erklärung und ohne die Hafengebühren zu bezahlen abgeflogen. Die Voldar’ik haben daraufhin die zurückgelassenen Gepäckstücke und Warenmuster konfisziert und einen Erstattungsantrag beim Rudel-Meister Daz-Ven auf Nesantor gestellt.«

»Und weshalb ist das von Bedeutung?«

»Weil Daz-Ven die Vulkanier nicht in der Datenbank der Zivilisation zu lokalisieren vermochte. Bestimmungsgemäß hat er den Antrag der Voldar’ik dann an uns weitergeleitet.«

»Solche Suchen bleiben oft ergebnislos«, erwiderte der Sektor-Meister. »Obwohl wir uns nach Kräften bemühen, die Spezies-Identifikation zu standardisieren, weichen die Diener oft von der ordnungsgemäßen Form ab. Vielleicht ist ›Vulkanier‹ auch der Name des wichtigsten Stamms oder Clans auf ihrer Welt.«

»Das hat der Rudel-Meister auch geglaubt. Er hat die vollständigen Aufzeichnungen angefordert, einschließlich der biometrischen Daten. Und dann hat er sie nach dem Genotyp der Vulkanier durchsucht. Doch auch in diesem Fall war eine eindeutige Identifikation nicht möglich.«

»Glaubst du, Daz-Ven hat bei der Aktualisierung der Datenbank geschlampt?«

»Auf diesen Dreiständer-Welten ist alles möglich«, erwiderte Dal-Vas. »Allerdings ist unsere Datenbank vor nicht einmal tausend Perioden aktualisiert worden, und ich habe diese Vulkanier auch nicht zu identifizieren vermocht.«

An dieser Stelle war der Sektor-Meister hellhörig geworden. Es war durchaus möglich, dass die Datenbank eines Subsektor-Hauptquartiers um ein paar Zyklen veraltet war. Die Zivilisation war so groß und komplex, dass man oft hinterherhinkte. Eine Sektor-Kapitale verfügte jedoch über Personal in Divisionsstärke, das nur damit befasst war, die Computer möglichst schnell und umfassend zu aktualisieren. Es war praktisch unmöglich, dass der Genotyp der Vulkanier auch in Ssor-Fels Aufzeichnungen fehlte – und doch schien genau das der Fall zu sein.

»Wie sehen diese Wesen überhaupt aus?«

»Es handelt sich um Zweibeiner mit orangefarbener Haut und einem blauen Pelz auf dem Schädel. Sie haben fünf Finger an jeder Hand und sonst keine besonderen Merkmale. Die Anordnung der inneren Organe entspricht mehr oder weniger der unseren. Sie haben sich offensichtlich auf einer Heimatwelt entwickelt, die einen gelben Stern umkreist; sie atmen Sauerstoff und haben vielleicht einmal auf Bäumen gelebt.«

»Und trotzdem können wir sie nicht identifizieren?«

»Nein, Sektor-Meister. Da gibt es nämlich noch etwas, eine Nachricht, die ich soeben von Daz-Ven erhalten habe. Ich wollte gerade einen schriftlichen Bericht erstellen, als Ihr mich gerufen habt.«

»Rede schon.«

»Zusammen mit den geometrischen Daten haben die Voldar’ik auch ein paar Warenmuster der Vulkanier an Daz-Ven weitergeleitet. Sie sagten sich, dass er vielleicht in der Lage sei, Spuren organischer Sekrete der Vulkanier an den Oberflächen zu finden, um ihre Identifizierung zu erleichtern. Er hat auch Sekrete gefunden, allerdings nicht von diesen mysteriösen Händlern.«

»Von wem dann?«

»Einer der vithianischen Generatoren scheint mit einem Gefahren-Pheromon benetzt worden zu sein!«

Ssor-Fel blinzelte. Als die Rasse noch auf Bäumen lebte, warnten Angehörige eines Rudels sich gegenseitig vor Gefahren, indem sie einen starken Duftstoff aus Drüsen im Unterleib absonderten. Dieses Signal gab es nur bei der Rasse und ermöglichte ihnen eine eindeutige Identifikation und Erkennung. Ein mit Pheromonen benetzter Generator wäre den Voldar’ik deshalb auch nicht aufgefallen. Doch Daz-Ven musste sich in dem Moment, als er die Einheit aus der Vakuumverpackung nahm, der Pelz gesträubt haben.

»Die Konzentration war recht hoch«, fuhr Dal-Vas fort. »Und die Kontaminierung war vorsätzlich. Es muss sich um eine Warnung oder vielleicht auch einen Hilferuf handeln.«

»Und hat Daz-Ven die genetische Signatur analysiert?«

»Das hat er. Er hat die genetischen Marker isoliert, und es ist ihm eine eindeutige Identifizierung gelungen.«

»Und wer ist identifiziert worden?«

»Ein Angehöriger des Sar-Dva-Clans mit Namen Sar-Say.«