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Die sanft gewellten Ebenen und Wälder von Ssasfal, der Ursprungswelt der Broa, zogen schier endlos unter dem Luftauto vorbei. Es war nach Valar unterwegs, der alten Kapitale dieser Welt wie auch der gesamten Zivilisation. Über ihm sandte Faalta, die gelb-weiße Sonne, ihre Strahlen von einem purpurroten Himmel herab. Die gestrigen Wolken hatten sich aufgelöst, und man vermochte nun – weit rechts von der Flugroute des Luftautos – den Widerschein der Sonne auf den weißen Stränden des Großen Meeres zu sehen. Die goldene und rote Vegetation mit ihren komplexen geometrischen Formen waren Farbtupfer in der gelben Weite der Ebene, die sich von der Kapitale gen Osten erstreckte. Diese Formen hatten Generationen von Gärtnern im Auftrag der Meister geschaffen, über deren Domänen Sar-Ganth nun hinwegflog.
Eingestreut in die Vegetation waren Seen und Flüsse, ebenfalls nach dem Geschmack Derjenigen Die Herrschen geformt. So alt war die Zivilisation, die über Ssasfal herrschte, dass kaum ein Quadrat-fel der planetarischen Oberfläche noch im Naturzustand belassen war. Wie überall in der Zivilisation formten die Meister ihre Domänen nach ihrem individuellen Geschmack und ließen sich dabei weder von Bergen, Wäldern oder Wüsten beirren.
Sar-Ganth, Primat des Sar-Dva-Clans, schaute auf die Szene hinab und sagte sich, dass es schon einen enormen Aufwand erfordert haben musste, nur diese eine Welt zu zähmen. Und wenn man diese Anstrengung dann noch mit ein paar Größenordnungen multiplizierte, bekam man eine vage Vorstellung von den Problemen, die mit der Verwaltung einer Galaxien umspannenden Zivilisation verbunden waren. Diese Schwierigkeiten mussten durch Sar-Ganth und seine Artgenossen gelöst werden. Seine Ahnen hatten ihm eine große Last aufgebürdet, die er freilich gerne trug. Denn war es nicht das Schicksal der Broa, jede Welt nach ihren Vorstellungen zu formen, wie sie es schon mit Ssasfal getan hatten? Weshalb sonst hätte man ihnen die Herrschaft über so viele Sterne, die am Nachthimmel zu sehen waren, eingeräumt und über unzählige andere, die zu weit entfernt waren, um gesehen zu werden?
Das war nicht so immer gewesen. Es gab Legenden aus den uralten Zeiten, als die Sternentore noch neu waren. Die Legenden kündeten von Feuer, das vom Himmel regnete und ganze Welten in eine radioaktive Hölle verwandelte. Der Ersatz derjenigen, die bei solchen Angriffen getötet worden waren, hatte sich über Generationen hingezogen, und man hatte auch eine Lehre daraus gezogen. Diese brutalen Erfahrungen hatten ihnen nämlich gezeigt, dass es nur zwei Arten denkender Wesen im Universum geben konnte: Herren und Diener.
Das führte zu einer Lösung, die theoretisch einfach, praktisch aber äußerst schwierig war. Bewohnte Welten, die man außerhalb der Grenzen der Zivilisation entdeckte, wurden ins broanische Territorium eingegliedert, ob die Betroffenen das nun wünschten oder nicht. Oft ging die Integration schnell und mit einem angemessenen materiellen Einsatz vonstatten. Gelegentlich widersetzten die Ureinwohner sich jedoch. Ein solcher Starrsinn hatte zur Folge, dass die Renegaten zunächst einmal stark dezimiert wurden, bevor sie sich dann doch ins Unvermeidliche fügten. Schließlich gab es noch die seltenen Fälle, wo die Unterwerfung einer Art schlicht und einfach zu teuer gewesen wäre. Die einzige lebensfähige Option für solche Fälle war die totale Vernichtung.
Langsam, im Lauf von Jahrtausenden, hatte die Rasse allen anderen Strukturen innerhalb ihrer Reichweite ihren Willen aufgezwungen und die Sternentore sowohl als Waffe als auch als Belohnung eingesetzt. Ssasfal – und sein Volk – war durch die Arbeit und Ressourcen anderer reich geworden. Sie waren sogar so reich geworden, dass sie nun bei allen außer den wichtigsten Arbeiten von Dienern abhängig waren.
Und in dem Maß, wie ihr Reich gewachsen war, war auch die Bevölkerung von Ssasfal gewachsen. Jedoch nicht an Meistern, deren Zahl sich nur langsam erhöhte, sondern an ihren Dienern und Hilfskräften. Die letzte Volkszählung hatte achtmal so viele Diener wie Meister auf der Heimatwelt ergeben. Dieser hohe Personalstand ermöglichte den Meistern ein bequemes Dasein, was in Sar-Ganths Augen jedoch ein zweischneidiges Schwert war.
Die jüngeren Broa tendierten nämlich immer mehr dazu, sich dem durch Pflicht geprägten Leben zu verweigern, dem Sar-Ganth’s Generation sich verschrieben hatte. Er hatte nichts als Verachtung für diese jungen Drohnen übrig. Sie verbrachten ihre Tage damit, in der Sonne zu liegen, und die Nächte mit endlosen Partys, Feiern – und Poppen, wenn die Weibchen rollig waren.
Natürlich entband die große Anzahl von Bediensteten auf der Heimatwelt die Meister von der Notwendigkeit, niedere Arbeiten zu verrichten. Die überließ man lieber den unbegrenzt verfügbaren Händen, Klauen und Tentakeln. Die Befreiung von profanen Aufgaben bedingte jedoch noch größere Pflichten. Es gab ohnehin schon zu wenig Meister, und die Müßiggänger bürdeten Sar-Ganth noch zusätzliche Arbeit auf.
Die Macht, die Sar-Ganth ausübte, hätte das Vorstellungsvermögen seiner Urahnen weit überstiegen. Er vermochte mit einem Wort ganze Welten zu zerstören, obwohl so etwas eine verbrecherische Vergeudung von Ressourcen gewesen wäre. Indes war auch seine Macht nicht grenzenlos. Es gab nur eine bestimmte Anzahl von Perioden an einem Tag oder Zyklen in einer Lebenszeit. Man musste deshalb mit seinen Kräften haushalten, damit sie nicht versagten, ehe die Aufgabe erledigt war.
Deshalb flog er an diesem Morgen auch nach Valar.
Sein Assistent, ein Transianer namens Fos, hatte sich sehr geheimnisvoll am Televisor geäußert und ihm nur zu verstehen gegeben, dass seine Anwesenheit erforderlich sei. Dass seine Kommunikation nicht sicher war, war ein ›Credo‹ von Sar-Ganth. Die wenigsten Kommunikationskanäle waren sicher.
»Wie lange noch?«, fragte Sar-Ganth, als ein azurblauer See unter dem Luftauto vorbeizog. Als sie dann in eine weite Rechtskurve gingen, wurde Sonnenlicht gen Himmel reflektiert und überzog die Oberfläche des Sees mit goldenem Feuer.
»Wir werden in acht Takten da sein«, ertönte die Antwort seines danianischen Piloten. Die gefiederten Bewohner von Dania hatten die schärfsten Augen und besten Reflexe aller Sar-Ganth bekannten Spezies. Deshalb wurden sie als Piloten sehr geschätzt.
Die Stadt Valar erschien zu dem Zeitpunkt, den der Pilot ihm prognostiziert hatte. Die Kapitale war vor mehr als zwölf Brutto-Zyklen als Siedlung mit einer Stadtmauer gegründet worden. Die Mauern hatten die Einwohner vor den wilden Clans geschützt, die die Nordebene durchstreiften und von denen einer der Vorgänger des heutigen Sar-Dva-Clans gewesen war. Die alte Mauer war noch erhalten und erst im letzten Jahrhundert restauriert worden. Auch wenn sie keinen Nutzwert mehr hatte, hielt sie die Erinnerung wach, welchen langen Weg sie zurückgelegt hatten, seit eine längst vergessene wissenschaftliche Forschungsgruppe das Sternentor entwickelte.
Es kursierten auch Gerüchte, dass die Tore nicht die einzige Art der Sternenreise seien, die die alten Broa erfunden hätten. Ein paar Legenden kündeten von Schiffen, die sich genauso leicht zwischen den Sternen zu bewegen vermochten wie ihre seefahrenden Pendants zwischen den Häfen.
Sar-Ganth wusste nicht, ob er den Legenden Glauben schenken sollte. Falls sie stimmten, war ein Führer unter seinen Vorfahren so klug gewesen, ein solches Wissen zu unterdrücken. Denn die gegenwärtige Gesellschaftsordnung beruhte auf der Kontrolle der Tore. Jede Methode, die so anarchisch war, dass der Kapitän eines Schiffs einfach fliegen konnte, wohin er wollte, würde diese Ordnung zerstören. Das hätte gerade noch gefehlt, dass zwei Diener-Welten miteinander Handel trieben, ohne dass ihre Meister davon wussten!
Umgeben wurde die Altstadt von einer andersartigen Mauer. Auf einer Länge von einem ganzen fel wurden die alten Wälle von einem Ring hoher Türme überragt. Diese waren in vielen verschiedenen Stilen erbaut, die den individuellen Geschmack der Clans widerspiegelten, die sie errichtet hatten. Es gab Glas- und Stahlkonstruktionen, Türme, wo antikes Holz oder Stein eine Synthese mit modernen Stützskeletten aus Eisen oder Titan eingegangen und Türme aus alten Ziegelsteinen, die in traditioneller Bauweise errichtet worden waren. Der Innere Ring, wo der Broa residierte, war das eigentliche Machtzentrum. Er war die Basis, von wo aus Sar-Ganth und seine Artgenossen die Interessen ihrer Clans vertraten. Die Altstadt innerhalb der Mauern war feierlichen Anlässen und Besprechungen mit Denjenigen Die Herrschen vorbehalten.
Um den Ring aus Türmen zog sich eine zweite konzentrische Mauer, die halb so hoch war wie die alten Festungsanlagen. Dahinter lag ein parkähnliches Gelände mit roter und goldener Vegetation, das als ästhetische und zugleich psychologische Barriere für das diente, was sich jenseits des Parks befand.
Der letzte konzentrische Ring von Valar war ein Ensemble flacher, dicht gepackter Strukturen, die nur durch gewundene Fußwege und ein paar richtige Straßen aufgelockert wurden. Falls jemals ein Plan für diesen äußeren Ring existiert hatte, war er durch die chaotische Dynamik der Stadtentwicklung längst hinfällig geworden.
Die Gebäude im Äußeren Ring wiesen eine ebensolche stilistische Vielfalt auf wie die Türme des Inneren Rings. Es dominierte eine Waben-Bauweise, ein architektonisches Thema mit zwölf Variationen. In diesem breiten Außengürtel befanden sich die Quartiere der Arbeiter von Valar – es war der Teil der Stadt, wo die Diener lebten. Niemand wusste, wie viele es überhaupt waren oder aus wie vielen Sternsystemen sie stammten. Eins stand jedoch fest: Jedes Wesen, das in diesem großen Slum hauste, war der Diener eines broanischen Herrn.
Sar-Ganth nahm kaum Notiz von den Behausungen der Arbeiter, als sein Luftauto darüber hinwegflog. Während das Auto wie ein auf seine Beute hinabstoßender avtar zur Landung ansetzte, war sein Blick auf den Sar-Dva-Turm gerichtet. Im letzten Moment brachte der Pilot das Auto zum Schweben und senkte es dann auf eine große Landefläche hoch oben auf dem golden-silbernen Gebäude hinab. Die Motoren waren kaum verstummt, als die Tür in die Außenhaut glitt und Sar-Ganth in die frische Morgenluft hinaustrat. Er sog kurz die Gerüche der Stadt ein, bevor er durch einen Gravo-Schacht ins Herz des Gebäudes fiel.
Fos wartete bereits auf ihn, als er im Büro erschien. Das ebenholzfarbene Exoskelett des Transianers war auf Hochglanz poliert. Die in einem komplexen Muster eingelegten funkelnden Diamanten und bunten Edelsteine wiesen ihren Besitzer als Angehörigen einer hohen Kaste aus. Sar-Ganth hatte Fos einmal nach der Bedeutung dieser Dekoration gefragt, die Antwort aber längst wieder vergessen. Der Körperschmuck eines Dieners, auch eines so nützlichen wie Fos, war nicht von Belang für einen Broa. Er musste sich mit wichtigeren Dingen beschäftigen.
Es genügte, dass Fos ihm gegenüber loyal war. Das war die Stärke der Transianer, ein Ergebnis ihrer sozialen Rudelstruktur. Jedes Mitglied des Rudels war seinem Führer gegenüber loyal, und wenn dieser Anführer zufällig einer anderen Spezies angehörte, schien der angeborene Instinkt trotzdem zu funktionieren.
Sar-Ganth ging auf Knöcheln zu seiner Arbeitsstation und erklomm das Sitzgestell. Er drapierte Arme und Beine bequem um die Stangen, beugte sich vor und fragte Fos: »Was ist derart wichtig, dass ich an einem so schönen Morgen herkommen muss?«
»Ich bitte um Entschuldigung, Clan-Meister. Aber die Nachricht war sehr dringend und vertraulich. Erinnert Ihr Euch an den Prüfer, der vor fünf Zyklen verschollen ist?«
Sar-Ganth kratzte sich mit einem langen Arm und dachte nach. »Vage. Die Kas-Dor wurden beschuldigt, ihm am Nala-Sternentor aufgelauert zu haben, aber man vermochte ihnen nichts nachzuweisen. Was hast du in Erfahrung gebracht, dass aus diesem alten Rätsel so plötzlich eine dringende Angelegenheit wird?«
»Sar-Say ist anscheinend lokalisiert worden.«
»Das war der Name des Prüfers?«
»Ja. Er war an Bord eines vithianischen Schiffs von Vith nach Persilin unterwegs, als er verschwand.«
»Und nun hat man ihn wieder lokalisiert? Wo denn genau?«
»Vielleicht hätte ich sagen sollen, wir haben festgestellt, dass er dem Attentatsversuch entkam. Er wird nun gefangen gehalten.«
» Von wem?«
»Von einer Rasse Zweibeiner. Sie nennen sich selbst Vulkanier. Sie halten Sar-Say wahrscheinlich auf ihrem Planeten Shangri-La gefangen.«
Sar-Ganth kramte in seinem Gedächtnis, doch vermochte er weder eine Spezies noch einen Planeten mit diesen Namen in Verbindung zu bringen.
»Vielleicht solltest du ganz von vorn beginnen«, sagte er. Der Assistent hörte den Sarkasmus aus seiner Stimme wohl heraus, sagte aber nichts. Sarkasmus war noch das geringste Vorrecht eines Meisters.
Fos rekapitulierte den Empfang des Informationspakets von Ssor-Fel, dem Jagd-Meister des Salefar-Sektors. Das Paket beinhaltete ein unbekanntes Schiff im System einer Spezies von Dreibeinern, die als die Voldar’ik bekannt waren. Diese seltsamen Vulkanier hätten ihren Gastgebern eine Anzahl vithianischer Generatoren zur Ansicht überreicht, von denen einer mit einem Gefahren-Pheromon förmlich getränkt gewesen sei.
Sar-Ganth bedeutete ihm, dass er verstanden hatte. »Und dieses Pheromon ist Sar-Say zugeordnet worden!«
»Ja, Clan-Meister«, erwiderte Fos mit der aufsteigenden Geste, die typisch war für seine Spezies.
»Dann wird unser Buchhalter also von den Vulkaniern festgehalten! Ich nehme an, dass du ihre biometrischen Daten im Zentralregister überprüft hast.«
»Das habe ich«, erwiderte Fos. »Ich vermochte aber keine Übereinstimmung zu finden.«
Sar-Ganth ›runzelte‹ die Stirn. Das war unmöglich. Die physiologischen, psychologischen und kulturellen Daten einer jeden Diener-Rasse waren über einen Zeitraum von zwei hoch zwölf Generationen in den Datenbanken von Ssasfal gespeichert. Dass Fos nicht in der Lage gewesen war, diese Vulkanier zu identifizieren, war höchst beunruhigend. Es konnte nur eine Erklärung dafür geben.
»Dann hat also jemand einen Planeten entdeckt und es dem Zentralregister verschwiegen?«, fragte er.
»Das vermute ich auch«, erwiderte Fos.
»Du hast gut daran getan, mich herzubitten. Es scheint, dass irgendjemand einen unserer ältesten Verträge verletzt hat. Bis wir wissen, um wen es sich handelt, ist diese Neuigkeit zu heikel, um sie über die Kommunikations-Netze zu schicken. Wie sollen wir diese Vulkanier denn aufspüren, wenn sie nicht einmal in der Datenbank sind?«
»Sie haben Klys’kra’t auf einer Handelsmission besucht. Sie müssen auch noch in anderen Systemen Handel treiben. Mit einem Suchprogramm sollte man ihnen auf die Spur kommen.«
»Ausgezeichnet. Sobald wir ihre Handelspartner ausfindig gemacht haben, werden wir diesen lichtscheuen Kreaturen eine Falle stellen. Was ihre Welt wohl so wertvoll macht, um dieses Risiko einzugehen? Sag den Spezialisten, dass sie sich unverzüglich an die Arbeit machen sollen, und erstatte mir regelmäßig Bericht über die erzielten Fortschritte.«
»Es geschehe, wie Ihr sagt, Clan-Meister.«