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Marks Chef war der Nächste auf der Tagesordnung. Wie bei solchen Tagungen üblich, bedeutete die Bitte des Vorsitzenden, die Mittagspause auf eine halbe Stunde zu beschränken, dass es 45 Minuten dauerte, bis überhaupt wieder ein Quorum erreicht wurde. Als die Honoratioren die Bühne betraten, waren nicht mal die Hälfte der Plätze im Auditorium besetzt.
Unter anderem fiel auch Dieter Pavel durch seine Abwesenheit auf.
»Wo ist denn dein Freund?«, fragte Mark Lisa, als die beiden wieder Platz nahmen. Das Mittagessen hatten sie eilig in der Mensa der Universität eingenommen.
»Er hatte noch zu arbeiten«, erwiderte sie, »weil du seine Einladung nicht angenommen hast.«
Vor der Pause hatte Pavel den beiden nämlich angeboten, sie in einem der besseren Restaurants von Boston zu bewirten. Mark hatte mit dem Hinweis auf die knappe Zeit abgelehnt. Er unterbreitete Pavel stattdessen den Vorschlag, sie zu begleiten, doch das lehnte Dieter wiederum ab.
»Schade, aber das hätte zu lange gedauert. Ich muss hier sein, wenn mein Chef spricht.«
»Schon in Ordnung«, erwiderte Lisa. »Ich habe dafür seine Einladung zum Abendessen angenommen. Du bist natürlich auch eingeladen.«
»Da bin ich mir nicht so sicher«, sagte Mark eingedenk seiner früheren Konkurrenz mit Pavel.
Nachdem das Publikum wieder Platz genommen hatte, ging Direktor Fernandez zum Rednerpult und stellte seinen Kollegen von Colorado Springs vor. Direktor Hamlin trat in die Mitte der Bühne.
»Meine Damen und Herren, zunächst möchte ich Alan Fernandez für seine Gastfreundschaft in dieser Woche danken. Er hat uns Obdach gewährt und uns gut verpflegt. Ich möchte außerdem die Kongressabgeordneten und die Vertreter der Koordinatorin begrüßen. Und ich darf auch keinesfalls vergessen, die harte Arbeit zu würdigen, durch die die Mitglieder meiner Arbeitsgruppe mir die Teilnahme an dieser Veranstaltung überhaupt erst ermöglicht haben.
Liebe Freunde, ich möchte Sie heute am Fortschritt teilhaben lassen, den wir bei der Ausarbeitung einer proaktiven Strategie für die Abwehr der broanischen Bedrohung bereits erzielt haben. Jean-Pierre hat mir heute Morgen insofern vorgegriffen, als er Ihnen die Größe der Souveränität veranschaulichte. Also muss ich auf diesen Punkt nicht noch einmal zu sprechen kommen.
Jean-Pierres Ausführungen waren im Grundsatz richtig. Eine offene Feldschlacht gegen sie ist unmöglich. Selbst wenn wir alle Armeen zusammenziehen würden, über die wir jemals geboten haben, wären wir den Broa immer noch so weit unterlegen, dass ein Frontalangriff gegen sie nicht infrage käme.
Verständigen wir uns also darauf, dass wir verglichen mit dem broanischen Koloss eine Maus sind, die es in ein Elefantengehege verschlagen hat. Sie lebt in ständiger Angst und muss sich vorsehen, nicht von den Füßen des achtlosen Elefanten zerquetscht zu werden. Sich der Gefahr bewusst zu sein ist jedoch etwas anderes, als vor lauter Angst die Befähigung zum Denken zu verlieren.
Und Denken, meine Damen und Herren, ist genau das, was wir die ganze Zeit in Colorado Springs getan haben. Ich möchte Sie heute über ein paar unserer Schlussfolgerungen in Kenntnis setzen.
Wie Direktor Landrieu bereits festgestellt hat, müssen wir in erster Linie unsere Anonymität bewahren. Sollten die Broa jemals die Position von Sol ermitteln, werden wir den Krieg verlieren, bevor er überhaupt begonnen hat. Also muss die Geheimhaltung der Position der Erde höchste Priorität haben.
Alle unsere Pläne berücksichtigen diesen Aspekt. Wir haben tief gestaffelte Schutzmaßnahmen in die Pläne integriert, um zu verhindern, dass die Broa unseren Standort in der Milchstraße ausfindig machen. Wir haben sogar eine ganze Abteilung eingerichtet, die sich mit nichts anderem beschäftigt.
Wir müssen den Broa Respekt entgegenbringen, ohne dass dieser Respekt sich jedoch zu einer irrationalen Angst auswächst. Wie groß ihre Macht auch ist, die Pseudoaffen sind keine Götter, die hoch oben auf dem Olymp thronen und Blitze gegen die Sterblichen schleudern, die sie erzürnt haben. Sie mögen der Elefant sein und wir die kleine Maus, aber wir sind ihnen dennoch nicht wehrlos ausgeliefert. Bei ihrem Studium haben wir etliche Schwächen festgestellt – Schwächen, die wir auszunutzen vermögen, wenn wir nur wollen.
Ich weiß, dass Sie sich nun fragen, welche Schwächen das wohl sind. Schließlich sind sie die Herren und Meister über mehr als eine Million Sonnen!
Und genau das ist auch schon ihr erster Schwachpunkt. Die Broa haben ein Reich geschaffen, das mit Blick auf seine Größe und den Zeitraum, in dem es bereits besteht, sehr eindrucksvoll ist. Auf den ersten Blick erscheinen sie durch ihre Eroberungen so stark, dass wir wirklich gut daran täten, uns irgendwo zu verkriechen. Jedoch kann der erste Eindruck auch täuschen.«
Hamlin lächelte. »Da fällt mir etwas ein, was einer meiner alten Professoren einmal zu mir gesagt hat. ›Dex, mein Junge‹, sagte er, ›wenn Sie vor einem scheinbar unlösbaren Problem stehen, hilft es manchmal, es so zu vergrößern, bis die Lösung zutage tritt.‹
Also denken Sie, meine Damen und Herren. Für uns erscheinen die Broa nur deshalb so riesig, weil wir sie aus der Mäuseperspektive betrachten – weil wir von unten auf die große graue Masse starren, die über uns dräut. Aber Größe ist relativ. Wenn man die Broa aus einer anderen Perspektive betrachtet, nämlich von der Warte der Milchstraße in ihrer Gesamtheit, erscheinen sie auf einmal gar nicht mehr so groß. Allenfalls wie eine Ratte.
Die Astronomen haben lange darüber diskutiert, wie hoch die Wahrscheinlichkeit von Leben zwischen den Sternen sei und ob die Entwicklung von Intelligenz ein alltäglicher Vorgang im Universum sei. Der erste Teil dieser Frage ist bereits durch unsere frühen Expeditionen beantwortet worden, als wir viele erdähnliche Welten fanden, die für eine Kolonisierung geeignet waren.
Und wir müssen Sar-Say für die Beantwortung des zweiten Teils der alten SETI-Debatte danken. Unter Berücksichtigung der Größe der Souveränität vermag man die Wahrscheinlichkeit, dass eine Welt mit einer Sauerstoffatmosphäre eine intelligente Spezies hervorbringt, auf etwa zehn Prozent zu veranschlagen.
Wenn man nun die 100 Milliarden Sterne allein in dieser Galaxis und die 100 Milliarden Galaxien außerhalb unserer eigenen betrachtet, muss die Zahl intelligenter Spezies im Weltall astronomisch sein! Und manche meiner Spezialisten sagen sogar, dass auf einer erdähnlichen Welt intelligentes Leben entstehen muss – es sei nur eine Frage der Zeit.
Der Umstand, dass die Broa eine Million Spezies unterworfen haben, ist durchaus beeindruckend, aber bedenken Sie all die Rassen, die sie nicht unterworfen haben! In Anbetracht der reichen ›Jagdgründe‹, in denen sie sich befinden, muss man sich fragen, weshalb sie sich nur mit einer Million Sterne begnügt haben? Weshalb haben sie die eine Milliarde anderer Rassen in der Galaxis nicht behelligt?
Die Antwort ist offensichtlich, nicht wahr? Sie haben sich ein so großes Gebiet einverleibt, dass sie es mit Mühe und Not zu halten vermögen. Sie haben sich an Sternen sozusagen überfressen und leiden nun an Blähungen und Magengrimmen. Und was sind die limitierenden Faktoren?
In erster Linie wird ihre Macht durch ihre Population begrenzt. Laut Aussage von Sar-Say und anhand der Daten, die wir auf Klys’kra’t erlangt haben, ist die Anzahl der Broa wahrscheinlich geringer als die Gesamtbevölkerung der Erde. Sie haben eine Million Planeten, die zur Besiedelung geeignet wären – und vermögen sich nicht einmal so stark zu vermehren, um auch nur ihre Heimatwelt auszufüllen!«
Der Direktor griff nach einem verborgenen Glas Wasser und trank langsam, wobei er wartete, bis die Zuhörer seine Botschaft verinnerlicht hatten. Es ging ein Raunen durchs Publikum. Als es wieder verstummt war, setzte Dexter Hamlin nach:
»Die Broa sind also Eroberer mit einer niedrigen Fruchtbarkeit und neigen zudem zum Bürgerkrieg, was unter Berücksichtigung der Umstände, unter denen der Erstkontakt mit ihnen stattgefunden hat, ihre demografische Situation noch weiter verschlechtert. Ich bin der Ansicht, dass sie ihre optimale Größe schon vor langer Zeit erreicht und in ihrer Gier schließlich überdehnt haben. Auf welcher Grundlage diese Schlussfolgerung beruht? Die Voldar’ik hatten ihren planetarischen Meister schon seit mehreren Jahren nicht mehr gesehen und das auch nicht für erwähnenswert gehalten.
Wo es also noch weniger Broa als Menschen gibt, wie ist es dann möglich, dass sie so viele andere Rassen in Knechtschaft zu halten vermögen? Was macht sie zu so starken Eroberern? Weshalb zollen eine Billiarde demütiger Heloten diesen unfruchtbaren kleinen Affen Tribut?«
»Die Sternentore!«, rief jemand aus der ersten Reihe.
»Genau«, entgegnete Hamlin. »Die Sternentore! Die Broa sind wie ein Elefant, der ein Kunststück beherrscht. Es ist ein sehr gutes Kunststück, aber eben nur ein Trick. Sie halten die unterworfenen Arten im Grunde dadurch in Schach, indem sie sie in ihren heimatlichen Sternsystemen einsperren. Wenn man ein guter Sklave ist und sein Plansoll erfüllt, wenn man ihnen keine Scherereien macht, darf man vielleicht mit den Nachbarn Handel treiben. Pocht man jedoch auf seine Unabhängigkeit oder kommt den Meistern irgendwie dumm, dann funktioniert plötzlich das Sternentor nicht mehr und der Himmel verdüstert sich mit broanischen Kriegsschiffen.
Die Sternentore sind der Hebel, mit dem die Broa ihre Macht millionenfach projizieren. Und wo wir nun den Quell ihrer Macht identifiziert haben, werden wir eine Strategie entwickeln, um sie gegen sie zu verwenden. Diese Strategie beinhaltet natürlich auch militärische Aktionen innerhalb der Souveränität, aber es handelt sich nicht in erster Linie um eine militärische Option.
Ich versichere Ihnen an dieser Stelle, dass wir keinen Angriff auf die Souveränität planen. Mein Pariser Kollege sagte völlig zu Recht, dass das selbstmörderisch wäre. Genauso wenig beabsichtigen wir einen direkten Angriff gegen die Broa. Man hat auch vorgeschlagen, ihre Heimatwelten aus dem All mit den schwersten Bomben zu belegen, zu deren Herstellung wir fähig sind. Ich bin jedoch der Ansicht, dass wir damit nicht nur unmoralisch handeln, sondern auch einen großen Fehler begehen würden.
Die Kontrolle über die Sternentore ist das Joch, unter das sie ihre Knechte zwingen, und deshalb müssen wir sie ins Visier nehmen. Wir wollen die Broa stürzen, indem wir ihr Monopol auf Sternenreisen innerhalb der Souveränität brechen. Und zu diesem Zweck werden wir den unterworfenen Spezies das Geheimnis des Sternenantriebs verraten!«
Flannigan’s war vor einem Jahrhundert als ein typisch irischer Pub eröffnet worden. Im Lauf der Jahrzehnte hatten die Inhaber den Laden immer exklusiver gestaltet, bis er schließlich in die zweihundertste Etage eines der höchsten Gebäude von Boston umzog. Es war das teuerste Restaurant in einer Stadt, in der es ohnehin nur teure Restaurants gab.
»Aber hallo, Lisa, du siehst heute Abend wirklich bezaubernd aus«, sagte der am Eingang wartende Dieter Pavel, als Lisa und Mark den Aufzug verließen. Sie gingen zu ihm, und er verneigte sich und küsste ihr die Hand.
»Danke, Dieter. Du siehst auch sehr gut aus.«
»Guten Abend, Mark.«
»’n Abend, Dieter.«
»Sollen wir hineingehen?«, fragte er und deutete auf die reich verzierte Kristallglastür, die ins Restaurant führte.
Der Ober führte sie zu einem Fensterplatz mit einer sensationellen Aussicht über die Stadt und die Bucht. Das heißt, der Blick wäre sensationell gewesen, wenn er nicht durch den Abendnebel verstellt worden wäre, der heute wieder aufgekommen war. Die Aussicht beschränkte sich deshalb auf einen vielfarbigen Dunst, der von hinten durch ein paar schemenhafte Türme angestrahlt wurde.
Ein stetiger Strom von Kellnern und Bedienungen kam an ihren Tisch, räumte die Teller ab, brachte warmes Brot und präsentierte ihnen schließlich die Weinkarte. Dieter roch zeremoniell am Korken und verkostete den Wein. Nachdem er seine Zufriedenheit bekundet hatte, schenkte die Bedienung jedem von ihnen ein Glas ein.
»Also«, sagte Pavel. »Worauf sollen wir trinken?«
»Ein langes Leben«, sagte Lisa.
»Sicherheit«, erwiderte Mark.
»Dann auf ein langes Leben und Sicherheit.«
Die drei stießen an und tranken.
»Und, Dieter«, sagte Mark, »wo sind Sie während der Nachmittagssitzung gewesen?«
»Ich hatte ein paar Gesprächstermine«, erwiderte Pavel. »Mir ist schon klar, dass ich einiges verpasst habe.«
»Direktor Hamlin scheint seinen Standpunkt wirklich gut rübergebracht zu haben«, pflichtete Lisa ihm bei. »Die Leute haben zehn Minuten gebraucht, um sich wieder zu beruhigen, nachdem er ihnen diese Überraschung präsentiert hatte.«
»Den Sklaven Sternenschiffe geben? Ich muss gestehen, darauf wäre ich nie gekommen. Anstatt zu versuchen, die Souveränität zu erobern, säen wir Zwietracht und warten, bis sie von selbst auseinanderfällt. Ich hätte es zu gern in allen Einzelheiten gehört.«
»Es ist im Grunde ganz einfach«, sagte Lisa. »Wir verbreiten die Sternenantriebs-Technologie in möglichst vielen Systemen und kappen die Sternentor-Verbindungen zur broanischen Heimatwelt und ihren Machtzentren, um die Flotte lahmzulegen. Im daraus resultierenden Chaos brechen in der ganzen Souveränität Revolutionen aus, was die Broa so in Anspruch nimmt, dass sie keine Ressourcen mehr erübrigen können, um uns zu behelligen.«
»Glaubst du wirklich, dass die Sklaven sich erheben werden?«
»Wieso nicht?«, fragte Mark. »Sie sind schließlich intelligente Wesen. Man könnte es damit vergleichen, dass Sie in einer Schlucht leben und der Nachbar Sie von oben mit der Drohung einschüchtert, Felsbrocken herabregnen zu lassen. Was würden Sie tun, wenn jemand plötzlich eine Leiter zu Ihnen runterwirft?«
»Wobei die Bereitstellung der Leiter aber ein Problem sein könnte«, sagte Dieter nachdenklich. »Wie sollen wir die Souveränität mit mehreren zehntausend agents provocateurs infiltrieren und dann noch erwarten, dass unser Geheimnis bewahrt wird? Ein paar werden unvermeidlich auffliegen. Oder glaubt ihr etwa an den hundertprozentigen Erfolg der Zyanidkapsel-Strategie?«
»Nein«, sagte Lisa. Ihr war deutlich anzusehen, was sie von der Aussicht auf Selbstmord bei einer Festnahme hielt.
»Wie sollen wir den Sklaven die Informationen denn sonst zuspielen, ohne die Erde zu gefährden?«
»Trojanische Pferde«, erwiderte sie.
»Wie bitte?«
»Leere Schiffe«, sagte Mark und biss genießerisch in ein warmes Brot. Angesichts der Qualität des Essens waren die Preise auf der Speisekarte durchaus angemessen. »Es ist fraglich, ob wir sehr weit kämen, wenn wir ihnen die Spezifikationen persönlich überbringen würden. Denn der Ausspruch ›Fürchte die Danaer, auch wenn sie Geschenke bringen‹ ist wahrscheinlich ein universaler Leitsatz. Also müssen wir es quasi per Fernbedienung tun.
Wir bauen Hunderte oder Tausende kleiner Raumschiffe in Scout-Größe, bestücken sie mit funktionsfähigen Generatoren und speichern die Pläne im Bordcomputer ab, um einen Nachbau zu ermöglichen. Aber nicht zu auffällig, sondern nur im Stil eines technischen Handbuchs. Die Schiffe sind für eine fiktive Spezies bestimmt, und zur Tarnung werden noch Fotos von den Lieben daheim an die Wände geklebt.
Sobald wir eine planetarische Datenbank beschafft und uns ein Bild über die Verhältnisse in der Souveränität gemacht haben, transportieren wir diese trojanischen Pferde zu sorgfältig ausgewählten Sternen und setzen sie dort aus. Anschließend schicken wir sie mit einer solchen Geschwindigkeit durchs Herz des Zielsystems, dass man sie auf jeden Fall bemerken wird. Wenn die Einheimischen sie dann abfangen und entern, entdecken sie ein Schiff nichtbroanischen Ursprungs, das scheinbar einem Angriff zum Opfer gefallen ist – ein Schiff mit interstellarer Fähigkeit, das jedoch nicht auf Sternentore angewiesen ist.«
»Werden ihre broanischen Meister aber nicht in dem Moment benachrichtigt, wenn unsere Drohnen von den Sensoren entdeckt werden? Dann wäre das Spiel nämlich aus.«
Lisa schüttelte den Kopf, sodass die blonden Locken für einen Augenblick ihr Gesicht verschleierten – ein Anblick, der beide Männer gleichermaßen faszinierte. »Nicht wenn wir die Scouts in Systeme wie Klys’kra’t schicken, in denen die Meister nicht präsent sind. Wenn ihre Intelligenz auch nur annähernd dem gleichen Schema folgt wie unsere, werden sie eine Revolution anzetteln, sobald ihnen bewusst wird, worüber sie da gestolpert sind.«
Das gab Pavel zu denken. Er schwieg für eine Weile und fragte dann skeptisch: »Habt ihr auch die langfristigen Folgen eures Plans bedacht?«
»Als da wären?«, fragte Mark.
»Vorausgesetzt, ihr habt Erfolg und entfacht einen solchen Aufruhr innerhalb der Souveränität, dass die Broa die Kontrolle verlieren. Wird durch die Lösung eines Problems nicht ein noch größeres geschaffen?«
»Wie meinen Sie das?«
»Wir sind zurzeit mit der Bedrohung durch eine einzige außerirdische Spezies konfrontiert. Ihr nehmt aber in Kauf, dass diese Bedrohung millionenfach multipliziert wird.«
»Stimmt nicht«, erwiderte Mark. »Wie Direktor Hamlin heute Nachmittag sagte, gibt es da draußen noch viel mehr intelligente Spezies als die Broa und ihre Sklaven. Falls jede intelligente Rasse im Weltall eine Gefahr darstellt, kommt es auch nicht mehr darauf an, wenn wir noch eine Million auf die Milliarde Spezies draufpacken, die sowieso schon existieren und von denen wir nichts wissen.«
»Das ist der Standpunkt eines Wissenschaftlers, aber nicht der eines Politikers«, sagte Dieter mit einem Lachen. »Wenn wir das der Öffentlichkeit so schmackhaft machen wollten, würden sie uns wohl lynchen.«
»Fakten sind Fakten«, sagte Mark stur.
»So, wie Sie es sagen, klingt es ganz einfach.«
»Von wegen einfach. Wir werden ein eigenes Netzwerk aus Sternentoren schaffen und Operationsbasen errichten müssen, von wo aus wir unsere Verbände führen. Wir werden die broanischen Heimatwelten und Machtzentren erkunden müssen. Dann werden wir die Systeme auswählen müssen, in denen wir die trojanischen Pferde platzieren und gleichzeitig zu strategischen Schlägen gegen ihr Tor-Netzwerk ausholen, um im entscheidenden Moment die Kommunikation zu stören.
Wenn unser Kalkül jedoch aufgeht, wenn es uns gelingt, Verwirrung zu stiften und die diversen Pläne umzusetzen, müsste es eigentlich funktionieren …«
»Und wenn nicht?«
Mark zuckte die Achseln. »Dann lassen wir uns eben etwas anderes einfallen …«
»Das ist aber eine ziemliche Zockermentalität«, sagte Dieter, wobei seine Stimme sich in Tonhöhe und Lautstärke hob.
»Weiß einer von euch, was auf der morgigen Tagung ansteht?«, unterbrach Lisa die beiden und wechselte das Thema, bevor der anschwellende Testosteronpegel womöglich noch eine Explosion auslöste. »Auf dem Programm steht nur ›Ehrengast-Redner‹.«
»Keine Ahnung«, erwiderte Dieter, nachdem er die Contenance zurückerlangt hatte.
»Es ist aber nicht die Koordinatorin, oder?«
Er schüttelte den Kopf. »Sie ist die ganze Woche in Europa. Wir werden uns wohl bis morgen gedulden müssen. Wollen wir nun bestellen?«
Sie nickten, und Pavel winkte den Kellner zu sich, der sich die ganze Zeit außer Hörweite gehalten hatte.
Vom Rest des Abends war Mark angenehm überrascht. Pavel entpuppte sich geradezu als Unterhaltungskünstler, wenn er einmal nicht den bornierten Bürokraten raushängen ließ.