20
Die Blockade von Boston erfolgte in der Abenddämmerung, nachdem das Bataillon der Friedenstruppen den Ring um die Stadt geschlossen hatte. In früheren Jahrhunderten wäre ein solcher Einschließungsring wegen der zersiedelten Vorstädte unmöglich gewesen.
Die Informationsrevolution hatte das Gesicht der Stadt und der Welt jedoch verändert. Die Menschen brauchten Ellbogenfreiheit.
Die meisten Städte waren nun kommerzielle Inseln in einem Meer des offenen Raums mit einer sehr geringen Bevölkerungsdichte. Ganze Städte waren während der jahrhundertelangen Diaspora verschwunden, und das Land war in seinen Naturzustand zurückversetzt oder in Ackerland umgewandelt worden.
Trotz mancher Kassandrarufe – wie schon beim Verschwinden der landwirtschaftlichen Familienbetriebe im Lauf des zwanzigsten Jahrhunderts – hatte praktisch jeder von der Ausdünnung der Vorstädte profitiert. Und falls es erforderlich wurde, einen großen Hafen wie Boston zu sperren, vermochte man zumindest eine Linie um die Stadt zu ziehen, die alle Einwohner umfasste.
Bei der Suche nach Sar-Say kamen auch noch andere Techniken zur Anwendung. Wegen der Unruhen, die im Lauf der Zeit stattgefunden hatten – Aufstände, Streiks, Terroranschläge –, wurde jede Stadt auf der Erde unablässig von Kameras mit sich überlappenden Erfassungsbereichen überwacht. Diese hatten den Angriff in der Fußgängerzone aus drei verschiedenen Winkeln aufgenommen.
Vier Männer wurden identifiziert, die eine Stunde vor dem Angriff dort herumgelungert hatten. Als die kompakte Gruppe aus Wachen und dem Außerirdischen auftauchte, zückten sie plötzlich verdeckt getragene Elektroschocker und feuerten eine Salve. Die Schüsse streckten die vier Wachen nieder. Leutnant Forster fiel in ein Blumenbeet und zog sich dabei die klaffende Stirnwunde zu. Eine andere Wache brach über einer Sitzbank zusammen und fiel dann auf den Boden, wobei ein Arm in einem unnatürlichen Winkel abstand.
Sar-Say selbst zeigte keinerlei Anzeichen von Angst während des Überfalls. Er ging auf alle viere und hoppelte so schnell davon, dass seine vier Retter im kaum zu folgen vermochten. Dann verschwanden die fünf im Eingang einer U-Bahn-Station.
Ein paar Minuten vor dem Angriff hatte eine Frau, deren Gesicht durch einen geblümten Hut verdeckt wurde, einen Plastikbecher über das Objektiv der Überwachungskamera des Eingangs gestülpt, sodass die Gruppe im nicht überwachten Bereich der U-Bahn unterzutauchen vermochte. Es gab auch keine Kamera, die sie beim Verlassen der U-Bahn erfasst hätte.
»Wenigstens haben wir ihre Bilder«, sagte Lisa zu Mark, während sie hastig zu Abend aßen. »Das ist immerhin etwas.«
»Aber nicht viel«, erwiderte er. »Sie haben Sonnenbrillen und Schlapphüte getragen, lange Haare und Vollbärte gehabt, sodass ihre Gesichter weitestgehend unkenntlich waren.«
»Eine Verkleidung?«
»Entweder das, oder eine Gruppe ultraorthodoxer Juden!«
Lisa kicherte. »Besteht eine Möglichkeit, sie anhand der Kamerabilder zu identifizieren?«
»Mein Chef sagt, die Polizei versucht die Computer darauf zu programmieren, einen Abgleich mit Personen ähnlicher Körpergröße und Bewegungsabläufen durchzuführen. Das bedeutet, dass in den nächsten Stunden viele Unschuldige Besuch von der Polizei bekommen, aber wir haben vielleicht Glück und erwischen einen von ihnen.«
»Was noch?«, fragte sie.
»Sie befragen die Forscher, die Zugang zu Sar-Say hatten, und überprüfen ihre E-Mail-Konten. Einer von ihnen ist vielleicht unvorsichtig gewesen.«
»Wie hoch ist die Chance?«
»Verdammt nahe null. Und was hast du die ganze Zeit gemacht?«
Sie seufzte. »Ich sitze nur rum und beantworte Fragen über Sar-Say. Ich weiß, es ist dumm, aber ich mache mir trotzdem Sorgen um ihn.«
Mark runzelte die Stirn. »Wieso denn das, um Himmels willen?«
»Ich mag ihn irgendwie. Er ist kein schlechter Kerl, musst du wissen. Er will halt nur aus der Gefangenschaft entkommen und nach Hause.«
»Und sich die Erde aus purer Gier unter den Nagel reißen.«
Sie seufzte wieder. »Das wohl auch. Ich möchte bestimmt nicht, dass er entkommt, aber ich will auch nicht, dass er getötet wird.«
»Das hätte sich früher vielleicht noch vermeiden lassen, aber wo wir ihm nun auf die Schliche gekommen sind, geht das nicht mehr.«
Sie schüttelte den Kopf. »Die Frage ist nur, wie seine Komplizen reagieren werden, wenn ihnen dämmert, dass ihr Plan undurchführbar ist. Sie werden ihn bestimmt nicht wieder ans Harvard-Institut überstellen. Mit größter Wahrscheinlichkeit werden sie ihn töten, um sich selbst zu schützen.«
»Im Moment wäre es mir auch am liebsten, wenn wir ihn mit dem Gesicht nach unten in der Bucht treibend fänden.«
»Versteh mich nicht falsch«, sagte sie. »Es wäre mir auch lieber, er würde sterben, als zu entkommen. Aber ich hoffe trotzdem, dass wir ihn lebendig zurückbekommen – und wenn auch nur aus dem Grund, dass ich zu viel Zeit investiert habe, ihm Standard beizubringen, als dass meine Arbeit für die Katz’ gewesen sein soll.«
Er nickte. »Seine Rede war schon irgendwie faszinierend, nicht?«
Sie pflichtete ihm bei. »Er hätte mich fast überzeugt, obwohl ich es eigentlich besser weiß!«
Sie verbrachten den Rest der hastigen Mahlzeit schweigend, wobei jeder seinen Gedanken nachhing. Zwanzig Minuten später küssten sie sich vor dem Konferenzzentrum, und Lisa verschwand darin. Weil er nichts anderes zu tun hatte, machte Mark kehrt und ging durch die Fußgängerzone zu der Stelle, wo die Entführung sich ereignet hatte.
Er hätte nicht zu sagen vermocht, weshalb er das tat. Er wollte einfach nur die Stelle sehen.
Der Mann, den Gus Heinz Sar-Say vorstellte, erinnerte ihn an die Rasse der Kaylar. Sie waren kurz, breit, hatten keine Hälse und kugelrunde Köpfe. Ihre Schultern waren breit und die Hüften schmal, was dem Torso die Form eines Dreiecks verlieh. Alle diese Eigenschaften trafen auch auf diesen neuen Menschen zu.
»Sar-Say, ich möchte Ihnen Benny Ludnick vorstellen. Benny ist der besagte Mann, der uns vielleicht helfen könnte.«
Sar-Say streckte ihm seine Sechsfingerhand entgegen. »Willkommen, Herr Ludnick. Gus hat mir schon viel über Sie erzählt.«
»Hat er Ihnen auch gesagt, dass ich eine Million Kredite nur dafür bekomme, wenn ich den Behörden Ihren Aufenthaltsort mitteile?«
»Eine Belohnung?«, fragte Gus Heinz mit einem Interesse, das Sar-Say übertrieben erschien.
»Ich habe es eben im Radio gehört, als ich hierher unterwegs war«, sagte Ludnick mit einem Kopfnicken.
»Das bleibt Ihnen unbenommen«, erwiderte Sar-Say. »Oder Sie verdienen sich eine Milliarde Kredite, wenn Sie mir helfen, nach Hause zurückzukehren.«
»Wieso sollte irgendein Mensch einem Außerirdischen helfen? Das wäre wie ein Verrat an der eigenen Familie.«
»Eher wie die Rettung Ihrer Familie, Herr Ludnick. Haben Sie die Berichterstattung zu meiner Rede an die Institute verfolgt?«
»Ich habe Ausschnitte in den Nachrichten gesehen.«
»Dann wissen Sie auch, dass der Widerstand, den Ihre Regierung plant, sinnlos ist. Wir werden Sie auf jeden Fall finden … wenn nicht morgen, dann im nächsten Jahr oder ganz bestimmt innerhalb eines Jahrzehnts oder zwei. Wir sind nämlich sehr gut beim Aufspüren von Signalen, die von Sternsystemen außerhalb der Zivilisation stammen. Und wenn wir ein solches Signal entdecken, integrieren wir zu unserem Schutz und dem der Mitglieds-Spezies diese Systeme in die Zivilisation – notfalls auch mit Gewalt. Viele von Ihnen werden dabei sterben, vielleicht sogar alle.«
»Sie zeichnen nicht unbedingt ein Stimmungsbild.«
Sar-Say hob die Schultern in einer überzeugenden Imitation eines Achselzuckens. »Ich sage die Wahrheit. Wenn Sie mich ausliefern, werdet ihr bei der Eroberung wahrscheinlich sterben. Wenn Sie mich jedoch unterstützen, dann wird eurer Spezies Tod und Vernichtung erspart bleiben, und Sie selbst werden so reich, wie Sie es sich in Ihren kühnsten Träumen nicht vorzustellen vermögen. Sind Sie interessiert?«
»Ja, verdammt noch mal«, erwiderte der Kugelkopf. »Im Leben geht es schließlich nur darum, das große Los zu ziehen. Aber können Sie Ihr Versprechen auch einlösen? Wo wollen Sie eine Milliarde Kredite überhaupt hernehmen?«
»Indem wir den Erdlingen natürlich eine Steuer auferlegen, nachdem wir sie in die Zivilisation überführt haben«, sagte Sar-Say und schloss mit den folgenden Worten: »Doch jene, die mir helfen, sind auf Lebenszeit von allen derartigen Steuern befreit.«
»Und was muss ich tun, um dieses Geld zu verdienen?«
Sar-Say erläuterte ihm den Plan, mitten im Weltraum ein Sternenschiff zu übernehmen, und betonte, dass sie vier oder fünf gute Männer bräuchten, um den Plan umzusetzen. »Jeder erhält in dem Moment, wo ich meine Heimat erreiche, für seine Dienste eine Gutschrift über eine Milliarde Kredite. Und wenn wir dann an der Spitze der Flotte zur Erde zurückkehren, werden Sie nochmals in gleicher Höhe für Ihre Hilfe belohnt.«
»Und wie lange wird das dauern?«
»Ich schätze achtzehn Monate bis zwei Jahre. Die meiste Zeit werden wir uns im Überlichtbereich befinden und den interstellaren Abgrund zwischen hier und der Zivilisation überbrücken. Dann werde ich noch einige Zeit brauchen, um eine Flotte zu organisieren und mit einem Einwege-Sternentorsprung hierher zurückzukehren. Die Rückreise wird überhaupt keine Zeit erfordern.«
»Was, wenn ich nach Ihrer Flucht gefasst werde?«
»Dann wird man Sie vermutlich exekutieren«, erwiderte Sar-Say. Er hatte nämlich gelernt, dass die Menschen ihre Interessen oft mit noch größerem Engagement verfolgten, wenn man ein paar Hürden errichtete. Er musterte Ludnick, um sich zu vergewissern, ob er seine Kenntnisse der menschlichen Psychologie auch richtig angewandt hatte.
Das gab Ludnick für eine Weile zu denken, bevor er schließlich antwortete: »Dann sollte ich mich am besten nicht erwischen lassen. Wie sieht es mit dem Geld für die Abwicklung des Geschäfts aus?«
»Darum werden Sie sich kümmern müssen. Ich habe im Moment keins. Ich befürchte, wir werden auch ziemlich viel Geld brauchen. Haben Sie überhaupt die Mittel, auf die Schnelle ein Schiff zu chartern?«
»Toller Witz! Man muss schon über den Staatshaushalt eines kleineren Landes verfügen, um ein Sternenschiff zu finanzieren.«
»Zu dumm«, erwiderte Sar-Say. »Dann müssen wir auf den Entführungsplan zugreifen.«
»Das wird aber nicht so leicht, wie es sich bei Ihnen anhört«, erwiderte Ludnick. »Exportfracht wird nämlich sehr gründlich kontrolliert, bevor sie auf einen Orbital-Shuttle verladen wird.«
»Dann werden Sie sich eben etwas einfallen lassen müssen, um das zu verhindern.«
Ludnick nickte. »Es gibt Mittel und Wege. Das ist zwar teuer, aber es ist machbar.«
»Dann tun Sie es. Wann werden Sie so weit sein?«
»Ich habe noch nicht gesagt, dass ich dabei bin.«
»Kommen Sie schon, Herr Ludnick«, sagte Sar-Say. »Wenn Sie kein Interesse hätten, wären Sie doch gar nicht erst gekommen. Soll ich mein Angebot noch erhöhen?«
»Wie hoch?«
»Was würden Sie zu Manhattan Island sagen, wenn ich zurückkomme?«
Der breitschultrige Mann machte für einen Moment große Augen.
»Ich frage Sie noch einmal. Wie lange wird es dauern, um alle Vorbereitungen zu treffen?«, fragte Sar-Say in der festen Überzeugung, einen weiteren – und wahrscheinlich auch fähigeren – Verbündeten gewonnen zu haben als Gus Heinz.
»Ein paar Wochen. Was ist mit der Blockade?«
»Wir werden sie aussitzen müssen«, erwiderte Sar-Say. »Sie können die Stadt nicht für immer abriegeln. Die Blockade wird wahrscheinlich noch vorm Wochenende wieder aufgehoben.«
»Ich werde Garantien brauchen, wenn ich mich auf Ihre Seite schlage«, sagte Ludnick nachdrücklich, um sich aus der Defensive zu befreien, in die er durch die Erhöhung von Sar-Says Angebot geraten war.
»Welche Garantien?«
»Dass nach Ihrer Rückkehr niemand von meiner Familie zu Schaden kommen wird.«
»Sie haben mein Wort«, erwiderte Sar-Say. »Teilen Sie mir die Koordinaten eines abgelegenen Gebiets mit, wohin Sie und Ihre Familie sich zurückziehen, sobald Sie von der Ankunft der broanischen Flotte im Sonnensystem erfahren. Ich werde die Flottenkommandanten dahingehend instruieren, dass dieser Ort nicht angegriffen wird … und dass Ihrem Planeten überhaupt nichts geschieht, wenn Ihre Leute bei unserem Eintreffen einen gesunden Menschenverstand an den Tag legen.«
»Dann sind wir also im Geschäft«, sagte Ludnick, stand auf und reichte ihm die Hand.
Sar-Say ergriff die Hand und schüttelte sie. Er hatte dieses Ritual des Händefesthaltens schon früh in seiner Gefangenschaft gelernt. Trotzdem fröstelte er noch immer, wenn er einem Menschen die Hand gab. Vielleicht lag es an der unterschiedlichen Körpertemperatur, sagte er sich. Vor einer Ansteckung durch menschliche Keime hatte er nämlich längst keine Angst mehr.
Vielleicht lag es auch einfach nur daran, dass er zu etepetete war.
Fünf Tage nach Sar-Says Flucht versammelten die Hauptakteure auf der Jagd nach ihm sich im Broanischen Institut in Harvard. Alle drei Institutsdirektoren waren dort; sie hatten die Abreise aus Boston verschoben, bis die Krise gelöst war. Ebenfalls anwesend waren der Bürgermeister und Polizeichef von Boston, dazu ein General der Friedenstruppen namens Parsons und sein Adjutant sowie die jeweiligen Assistenten der Direktoren. Mark nahm in seiner Eigenschaft als Dexter Hamlins Assistent an der Konferenz teil. Lisa war wegen ihrer besonderen Kenntnis von Sar-Say dabei. Dieter Pavel war auch anwesend. Er war von der Welt-Koordinatorin als Beobachter entsandt worden.
Die Sitzung fand in einem Konferenzraum statt, der nur ein paar Meter von Sar-Says Unterkunft entfernt war. Normalerweise nutzten die Forscher des Instituts diesen Raum für die Vorbereitung der Befragungen. Nun waren die Wände mit Karten tapeziert, die den Fortschritt der Suche minutiös darstellten.
»Was wissen wir?«, fragte der Blauhelm-General den Polizeichef.
»Wir glauben, dass wir die Station gefunden haben, wo sie die U-Bahn verlassen haben«, erwiderte Chief Martin Darien, ein schroffer, weißhaariger Mann in einer blauen Uniform. »Wir haben manipulierte Kameras an den Ausgängen der U-Bahn-Stationen Beacon Street und Sacramento Street gefunden. Bei der Tunnelkamera war der Stecker gezogen, und über die Straßenkamera hatte jemand ein Handtuch geworfen. Es gab also einen großen weißen Fleck, der es ihnen ermöglicht hätte, den Außerirdischen in einem geparkten Fahrzeug zu verfrachten, nachdem sie die U-Bahn-Station verlassen hatten.«
»Was ist mit den anderen Kameras in der Umgebung?«, fragte Jean-Pierre Landrieu. »Sie hätten das Fahrzeug doch erfassen müssen, als es den Schauplatz der Entführung kurz darauf verließ.«
»Das haben sie wahrscheinlich auch«, erwiderte der Polizeichef. »Aber es herrscht zu dieser Tageszeit ein enormer Verkehr in der Beacon Street. Es gibt buchstäblich Tausende Möglichkeiten. Und wenn sie schlau waren, haben sie noch eine Weile gewartet, bevor sie die tote Zone verließen. Je länger sie gewartet haben, desto schwieriger wird es für uns, sie ausfindig zu machen.«
»In Ordnung«, sagte Marks Chef. »Dann führt uns das wahrscheinlich in eine Sackgasse. Wie kommen Ihre Leute voran, General?«
»Keine besonderen Vorkommnisse, Sir«, sagte Parsons. »Meine Männer kontrollieren jedes Fahrzeug, das Boston auf dem Landweg verlässt. Den Flugverkehr haben wir einstellen lassen. Die Magnetzüge werden an der Demarkationslinie gestoppt und kontrolliert, bevor sie weiterfahren dürfen.«
»Wie gründlich werden sie kontrolliert?«, fragte Dexter Hamlin. »Es gibt doch alle möglichen Verstecke in einem Zug.«
»Wir verwenden Spürsonden, die auf Sar-Says spezifischen Körpergeruch kalibriert sind«, erwiderte der General. »Wenn er sich im Zug oder in einem Pkw oder Lkw versteckt, würden wir ihn ›riechen‹.«
»Könnten wir ihn auf diese Weise noch aufspüren?«
Der General schüttelte den Kopf. »Es ist schon zu viel Zeit vergangen – ganz zu schweigen vom zuletzt gefallenen Regen, der jede Spur weggespült hat.«
»Was ist mit den Forschern? Sind sie alle überprüft worden?«
»Direktor Fernandez?«, fragte General Parsons. »Das fällt in Ihre Zuständigkeit.«
Alan Fernandez hatte während der letzten Woche nicht gut ausgesehen. Er hatte Ringe um die Augen und hängende Mundwinkel vom ständigen Stirnrunzeln. Er schien auch nicht viel geschlafen zu haben. Mark Rykand bekam fast Mitleid mit ihm, bis er sich erinnerte, dass Fernandez der Grund war, weshalb Sar-Say überhaupt auf der Erde weilte.
»Wir haben alle Forscher befragt«, erwiderte er mit einer monotonen Stimme, die seiner Erschöpfung geschuldet war. »Sie sagen alle, dass sie mit Sar-Says Flucht nichts zu tun hätten. Wir haben ihre Internetverbindungen und E-Mail-Konten überprüft. Es wurde bisher aber nichts Verdächtiges gefunden.«
»Haben Sie wirklich jeden überprüft, der Kontakt mit Sar-Say hatte?«
»Das gesamte Institutspersonal«, erwiderte Fernandez.
»Heißt das, dass es außer diesen noch weitere Personen gab?«, fragte der General.
»Es gab ein paar gesellschaftliche Veranstaltungen, bei denen Sar-Say anwesend war. Er ist mehreren Personen vorgestellt worden, einschließlich des Bürgermeisters. Er hatte aber kaum Zeit, eine Verschwörung mit ihnen zu organisieren.«
»Sind das alle? Die Forscher und die Feiergäste?«
»Ja, mit Ausnahme seiner Gesprächspartner.«
»Seiner was?«, fragte General Parsons mit trügerisch leiser Stimme.
Fernandez setzte ihm auseinander, dass sie regelmäßig kleinen Gruppen von Privatpersonen Zugang zu Sar-Say gewährten, um sich mit ihm zu unterhalten, und endete mit den folgenden Worten: »Durch diese Kontakte lernen wir ihn noch besser kennen. Es war übrigens der Bürgermeister, der das Programm angeregt hat.«
»Wirklich ?«, jaulte Bürgermeister Harrigan.
»Sicher«, erwiderte Fernandez. »Sie haben es gleich bei Sar-Says erstem Empfang vorgeschlagen, als Sie mich Gus Heinz vorstellten. Sie werden sich noch daran erinnern, dass sie übers Geschäft sprachen, und Sie haben mir dann zugeflüstert, dass Heinz ein Mäzen der Partei sei und dass ich ihn zuvorkommend behandeln solle.«
»Stimmt doch gar nicht!«
»Doch!«
»Meine Herren!«, sagte General Parsons im schönsten Kasernenhofton. Das rief den beiden Männern wieder in Erinnerung, wo sie überhaupt waren. Sie erlangten die Contenance zurück. »Wer ist dieser Gus Heinz überhaupt?«
»Ein ortsansässiger Geschäftsmann«, erwiderte der Bürgermeister. »Er ist im Import/Export-Geschäft.«
»Welcher Import/Export?«
»Pharmazeutische Produkte. Sehr selten. Können nur auf Borodin erzeugt werden.«
»Borodin, die Kolonie im Dagon-System?«
»Ja.«
»Und dieser Heinz ist im interstellaren Import/Export-Geschäft?«
Fernandez nickte.
»Und er hat Zugang zu Sternenschiffen?«
»Ich glaube schon.«
Mit jeder Frage wurde das Gesicht des Generals um eine Nuance röter. Es war jetzt schon fast purpurrot.
»Und Sie haben vergessen, das zu erwähnen?«
Alan Fernandez wurde unter dem Blick des Generals soo klein mit Hut. »Ich habe gar nicht mehr daran gedacht.«
»Mit wie vielen Personen, die Sie auch vergessen haben zu erwähnen, hatte Sar-Say sonst noch regelmäßig Kontakt?«
»Mit einem halben Dutzend. Ich kann Ihnen eine Liste zukommen lassen, wenn Sie wünschen.«
»Bitte tun Sie das.«
Fernandez verschwand für ein paar Minuten und kam dann mit einem neuen Computerausdruck zurück, auf dem sieben Namen standen. Gustavus Adolphus Heinz war die Nummer vier auf der Liste. Parsons riss Fernandez das Blatt förmlich aus den Händen und gab es Chief Darien.
»Würden Sie diese Leute bitte überprüfen und mit diesem Gus Heinz anfangen?«
»Jawohl, Sir«, erwiderte der Polizeichef wie ein einfacher Soldat unter dem zürnenden Blick des Generals.