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»Hallo, Lisa. Es ist lange her, seit wir uns zuletzt gesehen haben«, sagte Sar-Say. Der Broa verneigte sich in einer passablen Imitation der Höflichkeitsgeste, die man mittlerweile nur noch in Holofilmen sah.

Im Gegensatz zu den menschlichen Gästen trug Sar-Say keinen Anzug. Die braun bepelzte Brust hatte er aber mit einer diagonalen roten Schärpe drapiert. Das einzige weitere Kleidungsstück waren Shorts aus einem dunklen, edel anmutenden Material. Es war überhaupt das erste Mal, dass Lisa ihn mit mehr bekleidet sah als mit einem Koppelgürtel.

»Hallo, Sar-Say. Meine Güte, was bist du heute Abend fesch!«

Der Broa quittierte das Kompliment mit den folgenden Worten: »Ich weiß, was du damit sagen willst. Professor Fernandez war der Ansicht, dass dieses Arrangement dem feierlichen Anlass durchaus angemessen sei, ohne dabei die Kühlung meines Körpers zu beeinträchtigen.«

»Dein Standard hat sich verbessert, seit wir zuletzt miteinander gesprochen haben.«

»Ja. Durch meine Gespräche mit den Leuten hier am Institut hatte ich sehr viel Kommunikationspraxis. Ich arbeite aber noch an meinen Idiomen. Darf ich sagen, dass du heute Abend sehr gut aussiehst?«

Sie lächelte. »Vielen Dank für das Kompliment.«

Sar-Say richtete seine Aufmerksamkeit auf Mark und reichte ihm die Sechsfingerhand. »Es ist gut, Sie wiederzusehen, Mark.«

»Ganz meinerseits«, erwiderte Mark und schüttelte die ausgestreckte Hand. Dabei fragte er sich, ob Sar-Say sich wirklich freute, ihn zu sehen. Immerhin war er derjenige, der die wahre Identität des Pseudoaffen entdeckt und seinen Plan durchgekreuzt hatte, dem Gewahrsam der Menschheit zu entkommen.

»Womit beschäftigen Sie sich gerade?«, fragte Sar-Say.

»Wir arbeiten in Colorado Springs.«

»Ach, das sogenannte ›Gibraltar-Institut‹. Dem Vernehmen nach planen Sie einen Angriff gegen die Zivilisation … Verzeihung, die Souveränität

»Woher haben Sie das denn?«

»Aus den Nachrichten.«

»Wir prüfen lediglich unsere Optionen«, erwiderte Mark kryptisch.

»Ich hoffe, dass Sie es mir nicht übelnehmen, wenn ich Ihnen sage, dass Ihr Plan der reinste Wahnsinn ist.«

»Ach was«, log Mark. »Wenn es Wahnsinn ist, dann handelt es sich um eine spezifisch menschliche Form der Krankheit.«

»Ja, ich blicke so langsam durch. Wenn ich das mal so sagen darf, ist die Psychologie Ihrer Spezies ziemlich faszinierend. Ihre Arroganz … ist dies das richtige Wort, Lisa?«

»Es wird benutzt, wenn man einen negativen Aspekt hervorheben will.«

»Danke schön. Also eure Arroganz ist ein Ergebnis eurer langen Isolation. Denn im gesamten Verlauf eurer Geschichte seid ihr die Herren dieser kleinen Welt gewesen, und ihr wollt dieses Gefühl der Überlegenheit nun aufs Universum projizieren. In Wirklichkeit seid ihr aber ein völlig unbedeutender Faktor im großen Weltenplan. Wenn ihr euch erst einmal über die Größe der Souveränität im Klaren seid, werdet ihr das schon noch begreifen.«

»Ich glaube, dass wir uns jetzt schon über ihre Größe im Klaren sind. Du hast gesagt, dass die Souveränität eine Million Sonnen kontrolliert.«

»Nur Worte«, erwiderte Sar-Say. »Die Wirklichkeit hinter den Worten muss euch erst noch … ist ›bewusst werden‹ das richtige Idiom, Lisa?«

Sie nickte.

»Die Wirklichkeit muss euch also erst noch bewusst werden«, fuhr Sar-Say fort. »Und wenn sie euch schließlich bewusst geworden ist, werdet ihr erkennen, dass ihr euer Ziel unmöglich verwirklichen könnt.«

»Ich glaube mich zu erinnern, dass du uns angeboten hast, ein angenehmes Leben zu führen, wenn wir dir dabei helfen, der Meister dieses Planeten zu werden«, sagte Mark. »Gilt das Angebot noch?«

»Es gilt«, erwiderte Sar-Say, wobei er den Sarkasmus entweder nicht erkannte oder geflissentlich ignorierte. »Ihr solltet lieber studieren, wie man eure Spezies am besten in die Zivilisation integriert, anstatt einen Kurs zu verfolgen, der zwangsläufig in eure Auslöschung mündet.«

Das war grundsätzlich derselbe Ton, den Sar-Say schon während ihrer Flucht von Klys’kra’t angeschlagen hatte. Das hatte Mark damals geärgert und ärgerte ihn auch jetzt. Natürlich war gerade seine beharrliche Weigerung, Sar-Says Zumutungen zu akzeptieren, die ›Initialzündung‹ für den Gibraltar-Erde-Plan gewesen. Also sagte er sich, dass er ihm eher dankbar sein müsse.

Ihr Austausch mit dem Broa hatte eine Menge Zuschauer angelockt. Im Allgemeinen wurden solche bedeutsamen Dinge nicht auf akademischen Empfängen erörtert.

»Es gibt immer noch die Vasloff-Alternative«, sagte Mark. »Wenn wir nicht kämpfen können, verstecken wir uns eben.«

Sar-Say bekundete sein Missfallen mit einer broanischen Geste statt mit dem erlernten menschlichen Pendant. »Die Studien des Pariser Instituts sind bloß die Kehrseite der Medaille. Euer Planet strahlt zu hell auf den Kommunikationsbändern, um für immer im Verborgenen zu bleiben. Früher oder später wird eins unserer Observatorien euch entdecken. Es wäre besser, sich uns freiwillig zu fügen. Wenn ich euch das doch nur begreiflich machen könnte.«

»Eher friert die Hölle zu«, murmelte Mark.

»Ja, das ist eins der Idiome, die ich kürzlich gelernt habe. Eine interessante Formulierung …«

Sar-Says Bemerkung wurde durch die Annäherung von Direktor Fernandez unterbrochen, der den Menschenauflauf und die zunehmend hitzige Reaktion von Mark bemerkt hatte. Was Sar-Say betraf, hätte er genauso gut über das Wetter räsonieren können. Seine sachliche Attitüde erinnerte Lisa daran, wie fremdartig Sar-Say in Wirklichkeit war.

»Gemach, gemach«, sagte Fernandez und bahnte sich einen Weg zwischen den Umstehenden hindurch. »Sie dürfen unseren Ehrengast nicht mit Beschlag belegen. Worüber habt ihr beiden überhaupt gesprochen?«

»Nur alte Erinnerungen wieder aufgewärmt«, erwiderte Lisa.

»Der Bürgermeister würde Sar-Say gern kennenlernen. Wenn Sie uns also entschuldigen würden.«

Ohne eine Antwort abzuwarten, führte er den Broa durch die Menge zu einer Gruppe von Fakultätsmitarbeitern, die sich um einen rundlichen Mann mit einem roten Gesicht geschart hatten. Mark schaute ihnen nach. Trotz aller Macht, die er verkörperte, sah er immer noch aus wie ein alberner Affe. Vielleicht, sagte Mark sich, war der kleine Broa gerade deshalb so gefährlich.

»Immer noch dasselbe arrogante kleine Arschloch, stimmt’s?«

Lisa schmiegte sich zitternd an ihn. Diesmal war es nicht die Kälte. »Und wenn er doch recht hat, Mark? Wenn wir uns eine unmögliche Aufgabe gestellt haben?«

Er zuckte die Achseln. »Dann glaube ich, dass wir mit fliegenden Fahnen untergehen werden. Das ist zwar nicht das, was ich als eine optimale Lösung betrachten würde, aber es ist die einzige Alternative.«


»Sar-Say«, sagte Direktor Fernandez, »ich möchte Sie nun dem Ehrenwerten Douglas Harrigan, dem Bürgermeister unserer schönen Stadt vorstellen.«

Sar-Say verneigte sich. »Bürgermeister Harrigan, es ist mir ein Vergnügen, Ihre Bekanntschaft zu machen.«

»Ganz meinerseits«, sagte der Politiker mit seiner rhetorisch geschliffenen Bassstimme, nachdem er ein paar Dutzend Meter entfernt einen Gast mit einer kleinen Holokamera entdeckt hatte. Der Gast war ein Reporter von einem der globalen Nachrichtennetze. »Ich möchte Sie in unserer schönen Stadt willkommen heißen. Haben Sie schon viel davon gesehen?«

Sar-Say schüttelte den Kopf. »Nur mein Quartier am Institut. Ich hätte aber Interesse an einer Stadtrundfahrt.«

»Dann müssen wir eine arrangieren«, erwiderte der Bürgermeister und wandte sich dann an einen anderen Mann. »Ich möchte Ihnen auch Gustavus Adolphus Heinz vorstellen, einen unserer angesehensten Bürger. Er ist im selben Geschäft wie Sie, Sar-Say: interstellarer Import/ Export.«

»Guten Abend, Herr Heinz«, sagte Sar-Say förmlich. »Sie sind nach dem großen schwedischen Krieger benannt?«

»Wie wahr«, erwiderte der Geschäftsmann. »Woher wissen Sie das denn?«

»Ich habe das Studium der menschlichen Geschichte in den letzten Jahren zu meiner Berufung gemacht … der Not gehorchend.« Sein Versuch, sich in menschlichem Humor zu üben, wurde mit höflichem Gelächter belohnt. »Schließlich ist es zu meiner Leidenschaft geworden.«

»Dann waren Sie also auch im Import/Export-Geschäft, nicht wahr?«, fragte Heinz.

»Gewissermaßen. Ich war das, was Sie einen Buchhalter nennen würden. Es war meine Aufgabe, die Besitztümer meines Clans zu inspizieren und sicherzustellen, dass wir eine angemessene Rendite für unsere diversen Unternehmungen erzielten.«

»Ich weiß, wovon Sie sprechen«, erwiderte Heinz mit Verve. »Die Angestellten rauben einen komplett aus, wenn man sie gewähren lässt.«

»Die Situation ist in der Souveränität zwar eine etwas andere, aber wir haben immer noch einen gemeinsamen Nenner.«

»Ich habe gehört, dass diese Souveränität ziemlich groß ist.«

Sar-Say bestätigte das mit einer bejahenden Geste. »Wir herrschen über fünfmal zwölf hoch fünf Sonnen. Nach menschlichen Begriffen sind das ungefähr eine Million Sterne.«

Sowohl der Bürgermeister als auch Heinz stießen einen leisen Pfiff aus. »Und wie groß ist die Population?«, fragte Harrigan.

»Wir bevorzugen eine niedrigere Bevölkerungsdichte als hier auf der Erde. Durchschnittlich gibt es wahrscheinlich eine Milliarde Empfindungsfähiger auf jeder Welt.«

Gus Heinz blinzelte. Als er wieder sprach, geschah das schleppend. »Sie haben eine Bevölkerung … von einer Billiarde Personen?«

Sar-Say übte sich im Kopfrechnen. »Ja, das ist richtig. Wir haben zehn hoch fünfzehn Empfindungsfähige. Aber es handelt sich, genau genommen, nicht um ›Personen‹ im menschlichen Sinn. Es gibt fast so viele Arten von Empfindungsfähigen, wie es Welten gibt.«

»Das Potenzial für den Handel muss doch enorm sein!«

»O ja«, erwiderte Sar-Say mit plötzlichem Interesse. »Es gibt buchstäblich Hunderte Millionen Sternenschiffe, die Waren aller Art zu unseren verschiedenen Welten transportieren. Interessiert Sie das, Herr Heinz?«

»Natürlich«, erwiderte Heinz. Nun verrutschte sein übliches Pokergesicht, und Sar-Say erkannte einen menschlichen Ausdruck, den er zuvor noch nicht gesehen hatte.

»Ich interessiere mich für alle Aspekte des menschlichen Lebens. Ich finde aber, dass bei Ihren Akademikern der kaufmännische Aspekt zu kurz kommt … ist das der richtige Ausdruck? Wenn Sie Zeit haben, würden Sie mich vielleicht in Ihre kommerziellen Methoden einführen?«

»Es wäre mir ein Vergnügen«, erwiderte Heinz; sein Ton war plötzlich genauso verhalten wie Sar-Says. In diesem Moment wurde eine unausgesprochene Vereinbarung zwischen Mensch und Alien getroffen. Es war fast, als ob sie ihre Gedanken zu lesen vermochten.

Auch aus dieser Situation vermochte man Kapital zu schlagen, wenn man nur wusste, wie man es anstellen musste. Nur dass Heinz’ Definition von ›Gewinn‹ nicht der von Sar-Say entsprach.