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Penny schaute auf den großen Bildschirm, wo eine Grafik jetzt den Planeten Erde zeigte, eine schematische, mit klotzigen Kontinenten bedeckte Kugel, auf die etwas zukam, was wie eine Schrotgarbe aussah. Nichts davon war maßstabsgetreu.

Die Schrotgarbe kroch immer näher an die Erde heran.

Jiang war jetzt ebenso auf den Beinen wie Erdschein. Selbst Kings Security-Leute waren aufgestanden und kamen ins Zentrum des Raumes. Es war, als verspürten sie alle einen urtümlichen Drang, dachte Penny, sich in diesem Moment äußerster Gefahr eng zusammenzuscharen.

Sie trat zu Jiang und legte ihm eine Hand auf den Arm; er legte seine Hand auf ihre.

King bebte vor Zorn. »Wenn diese Dreckskerle in Beijing bluffen, treiben sie’s aber wirklich auf die Spitze.«

Penny wusste, dass er recht hatte. Sie stellte sich metaphorische Finger an Abzügen vor, überall im ganzen Sonnensystem.

Der Servoroboter kam angesurrt und bot ihnen frischen Kaffee an. Penny musste lachen. »Gutes Timing.«

Jiang atmete schwer. »Nein. Die Welt geht heute nicht unter. Ich glaube es wenigstens nicht. Sehen Sie sich das an.«

Penny sah, dass die Schrotkugeln jetzt eine nach der anderen erloschen, noch während sie auf die Erde zusteuerten. Sie schaute sich nach Bildern um, die das bestätigten. Ein Clip, den ein Spionagesatellit aufgezeichnet hatte, zeigte ein Splitterfragment, das detonierte und zu Staub zerfiel, unmittelbar bevor es auf die Atmosphäre traf. Der Clip wurde immer wieder abgespielt.

»Ich verstehe nicht«, sagte King. »Sieht so aus, als würden all diese Scherben die Atmosphäre erreichen.«

»Aber den Boden sollen sie nicht erreichen«, stieß Penny hervor. »Genau darum geht es ja. Es ist eine Demonstration der Chinesen. Aber sie wird nicht ohne Folgen bleiben.« Sie ließ den Blick über die Batterie der Bildschirme schweifen und fand das Bild nicht, nach dem sie suchte. »Erdschein. Kannst du uns den Himmel zeigen? Nur den Himmel über Paris, über der Gare du Nord.«

Er durchsuchte seine Bildschirme. »Ich bin sicher, dass …«

Penny fuhr mit einer Hand brutal durch seinen virtuellen Kopf; Pixel zerstreuten sich. »Hör auf, den Menschen zu spielen. Es wird Zeit, dass du deine Superkräfte einsetzt. Greif einfach darauf zu und zeig ihn uns.«

Einen Moment lang wirkte er schockiert. Dann wurde sein Gesicht ausdruckslos, und er stand stocksteif da, ohne auch nur die Atmung zu simulieren.

Ein großer Bildschirm leuchtete auf. Man sah die Stadtlandschaft von Paris, Gebäude aus Sandstein, Beton, Glas und Stahl unter der Sonne, einen blauen Himmel – nein, der Himmel war zunehmend weniger blau, die Sonne weniger hell. Vor ihren Augen verdichtete sich ein Grau, Staubkörnchen von abertausend Splitterscherben, die sich in der Stratosphäre ablagerten und die Erde in ein Leichentuch hüllten. Eine Art Zwielicht legte sich über Paris, und die noch immer hoch am Frühlingsnachmittagshimmel stehende Sonne wurde zu einer fahlen Scheibe, einem Abglanz ihrer selbst.

»Was hat das zu bedeuten?«, fragte King. »Sagt mir das einer von euch. Was geht da vor? Was hat das zu bedeuten?«

»Winter«, sagte Erdschein.