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Die KolE, die im Lauf der Zeit immer philosophischer wurde, wartete mit weiteren komplexen, verwirrenden Ausführungen über das Leben auf Per Ardua auf.
Zu diesem Zeitpunkt saß Yuri gerade zusammen mit Beth auf ihrem Rücken, während sie die letzte fünfzig Kilometer lange Reise vom neuen zum alten Lager und zurück absolvierten. Er fand, dass die KolE sich schon den ganzen Tag seltsam verhalten hatte, schrieb es jedoch den üblichen Programmverletzungsproblemen zu, die sie von Anfang an mit der Verlegung des Lagers gehabt hatte. Offenbar ein Irrtum.
Zum Glück bekam Beth von all dem nichts mit. Beth Eden-Jones war jetzt sieben Jahre alt, und sie war schon ihr ganzes Leben lang an die ständigen Umzüge gewöhnt. Die erste Verlagerung des jilla war just im Monat ihrer Geburt erfolgt, und seither hatte es sieben weitere Verlagerungen gegeben, ungefähr eine pro Jahr, die den See von seinem Ausgangspunkt fast zweihundert Kilometer weit nach Süden versetzt hatten. Die Familie war ihm jedes Mal brav gefolgt und hatte ihre abgebrochenen Behausungen, ihr Werkzeug und all ihre anderen Habseligkeiten bis hin zu ganzen Wagenladungen von Ackerkrume mithilfe ihres Lastesels, der geduldigen, massigen KolE, mitgeschleppt.
Die letzte Verlagerung lag nun jedoch schon ein ganzes Jahr zurück, und seitdem war in Beths Kopf ein Funke aufgeleuchtet. Diesmal war sie keine passive Mitreisende mehr; jetzt wollte sie alles verstehen. Deshalb hatte sie darum gebettelt, Yuri auf diesen Pendeltrips zwischen dem alten und dem neuen Lagerplatz begleiten zu dürfen. Mardina ließ sie gern mit Yuri fahren – vor allem, weil sie dadurch nicht mitbekam, wie die Erbauer ihren aktuellen brutalen Eroberungskrieg gegen ihre Verwandten an der neuen Position des jilla beendeten. Doch bei diesem Ausflug, dieser letzten Fuhre, war Beth quengelig.
Sobald sie alles aufgeladen hatten, brach die KolE zum letzten Transport auf. Von dem alten Lagerplatz war nicht mehr viel übrig, nur ein abgenutztes Stück Boden, ein schwelendes Feuer und ein paar Müllhaufen in der Nähe eines schlammigen Seebetts, das bereits austrocknete. Erneut wandten sie sich nach Süden und folgten den Wasserläufen, durch die die Erbauer das Wasser des jilla getrieben hatten. Beth, die neben ihrem Vater auf dem Panzer der KolE saß, schaute sehnsüchtig zurück. »Warum können wir nicht mal in die andere Richtung gehen, Dad?«
»In welche Richtung, Schätzchen? Nach Norden? Wozu? Dort ist nichts. Da gibt’s nicht mal Wasser zum Trinken.«
»Ich weiß. Aber da ist das allererste Lager, nicht wahr? Irgendwo dahinten.«
»Wo du zur Welt gekommen bist.«
»Das weiß ich. Aber ich kann mich nicht dran erinnern.«
»Es ist zu weit. Unterwegs gibt es kein Wasser. Wir könnten nicht so weit laufen.«
»Wir könnten auf der KolE fahren«, sagte sie hoffnungsvoll. »Wir könnten Wasser mitnehmen. Wir könnten unsere Betten und so mitnehmen, und Mister Sticks.« Die KolE hatte Mister Sticks, ihr Lieblingsspielzeug, aus zerbrochenen Stängeln gebastelt; die Puppe war eine eigentümliche Mischung aus menschlichen und Erbauer-Merkmalen, wie eine dreibeinige Marionette.
»Kein schlechter Plan, Schätzchen. Aber die KolE würde uns nicht so weit tragen.«
»Könnte sie aber.«
»Würde sie aber nicht. Sie … will nicht.«
»Du könntest sie zwingen.«
»Nur, wenn ich ihr wehtue. Und das wäre gemein, oder?« Besser würde es ihm wohl kaum gelingen, Beth Programmkonflikte in der KI der KolE zu erklären.
»Ja, wahrscheinlich …«
»Was willst du da oben überhaupt sehen? Es ist genauso wie an all den anderen Orten, wo wir unser Quartier aufgeschlagen haben. Bloß ein Haufen altes Zeugs, das wir bei unserem Umzug weggeworfen haben. Aufgegebene Felder …« Und ein paar Gräber.
»Aber ich will die Straße sehen, wo das Shuttle runtergekommen ist.« Sie ahmte mit der Hand ein landendes Flugzeug nach, machte jedoch ein Geräusch wie die flatternden Dreifach-Propellerflügel eines arduanischen Drachens, das einzige fliegende Ding, das sie je gesehen hatte. »Flisch-flisch-flisch. Mom sagt, er hat Spuren gemacht, an denen man stundenlang entlanggehen kann.«
»Ja, stimmt. Kilometerlange Bremsspuren. Teilweise zu einer festen Masse verschmolzen, als die Bremsraketen gezündet haben. Das wäre vielleicht sehenswert, wenn es noch da ist. Aber wir können nicht dorthin, Schätzchen. Tut mir leid.«
»Vielleicht irgendwann.«
»Tja …«
»Fahr mit mir irgendwann dorthin, wenn ich Geburtstag habe.« Das war Beths Trumpfkarte.
Ihre Geburtstage waren ein Problem. Yuri hatte nur langsam begriffen, dass Mardina selbst nach Beths Geburt an ihrem Glauben – oder Wunschtraum – festhielt, die IRF wäre nie wirklich abgeflogen, käme eines Tages aus ihrem Versteck, aus der Umlaufbahn oder woher auch immer, gäbe sich zu erkennen und würde sie alle retten. Vielleicht würde die Entbindung des Babys der Auslöser sein, wenn die IRF-Autoritäten zu der Überzeugung gelangten, dass die Kolonisten ihren Durchhaltewillen unter Beweis gestellt hatten, indem sie Kinder bekamen. Nun, das war nicht geschehen. Zum Zeitpunkt der Geburt hatte sie es nicht erwähnt, und Yuri hatte es vergessen.
Doch an Beths erstem Geburtstag brach der Damm, und Mardina bekam einen Tobsuchtsanfall, weil sie den Verrat nun endlich nicht mehr leugnen konnte. Das verursachte eine Menge Spannungen. Trotzdem war es ein Geburtstag. Yuri hatte versucht, mit Butter und Zutaten aus der eisernen Kuh im Innern der KolE einen Kuchen zu backen. Die KolE hatte sogar Kerzen aus synthetisiertem Fett hergestellt. Mardina ruinierte alles. Beth war noch zu klein gewesen, um es zu verstehen, aber Yuri erinnerte sich noch immer sehr deutlich an den Tag, an dem Mama ausgeflippt war.
Im nächsten Jahr hatten sie sich auf Yuris sanftes Drängen hin darauf geeinigt, den Geburtstag zu feiern. Schließlich hatte Beth keine anderen Kinder um sich, sie würde nie zur Schule oder aufs College gehen oder all die anderen Meilensteine einer Entwicklung erleben, wie sie normale Kinder erlebten, selbst in einem Dreckloch wie Eden auf dem Mars. Einen Geburtstag jedoch, etwas, was ganz allein ihr gehörte, konnte man immer festlegen und feiern. Und als Verbindung mit den Zeitzyklen der Erde stellte er auch eine Erinnerung an tiefere Wurzeln dar. Doch als dieser zweite Geburtstag dann nahte, waren die Echos des ersten noch stark, und Mardina zog sich in sich selbst zurück.
Seitdem hatten sie jeden Geburtstag von Beth gefeiert, aber es gab jedes Mal Spannungen. Und Beth griff das mit dem ganzen Charme eines kleinen Kindes auf und nutzte es geschickt aus. Yuri versuchte einfach, mit all dem klarzukommen. Niemand hatte ihm gegenüber jemals behauptet, das Leben wäre ein Zuckerschlecken.
»Hör mal, es ist schon spät, warum schläfst du nicht ein bisschen? Dann bist du frisch für Mom, wenn du nach Hause kommst.«
»Ich will aber nicht schlafen.«
»Versuch’s einfach«, sagte er mit seiner Schluss-jetzt-Stimme, die im Verlauf der sieben Jahre oft genug zum Einsatz gekommen war.
Also gehorchte Beth. Sie zappelte in ihren Halteseilen herum, bis sie auf ein paar Decken lag, und kuschelte sich ans Bein ihres Vaters. Er legte einen Arm um sie und strich ihr mit der freien Hand über die kurz geschnittenen glatten Haare. Von Anfang an hatten sie Probleme mit ihren Schlafenszeiten gehabt. In den endlosen Proxima-Tag hineingeboren, war sie offenbar ein entscheidendes Quäntchen losgelöster vom Rhythmus der fernen Erde und verstand nicht, warum sie schlafen gehen musste, wenn ihre Eltern es taten, zu scheinbar willkürlichen Zeiten im unaufhörlichen Licht. Doch wenn sie nicht dafür sorgten, dass Beth ihren regelmäßigen Schlaf bekam, würde sie ausbrennen und zusammenbrechen. Deshalb hatten Yuri und Mardina ein gemeinsames Kontrollsystem entwickelt.
Auch die in gewissem Umfang auf Kinderbetreuung programmierte KolE wurde darin einbezogen. Sie unterstützte die Anweisungen der Eltern immer, und das war auch gut so, dachte Yuri, sonst hätte Mardina sie mit Begeisterung stillgelegt. Die KolE war die dritte »Person« in Beths eingeschränktem Leben, und Beth fand nichts Seltsames daran, einen Landwirtschaftsroboter gewissermaßen zum Onkel zu haben. Dass die KolE eine Expertin darin war, Puppen aus toten Stängelschäften zu basteln, tat ihrem Image auch keinen Abbruch.
Bald darauf schlief Beth mit sanftem, leisem Schnarchen.
Yuri hatte Zeit, sich auf ihre Route zu konzentrieren. Schließlich rechnete er nicht damit, dass er jemals wieder hierherkommen würde. Die KolE folgte ihren eigenen Spuren am Ufer eines breiten, verzweigten Flussbetts entlang. Wie die meisten Kanäle, durch die die Erbauer den Wasserstrom ihres Sees leiteten, war dieses Bett bereits vorhanden, aber knochentrocken gewesen, bevor der See kam. Jetzt war es von den Ablagerungen des hindurchströmenden Seewassers übersät: zerbrochene Stängel, ein paar kaputte Erbauer-Fallen, tote Wassergeschöpfe von Fischen bis zu Krebsen und Quallen – oder vielmehr deren hiesige Gegenstücke –, dazu andere, die sie erst noch identifizieren mussten. Es gab sogar ein wenig Seetang terrestrischen Ursprungs, die genmanipulierten Algen, die von der Ad Astra zu dieser Welt gebracht worden waren.
Auch nach jahrelanger Beobachtung hatte selbst die KolE noch immer keine Ahnung, wie die Erbauer diese hydrologischen Transfers so erfolgreich bewerkstelligten. Der See blieb manchmal monate- oder jahrelang an einer Stelle – wie sich herausgestellt hatte, war das Gebiet beim Landeplatz des Shuttles sein bisher längster Aufenthaltsort gewesen, und in der Tat wurden die Abstände zwischen den Verlagerungen generell kürzer. Es war klar, dass die Erbauer vorhandene Wasserläufe nutzten, obwohl sie manchmal kanalartige Verbindungswege gruben oder erweiterten, und dass sie den Wasserstrom mit ihren charakteristischen Haufen genau in die gewünschte Richtung lenkten.
Und überall, wo der See sich schließlich sammelte, wurde er von lokalen Strömen und Quellen gespeist. Das Rätselhafte daran war, dass sich die Lage der Quellen in der Region permanent änderte, weil unterirdische Wasseradern verschoben oder unterbrochen und die Grundwasserspiegel neu angeordnet wurden, während sich das Land weiterhin hob – und die KolE erinnerte sie fortwährend daran, dass sich im Norden offenbar ein dramatisches geologisches Ereignis entwickelte. Die Erbauer schienen immer schon im Voraus zu wissen, wo die nützlichen Quellen sein würden und wie der See wiederhergestellt werden konnte. Sie besaßen zwar keine Landkarten, kannten sich aber offenbar mit Geografie aus; irgendwie mussten sie imstande sein, die Landschaft zu visualisieren.
Als Yuri gerade darüber nachdachte, unterbrach ihn die KolE mit ihrer neuesten Theorie.
Die KolE blieb abrupt stehen.
Beth murmelte und bewegte sich. Yuri strich ihr über den Kopf, und sie beruhigte sich wieder. Er schaute sich um, aber ihm fiel nichts Besonderes auf. Es gab keinen ersichtlichen Grund, weshalb sie angehalten hatten.
Die KolE fuhr ein kleines Stück zurück und rollte dann vorwärts. Ihr alterndes Getriebe mahlte knirschend. Beth bewegte sich erneut, bevor sie wieder zur Ruhe kam.
»Hey!«, flüsterte Yuri eindringlich. »Was ist los mit dir?«
Die Stimme der KolE war ebenso leise. »Yuri Eden?«
»Warum hast du angehalten? Fahr weiter, bevor die Kleine aufwacht, sonst macht Mardina uns alle fertig.«
»Tut mir leid. Ich hatte nicht bemerkt, dass ich angehalten habe.« Mit einem leichten Ruck fuhr sie weiter.
»Also, was war da gerade los?«
»Sagen wir, es war eine existenzielle Krise, Yuri Eden.«
Yuri stöhnte innerlich. Nicht schon wieder.
Er wusste, er würde Mardina von diesem Vorfall erzählen müssen, was immer es damit auf sich hatte; alles Erratische im Verhalten der KolE bereitete ihr Sorgen. Die KolE hatte von Anfang an klargemacht, dass es ihre tiefsten Programmierungsschichten verletzen würde, wenn man sie zwänge, den Kolonisten dabei zu helfen, die ihnen von der Crew des Sternenschiffs zugewiesenen Landeplätze zu verlassen und woandershin zu ziehen. Als der See zum ersten Mal verlegt worden war, hatte die KolE in ihrer algorithmischen Seele folglich vor einem Konflikt zwischen den Aufträgen gestanden, ihre menschlichen Schützlinge am Leben zu erhalten und nah beim ursprünglichen Landeplatz zu bleiben. Die Bewahrung des Lebens hatte den Sieg davongetragen. Aber Mardina, die erheblich mehr über die IRF-KIs wusste als Yuri, machte sich Sorgen, dass dabei tief in ihrem Innern irgendein Schaden angerichtet worden sein könnte. All das ging über Yuris Horizont und erst recht über den seiner siebenjährigen Tochter, seiner kleinen muda-muda.
Jetzt fragte er widerstrebend: »Was für eine existenzielle Krise?«
»Ich bin zu einem Schluss gelangt, der mich verwirrt und erschreckt. Gerade habe ich von meinen internen Laboreinrichtungen die Ergebnisse der Analyse eines neuartigen Organismus bekommen, mit deren Hilfe ich eine genetische Kartierung abschließen konnte – wie du weißt, gehört es zu meinen Langzeitprojekten, einen Stammbaum des Lebens der einheimischen arduanischen Flora und Fauna zu erstellen …«
»Weißt du, ich wünschte, ich hätte einfach bloß einen Lastwagen.«
»Yuri Eden?«
»Wie die Rover auf dem Mars. Einen Lastwagen, den ich fahren könnte. Die Anzahl derartiger Gespräche, die ich im Lauf der Jahre mit dir geführt habe …«
»Ich kann nicht anders.« Die Stimme der KolE klang beinahe unglücklich. »Ich kann meine Neugier nicht im Zaum halten. Und ich soll es auch nicht. Bis meine Kenntnisse über diese Welt umfassend genug sind …«
»Sag’s mir einfach.«
Sie hielt inne, als würde sie ihre Gedanken sammeln. »Ich habe dir erzählt, Yuri Eden, dass das Leben auf dieser Welt grundlegende Ähnlichkeit mit dem auf der Erde aufweist, aber nicht mit ihm identisch ist. Ich glaube, die beiden Biosphären könnten durch einen panspermischen Prozess miteinander verbunden sein, der schon zu einem sehr frühen Zeitpunkt stattgefunden hat. Die Anfangszeit des Lebens auf Per Ardua könnte derjenigen auf der Erde geglichen haben, eine Welt einfacher Bakterien, die ihre Energie aus chemischen Reaktionen im Gestein bezogen. Dabei war jedoch immer weitaus mehr Energie verfügbar, hundertmal so viel, und sie kam vom Himmel herab …«
»Das Licht von Proxima.«
»Ja. Der nächste Schritt war also die Entwicklung von Formen der Fotosynthese, von Lebewesen, die ihre Energie direkt aus diesem Licht beziehen konnten. Diese neue Art besiedelte die Oberfläche, während die älteren Arten überlebten, indem sie tiefer in den Planeten hinabsanken. Dort leben sie immer noch, in riesigen Riffen, in Höhlen, in porösem Gestein und Wasserschichten, und träumen unerkennbare Träume. In Wahrheit sind die Mikroben in den tiefen Schichten von der Masse her die vorherrschende Lebensform, auf der Erde genauso wie auf Per Ardua. Doch an der Oberfläche wurde mit der Entwicklung der Fotosynthese letztendlich Sauerstoff als Nebenprodukt freigesetzt.«
»Wie bei den Grünalgen auf der Erde.«
»Ja. Dieser Schritt, die Sauerstoffproduktion, war offenbar nicht so leicht zu erreichen; auf der Erde gab es so etwas nur ein einziges Mal, und zwar infolge der Kopplung zweier älterer fotosynthetischer Prozesse. Den entsprechenden Prozess auf Per Ardua habe ich noch nicht vollständig verstanden – er ist notwendigerweise anders, weil der Energiegehalt des Lichts hier weitgehend im Infrarotbereich liegt –, aber er ist offensichtlich genauso komplex, und es ist genauso unwahrscheinlich, dass er stattgefunden hat.«
»Und doch hat er stattgefunden.«
»So ist es, und ich konnte dieses Ereignis anhand von Spuren im genetischen Archiv Per Arduas datieren: vor rund zwei Milliarden und siebenhundert Millionen Jahren.« Sie hielt inne. Als Yuri nicht reagierte, fuhr sie fort: »Der nächste große Schritt in der Entstehung des arduanischen Lebens, der sich wiederum auf der Erde spiegelte, war die Entwicklung einer neuartigen Zellform: ein viel komplexerer Organismus, eine Zelle mit Zellkern, mit verschiedenen Mechanismen innerhalb einer umschließenden Membran. Dabei half natürlich die Energie, die durch die Verbrennung des ganzen in der Luft konzentrierten Sauerstoffs zur Verfügung stand. Derart komplexe Zellen sind die Grundlage allen vielzelligen Lebens. Das schließt euch selbst ein, und auch die Erbauer. Dabei handelte es sich um eine informationelle, nicht um eine chemische Revolution; diese komplizierten Lebewesen brauchten ungefähr tausendmal so viele genetische Informationen wie ihre einfacheren Vorfahren, um sich zu definieren.«
»Ein weiterer unwahrscheinlicher Schritt.«
»Ja. Aber auch er ist auf beiden Welten erfolgt. Auf Per Ardua ist es vor rund zwei Milliarden Jahren geschehen.« Eine weitere Pause. »Ich bin nicht sicher, Yuri, ob dir klar ist, was das …«
»Erzähl mir einfach die Geschichte«, sagte Yuri. Er strich seiner Tochter über die Haare. Allmählich wurde er selber müde.
»Vielzelliges Leben ist erst später entstanden – offenbar ein weiterer schwieriger Schritt. Auf der Erde waren es zunächst Seegräser wie die Algen, die wir nach Per Ardua importiert haben …«
Das neue Lager kam in Sicht, der See, der sich in die Konturen seiner neuesten Küstenlinie schmiegte. Überall am Ufer des Sees sah Yuri Erbauer, die eifrig ihren Tätigkeiten nachgingen. Von Mardinas Lagerfeuer stieg Rauch empor.
Die KolE sprach noch immer über uraltes Leben. »Von all den großen Revolutionen des Lebens ist diese auf der Erde am leichtesten zu identifizieren, weil sie so deutliche Spuren im Fossilarchiv hinterlassen hat. Auf Per Ardua gibt es natürlich kein nennenswertes Fossilarchiv. Und doch …«
»Und doch hast du es durch deine heldenhaften Anstrengungen herausgefunden.«
»Ich versuche nur, es zu erklären, Yuri Eden.«
»Na schön.«
»Ja, ich habe Spuren dieses Ereignisses in den Genen gefunden, aber auch in einigen archaischen Organismen, die bis zum heutigen Tag auf Per Ardua überlebt haben. Und – jetzt kommt der entscheidende Punkt, Yuri Eden – ich habe festgestellt, dass all dies vor rund fünfhundertzweiundvierzig Millionen Jahren geschehen ist. Verstehst du? Siehst du es?«
»Was soll ich sehen?« Beth setzte sich auf und rieb sich die Augen. »Ich habe im Traum Rauch gerochen. Ich dachte, die KolE brennt!«
»Nein, Schätzchen, es ist bloß das Lagerfeuer.« Yuri sah und verstand überhaupt nichts, ihm waren solche abstrakten Dinge völlig egal, und noch während die Maschine ins Lager rollte, vergaß er das Gespräch bereits. »Geh und such deine Mom, Süße, und ich helfe der KolE, alles sicher zu verstauen.«