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Hauptmeister Tom Hauser hatte sich freiwillig für die Bewachung von Zimmer 101 gemeldet. Sein Streifendienst in den letzten Wochen war anstrengend gewesen. Vor allem der Einsatz beim Brand des Pfarrhauses hatte einige Überstunden nötig gemacht, und nun hoffte er auf ein paar ruhige Stunden auf der Chirurgiestation des Stadtklinikums.

Es war in der Tat alles ruhig, um nicht zu sagen zu ruhig. Hauser hatte sich bereits zu langweilen begonnen. Außerdem wurde der ungepolsterte Plastikstuhl immer unbequemer.

Auf dem Stuhl neben ihm lag ein Stapel Zeitschriften, die er sich aus dem Schwesternzimmer geliehen und inzwischen durchgelesen hatte, und seine Schicht sollte noch weitere vier Stunden dauern. Also hatte er eine der Schwestern gefragt, ob sie ihm einen Kugelschreiber für das Kreuzworträtsel leihen könne.

Nein, hatte diese entgegnet, ihren Kugelschreiber werde sie nicht aus der Hand geben, da es mal wieder ihr einziger sei. Dieses Krankenhaus leide nicht nur unter einem Pflege-, sondern auch unter einem Kugelschreibernotstand, hatte sie seufzend hinzugefügt. Stattdessen gab sie ihm einen Bleistift.

Wie sich spätestens bei der altägyptischen Königin mit neun Buchstaben herausstellen sollte, war der Bleistift sogar noch besser, fand Hauser, und ließ »Kleopatra« mit dem Radierer an der Rückseite verschwinden und zu »Nofretete« werden.

Hin und wieder waren aus dem Krankenzimmer leise Geräusche zu hören. Das Scharren eines Stuhls auf dem Linoleumboden, das Klappern einer Tasse oder das Schlurfen von Schritten, wenn der Verrückte zur Toilette ging.

In letzterem Fall leuchtete eine rote Lampe an der Außenseite der Tür auf, die signalisieren sollte, dass sich jemand im Eingangsbereich des Zimmers befand. Wann immer diese Lampe aufleuchtete – in Hausers Schicht war das bisher fünfmal der Fall gewesen –, berührte der Polizist instinktiv die Heckler & Koch an seinem Holster. Ruhiger Dienst hin oder her, in dem Zimmer, auf das er achten sollte, befand sich ein Verrückter, der seiner Kenntnis nach mindestens zwei Menschen mit bloßen Händen umgebracht hatte.

Und dass der Kerl verrückt war, bezweifelte Hauser keinen Moment. Hin und wieder hörte er ihn jenseits der Tür leise murmeln, sonderbar monoton, als würde er Beschwörungsformeln hersagen. Dabei klang seine Stimme wie die einer Frau, was Hauser jedes Mal eine Gänsehaut bereitete. Ihm war, als würde der Kerl da drin auf irgendetwas warten.

Dunkler Wahn
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