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»Nein, Bobby.«
»Ey, was soll das?«
»Ich hab Nein gesagt, okay? Also pack das wieder weg.«
Er sah sie an und seufzte. Das hatte er fast schon befürchtet.
Sandra Straub war mit Sicherheit das schärfste Mädchen, das jemals auf seinem Beifahrersitz gesessen hatte, und Bobby, der mit richtigem Namen Robert Hennings hieß, kannte eine Menge Typen, die viel für ein Date mit ihr gegeben hätten.
Nur leider konnte sie auch ziemlich launisch sein. Und jetzt war es wohl mal wieder so weit. Gott, hätte sie nicht so wahnsinnig scharf ausgesehen, hätte er sie jetzt zum Teufel gejagt.
»Aber vorhin wolltest du doch noch?«, protestierte er.
So schnell würde er jetzt nicht aufgeben. Alles passte. Sie waren allein in seinem Wagen, die Chili Peppers spielten, und niemand sonst war auf dem Waldparkplatz.
»Na und? Jetzt will ich nicht mehr.«
»Warum denn nicht?«
»Ich hab’s mir eben anders überlegt.«
»Ey, komm«, seufzte er. »Jetzt zick doch nicht rum.«
»Ich zick nicht rum«, fuhr sie ihn an.
»Dann sag mir wenigstens, warum du auf einmal nicht mehr willst.«
»Es ist eklig und schmeckt widerlich.«
»Woher willst du das denn wissen? Du hast es doch noch gar nicht probiert.«
»Mir reicht die Vorstellung, okay?«
Er sah sie von unten herauf an, genau auf die Art, auf die er bisher die meisten Mädchen herumbekommen hatte. Sein Verführerblick. »Jetzt komm schon, Sandy. Wirst sehen, das ist voll der Fun.«
»Bobby, ich hab Nein gesagt, und dabei bleibt’s.«
»Mann, ich glaub’s ja nicht«, stöhnte er. »Ich hab gedacht, wir chillen hier ein bisschen?«
»Das geht doch auch anders, oder?«
Sie wandte den Kopf ab und rieb die beschlagene Seitenscheibe frei.
»Hast wohl Angst, dass Mama und Papa was davon mitbekommen ? Wären bestimmt ganz schön angefressen, wenn sie rauskriegen, dass das brave Töchterchen kifft, was?«
»Du kannst manchmal echt ein Arschloch sein.«
»Warum? Ich hab doch Recht, oder? Was würde denn der Herr Professor sagen, dass du hier mit mir abhängst, hm? Streicht er dir dann die Kohle fürs Studium?«
Sie funkelte ihn zornig an. »Leck mich, Bob! Ich hab echt keinen Bock mehr. Wenn du ein Nein nicht akzeptieren kannst, dann fahr mich jetzt heim.«
Er machte eine abwehrende Geste. »Ey, so war das nicht gemeint. Ich …«
Plötzlich fuhr sie herum und sah durch die regennasse Scheibe in die Dunkelheit hinaus.
»Was war das?«
»Was war was?«
»Da hat doch gerade jemand geschrien.«
»Ich hab nichts gehört.«
»Mach die scheiß Musik leiser.« Sie schnellte nach vorn und drehte den Lautstärkeregler zurück.
»He, was soll das werden, wenn’s fertig …«
»Da! Schon wieder!«
Nun hörte auch er die Schreie. Zweifelsfrei eine Frau. Sie konnte nicht sehr weit von ihnen entfernt sein.
Er steckte den Joint in seine Jacke zurück, schnappte sich die Taschenlampe vom Armaturenbrett und leuchtete damit aus dem Seitenfenster. Außer dem Waldparkplatz war nichts zu erkennen, aber die Schreie der Frau waren deutlich zu hören. Hoch und langgezogen hallten sie durch das Dunkel.
»Fuck! Was geht denn da ab?«
Ängstlich sah Sandra ihn an. »Wir müssen ihr helfen!«
Auch das noch, dachte er. »Nee, ohne mich. Du glaubst doch nicht im Ernst, dass ich mitten in der Nacht in den beschissenen Wald renne?«
»Gib mir die Taschenlampe!«
»Sandy, jetzt lass doch mal. Du weißt doch gar nicht, was da hinten abgeht. Da werden zwei poppen, und wir …«
»Red keinen Quatsch. Das würde sich anders anhören.«
»Du musst’s ja wissen.«
»Gib mir endlich die verdammte Taschenlampe, du Feigling!«
Er schluckte. Das hatte gesessen. »Also gut, ich komm mit.«
Er fasste an ihr vorbei zum Handschuhfach und nahm ein Lederbündel heraus. Als er es aufschlug, sah sie ihn mit großen Augen an.
»Was ist das?«
»Na, wonach sieht es wohl aus?«
Robert warf das Ledertuch auf den Rücksitz, hielt die Pistole ins Licht und lud sie durch. Vor zwei Jahren hatten ihm ein paar Typen aus der Nachbarschaft eine ziemlich üble Abreibung verpasst, und als er nach Monaten endlich wieder hatte laufen können, hatte er sich die Waffe organisiert. Noch einmal würde ihm das nicht passieren.
»O Mann, Bobby, mach bloß keinen Scheiß! Ist die echt?«
Er grinste sie an. »Wer hat jetzt Schiss, hm? Also, was ist? Kommst du mit oder nicht?«
Sie stiegen aus und gingen vorsichtig auf die Stelle zu, aus der die Schreie in unregelmäßigen Abständen zu hören waren. Und nun hörten sie noch etwas – Schläge. Als würde jemand auf Holz schlagen.
Um sie herum war es stockfinster, doch tiefer im Wald war ein Lichtkegel zu erkennen. Eine Taschenlampe schien dort zu liegen.
Robert blieb stehen. Er hielt seine Taschenlampe an den Lauf der Pistole und schwenkte sie suchend hin und her, wie er es schon hunderte Male in Filmen gesehen hatte. Er würde nicht schießen – zumindest nicht, wenn es nicht sein musste –, die Pistole enthielt ohnehin nur Platzpatronen, aber dennoch fühlte er sich in diesem Moment verdammt cool. Mit der Tour würde er Sandy auf alle Fälle rumbekommen.
»Hallo!«, rief er und versuchte, möglichst entschlossen zu klingen.
Sandra fuhr erschrocken zusammen und stellte sich hinter ihn.
»Hallo!«, rief Robert wieder. »Brauchen Sie Hilfe?«
Augenblicklich erlosch das Licht im Wald, und für einen Moment war es totenstill. Robert ging weiter. Nur das Schmatzen seiner Schuhe im nassen Boden und das schwere Rauschen der hohen Tannen, die im Wind wogten, waren zu hören.
»Warum sagt sie nichts mehr, Bobby?«, flüsterte Sandra und wischte sich die Regentropfen aus dem Gesicht. »Glaubst du, sie ist …«
Ein Schatten huschte durch den Lichtkegel. Sandra schrie auf, und auch Robert zuckte zurück. Die Gestalt verschwand sofort wieder im Unterholz. Hastige Schritte und das Rascheln von Sträuchern verhallten im Dunkel.
»Scheiße!«
Robert lief los und hielt auf die Stelle zu, von der die Gestalt losgerannt war.
»Bobby, warte! Lass mich hier nicht allein!«
Sandra lief ihm nach, stolperte über Wurzeln und durch Sträucher, und dann hörte sie Roberts erstaunten Ausruf: »Fuck! Was ist denn das?«
Sie hielt inne, zögerte und ging dann vorsichtig auf ihn zu.
»Ist sie da, Bobby? Ist sie …«
»Nein, aber sieh dir das mal an.«
Er hielt die Taschenlampe auf einen Baumstamm gerichtet. Der Stamm war zerkratzt und ein Teil der Rinde abgesprungen. Daneben lag ein dicker Ast auf dem von Tannennadeln bedeckten Boden. Er war völlig zerschunden, so als habe ihn jemand in unbändiger Wut immer wieder gegen den Baumstamm geschlagen.
Mit ungläubiger Miene fuhr sich Robert durchs Haar. »Das muss diese Verrückte gewesen sein.«
»Die aus der Zeitung?«
»Ja. Das müssen wir den Bullen melden.«
»Nein, Bobby! Keine Polizei! Meine Eltern bringen mich um.«
»Sandy, wenn es wirklich diese Frau war, dann muss man so etwas doch …«
»Hast du nicht kapiert?«, fuhr sie ihn an. »Was glaubst du wohl, was wir für ’nen Stress bekommen? Die werden alles ganz genau wissen wollen. Und wenn sie die Pistole und den Stoff bei dir finden, ist erst recht die Hölle los.«
»Ja, stimmt.« Er nickte. »Ich dachte ja nur … Aber eigentlich ist ja auch gar nichts passiert.«
»Eben«, bestätigte sie ihn. »Hier hat eine Verrückte rumgetobt, und als wir gekommen sind, ist sie weggelaufen. Das ist alles. Außerdem wissen wir gar nicht, ob es wirklich die Frau aus der Zeitung gewesen ist. Es kann doch genauso gut irgendeine Patientin aus der Waldklinik gewesen sein.«
»Dann kannst du deinem Alten sagen, dass er besser auf seine Spinner aufpassen sollte.«
Noch einmal leuchtete Robert den Boden ab und betrachtete den zerfetzten Ast. Wer immer das gewesen war, musste mit einer erstaunlichen Kraft zu Werke gegangen sein.
Er ließ den Lichtkegel durch den Wald wandern. Die Verrückte war entweder davongelaufen oder hatte sich vor ihnen versteckt. So oder so, es war kein gutes Gefühl.
»Okay«, sagte er, »dann machen wir jetzt ’nen Abgang. Ist ganz schön unheimlich hier.«
»Ja, komm schon, Bobby. Lass uns endlich gehen. Die muss doch noch irgendwo hier sein. Ich spüre so etwas.«
»Hörst du sie irgendwo?«
»Nein.«
»Na, dann komm.«
So schnell es ihnen im Dunklen möglich war, liefen sie zurück zum Wagen. Immer wieder sah Robert sich um und richtete die Pistole auf Gestalten, die sich gleich darauf als Baumstämme und Sträucher erwiesen. Mochte er wegen Sandra auch nach außen hin den harten Kerl geben, aber er fühlte sich erst wieder sicher, als er mit laut aufheulendem Motor vom Waldparkplatz fegte.
Aus einiger Entfernung sah Jana den beiden Jugendlichen nach. Sie kauerte hinter einem Busch, und ihr Atem ging noch immer stoßweise, teils vor Aufregung, vor allem aber wegen der irrsinnigen Wut, die in ihr tobte.
Es hatte nur wenig gebracht, sich den Hass aus dem Leib zu schreien. Sie hatte geglaubt, es würde sie erleichtern, doch genau das Gegenteil war der Fall gewesen. Ihr Zorn war nur noch gewachsen.
Vor allem aber war sie in ihrer blinden Raserei ein ziemliches Risiko eingegangen. Was wäre gewesen, wenn die beiden sie gestellt hätten? Der Junge hatte eine Waffe gehabt. Nicht auszudenken, wenn sie sich gezwungen gesehen hätte …
Nein, daran durfte sie jetzt nicht denken. Es war vorbei, und sie hatte noch einmal Glück gehabt. Aber ab sofort durfte sie sich nicht mehr auf ihr Glück verlassen. Die Zeit war gekommen, endlich zu handeln. Immerhin war sie jetzt doch genau an dem Punkt angelangt, wo sie immer hinwollte.
Mein Plan, dachte sie. Mein Plan! Das ist alles, was noch zählt! Nur werde ich ihn noch ein wenig ändern müssen.