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Die Stirn gegen die kühle Fensterscheibe gepresst, sah sie auf die beiden Männer im Park hinab. Ein stechender Kopfschmerz machte ihr zu schaffen. Er hatte erst vor ein paar Minuten begonnen, gleich nachdem sie die beiden dort unten entdeckt hatte. Nun pochte er in ihren Schläfen, stach in ihren Schädel und beeinträchtigte ihr Denken. Es fühlte sich an, als müsste sie jeden einzelnen Gedanken aus ihrem Gehirn herauspressen, wie Saft aus einer unreifen Frucht.
Doch noch schlimmer als die Kopfschmerzen war der Anblick des Mannes, mit dem Jan sich unterhielt.
Ein Polizist.
Natürlich war er ein Polizist. Auch wenn er keine Uniform trug, stand es ihm doch geradezu auf die Stirn geschrieben. Sein Aussehen, seine Gesten, die Art, wie er Jan taxierte. Fordernd, bedrängend, distanzlos. Zum Kotzen!
Er ist meinetwegen hier.
Warum auch sonst? Er versuchte, Jan über sie beide auszuhören. Er wollte ihren Plan durchschauen, um sie davon abzuhalten.
Widerlicher Scheißkerl! Warum trifft dich nicht der Schlag, du ekelhafter Qualmer? Hoffentlich verreckst du daran!
Sie atmete heftiger, bis die Scheibe beschlug und die beiden Männer in ihrem Hauch verschwanden.
Diese verfluchten Kopfschmerzen … Und schuld daran ist nur dieser neugierige Reporter.
Ja, Volker Nowak. Wegen ihm war ihr jetzt die Polizei auf den Fersen.
Eine Welle grenzenlosen Hasses schwappte über sie hinweg. Die Art, wie sie dieser Scheißkerl angesehen hatte, kam ihr wieder in den Sinn.
›Sie sind krank‹, hörte sie ihn sagen, und noch schlimmer : ›Ich weiß, was Sie getan haben.‹
Einen Scheißdreck hast du gewusst, du Muttersöhnchen!
›Sie gehören in eine Klinik, und wenn Sie sich nicht selbst stellen, dann werde ich …‹
Es war so schnell gegangen. Und so einfach. Sie hatte ihn nur bei den Haaren packen müssen, und alles Weitere war von ganz allein geschehen. Beim ersten Mal hatte er noch geschrien, aber dann nicht mehr. Dann waren es nur noch knackende, gurgelnde Laute gewesen, und er hatte Blut gespuckt. Mit jedem Stoß ein bisschen. Als ob sie auf eine Ketchuptube geschlagen hätte. Und dann hatte er endlich Ruhe gegeben.
Die Erinnerung glitt qualvoll langsam in ihr Bewusstsein, aber als sie schließlich da war, empfand sie dabei etwas erschreckend Beruhigendes. Ihr war, als hätte sie es gerade noch einmal getan, und sie empfand bei dieser Vorstellung keinerlei Reue. Im Gegenteil, es war, als hätte sie dem neugierigen Schmierfinken die berechtigte Abreibung dafür verpasst, dass die Polizei seinetwegen nach ihr suchte.
Nun ließ ihre Anspannung nach, und auch die Kopfschmerzen klangen ab. Auf einmal wurde es wieder viel einfacher, zu denken.
Worüber rege ich mich eigentlich auf ? Ich bin doch in Sicherheit.
Ja, das stimmte. Es gab doch überhaupt keinen Grund, sich aufzuregen. Sie hatte ein gutes Versteck, vielleicht sogar das beste überhaupt, und außerdem würde Jan sie beschützen. Er würde diesen widerlichen Polizisten abwimmeln, und der Kerl würde ihm glauben.
Schließlich war Jan ihr Held. Sie liebte ihn, so wie auch er sie liebte, und deswegen würde er alles tun, damit ihre Liebe nicht in Gefahr geriet.
Es gibt keinen Grund, dass ich mir Sorgen mache.
Wenn, dann gab es nur einen, auf den sie achtgeben musste: den Pfarrer, dem sie sich anvertraut hatte. Felix Thanner. Auf ihn musste sie ein Auge haben.
Sie brauchte Thanner, um von aller Sünde freizukommen, um für Jan bereit zu sein, auch wenn sie fürchtete, dass es ein Fehler gewesen war, ausgerechnet mit Thanner zu sprechen.
Erst recht, nachdem sie mitbekommen hatte, was er heute Vormittag getan hatte. Er hatte Angst vor ihr und ihr deswegen eine Falle gestellt, und vorhin hatte sie ihn dann auf dem Klinikgelände wiederentdeckt. Das war nicht gut. Das konnte gefährlich werden, wenn sie nicht besser aufpasste.
Nein, der ketterauchende Polizist war keine Gefahr für Jan und sie. Aber der Pfarrer … der Pfarrer.
Wieder ließ ihr Atemnebel auf der Scheibe nach, und nun sah sie, wie sich die beiden Männer trennten.
Du hast ihn abgewimmelt, nicht wahr, mein Liebster? Ja, das hast du.
Nicht mehr lange, dann wäre dieses ganze Versteckspiel ohnehin nicht mehr nötig. Dann würde es keine Rolle mehr spielen, was die anderen von ihnen beiden dachten.
Aber bis dahin müssen wir vorsichtig sein. Wir müssen aufeinander aufpassen. Du und ich, Jan. Nur noch für kurze Zeit. Bis alles für uns bereit ist.
Ein Geräusch hinter ihr riss sie aus ihren Gedanken. Jemand kam zur Tür herein. Sie nahm sich zusammen, schüttelte ihren Zorn ab, wandte sich um und lächelte.
Nicht mehr lange, dachte sie. Nicht mehr lange.