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In dem kleinen Stadtführer für Touristen, der kostenfrei in allen Geschäften auslag, wurde das historische Pfarrhaus als eine der besonderen Sehenswürdigkeiten Fahlenbergs hervorgehoben. Das Fachwerkgebäude war 1736 erbaut worden, und nun, zweihundertfünfundsiebzig Jahre später, machten die Flammen ein bedeutendes Stück Stadtgeschichte binnen kürzester Zeit zunichte. Das erst vor wenigen Jahren restaurierte Schindeldach brannte wie Zunder. Der Regen hatte das Feuer nicht eindämmen können, sondern verursachte nur eine gewaltige Wolke weißen Qualms, die das gesamte Obergeschoss umhüllte.

Hauptkommissar Stark eilte an den Feuerwehrmännern vorbei, die einen verzweifelten Kampf gegen die Flammen fochten. Sie mussten verhindern, dass der Brand auf die umliegenden Gebäude übergriff.

»Halt, warten Sie!«, rief er einem Sanitäter zu, der gerade im Begriff war, die Hintertür des Rettungswagens zu schließen. »Ist Frau Badtke da drin?«

»Ja, warum?«

»Ich muss mit ihr reden.«

»Das geht nicht«, protestierte der Sanitäter. »Die Frau steht unter Schock.«

»Nur kurz«, sagte Stark und schob sich an ihm vorbei. »Es ist dringend.«

»Dafür übernehmen Sie aber die Verantwortung«, rief der Sanitäter gegen den allgemeinen Lärm an, während Stark in den Wagen stieg.

Mit ausdruckslosem Gesicht lag Edith Badtke auf der Trage. Sie war in eine Rettungsdecke eingewickelt, auf deren Goldbeschichtung sich das Flackern der Blaulichter widerspiegelte.

»Frau Badtke, ich bin Hauptkommissar Stark«, stellte er sich vor und ergriff ihre Hand. Als sie seine Gegenwart wahrnahm, sah sie ihn an, und die Ausdruckslosigkeit in ihren Augen wich blankem Entsetzen.

»Es … war mein Fehler«, stammelte sie, und Tränen rannen über ihr faltiges Gesicht. »Ich hätte ihm helfen können, aber ich war zu feige.«

»Ich weiß, das ist jetzt nicht leicht für Sie«, entgegnete Stark, »aber Sie müssen mir sagen, was geschehen ist.«

Edith Badtke blinzelte gegen ihre Tränen an und schluckte. »Ein Streit«, sagte sie mit schwacher Stimme. »Jemand war bei ihm. Eine Frau. Sie haben gestritten und sich angeschrien.«

»Haben Sie die Frau gesehen?«, fragte er. »Haben Sie sie erkannt

Ein erschöpftes Kopfschütteln. »Nein, ich habe sie nur gehört. Ich war unterwegs und habe ein paar Dinge für den Herrn Pfarrer erledigt, weil es ihm doch nicht gutging. Als ich zurückkam, war sie schon da. Sie waren im ersten Stock in seinem Arbeitszimmer. Und vor der Tür … da stand …« Sie presste die Augen zusammen und atmete hektisch.

»Ganz ruhig, es ist ja vorbei«, sagte Stark und spürte, wie sich ihre Hand noch fester um die seine schloss. »Wer stand vor der Tür?«

»Jemand hatte die Tür eingetreten«, flüsterte sie mit angstgeweiteten Augen. »Die Tür war zersplittert, und ich…O Gott, ich habe die beiden da drinnen schreien hören und bin sofort wieder nach unten gelaufen. Was hätte ich auch tun sollen? Ich bin doch nur eine alte Frau.«

»Das war vollkommen in Ordnung«, versicherte ihr Stark. »Niemand macht Ihnen deswegen einen Vorwurf.«

»Doch«, stieß sie aus. »Ich! Ich mache mir deswegen Vorwürfe. Sie hat es getan, während ich bei Ihnen angerufen habe. Ich hörte den Herrn Pfarrer schreien, und gleich darauf war es so still. So schrecklich still. Ich stand im Wohnzimmer und hielt nur das Telefon. Vor Angst konnte ich mich nicht rühren. Dann hörte ich sie die Treppe herabrennen und aus dem Haus laufen. Erst da habe ich mich getraut, nach ihm zu sehen. O Gott, o mein Gott!«

Sie begann hemmungslos zu weinen und warf den Kopf hin und her. Ihre Steckfrisur hatte sich gelöst, und ihr graues Haar wand sich mit jeder ihrer Kopfbewegungen auf dem Kissen wie die Schlangen auf dem Haupt der Medusa.

Der Hauptkommissar umschloss ihre zitternde Hand mit beiden Händen. »Was haben Sie gesehen? Wer stand da vor der Tür? Bitte, sagen Sie es mir.«

Eine Männerhand legte sich von hinten auf Starks Schulter, und ein sonorer Bariton sagte: »Hören Sie, die Frau muss sofort in die Klinik!«

»Ja, ja, sofort«, gab Stark zurück und schüttelte den Griff ab, ohne sich umzusehen. »Bitte, Frau Badtke, es ist äußerst wichtig. Was haben Sie gesehen?«

»Feuer«, stieß sie hervor. Dabei sah sie ihn an, als habe sie vor Angst den Verstand verloren. »Er brannte. Lichterloh! Sie hatte ihn mit Benzin übergossen … der Kanister, der vor der Tür gestanden hatte … er lag noch neben ihm … und plötzlich hat der ganze Raum gebrannt … ich konnte nichts mehr tun, verstehen Sie … ich konnte nichts mehr für ihn tun … er hat doch gebrannt …«

»Okay, das reicht jetzt!«, dröhnte der Bariton erneut. Die Stimme gehörte zu einem hünenhaften Notarzt mit schwarzem Vollbart. Er packte Stark erneut, diesmal am Arm, und der Polizist hatte das Gefühl, in einen Schraubstock geraten zu sein. »Raus mit Ihnen! Sehen Sie nicht, dass sie gleich kollabiert?«

Stark hob kapitulierend die freie Hand und stieg aus. Als die Tür des Rettungswagens hinter ihm zufiel, hörte er Edith Badtkes verzweifelte Schreie.

»Ich konnte ihm nicht helfen! Gott, vergib mir, ich war zu feige!«

Dann fuhr der Rettungswagen mit heulender Sirene davon.

Jemand rief Starks Namen, und er sah sich um. Nur wenige Meter von ihm entfernt stand Jan Forstner inmitten einer Gruppe Schaulustiger hinter dem Absperrungsband und winkte ihm ungeduldig zu.

»Stark, hören Sie! Ich weiß jetzt, wer sie ist!«

Dunkler Wahn
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