49. KAPITEL

„Das Sockenstricken lehrt uns, einen Schritt nach dem anderen zu tun – Bündchen, Hacken, Ballen, Zehen – und uns nicht von dem großen Ganzen abschrecken zu lassen.“

(Kathy Zimmerman, Kathy’s Kreations, Ligonier, PA
www.kathys-kreations.com)

Lydia Hoffman

Nach dem geschäftigen Vormittag habe ich beschlossen, eine Pause im Büro einzulegen, da gerade eine Flaute im Laden herrscht. Margaret wird sich um die Kundinnen kümmern, während ich einen Augenblick die Füße hochlege. Es war ein sehr hektischer Morgen.

„A Good Yarn“ läuft gut – sehr gut –, und ich bin äußerst froh darüber. Manchmal habe ich das Gefühl, mich in einem Traum zu befinden. Ich weiß aber, dass es Realität ist, denn an meinem Finger glitzert ein Diamant, und ich bin voller Liebe zu Brad und Cody. Wahrscheinlich bin ich die glücklichste Frau der Welt. Ich habe mich verlobt und werde den bestaussehenden, wundervollsten Mann auf Erden heiraten. In zwei Monaten ziehe ich zu Brad, Cody und Chase.

Ich kann mir kaum vorstellen, dass mein Leben noch schöner werden könnte, als es in diesem Moment ist.

Als ich das Geschäft eröffnete, war das meine Zusage ans Leben. Vor zwei Jahren hätte ich mir kaum vorstellen können, was alles geschehen und wie viele Freundinnen ich finden würde. Ich habe Jacqueline, Carol und Alix sehr lieb gewonnen. Es waren die drei, die mir zum Start verholfen haben.

Nach der Gruppe mit den Babydecken hatte ich noch verschiedene Kurse gegeben. Sie waren alle gut, doch keine der anderen Beziehungen war so intensiv wie die zu meinen ersten drei Schülerinnen. Bis der Kurs im Sockenstricken begonnen hatte, und Elise, Bethanne und Courtney in meinen Laden und in mein Leben traten. Ich hätte nicht erwartet, dass ich noch einmal so eine Nähe zu meinen Schülerinnen entwickeln könnte wie zu den ersten dreien, doch die Erfahrung hatte mich mal wieder etwas anderes gelehrt.

Ich erinnere mich, wie schwierig Elise an jenem ersten Tag war, als sie sich Sorgen wegen des Besuches ihres Exmannes machte. Und Bethanne, deren Selbstbewusstsein durch die Scheidung vollkommen zerstört war. Courtney, ein einsamer Teenager mit zu vielen Kilos, der ebenfalls mit einem Verlust zu kämpfen hatte. Wir vier waren uns durch das Stricken nähergekommen – wer hätte gedacht, dass ein Paar Socken das Leben verändern kann? Ich schätze jede einzelne dieser Frauen als eine richtige Freundin, genauso wie Jacqueline, Carol und Alix.

Dann meine Schwester. Nie hätte ich zu hoffen gewagt, dass ich meine Schwester einmal als meine beste Freundin bezeichnen würde. Nun, so ist es aber mittlerweile. Wir sind uns im Moment näher als je zuvor. Und diese besondere Beziehung hatte sich entwickelt, als sie in meinem Laden zu arbeiten begann.

Meine Schwester und ich kümmern uns abwechselnd um Mom. Ihr Gesundheitszustand wird immer schlechter, und ich befürchte, dass wir sie nicht mehr allzu lange unter uns haben werden. Das macht jeden Tag, den wir mit ihr verbringen, nur umso wertvoller. Sie fühlt sich ohne Dad immer noch verloren und einsam.

Sowohl Margaret als auch ich bemühen uns, sie zu beschäftigen. Wir versuchen, ihr mit so vielen kleinen Dingen wie möglich einen Anreiz zum Leben zu geben, etwas, auf das sie sich freuen kann – ein Besuch, ein Ausflug, Einkaufen, ein neues Buch. Alles, von dem wir wissen, dass es ihr Freude bereitet.

Mom strickt jetzt mehr, und Margaret holt sie jeden Freitagnachmittag ab, damit sie die anderen Frauen treffen kann, die am Wohltätigkeitsstricken teilnehmen. Sie genießt diese Treffen und hat das Gefühl dazuzugehören. Meine Mutter kann sehr schnell stricken und hat bereits so viele Vierecke beigesteuert, dass man daraus eine ganze Decke für „Warm Up America“ und noch eine für das Linus-Projekt fertigstellen könnte. Ich glaube, Dad wäre glücklich gewesen, wenn er uns drei zusammen beim Stricken gesehen hätte.

Ich bin so in meine Gedanken vertieft, dass ich Margaret erst bemerke, als sie direkt vor mir steht. „Ich fahre jetzt los, um Mom abzuholen“, kündigt sie an.

„Gut.“ Ich nehme die Füße herunter. Normalerweise bin ich am Freitagvormittag nicht so kaputt, aber Brad, Cody und ich waren gestern Abend bei einem Entscheidungsspiel der Mariners, und es hatte noch Verlängerungen gegeben. Ich bin erst nach Mitternacht ins Bett gekommen und musste früh wieder aufstehen, um einen Woll-Vertreter zu empfangen. Meine beiden Lieblinge Brad und Cody sind wahre Baseball-Fans, und ich habe den Sport inzwischen auch lieben gelernt, deshalb war es kein Opfer gewesen, so lange aufzubleiben.

Kurz nachdem Margaret gegangen ist, kommt Elise mit ihrem Strickzeug in den Laden. Jeder, der sieht, wie sich Elise nach der Hochzeit mit Maverick verändert hat, muss an die Ehe glauben! Sie ist jetzt viel entspannter und richtig glücklich.

Ich bin mir ziemlich sicher, dass Maverick unser guter Zauberer war, auch wenn ich sie nie direkt danach gefragt habe und sie auch von sich aus nie darüber sprach.

„Wo ist Maverick?“, will ich wissen. Er begleitet Elise fast immer freitags. Ich habe extra einen Sessel für ihn gekauft, damit er bequem sitzen und lesen kann, während wir stricken und uns unterhalten. Mavericks Gesicht ist vielleicht hinter dem Buch verborgen, aber er hört alles. Er war schon immer ein guter Zuhörer, jedenfalls sagt Elise das. Jede von uns hat ihn in unsere Gruppe aufgenommen. Ich weiß, dass sein Zustand zurzeit stabil ist, und obwohl wir uns alle darüber freuen, machen wir uns trotzdem ständig Sorgen. Sein Immunsystem wird durch Medikamente gestärkt. Und Elise kümmert sich sehr gut um ihn. Diese beiden sind so glücklich miteinander. Man hat fast den Eindruck, die beiden leben nur von der Liebe.

„Den Wagen einparken“, erwidert Elise. „Er ist gleich da.“

„Wie geht es ihm?“

„Er hält sich sehr gut.“ An ihrem Blick sehe ich, dass sie die Wahrheit sagt, und ich bin erleichtert. „Bethanne ist auch hier, und ich habe Jacqueline und Carol drüben im French Café mit Alix reden sehen. Ich denke, sie werden auch bald kommen.“

„Schön.“

Anfang der Woche war ein Päckchen mit verschiedenen gestrickten Vierecken für die „Warm Up America“-Decken, an denen wir gerade arbeiten, von Courtney eingetroffen. Eine ganze Gruppe von Mädchen in ihrem Studentenheim ist mittlerweile dem Stricken verfallen. In dem Paket steckte noch ein Brief, den ich nachher der ganzen Gruppe vorlesen werde.

Wie Bethanne berichtete, pflegt Courtney noch immer Kontakt zu Annie und Andrew. Es wird interessant, zu sehen, ob Courtney und Andrew ihre Beziehung über diese große Entfernung aufrechterhalten können. Ich weiß, dass Bethanne beide dazu ermutigt hat, sich mit anderen zu treffen, und ich glaube, das tun sie auch. Abgesehen davon sind sie vor allem gute Freunde. Und das bleiben sie bestimmt auch.

Da ich gerade von Bethanne rede, ich sehe sie leider nicht so oft, wie ich gern würde. Wir sind alle so stolz auf sie. Und nicht nur wegen ihres Erfolgs mit dem Party-Service. Dazu muss ich sagen, dass sie Brads und meine Hochzeit organisieren wird, und ich würde das Fest niemandem lieber als ihr anvertrauen.

Nein, eigentlich bin ich vor allem stolz auf sie, weil sie ihr Selbstbewusstsein zurückgewonnen hat und zu einer selbstbestimmten, unabhängigen Frau geworden ist. Damals hatte sie es ja nicht mal geschafft, sich selbst zu dem Kurs anzumelden. Ihre Tochter hatte bei mir anrufen müssen.

Und ich bin sicher, dass wir ein wenig zu dieser Veränderung beigetragen haben.

Die Türglocke erklingt, und Brad kommt in den Laden. Jetzt, da das Hochzeitsdatum feststeht, sehen wir uns fast jeden Tag. Alix hat sich angeboten, die Torte zu backen, Jacqueline besteht darauf, dass wir den Empfang im Country-Club veranstalten, doch Bethanne ist diejenige, die alles organisiert. Margaret hat sich bereit erklärt, meine Trauzeugin zu sein, und ich habe sechs Brautjungfern! Sechs! Es fiel mir nicht schwer, zu entscheiden, wen ich mir an meiner Seite wünsche – meine liebsten Freundinnen. Meine Strickgruppe.

„Hallo Schöne“, grüßt mich Brad und schiebt gekonnt seinen Karren in den Laden. „Wie geht es dir an diesem wunderbaren Nachmittag?“

Ich erwidere sein Lächeln. Gut, sage ich ihm. Besser als gut. Glücklich und so voller Liebe für ihn und für das Leben in meinem Laden in der Blossom Street.

– ENDE –