21. KAPITEL
„Das Stricken ist eine Art Meditation. Durch die Beschäftigung der Hände kommt der Verstand zur Ruhe und lässt der Seele viel Raum zum Atmen.“
(Unbekannte Autorin,
Zitat ausgesucht von Darlene Hayes
www.handjiveknits.com)
Lydia Hoffman
Am Dienstagmorgen, als Margaret zur Arbeit erschien, wusste ich sofort, dass etwas nicht stimmte. Ich hoffte, meine Schwester würde sich mir anvertrauen. Doch egal wie schlecht ihre Stimmung war, ich war entschlossen, sie nicht zu bedrängen. Unsere Beziehung war inzwischen weniger angespannt, wahrscheinlich wegen der Trennung von Brad.
Zwischen uns bestand ein unausgesprochenes Abkommen. Ich erkundigte mich nicht nach Matts Jobsuche, und sie erwähnte Brad nicht. Es war ein erzwungener Waffenstillstand. Ich wusste, dass sie neugierig und zweifellos besorgt war. Mir ging es bei ihr genauso. Dass Brad mich eines Abends angerufen hatte, behielt ich für mich. Als seine Nummer auf dem Display erschien, nahm ich nicht ab. Ich konnte es einfach nicht. Erst später fiel mir ein, dass es auch Cody hätte sein können, und in gewisser Weise wäre das sogar noch schwieriger für mich gewesen. Es war mir vor der Trennung nicht klar gewesen, wie sehr ich ihn vermissen würde.
Nachdem einige Zeit verstrichen war, begann ich zu verstehen, was Brad damit meinte, seinem Sohn eine Familie geben zu wollen. So sehr ich Cody auch mochte, ich musste akzeptieren, dass ich niemals seine Mutter ersetzen konnte. Brad liebte ihn über alles, und was immer er für mich oder Janice empfand, sein Sohn kam an erster Stelle. Für diese Stärke und die Hingabe konnte ich ihn nur noch umso mehr bewundern.
Als Brad mir von dem Gespräch mit Janice erzählt hatte, war ich zu verletzt und wütend gewesen, um sein Opfer zu begreifen. Doch ich verstand letztendlich, dass es nicht um Brad und seine Exfrau ging, sondern um Cody. Es war immer um Cody gegangen. Brad liebt mich. Trotzdem war er bereit, auf mich zu verzichten, um dem Kleinen seine Mutter zurückzugeben.
Merkwürdigerweise half mir Brads Versöhnung mit Janice, die tiefe Liebe meines eigenen Vaters zu begreifen. Dad hatte täglich Opfer gebracht; Opfer, die ich irgendwie als selbstverständlich erachtete, da ich so krank und hilfsbedürftig war. Bis zu seinem Tod hatte ich alles, was er für mich tat, nicht richtig schätzen können.
Wie gern hätte ich mit meinem Dad über Brad und Cody gesprochen. Er war immer so weise und liebevoll gewesen. Sicher hätte er genau das Richtige sagen können. Sogar jetzt noch hätte ich alles darum gegeben, seine Stimme zu hören, seine tröstende Gegenwart zu spüren.
„Sieht so aus, als müssten wir noch mehr Wolle für die Socken bestellen“, unterbrach Margaret meine Gedanken.
„Schon wieder?“ Die Wolle, die beim Stricken selbst ein Muster bildet, hatte sich offenbar innerhalb kurzer Zeit verkauft.
Mein Kurs lief gut. Ich fragte mich manchmal, ob es nicht ein Fehler war, ihn am Dienstagnachmittag stattfinden zu lassen. Es war der erste Tag meiner Arbeitswoche, an dem immer tausend Dinge anfielen, um die ich mich kümmern musste. Doch ich kam zu dem Schluss, dass es auch von Vorteil war. Die geringe Anzahl der Kursteilnehmerinnen machte es möglich, dass ich wirklich eine Beziehung zu allen drei Frauen aufbauen konnte, so wie es auch in meinem ersten Kurs gewesen war.
Während einer Sitzung schilderte Elise die unangenehme Situation mit ihrem Exmann. Ich war, ehrlich gesagt, überrascht, dass sie uns das alles erzählte. Sonst war sie immer so verschlossen. Ich kann nicht sagen, wie entsetzt wir alle waren, als sie uns eröffnete, dass Maverick ein Spielsüchtiger war. Als das heraus war, wurde das Gespräch allerdings sehr lebhaft. Was für eine Kombination! Eine Bibliothekarin und ein Spieler. Das war der Stoff für Liebesromane – doch unglücklicherweise hatte es für Elise kein Happy End gegeben.
Bethanne Hamlin hatte ebenfalls Probleme mit ihrem Exmann. Aber sie wurde von Woche zu Woche selbstbewusster. Das konnten wir alle beobachten; es zeigte sich sogar an ihrer Art zu stricken. Sie machte gerade eine schwere Zeit mit ihrer Tochter durch, doch das Thema hatte sie nur kurz angesprochen. Sie befürchtete wohl, in Gegenwart von Courtney, die sich mit Annie angefreundet hatte, zu viel preiszugeben.
Apropos Courtney – wir alle liebten sie. Was für ein charmantes Mädchen, und so ein typischer Teenager. Sie redete viel von ihrem Vater und war so aufgeregt, wenn sie von ihm eine E-Mail oder einen Brief erhielt, als wäre es eine Einladung zum Abschlussball. Ich war froh, dass sie ein paar Freunde gefunden hatte. Obwohl sie nicht darüber redete, hatte ich das Gefühl, dass sie Andrew Hamlin sehr mochte, Bethannes Sohn. Andrew war der Footballstar der Schule und sicher waren alle Mädchen der Washington High versessen darauf, sich mit ihm zu treffen. Mir war ebenso klar, dass Courtney wohl nicht so große Chancen bei ihm haben würde. Er stand bestimmt eher auf schlanke, sportliche, modebewusste Mädchen – den Cheerleader-Typ. Courtney war zwar schon schmaler geworden, aber sie hatte immer noch ein paar Pfunde zu viel.
Am Dienstag, kurz vor eins, hörte ich die Türglocke und blickte auf, als Bethanne gerade hereinkam. Sie hatte kaum ihren Platz eingenommen, als sie schon ihren halb fertig gestrickten Socken hochhielt.
„Sie mal, ich habe den Hacken geschafft“, verkündete sie stolz. „Ich glaube, dafür verdiene ich eine Goldmedaille. Es hat Stunden gedauert.“
„Dann hast du was falsch gemacht“, tönte Margaret vom anderen Ende des Ladens.
Ich ärgerte mich über ihren Kommentar und lächelte Bethanne aufmunternd zu. „Es wird leichter, wenn du mehr Übung bekommst. Also mach dir keine Sorgen.“
„Das tu ich auch nicht. Na ja, anfangs schon, weil es einfach nicht richtig aussah. Aber ich habe die Anleitung genau befolgt, und alles wurde letztendlich genau so, wie es sein sollte. Eins wusste ich gleich – ich würde nicht aufgeben, bis ich es hinbekommen hätte.“
„Das hast du gut gemacht!“, lobte ich sie und unterdrückte den Impuls, sie zu umarmen. Ich war wirklich stolz auf Bethanne. Sie hatte während des Unterrichts große Fortschritte gemacht, und dabei meinte ich nicht nur das Stricken.
„Ich wünschte, ich wäre bei meiner Jobsuche genauso erfolgreich“, murmelte sie niedergeschlagen.
Elise traf kurz nach Bethanne ein, und sie setzten sich gegenüber und verglichen ihre Ergebnisse. Elise hatte schon früher Socken mit gerundeten Hacken gestrickt, aber nicht mit zwei Rundnadeln, was eine andere Technik erforderte.
„Das sieht wirklich gut aus“, bemerkte ich, während ich Elises Arbeit begutachtete. Jede Schlaufe saß perfekt. Ich merkte, dass sie beim Stricken sehr korrekt und zielbewusst vorging – und hatte den Eindruck, dass sie ihr tägliches Leben genauso in die Hand nahm.
Courtney kam als Letzte. Sie war mit dem Rad unterwegs gewesen und schloss es vor dem Laden an der Laterne an. Ich sah, dass sie noch ein wenig mehr abgenommen hatte. Eigentlich hätte ich ihr gern gesagt, wie gut sie aussah, befürchtete aber, dass sie mein Kompliment in Verlegenheit bringen würde.
„Tut mir leid, ich bin spät dran“, sagte sie, als sie in den Laden stürmte. Sie setzte den Fahrradhelm ab, zog den Rucksack von den Schultern und nahm Platz. Innerhalb von ein, zwei Minuten hatte sie das Strickzeug vor sich liegen, bereit, mehr zu lernen.
„Wie ist es euch allen ergangen?“, wollte ich wissen. Wir hatten bereits die schwierigste Phase des Sockenstrickens erreicht, und zwar den gerundeten Hacken. Ich fand, durch die Methode mit den zwei Rundnadeln war dieser Teil der Arbeit sehr viel einfacher geworden. Aber es gab auch immer noch Strickerinnen, die dabei bevorzugt vier oder fünf doppelseitige Spitznadeln benutzten. Ich weiß, dass man Socken ebenfalls mit einer einzigen Hunderter-Nadel herstellen kann, mit der sogenannten „Magic Loop“-Methode. Ich persönlich bevorzuge beim Stricken und im Unterricht die beiden Rundnadeln.
Ich begutachtete eingehend jeden halbfertigen Socken meiner Schülerinnen und fand, dass sie gute Arbeit geleistet hatten. Diese Prozedur gehörte anfangs zu jeder Sitzung, wie ein kleines Ritual, auch wenn ich ihre Werke vorher schon gesehen hatte. Es war in gewisser Weise sehr befriedigend, vielleicht weil dabei die Bemühungen jeder Einzelnen zur Geltung kamen. Ich setzte mich zu ihnen und erklärte den nächsten Schritt, dann ließ ich sie stricken.
„Ich wünschte, die Jobsuche wäre auch so leicht“, sagte Bethanne erneut, während sie die Schlaufen von einer Nadel zur anderen übertrug.
Elise sah sie an. „Ich habe mal ein bisschen darüber nachgedacht. Wo hast du dich denn beworben?“
„Überall“, antwortete sie fast verzweifelt. „Ich habe alles versucht, was mir nur einfiel. Tatsache ist, dass mir der Gedanke gar nicht gefällt, nicht mehr für meine Kinder da sein zu können.“
„Deine Kinder sind doch alt genug, um allein zu bleiben, oder?“, fragte Margaret, die sich in die Unterhaltung einmischte, obwohl sie gerade einen Kunden bediente. „Ich habe zwei Töchter“, fuhr sie fort, ohne auf meinen skeptischen Blick zu achten, „und lasse sie auch allein.“
Bethanne dachte darüber nach. „Fühlst du dich gut dabei?“
Meine Schwester zuckte die Schultern. „Ihr Vater ist in diesem Sommer zu Hause, und darüber bin ich froh. Wir wären glücklicher, wenn er arbeiten würde, aber so kann er mehr Zeit mit den Mädchen verbringen und hat ein besseres Verhältnis zu ihnen bekommen.“
„Also, um ehrlich zu sein, ich hätte Angst, Annie allein zu lassen“, sagte Bethanne. Ich bemerkte, wie Courtney kurz zu ihr hinüberblickte. „Annie ist in letzter Zeit … nicht sie selbst. Na ja, nach dem Umbruch in ihrem Leben wäre ich lieber in der Nähe, um ein Auge auf sie zu haben. Es ist nicht so, dass ich nicht arbeiten will – das ganz bestimmt! Aber andererseits, ich will bei meinem Job das Beste geben. Und dazu wäre ich nicht in der Lage, wenn ich mir ständig Sorgen darum machen müsste, was zu Hause los ist.“
Ich musste daran denken, wie Brad mit der Situation als alleinerziehender Vater umging. Cody war in diesem Jahr neun geworden, und es gefiel ihm überhaupt nicht, nach der Schule in eine betreute Spielgruppe zu gehen. Aber er war zu jung, um allein zu bleiben.
„Und du hast also darüber nachgedacht, Elise?“, murmelte Bethanne.
„Ja.“
„Ich habe mir alle Mühe gegeben“, betonte Bethanne erneut und schüttelte den Kopf. „Überall habe ich mich beworben, vom Kellnerjob – ich bin so froh, dass sie mich nicht genommen haben – bis zur Zahnarzthelferin. Und so ziemlich bei allem, was dazwischen liegt.“
„Auf den Job beim Zahnarzt warst du sicher auch nicht unbedingt scharf, oder?“, fragte Elise.
„Nicht wirklich.“
Elise lachte. „Das dachte ich mir. Mit der Einstellung wird dich auch keiner anheuern.“
„Aber ich brauche einen Job – und zwar schnell –, sonst sitze ich bald auf der Straße“, entgegnete sie grimmig.
Das war sicher eine Übertreibung, aber ich verstand, dass sie sich um ihre finanzielle Lage Sorgen machte. Ich wünschte, es wäre genug im Laden zu tun, um sie einzustellen, aber so war es nicht. Ich konnte mir eine weitere Angestellte nicht leisten.
„Immer wenn wir über deine Job-Situation gesprochen haben, meintest du, dein einziges richtiges Talent sei es, Partys zu organisieren, besonders Kinderfeste.“
Es hatte einige Gespräche über die Feste gegeben, die Bethanne im Laufe der Jahre für ihre Kinder veranstaltet hatte. Die waren ihr offenbar immer ganz ausgezeichnet gelungen.
Bethanne nickte bedauernd. „Dummerweise wird mich wohl kaum einer dafür einstellen.“
„Sei dir mal nicht so sicher“, wandte Elise ein.
Bethanne sah sie mit großen Augen an. „Wie meinst du das?“
„Mein Enkelsohn hat bald Geburtstag“, erklärte Elise. „Aurora, meine Tochter, ist eine patente Frau, aber in dieser Beziehung ziemlich einfallslos. Ich würde dich gern dafür engagieren, ihr bei der Ausrichtung von Lukes Geburtstagsfeier zu helfen.“
Bethanne richtete sich sofort auf. „Du meinst, du würdest mich dafür bezahlen?“
„Ja, schon“, versicherte ihr Elise. Ich nahm an, dass Elise nicht gerade über viel Geld verfügte, deshalb fand ich das sehr großzügig.
„Ich habe eine Menge guter Ideen für kleine Jungs.“ Bethanne wurde immer aufgeregter. „Was mag Luke denn gern?“
„Im Moment sind es Dinosaurier.“
„Perfekt. Ich würde Dinosaurier-Eier mit Preisen füllen und sie vergraben. Die Jungs können sie ausbuddeln, wenn das nicht den Garten oder den Rasen deiner Tochter ruiniert. Ansonsten kann ich sie einfach verstecken.“
Elise lächelte. „Das klingt gut. Ich werde mich erkundigen, ob sie was dagegen hat, wenn du die Eier im Garten vergraben würdest.“
„Ich weiß noch was!“, rief Bethanne erfreut. „Ich könnte auch einen Dinosaurier-Kuchen backen – das dürfte nicht so schwierig sein. Luke ist wahrscheinlich längst aus dem Alter heraus. Aber ich könnte wetten, er hätte nichts gegen eine bunte Torte.“
Letztes Jahr um diese Zeit hatte ich für Cody einen Pullover mit einem großen Dinosaurier vorn drauf gestrickt, und er hatte ihn so geliebt, dass er damit ins Bett gegangen war. Die Erinnerung tat weh, und ich versuchte, sie schnell zu verdrängen.
„Ich würde liebend gern bei der Party helfen“, sagte Bethanne, doch dann schwand ihre Begeisterung plötzlich. „Ich fürchte nur, ich kann nicht davon leben, Kinderpartys zu organisieren.“
„Sei dir da nicht so sicher“, erwiderte Elise wieder.
„Amelia, Jacquelines Enkeltochter, hat bald ihren ersten Geburtstag“, warf ich noch dazu ein, „und ich weiß, Jacqueline möchte gern eine größere Sache daraus machen. Wenn du ihr ein paar Ideen dafür vorschlägst, wird sie dich bestimmt anheuern.“
„Meint ihr wirklich?“ Bethanne blickte sich in der Runde um, als suchte sie Bestätigung von den anderen. Die Frauen nickten zustimmend und ermunterten sie – selbst Margaret.
„Ich bin ganz sicher.“ Noch nie hatte ich Bethanne so aufgedreht erlebt. Jacqueline hatte außerdem genug Geld, um etwas wirklich Ausgefallenes zu finanzieren. „Ruf sie an. Ich gebe dir die Nummer“, bot ich ihr an.
„Das werde ich machen“, versprach Bethanne. Ihre Stricknadeln klickten heftig gegeneinander, als sie ein paar Möglichkeiten für Amelias Geburtstag aufzählte. „Was haltet ihr von einem Teddybär-Picknick? Oder eine Geschichtenerzähler-Party? Oder …“
Margaret kam mit einem Zettel herüber, auf den sie die Telefonnummer notiert hatte. Praktisch veranlagt war meine Schwester auf jeden Fall.
„Ich kann dir helfen“, bot Courtney an. „Ich meine, wenn du eine Assistentin brauchst und Annie und Andrew gerade nicht können. Die meisten Tage habe ich eine Menge freie Zeit, und du musst mir auch nichts dafür zahlen.“
Bethanne traten Tränen in die Augen. „Das ist wirklich süß von dir.“
„Ehrlich, ich mach’s gern.“
Bethanne blickte von einer Frau zur anderen. „Ich danke euch allen so sehr. Vor allem dir, Elise. Du hast mich auf eine wunderbare Idee gebracht. Ich bin ganz begeistert. Das ist etwas, worin ich wirklich richtig gut bin, und ich könnte mir vorstellen, dass es ein Erfolg wird.“ Spontan legte sie ihr Strickzeug beiseite und sprang auf, um die ältere Frau zu umarmen.
Ich freute mich über ihre neu gefundene Selbstsicherheit und wollte sie noch weiter ermuntern. „Diese Musikvideo-Party, die du für Annie zum zwölften Geburtstag vorbereitet hast, fand ich echt beeindruckend“, sagte ich. Bethanne hatte uns vor ein paar Wochen davon erzählt. „Ich kann mir gut vorstellen, wie viel Spaß die Mädchen dabei hatten, sich wie ihre Lieblings-Rockstars zu verkleiden und dann ein Video von ihrer Karaoke-Vorstellung zu machen. Was für ein schönes Andenken.“
„Oder die Piraten-Party für Andrew, als er sieben wurde“, fügte Courtney noch hinzu. „Es war so eine gute Idee, einen richtigen Schatz am Strand zu vergraben.“
„Es hat Spaß gemacht, die Schatzkarten zu zeichnen“, erklärte Bethanne lächelnd. „Für jeden Jungen eine. Mit den Schätzen habe ich mir auch ziemliche Mühe gegeben. Ich hatte Modeschmuck zusammengesucht, Schokoladenmünzen gekauft und Augenklappen besorgt. Es war ein großartiger Geburtstag. Eigentlich habe ich bei dieser Party so richtig gemerkt, wie viel Spaß mir das macht. Über die Jahre hatte ich einigen Freundinnen bei ihren Kinderfesten geholfen. Aber ich hätte nie im Leben daran gedacht, dass mich jemand tatsächlich dafür bezahlen würde.“
„Andrew meint, es sei seine liebste Party gewesen. Also er redet jedenfalls immer noch davon.“ Courtney grinste. „Ich hätte nichts dagegen gehabt, auch so einen Geburtstag zu feiern.“
Elise nickte. „Und für kleine Jungs ist so was geradezu perfekt.“
„Danke. Grant hat auch mitgeholfen. Er hat einen großen Spielzeug-Papagei gekauft und sich wie ein Pirat ausstaffiert.“
Ich bemerkte, dass sie diese schöne Erinnerung an ihren Mann wehmütig stimmte.
„Ich glaube, Elise ist da wirklich auf etwas gestoßen“, sagte Margaret. „Es gibt einen Markt für diese Art von …“
Sie wurde unterbrochen, als die Tür geöffnet wurde und ein sehr gut aussehender älterer Herr hereinkam. Es kommen nicht viele Männer in meinen Laden. Ganz bestimmt gibt es auch welche, die stricken, aber den größten Teil meiner Wolle verkaufe ich an Frauen.
Elise hob den Kopf, als die Türglocke bimmelte, und wurde blass. „Maverick“, flüsterte sie.
„Hallo, alle zusammen“, grüßte er locker. Der Laden schien ihn nicht im Mindesten einzuschüchtern, obwohl sich nicht alle Männer in einer so von Frauen dominierten Umgebung wohlfühlen. „Ich komme, um Elise abzuholen.“ Er sah zu ihr herüber, und mir fiel auf, dass sein Blick sofort weicher wurde. „Ich war in der Gegend und dachte, ich könnte dich mit nach Hause nehmen.“
„Es … es dauert noch ein bisschen“, sagte sie und errötete. Vor Nervosität ließ sie eine Masche fallen, die sie aber sehr elegant sofort wieder aufnahm.
Es machte mir Spaß, die beiden zu beobachten. Sie waren vielleicht geschieden, aber jeder konnte sehen, dass sie noch immer sehr viel füreinander empfanden. Das war eine faszinierende Entwicklung – und etwas, das Elise nicht erwähnt hatte. Wahrscheinlich hatte ich eine bestimmte Vorstellung von einem Spieler, und um ehrlich zu sein, passte Maverick absolut nicht in dieses Bild. Mit dem weißen Haar und Bart fand ich zuerst, er sähe wie ein typischer harmloser älterer Herr aus. Bei näherer Betrachtung aber stellte ich fest, dass er für sein Alter außergewöhnlich gut gebaut war.
„Meinetwegen brauchst du dich nicht zu beeilen“, sagte Maverick. „Ich habe den Wagen vor der Tür geparkt und werde da warten.“
Elise blickte auf ihr Strickzeug hinunter. „Ist okay.“
Der Kurs dauerte noch fünfzehn Minuten, dann verabschiedeten sich meine Schülerinnen nach und nach, während sie von der nächsten Stunde sprachen. Ich fand es interessant, dass alle aus der Gruppe beschlossen hatten, ein Paar Socken für einen Mann zu stricken. Bethannes waren wahrscheinlich für ihren Sohn gedacht. Courtney hatte erklärt, die Socken wären ein Geschenk für ihren Vater. Und Elise? Ich schätzte, dass ihr Exmann ihre bekommen würde.
„Das war wirklich eine gute Idee, die Elise für Bethanne hatte“, sagte ich zu Margaret, während ich die Sitzecke aufräumte. Ich fühlte mich durch dieses Erlebnis regelrecht beflügelt. Mir schien es ein weiterer Schritt zu einer richtigen Freundschaft gewesen zu sein.
Plötzlich bemerkte ich, dass meine Schwester weinte.
„Margaret?“
Sie wischte die Tränen weg, offensichtlich verärgert und beschämt, dass ich ihren Gefühlsausbruch mitbekommen hatte.
„Was ist los?“, fragte ich trotz meines Vorsatzes, mich nicht einzumischen. „Sag es mir.“
„Wir haben gestern eine Benachrichtigung bekommen“, sagte sie so leise, dass ich mich anstrengen musste, um sie zu verstehen. „Matt wusste nicht, dass ich sie gesehen habe. Er kümmert sich immer um die Rechnungen, und ich hatte angenommen, dass wir zurechtkommen. Ich habe mich so weit eingeschränkt wie möglich. Er war auch immer sparsam, aber offenbar … Oh, Lydia, wir sind mit unseren Hypothekenzahlungen so im Verzug, dass wir vielleicht das Haus verlieren.“
„Oh nein.“ Ich hatte jeden Cent in den Laden gesteckt, sonst hätte ich ihr sofort meine Hilfe angeboten.
„Ich wollte mit Matt darüber sprechen. Er hat nur versucht, mich zu schonen, das weiß ich, aber … aber ich bin doch seine Frau. Er hätte mich davon unterrichten sollen. Als ich ihm das sagte, meinte er, ich hätte schon ohne das Haus genug Sorgen.“
„Wie viel braucht ihr denn?“, fragte ich.
„In dem Brief stand, wir müssten bis nächsten Montag zehntausend Dollar bezahlen.“
„Oh, Margaret. Es tut mir leid. Das habe ich nicht geahnt.“
„Ich weiß, ich weiß … Matt meint, es würde schon alles in Ordnung kommen, und … sicher werden wir eine Lösung finden. Ich will dich nicht mit unseren Problemen belasten – es war nur einfach so ein Schock …“
Obwohl Margaret versuchte, optimistisch zu klingen, hatte ich kein gutes Gefühl dabei. Meine Schwester würde vielleicht ihr Heim verlieren, und ich konnte nichts tun, um ihr zu helfen.