30. KAPITEL
Elise Beaumont
Elise wartete auf Maverick. Auf den Mann, den sie so sehr liebte, dass sie jegliche Vernunft verloren hatte. Sie wusste genau, wer er war, kannte ihn und all seine Schwächen. Aber jetzt waren ihr seine Fehler völlig egal.
Es klopfte, und sie öffnete die Tür, um ihn hereinzulassen. Er zog sie an sich und küsste sie. Sie hatten sich nur einmal geliebt – in der Nacht nach ihrem Ausflug in die Berge. Anschließend hatten sie beide geweint und sich nach der gemeinsam erlebten Leidenschaft fest in den Armen gehalten. Ihr erstes sexuelles Erlebnis miteinander nach so vielen Jahren war eine Mischung aus Aufregung, Scham, Angst und Erwartung gewesen. Sie hatten sich erst etwas unbeholfen gefühlt, doch ebenso Zärtlichkeit und Lust empfunden. Seitdem verbrachten sie die meisten Nächte zusammen, aber hielten sich nur fest im Arm. Nach all dieser Zeit hätte Elise nie gedacht, dass sie je wieder einen Mann mit in ihr Bett nehmen würde, dazu noch in ein Einzelbett. Wenn jemand sie so sehen würde, dicht gegen die Wand gepresst, hätte er es sicher komisch gefunden. Sie schlief in seiner Umarmung ein, und ganz früh am Morgen schlich Maverick zurück in das Zimmer der Jungen.
Niemand bemerkte es. Jedenfalls nicht, dass sie wüsste. Sie nahm an, Aurora und David vermuteten etwas, aber keiner machte eine Bemerkung darüber. Elise verhielt sich so, als ginge sie fest davon aus, dass ihre Tochter von dem nächtlichen Umzug zwischen Mavericks und ihrem Zimmer nichts mitbekam.
„Das ist verrückt“, murmelte Maverick und zog die Decke zurück, damit sie beide darunterschlüpfen konnten. Er ließ sie zuerst ins Bett und folgte ihr dann.
„Was ist verrückt? Dass wir zusammen sind?“ Er hatte recht, aber es beunruhigte sie, dass er das sagte.
„Dass wir zusammen sind, ist das einzige Richtige an dieser Situation“, entgegnete er leise. „Was nicht stimmt, ist dieses Herumschleichen mitten in der Nacht. Meine Güte, ich bin sechsundsechzig. Das letzte Mal habe ich so was getan, da war ich ein Teenager.“
„Hör auf!“, sagte sie kichernd.
„Erzähl mir bloß nicht, du bist so was gewohnt.“
„Natürlich nicht!“
„Dann lass es uns offiziell machen.“
Elise kroch so weit unter die Decke, bis sie den Kopf auf seine Schultern betten konnte. „Willst du damit vorschlagen, dass wir … heiraten? Noch einmal?“ Es klang zwar irgendwie verlockend, aber sie war nicht sicher, ob ein solcher Schritt sinnvoll wäre.
„Willst du denn in wilder Ehe leben?“
„Ich … weiß nicht.“ Sie hatte in den letzten dreißig Jahren ihre Freiheit gehabt. „Kann ich mal darüber nachdenken?“
„Ja.“ Er kuschelte sich an sie. „Ich liebe dich, Elise. Ich habe dich immer geliebt.“
Sie glaubte Maverick, dass er sie liebte. Doch das hieß nicht, dass sie sich auf ihn verlassen konnte. Wenn sie eine Spielerin gewesen wäre, dann hätte sie darauf gewettet, dass er bei nächster Gelegenheit wieder zurück ins Casino gehen würde.
Maverick küsste sie auf die Stirn. „Ich habe heute Nachmittag mit dem Makler über das Apartment gesprochen“, flüsterte er.
Er hatte das Haus nach dem Mittag verlassen und war fast vier Stunden fort gewesen. Wohin er wollte, hatte er nicht gesagt. Aber das war nicht das erste Mal, dass er für eine Weile verschwand und Elise nicht wusste, wo er in dieser Zeit war. Sie hatte ihre Vermutungen, ihn aber nie nach Einzelheiten gefragt. Von manchen Dingen sollte man besser nichts wissen.
Doch jetzt hielt sie es nicht länger aus, gar nichts zu sagen, nicht einmal eine Bemerkung dazu fallen zu lassen. „Du warst lange unterwegs“, murmelte sie.
„Stimmt. Du hast dir Sorgen gemacht, oder?“
„Sollte ich das?“
„Ich habe nicht gespielt.“
Elise schloss die Augen. Sie bemühte sich – wieder einmal –, ihm zu glauben. Zu oft hatte sie weggesehen, statt sich der Wahrheit zu stellen. Es bedrückte sie, dass sich bei ihm offenbar nichts geändert hatte – oder bei ihr – nach all diesen Jahren.
„Ich schwöre es dir.“
„Okay.“ Sie legte ihm den Arm um die Taille. Er war ihre einzige Dummheit im Leben gewesen. Sie wusste, wer er war, als sie ihn damals geheiratet hatte. Ihre Liebe hatte ihn nicht verändert, und das würde sicher auch jetzt nicht passieren.
„Der Kaufvertrag für die Wohnung ist jetzt unterschrieben.“
„Oh.“
„Ich werde nächste Woche dort einziehen.“
Sie wusste nicht, wie sie reagieren sollte und wollte ihre Enttäuschung nicht zeigen, auch nicht das schmerzhafte Gefühl des plötzlichen Verlusts.
„Ich habe hier länger gewohnt als vorgesehen“, flüsterte er. „Es war nie meine Absicht, mich Aurora und David mehr als zwei Wochen aufzudrängen.“
Er beabsichtigte nicht, die Gastfreundschaft der beiden überzustrapazieren, genauso wenig wie Elise ihrer Tochter und deren Familie zur Last fallen wollte. Doch sie wusste nicht, wohin sie sonst gehen sollte. Langsam befürchtete sie, dass sie ihr Geld nie zurückbekam. Die Gerichte arbeiteten so langsam, dass sie vermutete, schon längst tot und begraben zu sein, wenn der Fall endlich abgeschlossen wurde.
„Ich möchte, dass du mit mir zusammenziehst“, sagte er leise.
„Ich … weiß nicht.“ Sie verspürte eine so unwiderstehliche Versuchung nachzugeben, wie schon lange nicht mehr.
„Wir müssen nicht wieder heiraten, wenn du nicht möchtest.“
„Willst du denn?“, fragte sie.
„Von ganzem Herzen.“ Er drückte sie fester an sich. Sie lag ruhig da, geborgen in seiner Umarmung, und irgendwann stellte sie fest, dass er schlief.
Es dauerte lange, bis Elise auch eindämmerte. Als sie morgens aufwachte, war er fort. Aurora stand im Morgenmantel in der Küche. Elise goss sich eine Tasse Kaffee ein. Sie wusste, dass David bereits zur Arbeit gefahren war. Normalerweise war er um sieben schon unterwegs. Im Haus war sonst noch alles still. In Kürze würden die Jungs auf sein und Maverick ebenfalls. Elise genoss diese paar Minuten allein mit ihrer Tochter.
„Mom“, begann Aurora zögernd, „weißt du, dass Dad auszieht?“
Elise nickte. „Er hat es mir erzählt … gestern Nacht.“ Verlegen wandte sie ihrer Tochter den Rücken zu, während sie Sahne in ihren Kaffee goss und ihn länger als nötig umrührte.
„Du und Dad scheint euch ganz gut zu verstehen.“
„Äh … ja.“
„Es war alles so viel harmonischer, als ich dachte.“
„Ja, aber dein Vater war ja schon immer sehr einnehmend“, bemerkte Elise ironisch. Sie drehte sich um und errötete unter Auroras prüfendem Blick. „Also gut, wenn du es unbedingt wissen willst, dein Vater und ich schlafen zusammen.“ Elise wusste nicht, was in sie gefahren war, dass sie damit so herausplatzte. Das hörte sich so schäbig und falsch an, wo es doch das Natürlichste der Welt war, mit Maverick das Bett zu teilen.
Aurora versuchte, ihr Grinsen zu verbergen, indem sie einen Schluck Kaffee nahm. „Es ist kein Geheimnis. David und ich haben uns das schon gedacht.“
Wie peinlich. Aber nun konnte sie genauso gut auch alles erzählen. „Er will mich heiraten.“
„Möchtest du das auch?“
Wenn sie die Antwort darauf wüsste, würde sie es nicht mit ihrer Tochter besprechen. „Ich … bin mir nicht sicher, was ich machen soll. Dein Vater … Na ja, du kennst ja deinen Vater.“
„Nein, Mom, nicht richtig. Ich habe mir ein Bild von ihm gemacht, aber wie er tatsächlich ist … Ich nehme an, das liegt irgendwo zwischen der Realität und meiner Fantasie.“
„Er war doch all die Wochen über hier.“
„Ja.“ Aurora seufzte. „Er hat sich den Jungen gegenüber wundervoll verhalten. Sie beten ihn an, und ich auch – aber das habe ich ja schon immer getan.“
„Ich weiß“, flüsterte Elise. Es hatte Zeiten gegeben, da hatte sie die Liebe ihrer Tochter zu deren Vater nicht gern gesehen. Aber das war vorbei. „Ich habe so viele Fehler in meinem Leben gemacht“, gestand Elise. „Ich will nicht noch einen weiteren begehen.“
„Gehorche deinem Herzen, Mom“, riet ihr Aurora leise. „Gehorche deinem Herzen.“