1. KAPITEL
„Eine Socke in Handarbeit herstellen verbindet mit der Geschichte. Wir erhalten dadurch einen kleinen Einblick in das Leben der Strickerinnen, die mit der gleichen Fertigkeit und Technik arbeiteten, die wir heute anwenden.“
(Nancy Bush, Verfasserin von „Folk Socks“ (1994), „Folk Knitting in Estonia“ (1999) und „Knitting on the Road, Socks for the Travelling Knitter“ (2001), erschienen bei Interveave Press)
Lydia Hoffman
Stricken hat mir das Leben gerettet. Es begleitete mich durch die beiden langwierigen Leidensphasen meiner Krebserkrankung. Einer besonders heimtückischen Art, bei der sich Tumore im Gehirn bildeten, die mich mit unbeschreiblichen Kopfschmerzen plagten. Ich ertrug Schmerzen, die ich mir vorher nie hätte vorstellen können. Der Krebs zerstörte meine Jahre als Teenager, doch ich war entschlossen zu überleben.
Ich war gerade sechzehn geworden, als die Krankheit zum ersten Mal diagnostiziert wurde, und ich lernte stricken, während ich eine Chemotherapie durchmachte. Eine Frau mit Brustkrebs, die im Behandlungsstuhl neben mir saß, strickte ebenfalls, und sie brachte es mir bei. Die Chemotherapie war schrecklich – nicht ganz so schlimm wie die Kopfschmerzen, aber fast. Durch das Stricken konnte ich die endlosen Stunden überstehen, in denen ich mich entsetzlich schwach fühlte und mit ständigem Brechreiz zu kämpfen hatte. Mit zwei Nadeln in den Händen und einem Knäuel Wolle auf dem Schoß bekam ich das Gefühl, alles ertragen zu können. Mir fiel das Haar büschelweise aus, aber ich war in der Lage, das Garn um die Nadel zu schlingen und eine Masche zu stricken. Ich schaffte es, ein Muster einzuarbeiten und ein Stück zu vollenden. Ich konnte kaum einen Bissen bei mir behalten, aber ich konnte stricken. An diese kleinen Erfolgserlebnisse klammerte ich mich.
Stricken war meine Rettung – die Handarbeit und mein Vater. Er gab mir die emotionale Kraft, diese letzte Phase des Kampfes zu überstehen. Ich überlebte, mein Vater traurigerweise nicht. Ironie des Schicksals, oder? Während ich die Krankheit besiegte, brachte sie meinen Vater um.
Auf dem Totenschein steht, dass er an einem schweren Herzinfarkt starb. Doch ich glaube, es war etwas anderes. Als ich einen Rückfall erlitt, traf ihn das noch mehr als mich. Mom war immer unfähig gewesen, mit Krankheiten umzugehen. Deshalb lag die Hauptlast meiner Pflege bei meinem Vater. Meist war er es, der mich zur Chemotherapie brachte, der sich mit den Ärzten stritt und dafür kämpfte, dass ich die bestmögliche medizinische Behandlung erhielt –, der mir den Willen zum Weitermachen gab. Während ich von meinem Kampf ums Überleben vollkommen vereinnahmt war, bemerkte ich nicht, was für einen hohen Preis mein Vater für meine Genesung zahlte. Als mir bescheinigt wurde, dass ich mich auf dem Weg der Besserung befand, versagte ihm sein Herz ganz einfach den Dienst.
Nachdem er gestorben war, wurde mir klar, dass ich entscheiden musste, was ich nun mit meinem Leben anfangen wollte. Es sollte ihm zu Ehren geschehen, was immer ich auch wählte. Das hieß, ich war bereit, ein Risiko einzugehen. Ich, Lydia Anne Hoffman, beschloss, auf dieser Welt ein Zeichen zu hinterlassen. Im Nachhinein betrachtet klingt das ziemlich melodramatisch, doch genau so dachte ich vor einem Jahr. Was, möchten Sie vielleicht fragen, könnte ich getan haben, das so bedeutend und außergewöhnlich war?
Ich eröffnete einen Wollladen in der Blossom Street in Seattle. Das klingt wahrscheinlich nicht gerade weltbewegend, aber für mich war es ein Schritt in die Zukunft. Ich hatte etwas Geld von meinen Großeltern geerbt und verwendete jeden Cent davon, um mein Geschäft zu eröffnen. Und das, obwohl ich es nie länger als ein paar Wochen in einem Job ausgehalten hatte. Ich, die so gut wie nichts über Finanzen, Gewinn- und Verlustrechnung oder Geschäftsplanung wusste. Jeden Heller, den ich besaß, investierte ich nun in das, von dem ich etwas verstand. Das waren die Wolle und das Stricken.
Natürlich brachte das ein paar Probleme mit sich. Zu jener Zeit fanden in der Blossom Street umfangreiche Sanierungsarbeiten statt. Die Frau des Architekten, Jacqueline Donovan, war eine der Schülerinnen in meinem ersten Strickkurs gewesen. Die Teilnehmerinnen dieses ersten Kurses, Jacqueline, Carol und Alix, sind heute meine drei besten Freundinnen. Im letzten Sommer, als ich „A Good Yarn“ eröffnet hatte, war der Laden umgeben von Baustellen. Es stellte sich als äußerst schwierig dar, in der Nähe einen Parkplatz zu finden. Die Kundinnen, die sich letztendlich in meinem Laden eingefunden hatten, mussten ständig Staub und Krach ertragen. Ich weigerte mich, mir meine Freude an dem Geschäft durch diese Unbequemlichkeit verderben zu lassen. Und glücklicherweise ging es meinen Kundinnen genauso. Ich war überzeugt, dass ich das mit dem Geschäft schaffen würde.
Von meiner Familie erhielt ich nicht die Unterstützung, die man vielleicht hätte erwarten können. Mom versuchte, mich zu ermutigen. Doch nachdem sie Dad verloren hatte, schienen ihre Kräfte nicht mehr auszureichen. Sie befindet sich seither in ihrer ganz eigenen Welt, eingehüllt in eine Wolke von Trauer und Hoffnungslosigkeit. Als ich ihr von meinem Vorhaben erzählte, versuchte sie nicht, es mir auszureden. Aber sie ermutigte mich auch nicht. Das Positivste, das sie zu mir sagte, war: „Sicher, mein Liebling. Mach du nur, wenn du unbedingt musst.“ Von meiner Mutter war das die stürmischste Ermunterung, die ich mir vorstellen konnte.
Meine Schwester Margaret dagegen hatte keine Skrupel, mir meine geschäftliche Zukunft in den düstersten Farben auszumalen. An dem Tag, als ich meinen Laden eröffnete, kam sie hereinmarschiert, um mir ihre aussichtslosen Prognosen mitzuteilen. Die Wirtschaftslage sei schlecht, so meinte sie, und die Leute würden kein Geld ausgeben. Ich sollte mich glücklich schätzen, wenn ich mich in den nächsten sechs Wochen über Wasser halten könne. Nachdem ich mir ihre Litanei zehn Minuten lang angehört hatte, war ich nahe dran, den Pachtvertrag zu zerreißen und die Tür wieder abzuschließen. Dann erinnerte ich mich daran, dass es mein erster offizieller Verkaufstag war. Ich wollte nicht aufgeben, bevor ich nicht wenigstens mein erstes Wollknäuel verkauft hatte.
Wie Sie sich denken können, haben Margaret und ich eine komplizierte Beziehung. Verstehen Sie mich nicht falsch: Ich liebe meine Schwester. Bevor die Krankheit ausgebrochen war, hatten wir ein ganz normales Verhältnis, mit allen Hochs und Tiefs, die Geschwister nun mal durchlaufen. In der ersten Zeit nach der Diagnose verhielt sie sich großartig. Ich erinnere mich daran, wie sie mir einen Stoffteddy schenkte, den ich mit ins Krankenhaus nehmen sollte. Ich muss ihn immer noch irgendwo haben, wenn Whiskers ihn nicht inzwischen in der Mache hatte. Whiskers ist mein Kater, und er besitzt die Angewohnheit, alles Pelzige mit seinen Krallen zu bearbeiten.
Es war während meines ersten Rückfalls, als Margarets Verhalten sich auffallend veränderte. Sie tat so, als wollte ich krank sein. Als würde ich dermaßen nach Aufmerksamkeit hungern, dass ich mir dieses schreckliche Leiden selbst ausgesucht hätte. Während ich nun meine ersten anstrengenden Versuche startete, auf eigenen Beinen zu stehen, hatte ich gehofft, dass sie meine Bemühungen unterstützen würde. Stattdessen machte sie mir nur Schwierigkeiten. Doch im Laufe der Zeit änderte sich ihr Verhalten wieder, und ich konnte sie durch meine harte Arbeit schließlich doch von meinem Laden überzeugen.
Margaret, um es einmal milde auszudrücken, ist nicht gerade der warmherzige, spontane Typ. Ich hatte nie geahnt, wie viel ich ihr bedeute, bis bei mir noch einmal der Verdacht auf Krebs bestand. Das war nur wenige Monate, nachdem ich „A Good Yarn“ eröffnet hatte. „Verdacht auf Krebs“ kann nicht beschreiben, was in mir vorging, als Dr. Wilson seine beängstigenden, wohlbekannten Tests anordnete. Es war, als würde meine Welt zusammenbrechen. Tatsächlich glaube ich nicht, dass ich diesen Kampf ein weiteres Mal hätte durchstehen können. Mein Entschluss stand bereits fest. Ich würde jede Art von Behandlung ablehnen, sollte ich tatsächlich wieder einen Rückfall haben. Ich wollte nicht sterben. Aber wenn man schon einmal so kurz davor gewesen war, verliert es seinen Schrecken.
Mein Verhalten ärgerte Margaret, und sie konnte meine rigorose Einstellung nicht akzeptieren. Über das Sterben zu reden macht sie nervös, so wie die meisten Leute. Doch wenn man sich bereits so intensiv mit Krankheit und Tod hatte auseinandersetzen müssen, kommt es einem fast so normal vor wie das Licht auszuschalten. Nein, ich möchte nicht sterben, aber ich fürchte mich auch nicht mehr davor. Glücklicherweise ergaben die Tests, dass der Tumor gutartig war. Ich erzähle davon, weil mir damals klar wurde, wie sehr meine Schwester mich liebt. In den letzten siebzehn Jahren hatte ich sie nur zweimal weinen sehen – als Dad starb und als Dr. Wilson mir sagte, dass ich gesund bin. Margaret war es auch, die mich darin unterstützte, mich nach diesem Ergebnis wieder bei Brad Goetz zu melden. Brad, der für UPS die Blossom Street, also auch mich, beliefert, ist der Mann, mit dem ich seit dem letzten Jahr zusammen bin. Er ist geschieden und hat das Sorgerecht für seinen neunjährigen Sohn Cody. Es wäre untertrieben zu sagen, Brad sähe gut aus. Der Mann ist schlichtweg umwerfend! Bereits am ersten Tag, als er in den Laden kam und mehrere Kartons mit Wolle auf dem Arm balancierte, fand ich ihn sehr attraktiv, um nicht zu sagen sexy. Ich war so aufgeregt, dass ich Schwierigkeiten hatte, den Lieferschein zu unterschreiben. Er musste mehrere Versuche starten, mich einzuladen, bevor ich mich schließlich zu einem Drink überreden ließ. Bei meiner Erfahrung in Bezug auf Männer war ich sicher, einem solchen Date nicht gewachsen zu sein. Niemals hätte ich den Mut gehabt, Brads Einladung anzunehmen, wenn Margaret mich nicht regelrecht dazu gedrängt hätte.
Die Eröffnung des Ladens bedeutete für mich, Ja zum Leben zu sagen. Doch meine Schwester glaubte, ich hätte Angst vor dem Leben. Angst, mich aus meiner winzigen, bequemen Welt hinauszuwagen, die ich mir mit dem Wollgeschäft selbst geschaffen habe. Sie hatte recht. Das wusste ich, wollte es aber nicht wahrhaben. Es war so viele Jahre her, seit ich etwas Zeit mit irgendeinem anderen Mann als meinem Vater oder meinem Arzt verbracht hatte, dass ich in dieser Beziehung völlig hilflos war. Aber Margaret wollte keine einzige meiner Ausreden akzeptieren. So ließ ich mich schließlich auf Brad ein. Auf die Drinks folgten Dinnerverabredungen, Picknickausflüge und Unternehmungen mit Cody. Ich begann Brads Sohn genauso zu lieben wie meine beiden Nichten Julia und Hailey.
Als ich dachte, ich wäre wieder an Krebs erkrankt, hatte ich mich von ihm getrennt. Das war ein Fehler, wie ich später einsah. Brad konnte mir jedoch vergeben, und wir setzten unsere Beziehung fort. Wir sind vorsichtig … Okay, ich bin diejenige, die es langsam angehen lässt, aber er ist damit einverstanden. Auch er war schon einmal sehr verletzt worden, als seine Exfrau Janice sich mit der Begründung von ihm trennte, sie müsse „sich selbst finden“. Und er muss auch an Cody denken. Der Junge hängt sehr an seinem Vater, und ich möchte dieses besondere Band zwischen den beiden nicht zerstören. So weit läuft alles gut, und wir reden immer öfter über eine gemeinsame Zukunft. Brad und Cody gehören inzwischen so fest zu meinem Leben, dass ich mir gar nicht vorstellen könnte, ohne sie zu sein.
Obwohl es eine Weile gedauert hat, sieht Margaret die Zukunft meines Wollladens endlich positiv. Tatsächlich arbeitet sie jetzt mit mir zusammen im Geschäft. Wir beide setzen uns gemeinsam für eine Sache ein, und das grenzt geradezu an ein Wunder. Manchmal fallen wir in alte Gewohnheiten zurück, aber wir machen Fortschritte. Ich bin so glücklich, sie an meiner Seite zu haben. In jeder Beziehung.
Bevor ich mich zu sehr in Einzelheiten verliere, möchte ich etwas über mein Geschäft berichten. In dem Moment, in dem ich diesen Laden gesehen habe, wusste ich, was für Möglichkeiten darin steckten. Trotz der Probleme mit der Renovierung und den zeitweiligen Unbequemlichkeiten durch die Bauarbeiten war mir klar, dass er perfekt ist. Ich unterschrieb den Mietvertrag, bevor ich überhaupt alles gesehen hatte. Mir gefiel das große Schaufenster, das zur Straße zeigte. Jetzt schläft Whiskers meist dort zusammengerollt inmitten all der Wollknäuel. Die Blumenkästen erinnerten mich an den ersten Fahrradladen meines Vaters. Es war fast, als würde mein Dad mir seine Zustimmung zu meinem Vorhaben geben. Der Anblick der farbenfrohen, wenn auch staubigen Markise machte mir schließlich deutlich: Hier und sonst nirgendwo wollte ich meinen Plan realisieren. Ich wusste, aus diesem kleinen altmodischen Laden könnte das einladende Geschäft werden, das ich mir vorgestellt hatte – und so war es auch.
Die Renovierungsarbeiten sind nun fast abgeschlossen. Aus dem alten Bankgebäude wurde ein luxuriöses Apartmenthaus, und der Videoladen daneben ist inzwischen eine Art französisches Café, fantasievollerweise „French Café“ genannt. Alix Townsend, die an meinem allerersten Strickkurs teilgenommen hatte, arbeitete damals in dieser Videothek. Und irgendwie passt es, dass sie ihren ersten richtigen Job als Konditormeisterin in genau diesen Räumen ausübt. Bedauerlicherweise ist Annies Café am anderen Ende der Straße jetzt geschlossen und zu vermieten, doch der Laden wird bestimmt nicht lange leer stehen. Hier in der Gegend ist einiges in Bewegung.
Es war der erste Dienstag im Juni und ein wunderschöner Tag. Der Sommer würde nicht mehr lange auf sich warten lassen.
Die Glocke über meiner Tür bimmelte mit ihrem schönen Klang, als Margaret hereinkam.
Ich begrüßte sie aus dem Hinterzimmer des Ladens – meinem offiziellen Büro –, wo ich gerade Kaffee kochte. „Guten Morgen.“
Margaret antwortete nicht gleich. Und als sie etwas sagte, war es mehr ein Brummen als eine Begrüßung. Da ich meine Schwester und ihre Launen kenne, beschloss ich, erst einmal abzuwarten. Wenn sie sich mit einer ihrer Töchter oder ihrem Mann gestritten hatte, würde sie es mir schon beizeiten mitteilen.
„Ich mache gerade Kaffee“, sagte ich, als Margaret nach hinten kam und ihre Tasche einschloss.
Ohne einen Kommentar nahm sie sich eine saubere Tasse von der Ablage und griff nach der Kanne. Es tröpfelte weiter aus dem Wasserbehälter und zischte auf der Heizplatte, aber Margaret schien es nicht zu bemerken.
Schließlich hielt ich es nicht mehr aus, und mein Vorsatz, ihr Zeit zu lassen, war vergessen. „Was ist los?“, wollte ich wissen. Ich muss zugeben, ich hatte wenig Geduld. Doch sie erschien in letzter Zeit einfach ein bisschen oft mit dieser miesen Stimmung bei der Arbeit.
Sie drehte sich zu mir um und brachte ein schwaches Lächeln zustande. „Nichts … Tut mir leid. Irgendwie kommt es mir heute einfach wie Montag vor.“
Da der Laden montags geschlossen ist, beginnt unsere Arbeitswoche am Dienstag. Ich betrachtete sie stirnrunzelnd und überlegte, was wirklich los sein könnte. Doch sie machte ein völlig unbeteiligtes Gesicht, sodass der wahre Grund ihres Verhaltens nicht zu erraten war.
Meine Schwester ist eine eindrucksvolle Erscheinung mit breiten Schultern und dichtem dunklen Haar. Sie ist groß und schlank, aber kräftig. Man sieht immer noch, dass sie Sportlerin gewesen ist. Ich wünschte aber, sie würde sich mal eine andere Frisur zulegen. Sie trägt ihr Haar immer noch wie auf der Highschool, Mittelscheitel und glatt bis auf die Schultern herunter, wo es sich nach innen wellt, als hätte sie es mit einem Lockenstab malträtiert. Das war jedenfalls Teil ihrer Ausrüstung in der Teenagerzeit – der Lockenstab, das Haarspray, die rigoros gehandhabte Bürste. Der Stil ist klassisch und steht ihr, aber ich würde einiges darum geben, wenn sie mal etwas Neues probierte.
„Ich werde einen neuen Kurs anbieten“, sagte ich und wechselte abrupt das Thema, in der Hoffnung, sie aus ihrer düsteren Stimmung zu holen.
„Für was?“
Aha, Interesse. Ein gutes Zeichen. Im Großen und Ganzen sind meine Kurse bis jetzt gut gelaufen. Ich hatte einen für Anfänger gegeben, einen für fortgeschrittene Anfänger und einen für Shetland-Muster. Aber es gab noch einen, den ich schon seit einer Weile anbieten wollte.
„Ist das so eine schwierige Frage?“
Die sarkastische Bemerkung meiner Schwester holte mich aus meiner kurzen Versunkenheit. „Socken. Ich werde Unterricht im Sockenstricken geben.“
Mit den originellen neuen Wollgarnen, die auf dem Markt sind, ist Sockenstricken gerade der große Renner. Ich habe eine Anzahl von europäischen Sorten eingeführt, und mir gefällt die Vielfalt. Meinen Kunden auch. Einige der Garne sind so gesponnen, dass sie ein herrlich buntes Muster ergeben, wenn man damit arbeitet. Ich fand es faszinierend, ein Paar gestrickte Socken zu sehen, die ihr Muster dem Faden und nicht dem Strickenden verdankten.
„Gut.“ Margaret zuckte die Schultern. „Ich nehme an, du wirst vorschlagen, sie auf zwei Rundnadeln zu stricken und nicht mit der Doppelnadelmethode“, bemerkte sie beiläufig.
„Natürlich.“ Ich bevorzugte das Arbeiten mit zwei Rundnadeln.
Meine Schwester häkelte lieber, und obwohl sie stricken konnte, tat sie es selten. „Das Sockenstricken scheint in letzter Zeit ziemlich beliebt zu sein, oder?“ Sie klang immer noch unbeteiligt, fast desinteressiert.
Ich betrachtete sie eingehend. Sie hatte immer drei oder vier Argumente parat, warum meine jeweilige Idee nicht funktionierte. Das war praktisch schon ein Spiel zwischen uns geworden. Ich erzählte ihr meine neusten Pläne, und sie sagte mir sofort, warum sie zum Scheitern verurteilt waren.
„Du meinst also, ein Kurs im Sockenstricken würde unsere Kunden interessieren?“ Ich konnte nicht anders, als noch mal nachzufragen. Meine Güte, bei Margaret war heute irgendetwas absolut nicht in Ordnung.
Ich persönlich fand aus anderen Gründen den größten Spaß am Sockenstricken. Das Beste war zunächst einmal die Tatsache, dass ein Paar Socken ein kleines Projekt ist. Wenn ich eine Decke oder einen Shetlandpullover fertiggestellt hatte, wollte ich normalerweise etwas produzieren, das schnell ging. Nachdem ich endlose Stunden gestrickt hatte, fand ich es sehr befriedigend zu sehen, wie eine Socke binnen Kurzem Form annahm. Socken beanspruchten weder einen großen Einsatz an Zeit noch an Wolle und waren wunderbare Geschenke. Ja, Socken waren ganz eindeutig mein neues Kursprojekt. Da Dienstag erfahrungsgemäß am wenigsten los war im Laden, schien es mir am besten, den Unterricht an diesem Tag anzubieten.
Margaret nickte. „Du hast recht. Ein Kurs im Sockenstricken würde sicher Anklang finden“, murmelte sie.
Ich starrte meine Schwester an und glaubte für einen Moment, ein paar Tränen in ihren Augen glitzern zu sehen. Nun betrachtete ich sie eingehender. Wie ich vorher bemerkte, weint sie sehr selten. „Geht es dir wirklich gut?“, erkundigte ich mich vorsichtshalber leise. Ich wollte sie nicht bedrängen, aber irgendetwas schien mit ihr nicht zu stimmen. Sie sollte wissen, dass ich mir Sorgen um sie machte.
„Frag doch nicht ständig“, fuhr sie mich an.
Ich seufzte erleichtert. Die alte Margaret war wieder da.
„Könntest du ein Schild fürs Schaufenster machen?“, bat ich sie. Künstlerisch war sie erheblich talentierter als ich. Normalerweise verließ ich mich auf ihr Können, wenn es um Ankündigungen und die Fensterdekoration ging.
Wieder zuckte sie ziemlich gelangweilt die Schultern. „Bis zum Mittag habe ich eins fertig.“
„Wunderbar.“ Ich ging zur Eingangstür, schloss sie auf und drehte das Schild auf „Geöffnet“. Whiskers blickte von seinem Stammplatz im Schaufenster auf, wo er sich in der Morgensonne aalte. Auf der Fensterbank vor dem Laden blühten rote Geranien. Die Erde wirkte ausgetrocknet, deshalb nahm ich die Gießkanne und ging damit raus. Aus dem Augenwinkel beobachtete ich etwas Braunes – ein Lieferwagen bog um die Ecke. Ein vertrautes Glücksgefühl überkam mich. Brad.
Tatsächlich manövrierte er den Wagen auf den Parkplatz vor Fanny’s Floral, das Geschäft neben meinem. Mit einem Lächeln auf dem Gesicht sprang er heraus.
„Ein schöner Tag heute“, sagte er und grinste noch breiter. Dieser Mann lächelte aus vollem Herzen, mit ganzer Seele, und er hat die ausdrucksvollsten blauen Augen, die ich jemals gesehen habe. Für mich sind sie wie ein Leuchtfeuer. Ich könnte schwören, dass ich diese Augen meilenweit sehen kann, so strahlend blau sind sie. „Hast du eine neue Lieferung für mich?“, wollte ich wissen.
„Ich bin die einzige Lieferung, die ich heute für dich habe. Und ich könnte ein paar Minuten erübrigen, wenn es Kaffee gibt.“
„Gibt es.“ Das gehörte zu unserem Ritual. Brad kam zweimal in der Woche im Laden vorbei, mit oder ohne Woll-Kartons – wenn er es schaffte, auch öfter. Er blieb nie besonders lange. Meist füllte er nur seine Thermoskanne mit Kaffee, nutzte die Gelegenheit, mir einen Kuss zu geben, und setzte so schnell wie möglich seine Runde fort. Wie immer folgte ich ihm also heute in den hinteren Raum und tat überrascht, als er mich umarmte. Ich liebe es, von ihm geküsst zu werden. Diesmal begann er damit, meine Stirn zu liebkosen, um dann mein Gesicht mit unzähligen Küssen zu bedecken, bis er meinen Mund erreichte. Seine Lippen auf meinen zu spüren, löste bei mir sofort ein Kribbeln im ganzen Körper aus. Er hat eine ganz besondere Wirkung auf mich – und das weiß er auch.
Brad hielt mich gerade lange genug fest, bis ich mein Gleichgewicht wiedergefunden hatte. Dann ließ er mich los und griff nach der Kaffeekanne. Mit gerunzelter Stirn drehte er sich zu mir um.
„Gibt es Probleme zwischen Margaret und Matt?“, wollte er wissen.
Ich wollte ihm gerade versichern, dass alles in Ordnung sei. Doch bevor ich einen Ton sagen konnte, hielt ich inne. Plötzlich wurde mir klar, dass ich keine Ahnung hatte. „Warum fragst du?“
„Wegen deiner Schwester“, flüsterte er. „Sie ist in letzter Zeit so komisch. Hast du das nicht auch schon bemerkt?“
Ich nickte. „Irgendetwas beschäftigt sie.“
Ich dachte darüber nach, wie sie vorhin unserer üblichen verbalen Auseinandersetzung ausgewichen war.
„Soll ich mal mit ihr reden?“, erkundigte sich Brad und vergaß, leise zu sprechen.
Ich schwieg kurz, weil ich befürchtete, dass Margaret beleidigt wäre und ihn genauso anfahren würde wie mich. Aber dann überlegte ich es mir anders. Meine Schwester liebte ihn abgöttisch. Und wenn es jemanden gab, der ihre Schutzmauer überwinden konnte, dann er. „Vielleicht, aber nicht jetzt.“
„Wann denn?“
„Vielleicht sollten wir uns alle bald mal zusammensetzen.“
Brad schüttelte den Kopf. „Ich halte es für sinnvoller, wenn Matt nicht dabei wäre.“
„Stimmt.“ Ich nagte an meiner Unterlippe. „Hast du eine bessere Idee?“
Bevor er etwas darauf erwidern konnte, zog Margaret den Vorhang zum Hinterzimmer beiseite und funkelte uns verärgert an. Brad und ich blickten sie zweifellos so schuldbewusst an, wie wir uns fühlten.
„Hört mal zu, ihr zwei Turteltauben. Wenn ihr über mich reden wollt, dann schlage ich euch vor, nicht so laut zu sprechen.“ Dann ließ sie den Vorhang wieder los und stapfte zurück in den Verkaufsraum.