32. KAPITEL
Elise Beaumont
Jetzt, da Maverick in seiner Eigentumswohnung lebte, vermisste Elise ihn. Sie hatte sich schweren Herzens entschlossen, erst mal zu bleiben, wo sie war. Doch ohne ihn fühlte sie sich schlecht. Das Zusammensein mit ihm fehlte ihr in jeder Hinsicht. So war es auch nach der Scheidung gewesen. Sie hatte seinen Duft vermisst, seine Berührungen, die unglaubliche Freude, ihn mit ihrer kleinen Tochter zu beobachten …
Der Schmerz in ihrem Inneren schien von Tag zu Tag schlimmer zu werden. Doch es war nicht so, dass sie ihn nicht sah. Maverick kam fast täglich aus diesem oder jenem Grund vorbei. Jedes Mal, wenn er sie besuchte, versuchte er, sie zu überreden, zu ihm in sein Apartment zu ziehen, sie davon zu überzeugen, dass er sich verändert hatte und sie ihm vertrauen konnte. Bisher hatte sie widerstanden, doch ihre Entschlossenheit begann zu bröckeln. Sie fühlte, dass sie ihre Bedürfnisse nicht mehr lange unterdrücken könnte. Doch sie fürchtete sich davor, ihnen nachzugeben.
Elise erwartete Maverick eigentlich an diesem Vormittag. Er wusste ebenso wie sie, dass Aurora mit den Jungs Schulkleidung einkaufen wollte. Sie hätten also das Haus ganz für sich.
Eine halbe Stunde, nachdem ihre Tochter gegangen war, lief Elise nervös in der Küche hin und her. Als es an der Tür klingelte, rannte sie nach vorn, um schnell zu öffnen. Maverick hatte recht gehabt – vor allem, was ein Thema anbetraf. Elise verspürte einen wachsenden sexuellen Appetit. All die Jahre hatte sie diese Sehnsucht unterdrückt. Doch seit dem Abend, als er ihr eröffnet hatte, dass er umziehen wollte, ließ sie ihrem Verlangen freien Lauf. Nichts gefiel ihr besser, als ihren Exmann mitten an einem heißen Nachmittag in ihr Bett zu holen. Ihre Wangen röteten sich bei dem Gedanken daran. Wenn jemals jemand etwas von ihren geheimen Schäferstündchen erführe, würde sie vor Scham sterben.
Es gefiel ihr so sehr, wie Maverick sie liebte. Sie brauchten nur sich. Und trotzdem … könnten sie zusammen leben?
Elise befürchtete, wenn sie ihr Leben wieder miteinander teilten, würde es genauso enden wie schon einmal. Es war unvermeidbar, dass er seiner Neigung zum Spielen wieder erlag, und damit konnte sie nicht umgehen.
Trotz ihrer Hoffnung stand nicht Maverick vor der Tür. „Bethanne!“ Elise hielt die Fliegentür auf. Irgendetwas war überhaupt nicht in Ordnung, ihre Freundin sah schrecklich blass aus. „Komm rein, komm rein.“
„Ich hoffe, du nimmst es mir nicht übel, dass ich einfach so hereinplatze.“
„Natürlich nicht.“ Elise führte sie ins Wohnzimmer. Sie bot an, Kaffee oder Tee zu kochen, aber Bethanne lehnte mit einem kurzen Kopfnicken ab.
Sie setzte sich auf das Sofa und zog ein Taschentuch vor. „Ich habe mir extra vorgenommen, nicht zu heulen, und jetzt sieh mich bloß an. Ich habe noch kein Wort gesagt und breche schon zusammen.“
Elise setzte sich ihr gegenüber. „Fang am besten von vorn an. Sag mir, was los ist.“
Bethanne biss sich auf die zitternde Unterlippe. „Ich war … ich war jetzt bei sechs Banken, und keine gewährt mir einen Kredit für mein Geschäft.“ Elise hörte zu, wie Bethanne von den ersten fünf Banken erzählte, die alle mit der Begründung abgelehnt hatten, dass das Risiko zu groß sei.
„Dann habe ich mit Lydia gesprochen, und sie hat mir von dieser kleinen Bank erzählt, die ihr kürzlich einen Kredit gegeben hat. Sie meinte, es gäbe Dinge in ihrem Lebenslauf, durch die sie bei den meisten Banken als kreditunwürdig gilt. Dabei wissen wir beide doch genau, dass Lydia eine ausgesprochen gute Geschäftsfrau ist. Sie hat tausendmal mehr Ahnung auf diesem Gebiet als ich. Aber ich bin bereit zu lernen.“
„Natürlich wirst du es lernen“, versicherte ihr Elise. Sie konnte sich nicht erinnern, Bethanne jemals so am Boden zerstört gesehen zu haben – nicht einmal, als sie das erste Mal über ihre Scheidung gesprochen hatte. „Hast du dich bei der Bank beworben, die Lydia empfohlen hat?“, fragte sie.
Bethanne nickte. „Lydia bestand darauf, dass ich sie als Referenz angebe.“ Sie machte eine Pause, um sich die Nase zu putzen. „Gestern Nachmittag habe ich die Antwort von ihnen bekommen. Nach langem Überlegen haben sie meinen Antrag abgelehnt. Elise“, sagte sie schluchzend. „Ich weiß nicht, was ich machen soll.“
Wenn Elise das Geld gehabt hätte, hätte sie es ihr geliehen. Irgendwie fühlte sie sich ein bisschen verantwortlich. Das mit dem Party-Service war immerhin ihre Idee gewesen, und sie war so stolz, weil Bethanne Erfolg damit hatte.
„Wie kann ich dir helfen?“, fragte sie.
Bethanne brauchte einen Moment, um sich zu sammeln. „Indem du mir einfach nur zuhörst“, flüsterte sie. „Ich … ich bewundere dich so sehr und bin wirklich froh, dich kennengelernt zu haben.“
„Mich?“ Elise errötete bei diesem Kompliment. Sie hatte nichts weiter getan, als Bethanne zu ermutigen. Elise war selbst eine alleinerziehende Mutter gewesen, sie wusste, was für Schwierigkeiten das bereitete.
„Ach, Elise, du bist so eine gute Freundin.“
Jetzt war es an ihr, die Fassung zu verlieren. Natürlich hatte sie in den letzten Jahren Freundinnen gehabt, doch auch feststellen müssen, dass diese Beziehungen oberflächlich waren. Es tat nicht wirklich weh, sich von ihnen zu trennen. Mit dieser Handarbeitsgruppe war es aus irgendeinem Grund anders. Sie hatte ihre Zurückhaltung nach und nach abgelegt, sich sogar dabei ertappt, wie sie über Maverick redete. Natürlich hatte sie den anderen nichts von ihrer sexuellen Beziehung gesagt, das war zu intim. Doch sie konnte sich vorstellen, dass die Frauen sich das schon dachten, obgleich Elise bis vor Kurzem kaum einmal Mavericks Namen erwähnt hatte.
„Ich habe etwas Wunderbares über Lydia erfahren“, sagte Bethanne. „Sie hat mir mal erzählt, dass sie niemandem auch nur einen Cent schulden würde. Darauf war sie ziemlich stolz. Sämtliche Ware in ihrem Laden ist bezahlt, und bevor sie diesen Kredit aufnahm, war sie vollkommen schuldenfrei.“
Elise nickte. Sie konnte es nur gutheißen, wenn man gleich für das bezahlte, was man haben wollte. Zu viele junge Leute hatten Schulden. Es schien zu einfach, die Kreditkarte zu benutzen und später zu bezahlen. Nur dass die Schulden schneller anwuchsen, als die meisten erwarteten. Sie hatte es bei ihrer eigenen Tochter und ihrem Schwiegersohn gesehen, hatte sie so vorsichtig wie möglich gewarnt und sich dann herausgehalten.
„Ich wollte Lydia nicht fragen, warum sie einen Kredit benötigte. Aber später hat mich Margaret beiseite gezogen und mir gesagt, Lydia hätte ihr das Geld geschenkt.“
Das überraschte Elise. Nicht dass Lydia ihrer Schwester Geld gegeben hatte, sondern dass Margaret so ohne weiteres darüber redete.
„Ich glaube, sie hatte Mitleid mit mir und wollte mir Mut machen. Und ich glaube, sie wollte mir damit zeigen, was für eine wundervolle Schwester sie hat“, sagte Bethanne.
„Margaret brauchte das Geld?“
Bethanne nickte. „Sie erzählte mir, dass ihr Mann die letzten sechs Monate keine Arbeit hatte und sie mit den Hypothekenzahlungen im Rückstand waren.“
„Gott segne Lydia“, flüsterte Elise.
„Und ihr geht es so schlecht“, fügte Bethanne hinzu.
„Ihre Mutter ist jetzt in einem Heim.“
„Jetzt schon?“ Das Letzte, was Elise gehört hatte, war, dass Margaret und Lydia sich nach betreuten Wohnmöglichkeiten umsahen.
„Sie soll da nicht länger als ein, zwei Wochen bleiben“, sagte Bethanne, „aber es ist teuer, auch als Zwischenlösung.“
„Im Moment scheint es finanziell um uns alle nicht so gut zu stehen, was?“
„Ich hoffe bloß, dass ich in den nächsten Monaten überleben kann.“
„Das wirst du schon“, sagte Elise. „Dein Geschäft läuft einfach zu vielversprechend, und das wird die Bank auch noch merken.“
„Meinst du wirklich?“
„Ich bin ganz sicher.“
Bethanne starrte auf den Teppich, dann seufzte sie laut. „Ich würde dir zu gerne glauben.“
„Hast du jemanden gefunden, der dir bei der Buchführung hilft?“, erkundigte sich Elise, um zum praktischen Teil zu kommen.
Die jüngere Frau nickte. „Paul ist so nett und wird alles mit mir durchgehen.“
Es klingelte, und bevor Elise noch etwas dazu sagen konnte, kam Maverick herein und sah so gut gelaunt wie nie aus. Ihr Herz klopfte heftig. Er blickte von Elise zu Bethanne und dann wieder zurück.
„Ich komme besser ein andermal wieder“, sagte er.
Sie wollte schon protestieren, aber Bethanne kam ihr zuvor.
„Nein, bitte gehen Sie nicht. Ich verabschiede mich jetzt. Eigentlich war ich nur hier, um mit einer Freundin zu reden. Elise sollte mir nur versichern, dass ich keine Versagerin bin.“
Sie stand auf, und Elise brachte sie zur Tür. Bevor Bethanne ging, umamten sie sich. „Ruf mich an, wann immer du willst, verstanden?“
Bethanne nickte. „Danke, dass du mir zugehört hast.“
„Nichts zu danken.“
„Wir sehen uns am Dienstag.“ Dann war Bethanne verschwunden.
Elise drehte sich um und sah Maverick an, der im Flur stand und sie beobachtete.
„Ist alles in Ordnung?“, erkundigte er sich.
„Sie hat von sechs Banken eine Absage wegen ihres Kreditantrags bekommen und will schon aufgeben.“
Er runzelte die Stirn. „Du warst sehr freundlich zu ihr.“
„Sie war so wunderbar mir gegenüber.“
Langsam kam er auf sie zu. „Du bist eine bemerkenswerte Frau, Elise Beaumont.“ Er legte die Arme um ihre Taille und zog sie so zärtlich an sich, dass alle ihre Sorgen verflogen.
„Ach, Maverick …“
Er küsste sie und flüsterte ihr Versprechungen ins Ohr, die ihr die Knie weich werden ließen.
„Komm mit mir nach Hause“, bat er sie. „Du wirst es nicht bereuen.“
Sie weigerte sich unerbittlich. „Nein.“
„Elise, ich brauche dich an meiner Seite.“
„Ich kann nicht.“ Sobald sie in seinem Apartment wäre, würde er einen Weg finden, sie zum Einziehen zu überreden. Sie liebte ihn. Trotz seiner Fehler und Schwächen, liebte sie ihn.
Aber sie war sich immer noch nicht sicher, ob sie sich auf ihn verlassen könnte.