35. KAPITEL

„Stricken ist einfach das allerbeste Hobby! Kreativ, heilsam, Stress abbauend, entspannend, mit einer Belohnung am Ende, ist es die schönste Art, seine Kreativität auszudrücken und gleichzeitig zur Ruhe zu kommen. Mach es zu einem Teil deines täglichen Lebens.“

(Kate Buller, Produktmanagerin, Handstricken
Rowan Yarns, Jaeger Handknits, Patons, R2)

Lydia Hoffman

Margaret hatte viele Stunden im Laden gearbeitet, während ich die Vorbereitungen für die weitere Versorgung unserer Mutter traf, da ich mehr Erfahrung im Umgang mit der Bürokratie im medizinischen Pflegebereich besaß. Zuerst musste ich die Formalitäten für das Heim erledigen. Dann würde ich mir einen Überblick über Mutters finanzielle Situation verschaffen, damit sie übergangslos in den betreuten Wohnkomplex wechseln konnte, den wir für sie gefunden hatten.

Der für die Organisation all dieser Dinge notwendige Zeitaufwand ließ mich von Neuem alles würdigen, was meine Eltern meinetwegen durchgemacht hatten, als bei mir das erste Mal Krebs diagnostiziert worden war. Stundenlanges Sortieren von Kontoauszügen, alten Quittungen, Versicherungsschreiben. Stunden am Telefon und bei Informationstreffen. Abende am Computer. Stunden – Tage – nicht im Laden. Dann die Zeit, die ich mit dem Makler verbrachte und das Putzen des Hauses, bevor es zum Verkauf angeboten wurde. Das konnte nicht hinausgeschoben werden. Wir benötigten das Geld, um ihre Betreuung zu bezahlen.

Erst am Freitagnachmittag, als ich das Geld aus der Ladenkasse zählte, stellte ich fest, dass meine gesamten Einnahmen der zweiten Septemberwoche fast nur halb so hoch waren wie in jeder der Augustwochen. Eine kurze Überprüfung meiner abendlichen Einzahlungen belegte einen beträchtlichen Rückgang meiner Einnahmen. Ich hatte gewusst, dass es sich nachteilig auf mein Geschäft auswirken würde, wenn ich so lange nicht im Laden wäre. Aber ich hatte keine Ahnung, dass es sich dermaßen verschlechtern würde.

Margaret ist eben keine talentierte Verkäuferin, sie teilt auch nicht meine Begeisterung für die Wolle. Das wusste ich alles, doch ich konnte niemand anders bitten, mich zu vertreten. Sie ist die Einzige, die den Laden und meine Stammkundinnen fast so gut kennt wie ich. Und sie ist meine Schwester.

Während ich die Posten noch einmal durchrechnete, fühlte ich mich, als wäre ich dem Untergang geweiht. Ich musste Raten abzahlen, und die verminderten meinen Verdienst beträchtlich. So schnell wie möglich wollte ich den Kredit abarbeiten, deshalb hatte ich um einen achtzehnmonatigen Tilgungsplan gebeten. Natürlich könnte ich um eine Verlängerung bitten, doch das würde nach der zweiten Ratenzahlung keinen guten Eindruck machen. Auch wenn es niemand ausgesprochen hatte, aber ich nahm an, dass diese kurze Rückzahlungsfrist einer der Gründe war, warum die Bank mir den Kredit überhaupt bewilligt hatte.

Ich saß an meinem Schreibtisch und fühlte mich hundeelend. Die Sommermonate liefen gewöhnlich etwas lauer, doch meine Verkäufe hatten sich im Vergleich zum Vorjahr verdoppelt. Jetzt schienen sie nicht nur weniger zu werden, sondern ich hatte zusätzlich eine große finanzielle Verpflichtung. Es gab ein paar Möglichkeiten, die Kosten zu senken, zum Beispiel weniger Ware zu bestellen, doch das wollte ich nicht. Mein Erfolg beruhte zum Teil darauf, dass ich eine große Bandbreite an Wollsorten führte, von sehr preiswerten bis zu ausgefallenen Garnen.

Ich war so mit meinen Sorgen beschäftigt, dass ich das Klopfen an der Eingangstür zuerst nicht hörte, bis es lauter wurde. Ich sprang vom Stuhl und lief schnell in den Ladenraum. Normalerweise würde ich einfach erklären, dass geschlossen wäre, doch im Moment meinte ich es mir nicht leisten zu können, mir auch nur einen einzigen Kunden entgehen zu lassen.

Wie auch immer, es war keine Kundin. Brad stand draußen und schirmte mit den Händen das Licht ab, um durch die Scheibe sehen zu können. Als er merkte, dass ich ihn entdeckt hatte, trat er einen Schritt zurück.

Es war fast einen Monat her, seit wir das letzte Mal miteinander gesprochen hatten. Ich hatte kurze Telefonate mit Cody geführt, aber für ihn schien dieser Kontakt genauso schmerzhaft zu sein wie für mich. Als ich Ende August mit ihm gesprochen hatte, musste seine Mutter wohl in der Nähe gestanden haben. Denn er klang sehr vorsichtig und zurückhaltend, als hätte er Angst, etwas Falsches zu sagen. Seitdem hatte er mich nicht mehr angerufen.

Seufzend schloss ich die Tür auf. Im Moment war ich weder in der körperlichen Verfassung noch emotional stark genug, um mit Brad zu reden. Deshalb nahm ich mir vor, ihn nicht hereinzulassen. Ich blieb an der Tür stehen und wartete.

„Hallo“, begrüßte ich ihn und hoffte, einen Tonfall gefunden zu haben, der meine Gefühle nicht verriet.

„Hallo.“ Brad hatte die Hände in den Taschen seiner Uniformhose vergraben. „Ich habe dich schon lange nicht mehr im Laden gesehen.“

Ich hätte ihm das Offensichtliche erklären können, nämlich dass ich jeden Tag nicht mehr als eine Stunde im Geschäft verbracht hätte, aber das erschien mir unnötig. Ich erwiderte nichts.

„Margaret sagte, ihr hättet eine Wohnung für eure Mutter gefunden?“

Er formulierte es als Frage, also antwortete ich darauf. „Wir sorgen dafür, dass sie nächste Woche umzieht.“ Wenn ich bis dahin den ganzen Papierkram erledigt, die notwendigen medizinischen Unterlagen besorgt, Mutters Haus verkauft, die Verträge mit ihrem Rechtsanwalt und ihrer Bank abgeschlossen haben sollte.

„Wie erträgst du das alles?“, fragte er.

„Mir geht es gut.“ Ich wollte sein Mitleid nicht. Seine Sorge wäre mein Untergang. Ich war versucht, ihn nach Janice zu fragen, tat es aber nicht. Wenn sie sich gut verstanden, hatte ich kein Interesse daran, es zu erfahren. Gleichzeitig wollte ich es auch nicht wissen, falls ihre Beziehung nicht funktionierte. In diesem Moment, am Ende eines langen Tages und einer in jeder Hinsicht anstrengenden Woche konnte ich keine weitere Krise ertragen. „Wie geht es Cody?“ Es tat mir weh, nach ihm zu fragen, weil ich ihn so sehr vermisste – unsere Gespräche, seine Berichte über den Hund und die Tricks, die er Chase beigebracht hatte. So schwierig unsere Telefonate auch oft gewesen waren, ich brauchte sie. Ich liebte dieses Kind.

„Dem geht es großartig“, sagte er schnell, offensichtlich Brads Art, mir zu sagen, dass die kleine Familie glücklich war.

„Bestelle ihm bitte liebe Grüße von mir, ja?“

„Natürlich. Ich habe mir Sorgen um dich gemacht“, fügte er, mit dem Blick aufs Straßenpflaster gerichtet, hinzu.

„Sorgen um mich?“, fragte ich erstaunt. „Weshalb das denn?“

Er sah auf und grinste verlegen. „Ich kenne dich, Lydia. Wenn du im Stress bist, sehe ich das.“

„Woher solltest du das wissen? Wir haben uns ja Wochen nicht gesehen.“

„Ich habe dich sehr wohl gesehen – ich habe dich nur nicht angesprochen. Du bist müde und …“

„Ja, ja“, unterbrach ich ihn sofort. Ich musste mir nicht von Brad Goetz sagen lassen, was ich bereits selbst wusste.

„Lass mich dich zu einem Drink einladen“, schlug er vor.

Ich schüttelte den Kopf. „Nein danke.“

„Ich weiß, du hast jetzt jemand anders, aber das Treffen soll nur eins unter Freunden sein.“

Eigentlich konnte ich kaum glauben, dass Margaret ihm nicht erzählt hatte, meine Behauptung, mit jemand anders auszugehen, sei eine Lüge gewesen. Das hatte ich nur aus Stolz gesagt, inzwischen bereute ich es.

„Warum nicht?“

„Ich habe, was Männer betrifft, eine eiserne Regel“, sagte ich lächelnd. „Ich meide sie, wenn sie verheiratet sind.“

„Janice und ich sind geschieden.“

„Versöhnt ihr euch oder versöhnt ihr euch nicht?“, fragte ich schroff. Verdammt, er konnte nicht beides haben.

Zuerst sagte er nichts darauf. „Janice und ich reden viel miteinander“, bemerkte er schließlich.

„In diesem Fall wäre es nicht sehr angemessen, mit mir auf einen Drink auszugehen. Ich weiß das Angebot zu schätzen, Brad, aber … lieber nicht.“

Er verabschiedete sich ziemlich abrupt und ging. Mit verschränkten Armen stand ich an der Tür und beobachtete, wie er wegfuhr. Ich fühlte mich einsam und verlassen. Dann kehrte ich langsam in mein Büro zurück.

Als Minuten später wieder jemand klopfte, erwartete ich fast, dass Brad zurückgekommen wäre. Ich drehte mich um und sah durch die Scheibe.

Es war nicht Brad. Stattdessen stand Alix Townsend draußen. Sie hielt eine Platte mit Schokoladen-Eclairs in der Hand, die Garantie dafür, dass ich ihr öffnete.

„Hallo“, grüßte sie fröhlich, als ich sie hereinließ.

Heute Nachmittag hatte ich kurz bei der Wohlfahrts-Handarbeitsgruppe vorbeigesehen, aber Alix war nicht dabei gewesen. Deshalb nahm ich an, dass sie im Café gearbeitet hatte. Ihre Fortbildung fand normalerweise vormittags statt.

„Ich habe eben gesehen, wie du und Brad miteinander gesprochen habt. Du musst mir nicht sagen, was vorgefallen ist, wenn du nicht willst – aber ich dachte, das hier könnte helfen.“

Ich verkniff mir ein Grinsen. Sogar Brad wäre es womöglich gelungen, über meine Schwelle zu kommen, wenn er nur Schokolade mitgebracht hätte.

„Ich habe keine Sorgen, die nicht durch ein Schoko-Eclair gelöst werden könnten“, sagte ich und führte sie in mein Büro. „Kaffee ist fertig, falls du einen möchtest.“

„Ich nehme gern eine Tasse.“ Alix folgte mir in den kleinen Raum, wo sie sich auf die Ecke meines Schreibtisches setzte, nachdem sie ein paar Papiere zur Seite geschoben hatte, um es sich bequem zu machen. Es störte mich nicht. Das war eben Alix – warum auf einem Stuhl sitzen, wenn es einen Schreibtisch gibt? Warum laufen, wenn man rennen kann? Ich liebte ihre überschwängliche Art, ihre Treue und ihr unkonventionelles Verhalten.

Ich goss ihr einen Becher ein und bemerkte, wie schwarz der Kaffee aussah. Hoffentlich schmeckte er nicht bitter.

„Brad hat dich also besucht“, sagte sie, weil sie ihre Neugierde einfach nicht verbergen konnte.

Im Nachhinein erschien mir mein Verhalten ihm gegenüber kaltherzig. Unfreundlich. Ein Teil von mir hätte ihn am liebsten zurückgerufen und die Unterhaltung noch einmal von vorn begonnen. Doch das würde ich natürlich nicht tun. Es war am besten, die Dinge so zu belassen, wie sie waren. „Lydia?“, meldete sich Alix. Sie griff nach meinem Arm.

Ich nickte.

„Irgendwas vorgefallen?“ Obwohl sie die Eclairs für mich gebracht hatte, nahm Alix eins von der Platte und biss davon ab. Als die Vanillesoße an den Seiten herauslief, holte sie sich ein Papiertuch aus der Schachtel auf meinem Schreibtisch.

„Nichts eigentlich. Wie geht es mit dir und Jordan?“

Sie zog die Augenbrauen hoch. „Du versuchst vom Thema abzulenken.“ Sie nahm die Platte und bot mir ein Eclair an.

Ich brauchte keine zweite Einladung. „Stimmt, ich möchte nicht über Brad reden.“

„Er will auch nicht über dich sprechen“, berichtete sie. „Ab und zu kommt er mit einer Lieferung ins Café, munter plaudernd wie immer, bis ich deinen Namen erwähne. Dann ist er noch verschlossener als ein Sarg.“

Dieser Vergleich gefiel mir überhaupt nicht. „Wir haben beide unsere Gründe.“

„Scheint so.“ Sie hüpfte vom Schreibtisch. „Ich muss los. Jordan und ich sehen uns heute Abend einen Film mit der Jugendgruppe an. Ich wollte nur mal kurz rüberkommen und Hallo sagen.“

„Das ist nett von dir.“ Ich brachte sie zur Tür, schloss sie wieder auf und ließ Alix hinaus. Als sie weg war, verriegelte ich alles, entdeckte Whiskers, der auf mich wartete, und ging zur Treppe, die zu meiner Wohnung führte – nachdem ich zuvor noch daran dachte, das Licht auszuschalten und Alix’ Platte mitzunehmen. Ich hätte mit Brad auf einen Drink weggehen können, dachte ich wehmütig. Aber um mich zu schützen, hatte ich mich entschieden, allein zu bleiben. Ich würde den Abend mit dem Fernseher, meinem Kater und den Eclairs verbringen.

Whiskers miaute, als wolle er mich daran erinnern, dass ich nicht allein war. Er hatte absolut recht.