18. KAPITEL

Elise Beaumont

Elises Buchclub traf sich an jedem zweiten Montag im Monat um zwei Uhr, und sie war gern dort. Die Gruppe wurde von der Seattle Public Library unterstützt, und Elise hatte sich damals fest vorgenommen, daran teilzunehmen, wenn sie in Rente ging. Sie würde auch wenigstens einmal zu Jacquelines Geburtstagsclub gehen und war entschlossen, sich dort zu amüsieren.

Bei dem Buchclub-Treffen im Juli ging es um das Buch „Das Mädchen in Hyazinthblau“ von Susan Vreeland. Die Zusammenkunft war sehr lebhaft verlaufen, und Elise verließ das Treffen richtig erfrischt. Die Teilnehmer hatten den Roman aus verschiedenen Sichtweisen beleuchtet. Darunter waren auch Aspekte gewesen, die Elise vorher nicht gesehen hatte.

Der Bus hielt einen halben Häuserblock von ihrem momentanen Zuhause entfernt. Es war alles ruhig im Haus, als sie hereinkam. Deshalb versuchte sie sich zu erinnern, ob Aurora irgendetwas über ihre Pläne gesagt hatte.

Normalerweise belegten Luke und John sie sofort mit Beschlag, wenn sie durch die Tür kam. Die Stille an diesem Nachmittag war irritierend.

„Aurora, ich bin zurück. Heute war das beste Treffen überhaupt!“, rief sie. „Ich …“ Sie verstummte, als Maverick aus der Küche kam, eine Schürze umgebunden und in der Hand einen Holzlöffel voller Tomatensoße.

„Aurora und die Jungs sind heute Nachmittag nicht da“, erklärte er. „Kurzfristige Planung.“

„Ach so.“ Ihre Euphorie war schnell wieder verflogen.

„Ich koche gerade“, bemerkte er, obwohl das offensichtlich war. „Genauer gesagt, mache ich Lasagne – das hat dir von meinen Gerichten immer am besten geschmeckt.“

Elise war klar, dass er alle Teller, Schüsseln und Töpfe dreckig gemacht hatte. Sofort fiel ihr wieder ein, wie er eine ordentliche Küche binnen kurzer Zeit in eine Stätte der Verwüstung verwandeln konnte. „Weiß Aurora Bescheid?“, fragte sie zugeknöpft. Wahrscheinlich erwartete er eine freudige Reaktion von ihr, weil er für sie kochte. Doch sie sagte kein Wort dazu.

„Das war Auroras Vorschlag.“

Elise glaubte das nicht so richtig, wollte aber nicht mit ihm diskutieren.

„Du leistest mir doch beim Dinner Gesellschaft, oder?“, erkundigte er sich mit einem Lächeln, das sie fast schwach werden ließ. „Wir werden wahrscheinlich allein sein.“

Einen Augenblick war sie versucht nachzugeben, doch dann siegte der Verstand. „Danke, nein“, erwiderte sie steif. „Ich hatte heute Nachmittag im Buchclub einen Imbiss.“

„Was habt ihr gelesen?“ Er hielt sie mit seiner Frage in der Diele auf, obwohl er sehr gut wusste, dass sie am liebsten in ihr Zimmer verschwunden wäre.

„Ein Buch.“

Er lachte, als wäre das unheimlich komisch.

„Ich möchte jetzt gern nach oben gehen. Wenn du mich bitte vorbeilassen würdest?“

„Ich stelle die Lasagne gleich in den Ofen. Das Dinner wird in einer Stunde fertig sein.“

„Wann kommt Aurora mit den Jungs zurück?“, fragte sie, statt sich mit ihm zu streiten.

„Das wusste sie nicht genau. Vielleicht um acht. Sie trifft ihre Freundin – Susan?“

Er war sich offenbar nicht sicher, ob der Name stimmte.

„Susan Katz war fast schon immer Auroras beste Freundin“, erklärte sie empört. Wenn Maverick sich mehr für seine Tochter interessiert hätte, dann wüsste er das. „Susan hat zwei kleine Töchter, die ungefähr in Lukes und Johns Alter sind. Wollten sie zum Lake Washington?“ Das machten sie im Sommer am liebsten.

„Ich glaube, ja.“

Das hieß, ihr Exmann hatte recht – ihre Tochter würde mit den Jungs erst spät zurückkommen. Da sie beide immer sehr viel um die Ohren hatten, war es für Aurora und Susan schwierig, Gelegenheiten zu finden, sich miteinander zu treffen. Wahrscheinlich würden sie auf dem Nachhauseweg irgendwo anhalten und Essen gehen.

„David ist bis Mittwoch nicht in der Stadt“, murmelte sie.

„Ich weiß. Zum Dinner sind nur wir beide da.“

„Nein“, widersprach sie mit Genugtuung. „Nur du wirst da sein. Ich habe keinen Hunger und werde den Rest des Abends in meinem Zimmer verbringen. Offenbar hast du nicht zugehört.“

Sein Lächeln verschwand. „Nein“, sagte er enttäuscht. „Habe ich wohl nicht.“

Er tat ihr fast schon wieder leid. Sie war erleichtert, als er sich umwandte und in die Küche zurückging. Mit Schuldgefühlen, weil sie ihm einen Dämpfer verpasst hatte – und verärgert, weil sie sich deshalb schämte –, lief sie die Treppe hoch in ihr Zimmer.

Eine Stunde später saß Elise vor dem Fernseher und verfolgte mit halbem Ohr die Nachrichten. Ihre Finger fühlten sich etwas taub an, während sie an ihrer Decke für das Wohltätigkeitsprojekt strickte. Sie hatte fünfzehn Vierecke für den Überwurf des „Warm-Up-America“-Projektes gestrickt; dazu arbeitete sie an einer Decke für das Linus-Projekt, während sie auf den nächsten Socken-Kurs wartete.

Sie legte das Viereck, an dem sie gerade strickte, beiseite und wollte nach der Fernbedienung greifen, als ihr Magen knurrte. Dieser Imbiss, von dem sie gesprochen hatte – ein paar Karotten und Selleriestreifen und ein Stück Käse –, war schon längst verpufft. Auch wenn sie es vielleicht nicht zugeben wollte, aber sie hatte Hunger.

Als hätte Maverick es geahnt, suchte er sich genau diesen Moment aus, um an ihre Tür zu klopfen. Nachdem sie geantwortet hatte, kam er herein.

„Ich habe gehofft, du würdest vielleicht deine Meinung ändern. Es macht keinen Spaß, allein zu essen.“

Die Essensdüfte aus der Küche, frischer Basilikum und Oregano, vermischt mit dem verführerischen Aroma von Knoblauch und Tomaten, machten sie schwach. „Ich denke, einen Happen könnte ich vertragen.“ Aus dieser Situation hatte sie gelernt. Das nächste Mal würde sie für den Notfall etwas zu Essen im Zimmer bereithalten, schwor sie sich.

„Du wirst es nicht bereuen“, versprach Maverick fröhlich. Er führte sie ins Esszimmer, und es sah aus, als hätte er dieses Mahl extra für sie vorbereitet. Frische weiße Gänseblümchen in der Mitte schmückten den Tisch. Es war an zwei gegenüberliegenden Plätzen für jeweils eine Person gedeckt, und er hatte Auroras schönstes Service und die besten Gläser benutzt. Der Wein war bereits eingeschenkt. Ein Merlot, wie sie in Erinnerung an seine Vorlieben annahm. Obwohl es Jahre her war, seit sie so zusammen gegessen hatten, erinnerte sie sich an alles, was er mochte und nicht mochte. Ihr fiel auch wieder ein, dass Maverick an dem Abend seines Heiratsantrages für sie gekocht hatte. Damals hatte es keine Lasagne gegeben, sondern Linguine mit einer Shrimps- und Krabbensahnesoße. Oh, das war einfach lächerlich! Warum dachte sie immer noch an ein Dinner, das sie vor Jahrzehnten gehabt hatten?

Maverick bot ihr einen Stuhl an. „Du warst dir deiner ziemlich sicher, was?“, fragte sie steif und blickte auf die gefüllten Weingläser.

„Ich habe mich eher auf die Düfte des Essens verlassen.“

Sie wollte nicht mit ihm allein sein, trotzdem saß sie jetzt hier – und daran war nicht nur ihr leerer Magen schuld. Es war gefährlich, sich darauf einzulassen. Nun, es war ihr klar, doch jetzt war sie hier und hatte Hunger. Deshalb konnte sie genauso gut auch etwas essen.

Maverick brachte einen Caesarsalat ins Esszimmer, der nach Knoblauch duftete. Nachdem er sich gesetzt hatte, hob er sein Weinglas. „Ich würde gern einen Toast auf uns aussprechen.“

„Das ist nicht nötig“, sagte sie schnell und bemerkte, wie ihre Stimme zitterte. „Sehr nett von dir, aber es ist ein Abendessen und weiter nichts. Uns beide verbindet keinerlei Romantik, und ein Dinner wird keine schon lange vergangenen Gefühle mehr erwecken.“

Maverick hob die Augenbrauen. „Lange vergangen?“

„Wir sind schon seit so vielen Jahren geschieden, dass ich sie gar nicht mehr zählen kann“, fühlte sie sich bemüßigt, ihn zu erinnern. Wenn er es nicht mehr wusste, sie hatte die Zahl genau im Kopf.

„Zum Wohl“, sagte er trotzdem, ohne auf ihren Ausbruch zu achten, „auf Elise, die Liebe meines Lebens.“

Sie schob ihren Stuhl nach hinten, bereit, sofort wieder aufzuspringen. „Tu das nicht“, warnte sie ihn. Ihre Kehle war vor Wut wie zugeschnürt. Wie konnte er es wagen, so etwas zu sagen!

Er stellte sein Weinglas ab, als wäre alles in bester Ordnung, und griff nach seiner Gabel. Da er offensichtlich zur Einsicht gekommen war, nahm sie ebenfalls ihr Besteck zur Hand. Auch wenn sie zunächst das Gefühl hatte, keinen Bissen hinunterzubekommen, lohnte es sich, dass sie sich zusammenriss. Maverick besaß viele Talente, doch im Kochen war er exzellent. Er hätte ein bemerkenswerter Küchenchef werden können, hätte er diesen Weg weiterverfolgt. Stattdessen hatte er einem Goldschatz hinterhergejagt und nichts weiter gewonnen als zerplatzte Träume.

Als sie ihren Salat gegessen hatten, räumte er die Teller ab und servierte die Lasagne. Sie schmeckte genauso himmlisch, wie sie duftete. Elise genoss jeden Bissen und aß mehr, als sie es normalerweise tat.

Eine ganze Weile schwiegen sie, dann setzte er wieder an. „Es gibt etwas, das wir besprechen sollten.“

„Ich wüsste nicht, was“, entgegnete sie abwehrend.

Zu ihrem Erstaunen lehnte er sich lächelnd zurück.

„Was ist so komisch“, wollte sie wissen.

„Es hat mir immer gefallen, wenn du so hochnäsig wurdest.“

„Wie bitte?“ Sie bereute es bereits, sich auf dieses Dinner eingelassen zu haben. Würde sie denn nie schlauer werden?

„Das hast du oft gemacht, als wir verheiratet waren“, sagte er und lächelte sie liebevoll an.

„Was gemacht?“

„Diesen überheblichen Gesichtsausdruck – genauso wie jetzt.“ Er grinste triumphierend. „Das habe ich damals geliebt. Tu ich immer noch.“

Sie häufte den letzten Bissen mit Nudeln, geschmolzenem Käse und Soße auf die Gabel, nicht willens, darauf etwas zu erwidern. In der nächsten Sekunde würde sie in ihrem Zimmer verschwinden …

„Ich habe immer auf die Uhr gesehen – um die Zeit zu stoppen, die ich brauchte, bis ich dich zum Lächeln brachte.“

„Verdammt noch mal“, schimpfte sie aufgebracht. Alles, aber auch alles, sah er nur als eine Herausforderung. Ein Spiel.

„Erinnerst du dich nicht“, zog er sie mit funkelnden Augen auf, „ich habe dich von hinten umarmt und dich geküsst, bis …“

„Das hast du nicht getan!“ Sie erinnerte sich nur zu gut, wollte aber davon nichts mehr wissen. Während ihrer Ehe hatte er ständig das bekommen, was er wollte – hatte seine kleinen Spielchen immer gewonnen –, indem er ihre Liebe für ihn ausnutzte. Indem er sich ihrer Gefühle bediente.

„Oh, du erinnerst dich“, flüsterte er. „Sehr gut.“

„Ich habe mich redlich bemüht, es zu vergessen“, sagte sie tonlos. „Du magst es vielleicht nicht glauben, aber das Zusammenleben mit dir war alles andere als angenehm.“

Sein Lächeln verschwand, und er wurde ernst. „Niemand ist sich dessen bewusster als ich selbst.“

„Nichts hat sich verändert“, sagte sie. „Du magst vielleicht behaupten, dass du das Spielen aufgegeben hast, aber das stimmt nicht. Dein ganzes Verhalten spricht dagegen.“

„Das ist nicht wahr.“

„Nicht wahr? Du bist nicht in der Lage, die Finger von den Karten zu lassen.“

„Ich kann spielen“, entgegnete er ruhig. „Ich muss nicht wetten.“

Elise schüttelte den Kopf. „Das ist genauso, als würde ein Alkoholiker behaupten, er könnte in die Kneipe gehen, ohne in Versuchung zu geraten.“ Wenn sie bedachte, dass er seinen Enkeln das Pokern beibrachte, erschien er ihr sehr naiv, was seine Fähigkeiten betraf, die Spielsucht zu kontrollieren.

„Es ist wirklich mein Ernst, Elise, es ist vorbei. Ich möchte nicht den Rest meines Lebens an einem Spieltisch vergeuden. Ich möchte meine Familie um mich haben, und ich will dich.“

Schockiert von seiner Eröffnung, hätte sie fast den Wein über die Tischdecke verschüttet. Sie musste erst mal schlucken. „Da kommst du zu spät“, erklärte sie ihm. „Siebenunddreißig Jahre zu spät.“

„Ich glaube eher, dass es genau der richtige Zeitpunkt ist“, sagte er und prostete ihr mit dem Weinglas zu.