Zweiundvierzig

Das Messer in meiner Seite entpuppte sich als gebrochene Rippe. Selbst flaches Atmen schmerzte. Als ich zu mir kam, fand ich mich an einen Stuhl gefesselt wieder, in einem fensterlosen Raum mit Betonwänden. In einem Keller. Und ich war nicht allein. Mir gegenüber saß Lenny Trebeaux, einen Arm in der Schlinge und ein mattes Lächeln auf dem Gesicht. Zwar war er nicht an den Stuhl gefesselt, doch seine Haltung signalisierte Zwang, wenn auch selbst auferlegten.

»Du hast keine Ahnung, worauf du dich eingelassen hast«, sagte Clara Howler zu mir. »Unsere kleine bruja Jillian hat dich verzaubert.«

»Es gab keinen Grund, sie zu töten«, sagte ich. Meine Stimme war kaum mehr als ein heiseres Flüstern. Ich räusperte mich und hatte den Geschmack von Blut im Mund.

»Creo que si.« Fernando Solís Davilas Silhouette schälte sich aus dem Dunkel. »Jillians Ableben war notwendig, Ihres hingegen ist es keineswegs. Mi empleado, Forbes, hat unüberlegt agiert. Er hätte Ihnen hier nicht auflauern sollen, er hat nicht auf meine Anordnung hin gehandelt. Pero er hat auf Rache gesonnen. Natürlich hat er seinen Alleingang längst bereut, wie Sie ja wissen.«

»Jillian hatte es nicht verdient zu sterben.«

Er zuckte mit den Achseln. »Ich hätte ihr die Abfindung gegeben. Ich hätte ihr gestattet, die Stadt zu verlassen. Doch sie hat sich etwas Dummes, etwas sehr Heimtückisches geleistet.«

Er richtete seinen Blick auf Trebeaux. Ein schwieriger Moment für Trebeaux. Er konnte dem ruhigen Blick seines jefe nicht standhalten.

»Ich habe erst vor zwei Tagen von dieser Heimtücke erfahren«, erklärte Solís.

»Die Fotos? Deshalb musste sie sterben?«

Clara Howler trat hinter Trebeaux, legte ihre Hände auf seine Schultern und fing an, ihn zu massieren. Er wurde blass unter seiner sorgfältig konservierten Bräune.

»Oh nein«, sagte Solís. »Señora Renseller war ziemlich … como se dice … vengativa … rachsüchtig. Und töricht, doch ich bin nicht der Ansicht, dass dergleichen tödliche Vergeltung rechtfertigt. Nein, Mr. Walkinghorse, sie wurde getötet, weil sie getötet hat. Sie hat ihren Ehemann ermordet. In meiner organización liegt die Entscheidung darüber, wer sterben soll und wer verschont wird, allein bei mir. Verstehen Sie?«

»Renseller starb an einem Herzanfall«, sagte ich. »Meine Güte, ich war dabei. Außer Mona Farnsworth hat ihn niemand angerührt.«

Clara beendete die Massage, packte Lennys Haar und zog seinen Kopf so weit nach hinten, dass Lenny sie ansehen musste. An seinem gebräunten Hals traten die Adern hervor. »Erzähl’s ihm, Lenny. Erzähl ihm das, was du mir erzählt hast.« Sie ließ ihn wieder los und er bewegte vorsichtig den Kopf, als ob sein Nacken ernsthaft Schaden genommen hätte.

»Es war Jillians Idee«, sagte er. »Sie befürchtete, Clives abartiges Verhalten würde irgendwann bekannt werden und ihr alles kaputtmachen.«

»Hör sich einer diesen Heuchler an!«, stieß Clara hervor.

»Er wollte die Nummer eins der Bank werden und behauptet jetzt, Jillian habe alles allein ausgeheckt.«

Sie versetzte ihm von hinten eine Ohrfeige. Trebeaux reagierte, als hätte sie mit einem Bügeleisen zugeschlagen, fuhr sich mit der gesunden Hand über das Gesicht und unterdrückte einen Schluchzer.

»Wovon sprichst du überhaupt, verdammt noch mal?«, fragte ich.

»In diesem kleinen Drama hast du den Trottel gegeben, Walkinghorse«, sagte Clara Howler, »und hast es immer noch nicht gerafft. Sie hat dir eine Schmierenkomödie vorgespielt, vato, und du bist auf dieses mörderische Stück Dreck reingefallen. Du hast gedacht, ihr hättet eine gemeinsame Zukunft, stimmt’s? Als du ihre süße kleine panochita geleckt hast, hat sie da nicht gesagt, ›Oh ja, genau da, dann steh ich zu meinem Wort, Darling‹? Das war einer ihrer Standardsprüche, ich selbst hab ihn oft genug gehört. Aber sie war eiskalt, eine Eiskönigin, emotional narkotisiert durch ein Kindheitstrauma. Hat sie dir auch diese Mit-zwölf-wurde-ich-vergewaltigt-Geschichte erzählt? Eine der wenigen Sachen, bei denen sie nicht gelogen hat, glaube ich.«

»Du irrst dich, was sie betrifft«, widersprach ich. Meine Trauer um Jillian ließ Trotz in mir aufkommen. Ich kannte Jillian, die wahre Jillian, nicht die Ehefrau des Bankers, nicht die sexuell Neugierige. Nicht das mörderische Stück Dreck. Ich kannte die Frau, die mich liebte.

Clara zog Trebeaux’ Kopf zurück und sah ihm ins Gesicht. »Erzähl unserm Freund, was ihr beide Widerliches ausgebrütet habt.«

»Es war Jillys Idee«, wiederholte er. »Clive hatte ein schwaches Herz. Er nahm Medikamente gegen Bluthochdruck und Nitro für die Herzkranzgefäße. Meine Güte, die Sitzungen bei dieser Nutte, dieser Farnsworth, damit ist er gesundheitlich ohnehin ein großes Risiko eingegangen. Wir haben nur dafür gesorgt, dass das Unvermeidliche schneller eintritt. Ich glaube kaum, dass man das als Mord bezeichnen kann. Vor jeder Sitzung hat er seine Medikamente eingenommen. Und so haben wir – hat Jillian – eine Sildenafil, also Viagra, pulverisiert und in eine seiner Beta-Blocker-Kapseln gefüllt. In Verbindung mit seinen Medikamenten gegen Angina Pectoris hat das Viagra Clives Arterien so geweitet, dass sein Blutdruck gen null fiel. Mein Gott, früher oder später wäre es sowieso passiert! Wir haben lediglich den jämmerlichen Mistkerl aus seinem Elend befreit!«

»Es ist allein meine Sache zu beurteilen, wer jämmerlich und wer aus seinem Elend zu befreien ist«, sagte Solís. »Ich betrachte es als völlig inakzeptabel, wenn einer mi empleados diese Entscheidung eigenverantwortlich trifft. Das führt dazu, dass Kontrolle … como se dice … erodiert.«

»Es tut mir aufrichtig leid, Sir«, sagte Trebeaux hündisch. »Glauben Sie mir, ich habe dabei nur an die Bank gedacht. Renseller hätte alles ruiniert. Ich habe es für Sie getan, Sir, bitte glauben Sie mir das.«

Solís betrachtete seine Fingernägel. »Ihre durchsichtigen Lügen sind nur eine Beleidigung mehr«, sagte er sanft. »Und Sie beleidigen sich selbst mit dieser … cobardia. Für Feigheit ist jetzt kein Platz, señor Trebeaux. Zu sterben como un hombre ist die einzige Form der Rehabilitierung für Sie.«

Trebeaux stand auf. Er berührte seine Armschlinge, als wollte er Solís gegenüber damit ausdrücken, dass er genug gelitten habe. Clara drückte ihn zurück auf den Stuhl. »Sterben?«, fragte Trebeaux. »Was meinen Sie damit? Meinen Sie das im philosophischen Sinne? Tod als letztes Adieu – damit man ihm mit Gelassenheit gegenübertritt? Ja, daran glaube ich auch. Ich hoffe, rechtzeitig hinreichend, äh, spirituell solvent zu sein. Ich habe Schulden abzutragen, das verstehe ich wohl, señor, doch ich verfüge über die dafür notwendigen Ressourcen … meine Kontostände werden wieder ausgeglichen sein, das versichere ich Ihnen, meine Warentermingeschäfte kommen wieder in Schwung, mein Aktiendepot … «

»Ahora«, sagte Solís zu Clara. Dann wandte er Trebeaux den Rücken zu und verließ den Raum.

Clara nahm Trebeaux’ Kopf in die Beuge ihres muskulösen Arms und riss ihn ansatzlos herum. Das Knacken der Halswirbel, die den Test nicht bestanden, war nicht lauter als ein Fingerschnippen. Für einen kurzen Moment zappelte der Banker wild mit den Beinen, doch Clara hielt ihn in dem Griff, bis das Strampeln aufhörte, dann ließ sie ihn zu Boden sinken.

»Ich hätte ihn nicht davon abhalten sollen, vom neunundzwanzigsten Stock aus in die Tiefe zu tauchen«, sagte Clara.» Nebenbei bemerkt, ein grandioser Einfall von dir, Walkinghorse. Während er da oben hing, hat er sich voll geschissen. Kopfüber ist das gar nicht so einfach, aber er hat’s gepackt.«

Sie tastete an Lennys Halsschlagader nach dem Puls. »Dieser Schaumschläger hat sich mir gegenüber gebrüstet, was er mit Renseller angestellt hat. Hat sich wohl eingebildet, so bei mir punkten zu können. Er war so versessen darauf, den Harten zu mimen. Nicht eine Sekunde ist ihm in den Sinn gekommen, dass er dem jefe ans Bein pinkeln könnte. Er hat wirklich geglaubt, das würde ihm mehr Respekt einbringen. Stolz wie ein Pfau ist er hier hereinspaziert, nachdem Fernando um das Treffen gebeten hatte. Dabei sollte er nur eine Zwischenlösung sein, verstehst du, damit Fernie in aller Ruhe nach einem neuen Supergringo Ausschau halten kann. Aber Lenny hat sich eingebildet, die Beförderung wäre von Dauer. Und was hat er erreicht? Er hat seine Lebenserwartung drastisch verkürzt. Nun, wir werden den Verlust verschmerzen können.«

Sie kam zu mir herüber und kniff mir sanft in die Wange. »Wir sehen uns in der Hölle, Walkinghorse.«

Ich sah ihr in die Augen. Sie hatte es ernst gemeint.