Sechzehn

Es sah aus, als hätte jemand den durchgängig sandsteinfarbenen Himmel auf die großen Fenster des Suburban gemalt. Ich addierte Meile für Meile, indem ich die Hochspannungsmasten zählte. Als wir jedoch in eine Gegend kamen, die nicht mit Strom versorgt wurde, verlor ich mein einziges Instrument, um eine Berechnung anstellen zu können. Der rotbraune Himmel – keine Vögel, keine Wolken – gab keinerlei Hinweis, ob wir uns überhaupt vorwärts bewegten.

Ich lag hinten, auf der Ladefläche, nur in Boxershorts und zusammengeschnürt wie ein widerspenstiges Kalb. Die Straße, wenn man sie überhaupt so nennen konnte, war mit Steinen und Schlaglöchern übersät. Bei jedem Holpern schlug mein Kopf auf den Stahlboden der Ladefläche.

Wie ein glühendes Schrapnell prallte der Schmerz, einem Querschläger gleich, gegen die roten Wände in meinem Schädel. Ständig. Ein paarmal musste ich mich übergeben und es gelang mir, nicht daran zu ersticken. Meine Zunge war verletzt, ich hatte darauf gebissen, als Clara ihr Knie gegen meinen Kiefer gerammt hatte. Der Kiefer war nicht gebrochen. Zwar saßen ein paar Zähne locker, aber ich konnte den Mund ohne Probleme weit aufsperren und wieder schließen. Meine pochenden Hoden fühlten sich an wie Melonen, und Rippen und Nieren taten weh. Die Nachwirkungen von Trebeaux’ Strafstößen.

Meine Knie und Knöchel waren mit reißfestem Gewebeband umwickelt. Mit demselben Material – ein Material, mit dem man notfalls auch seine Kotflügel befestigen könnte – hatte man mir die Hände auf dem Rücken gefesselt. Die unzureichende Blutzirkulation sorgte dafür, dass es in Händen und Füßen schmerzhaft kribbelte. Und ich schlief immer wieder ein, was für eine Gehirnerschütterung sprach. Ich war noch nie k.o. gegangen, Clara Howler hatte ganze Arbeit geleistet.

Das Radio wurde laut aufgedreht. Die Narcocorridas hämmerten gegen mein Hirn, mit Songs, die den Drogenhandel feierten. Die Fahrerin – Clara – sang laut mit. Die Narcocorridas machen norteña HipHop, Musik aus dem Norden Mexikos. Die mexikanische Regierung versucht, gegen die Narcocorridas vorzugehen, doch deren Popularität ist zu groß. Selbst in New Mexico werden sie gespielt, ebenso in West Texas und in den tiefsten, yuppiefreien Provinzen Arizonas.

Me gusta la coca

Me gusta la mota

No me ache achi

Aqui en Sinaloa

»Na, Cowboy, bist du endlich wach da hinten?«, brüllte Clara.

»Fick dich«, sagte ich, aber ich wusste, dass sie mich wegen der dröhnenden Musik nicht hören konnte. Meine Stimme knarrte wie ein rostiges Scharnier, da half auch das Salz des hinuntergeschluckten Blutes nichts.

»Du machst gerade eine kleine Reise, büey. Sozusagen die letzte in deinem sinnlosen Leben, Cowboy. Me gusta la coca, me gusta la mota, no me ache achi, aqui en Sinaloa … «

Bevor ich wieder wegklappte, ging mir die Frage durch den Kopf, ob wir tatsächlich in Sinaloa waren. Eher unwahrscheinlich, nicht mit diesem Sandsturm, nicht mit diesem Himmel, aus dem es Grieß zu regnen schien.

Ich stolperte von einem Traum in den nächsten, wachte auf und schlief wieder ein. In einem Traum sah ich mich als Baby im Buggy, nur passte ich nicht hinein. Meine Füße hingen draußen und mein Kopf ragte über die Rückenlehne, doch Mama, die auf Spanisch sang, scherte sich einen Dreck darum.

Mama war nicht Maggie. Mama war eine blonde Amazone mit kurz geschnittenem Haar. Dieser Traum war so plastisch wie die Wirklichkeit selbst. Ich in einer Schubkarre, in einer großen, in einer für Bauarbeiter, mit dem Kopf über dem Vorderrad, die Beine hingen über dem anderen Ende. So realistisch. Ich fuhr mir mit der Zunge über die Zähne und der Schmerz war noch da.

Clara Howler schleifte mich über raue Bodenplatten. Über mir, im grauen Dunst, hing der Fixstern wie ein blutroter Knoten. Der Wind fuhr durch Claras blonden Männerhaarschnitt. Sie trug eine Sonnenbrille und biss die Zähne zusammen.

»Du hast ein ganz schönes Gewicht, Walkinghorse«, sagte sie. »Wir werden dich wohl auf Diät setzen, dich mit mexikanischem Slim Fast füttern.«

Sie wischte sich den Schweiß von der Stirn und zerrte mich weiter. Irgendwo bellte ein Hund. Ein Mann sagte etwas auf Spanisch. Eine Frau antwortete und der Mann lachte. Wir waren irgendwo in der Wüste. Keinesfalls in Sinaloa, vermutlich aber in Mexiko. Andererseits hätte es überall in der Chihuahua-Wüste sein können, schließlich umfasste sie Teile von West Texas und New Mexico.

»Ayúdame, Rigoberto. ¿Dónde éstan Rudy y Luis?«, fragte Clara Howler.

»Fueron al pueblo. Die Hahnenkämpfe, señorita.«

»Diese Scheißviecher«, sagte sie. »Werden die beiden heute Nacht zurückkommen?«

Rigoberto lachte. »Ni con mucho«, sagte er. Keine Chance.

Rigoberto war ein kleiner, mit Narben übersäter Mann. Er und Clara schleppten mich in ein winziges Haus aus Lehmziegeln, das inmitten einer Anlage ähnlicher Häuser stand, und ließen mich auf ein Feldbett fallen.

Ich hörte eine Holzlatte knacken. Clara verließ die Hütte, um kurz darauf zurückzukommen, eine Sporttasche in der Hand. Sie holte ein Kästchen mit einem Spritzbesteck aus der Tasche und eine Ampulle, zog die Spritze auf und injizierte mir ziemlich unsanft den Inhalt der Ampulle. »Gegen die Schmerzen, Walkinghorse. Es ist die Woche der Tierliebe.« Es musste sich um Morphium gehandelt haben, so wie mich das Zeug wegdriften ließ, weg von Schmerz und Realität, was in meinem Fall ein und dasselbe war.

»Träume süß«, sagte Clara Howler.

Als ich wieder wach wurde, lag ich nicht mehr auf dem Feldbett. Ein Fußeisen mit einer drei Meter langen Kette verankerte mich in der Wand. Die Kette war an einem Eisenring befestigt, der zwischen zwei Ziegelsteinen eingemauert war. Eine kürzere Kette, ungefähr einen halben Meter lang, verband meine Knöchel miteinander. Die dünne Matratze lag direkt auf den roten Saltillo-Fliesen des Bodens. Am Fußende sah ich eine akkurat zusammengelegte Armeedecke. Äußerst umsichtig hatte man einen Nachttopf innerhalb des Radius meiner Kette platziert.

Ich berührte mein Gesicht. Ich hatte einen Zweitagebart. Neben der Matratze stand ein Tonkrug mit Wasser. Kein Essen. Clara fand offenbar Gefallen an ihren Scherzen. Unter mexikanischem Slim Fast verstand sie das hiesige Wasser.

Es war später Nachmittag. Der Wind hatte sich gelegt. Begleitet vom fröhlichen Geklapper meiner Kette, kroch ich hinüber zum Fenster. Draußen war nichts außer den anderen Ziegelhäusern der Anlage und dahinter die Wüste. An den Kanten der Häuser hatte sich jemand in Landschaftsgestaltung versucht – Spanischer Dolch, Feigenkaktus, Ocotillo und die langen, empfindlichen Halme des Pampagrases. Die Häuser waren hufeisenförmig angeordnet und umschlossen einen gefliesten Innenhof. Knapp hundert Meter entfernt, am offenen Ende des Hufeisens, flappte ein weißer Lumpen an der Spitze einer langen, vom Wind durchgebogenen Bambusstange.

Das Fenster ging nach Süden, der Horizont schien weit. Das, was ich sah, gab mir keinerlei Aufschluss darüber, wo ich mich befand. Es hätte überall und nirgends sein können. Ich konnte weder den Suburban ausmachen noch Clara oder die Männer, die für sie arbeiteten. Nichts von alldem. Den Rest des Nachmittags verbrachte ich mit dem vergeblichen Bemühen, die Kette aus der Wand zu reißen. Der Ring, mit dem sie verbunden war, hatte einen dicken Metallstift, der wahrscheinlich die gesamte Mauer durchdrang und an der Außenwand mit einem Flansch versehen war.

Der Ring befand sich ungefähr sechzig Zentimeter über dem Boden. Ich legte mich auf den Rücken, stemmte beide Füße gegen die Ziegelmauer und zog an der Kette. Ich hatte keine Kraft. Die Muskeln meiner Oberschenkel fühlten sich an wie Schaumgummi, als bestünde ihre einzige Funktion darin, meine Knochen zusammenzuhalten. Sie hatten keinen hinreichenden Tonus, keine explosive Stärke. Doch selbst wenn ich hundertachtzig bis zweihundert Kilo Druck auf die Kette hätte ausüben können, wäre das nicht genug gewesen. Für diesen Job hätte man vermutlich drei oder vier Tonnen gebraucht. Durch die Anstrengung bekam ich hämmernde Kopfschmerzen.

Ich schlief wieder ein, und als ich aufwachte, war es dunkel. Ich hörte, wie ein Auto im niedrigen Gang auf das Haus zufuhr. Das Geräusch sagte mir, dass es sich nicht um den Suburban handelte, eher um einen Pick-up, und zwar um ein älteres Modell. Es wurden beide Türen zugeschlagen, aber nur ein Mann betrat das Haus. Es war nicht Rigoberto. Dieser Kerl hier war doppelt so groß wie er. Er zündete eine Kerze an und stellte sie auf den Tisch. Tisch und zwei Stühle waren neben dem Feldbett, auf das man mich geworfen hatte, das einzige Mobiliar.

Es roch nach Essen. Der große Kerl ging hinaus, kam wieder herein – er wog mindestens hundertdreißig Kilo, bewegte sich aber lautlos wie eine Katze. »Algo a comer«, sagte er mit tiefer, rauer Stimme, als wären seine Stimmbänder aus Schuhleder. »Es gibt was zu essen«, übersetzte er. Er stellte eine Box aus Styropor auf den Tisch.

»Gracias«, sagte ich. »Me gusta la comida Mexicana.«

Das brachte ihn zum Lachen. »Gut so«, sagte er, »hier in der Gegend gibt’s nämlich nicht viele Burger Kings.«

Er kam mir recht freundlich vor. »In welcher Gegend?«, fragte ich.

Darauf erwiderte er nichts. Er ging wieder hinaus – diese Masse Mensch glitt auf erstaunlich leisen Sohlen davon. Der Pick-up wurde angelassen und fuhr vom Hof. Diesmal hatte ich nur eine Tür zuschlagen hören, der zweite Mann musste also noch hier sein.

Ich kroch zum Tisch hinüber, zog mich hoch auf den Stuhl und öffnete die Box. Drei Tacos, gebackene Bohnen, Reis, ein Schälchen mit Pico de Gallo, neben der Box stand außerdem eine recht kalte Flasche Negra Modelo. Ich drehte den Verschluss ab und nahm einen großen Schluck, leerte die halbe Flasche. Entweder wollten sie mich töten und waren nett zu dem Verurteilten oder sie waren einfach nur nett. Ich entschied mich für Letzteres. Mein Hunger war derart gigantisch, ich hätte eine Menudo verdrückt, die aus den Eingeweiden eines auf der Straße überfahrenen Nagetiers hergestellt worden war. Die schmalzgetränkten Tortillas und Bohnen waren Manna für mich. Ich stopfte alles gierig in mich hinein, ungeachtet meiner schmerzenden Zunge und der lockeren Zähne.

Als ich aufwachte, fühlte ich mich steif und fröstelte. Ich warf mir die Armeedecke um und kroch zum Fenster. Die Sonne war aufgegangen, der Himmel leuchtete klar und blau. Der Sandsturm als Vorhut einer Kaltwetterfront hatte sich selbst ausgeblasen. Eine Indianerin kam herein und brachte mir Frühstück. Tortillas, Menudo, Kaffee. Ich bedankte mich, doch mit Freundlichkeit konnte ich bei ihr offensichtlich nicht punkten; sie nahm nicht einmal Blickkontakt mit mir auf. Die Tortillas waren noch warm, die Menudo schmeckte scheußlich, zumindest war der Kaffee im Styroporbecher heiß. Ich aß mit großem Appetit und verschwendete keinen Gedanken daran, was diese Art Essen auf die Dauer mit meinen Arterien anstellen würde. »Gracias, señora«, sagte ich noch einmal, doch sie würdigte mich weiterhin keines Blickes.

Schlafen und Essen hatten mir Kraft gegeben, also versuchte ich mich ein weiteres Mal an der Kette. Aber sie rückte und rührte sich nicht. Ich nahm sie genauer unter die Lupe; sie war ein wenig verrostet, aber völlig intakt. Das Fußeisen um meinen Knöchel saß bombenfest und konnte nur mit einem Schlüssel geöffnet werden.

Ich überdachte meine Situation. Es ergab alles keinen Sinn. Ich konnte wohl kaum für jemanden von so großer Bedeutung sein, dass er meinetwegen diesen Aufwand betrieb. Hier war ich nun, gefangen genommen – und warum? Weil ich Schecks nicht eingereicht hatte.

Finde es selbst raus, hatte Forbes gesagt.

Ich streckte mich auf der Matratze aus und deckte mich mit der Decke zu. Sicherlich hat mir die Indianerin nicht in die Augen sehen können, weil sie abergläubisch ist, dachte ich. Es war gefährlich, einem Todgeweihten in die Augen zu schauen; womöglich nahm er auf seinem Weg in die Hölle etwas von einem mit. Vielleicht war ihr der Anblick eines hünenhaften Gringos in Unterhosen auch nur peinlich.

Ich kämpfte vergeblich darum, einschlafen zu können. Als ich resignierte, schlief ich ein.

Es war dunkel, als ich wieder wach wurde. Mit mir war noch jemand im Raum. Auf dem Tisch flackerte eine Kerze und warf verzerrt tanzende Schatten an die Wand. Es roch nach warmen Tortillas und Bohnen.

»Komm her, mein Hübscher«, sagte Clara Howler. »Hier gibt’s was zu futtern.«

Ich zog die Kette hinter mir her und setzte mich an den Tisch.

Clara musterte mich von oben bis unten. »Du hast einen verdammt guten Körper, das muss man dir lassen«, sagte sie. »Wir sind eins mit unserm Körper, nicht wahr?«

Sie war stoned. Ihre Augen funkelten im Licht der Kerze und sie lächelte. Ich schnappte mir eine Tortilla, füllte sie mit Bohnen und fing an zu essen.

»Ich hab dir doch nicht wehgetan, Schätzchen? Oder?« In ihrer Stimme lag Spott, aber es klang nicht gehässig. Clara hatte die Sporttasche dabei. Sie holte etwas heraus, es schimmerte im Kerzenlicht. Eine silberne Taschenflasche. Sie setzte sich den Flachmann an die Lippen und trank. Der Geruch von Tequila zog herüber zu mir. Sie reichte mir die Flasche. Ich nahm einen ordentlichen Schluck, dann noch einen. Der Tequila stieg mir sofort in den Kopf.

»Danke«, sagte ich.

Sie schraubte die Taschenflasche zu. »Sie werden deinen Fleischladen auseinander nehmen, Walkinghorse.«

Ich sah sie verständnislos an. Die Wirkung des Tequilas war zu schön, um jetzt schon damit aufzuhören. Ich streckte die Hand nach dem Flachmann aus. Clara schraubte ihn wieder auf und gab ihn mir. Ich wollte ihr den Hals umdrehen – ich war ihr dankbar – ich wollte sie irgendwelche Treppen hinunterstoßen – ich wollte ihr die Hand küssen. Wie geht man mit dieser Berg- und Talfahrt der Gefühle um? Man lässt es geschehen.

»Fleischladen«, sagte sie. »Das hat meine Großmutter immer gesagt, wenn es um den Körper ging. Sie kam aus Liverpool. Es ist ein alter englischer Begriff, geht zurück aufs Mittelalter. Die Leute früher wussten genau, wer und was sie waren. Uns ist diese Fähigkeit abhanden gekommen. Wir sehen unsere Welt nicht mehr so real, findest du nicht? Wer von uns würde sich wohl als Fleischladen bezeichnen?«

»Warum?«

»Warum was? Warum es den Leuten heutzutage an ehrlicher Selbsteinschätzung mangelt?«

»Nein. Warum wollen sie mich töten?«

»Sie brauchen dazu keinen Grund. Der Tod ist äußerst praktisch. Hast du überhaupt eine Ahnung, wo du bist?«

»Nicht wirklich.«

»Außerhalb von Samalayuca. In der Wüste. Die Wüste gibt einen hervorragenden Friedhof ab. Hier draußen liegen hunderte, die aus rein praktischen Gründen getötet wurden.«

»Hunderte?«

»Vielleicht tausende. Hier tobt ein regelrechter Krieg. Wer das nicht wahrhaben will, ist ein Ignorant. Und es geht weiter und weiter. In den letzten zehn Jahren hat es sich sogar ein wenig zugespitzt. Kriege brauchen Friedhöfe. Den hier könnte man als Arlington der narcotraficantes bezeichnen.« Sie lachte, kramte aus ihrer Sporttasche ein Fläschchen hervor und versenkte einen kleinen, silbernen Löffel darin. Sie hob den gefüllten Löffel an ein Nasenloch, hielt das andere mit einem Finger zu und inhalierte das weiße Pulver. Um den Niesreiz zu unterdrücken, zog sie die Nase kraus. Sie lächelte. Dieses Lächeln war um einiges sympathischer als das Lächeln, das sie mir bei Jillian Renseller gezeigt hatte. »Scheiße!«, sagte sie. »Ich liebe das Zeug.«

»Warum ich?«, fragte ich. »Ich habe nichts mit Drogenhandel am Hut.«

Sie musterte mich eine Weile, dann reichte sie mir die Flasche, ihren Koks bot sie mir nicht an. »Seit dem allerersten Tag fragen diese Scheißbürger ›Warum ich?‹. ›Warum ich, Jesus? Warum ich, verdammt noch mal?‹ Man sollte meinen, dass sie diese Fragerei inzwischen satt haben. A la gente buena, sucedieron las cosas malas.«

Wenn guten Menschen Böses widerfährt – da hatte es mich eingeholt. Mein Gott, man sagte das sogar in Mexiko, aber vielleicht meinten die Mexikaner es ironisch.

»Du sprichst Spanisch wie eine Einheimische«, sagte ich. Sie nahm mir die Flasche aus der Hand. »Ich mach ’ne Menge Dinge wie eine Einheimische«, sagte sie. »Steh auf.«

Ich blieb sitzen.

Sie zog einen kleinen Revolver aus der Sporttasche und etwas, was ich nicht erkennen konnte. Sie drückte mir den Lauf gegen die Kehle. Ich stand auf.

»Hosen runter, Cowboy«, sagte sie.

»Warum?«

Sie spannte den Abzugshahn. »Weil dieses Ding dir an der Kehle sitzt, darum«, sagte sie. Ich nahm das Ernst, schließlich wusste ich, wozu Clara Howler fähig war. Ich zog die Boxershorts herunter.

»Umdrehen«, sagte Clara. »Und leg deine Hände auf den Rücken.« Sie ließ den Lauf der Waffe über meine kurzen Nackenhaare gleiten. Das andere, was sie aus der Sporttasche gezogen hatte, waren Handschellen, die sie mir jetzt anlegte. »Weißt du, wie man die Dinger auf Spanisch nennt? Esposas. Ehefrauen. Lustig, was? So bekommst du mal einen Begriff davon, was Mexikaner von der Ehe halten.« Sie klopfte mir mit dem Lauf auf den Nacken. »Hinknien, Walkinghorse, so, als wolltest du dein Gute-Nacht-Gebet aufsagen.«

Ich kniete mich hin. Mein Herzschlag beschleunigte sich, mein Mund wurde trocken. Ich hatte schon Filme gesehen, in denen Leute in dieser Position hingerichtet wurden. Die Kugel dringt am Hinterkopf ein und tritt mit Blut, Knochensplittern und Gehirnmasse vorn wieder aus. Das Opfer fällt vornüber, meistens in eine Grube. Ein kleinkalibriges Geschoss würde es vielleicht nicht durch den ganzen Schädel schaffen, tief genug eindringen könnte es schon.

»Was hast du vor?«, stammelte ich.

»Du hast dich im Räderwerk einer großen, unberechenbaren Maschine verfangen, Walkinghorse«, sagte sie. »Bleib auf den Knien und berühre den Boden mit deiner Stirn.«

Merkwürdigerweise empfand ich den Druck der kühlen Fliesen gegen meine Stirn als angenehm. Meine Haltung war absonderlich und peinlich zugleich – den Hintern nach oben, den Kopf unten –, wenn es auch nicht die typische Stellung für eine Exekution war. Mich beschlich eine törichte Hoffnung.

Clara fuhr mit dem kalten Lauf der Waffe meine Eier entlang. Sie schreckten buchstäblich davor zurück. »Es tut mir leid, dass ich euch maßgenommen habe, Jungs«, sagte sie. »Ob ihr’s glaubt oder nicht, diesen gewissen Tritt führe ich nur ungern aus. Es ist an sich recht unsportlich, einem Typ die Eier zu zertreten, meint ihr nicht auch?«

Verrückt, sie war vollkommen verrückt. Ich hing mit nacktem Hintern auf meinen Knien und eine Frau entschuldigte sich bei meinen Eiern, während sie gleichzeitig mit einer Waffe an ihnen herumspielte.

Clara langte zwischen meine Schenkel und nahm meinen Schwanz in die Hand. »Na, kleiner Mann?«, sagte sie und ließ ihn langsam warmlaufen. Sie hatte Arbeitshände, hart wie Leder. »Komm schon«, säuselte sie, »willst du Mama nicht begrüßen, Pummelchen?« Das hirnlose Ding reagierte. Doch dann spürte ich den kalten Stahl an meinem Schließmuskel.

»Das Baby hier«, sagte sie, »ist ein .22er Ruger. Nicht unbedingt was für einen Schusswechsel, aber ich hab ihn mit Hohlmantelgeschossen bestückt. Stell dir mal vor, was für ein Dilemma so ein kleines Geschoss in deinem Arsch anrichten kann. Ist doch faszinierend, oder?«

Sie bearbeitete mich weiter und die dumme Nudel richtete sich auf, glaubte an eine Gelegenheit. Ich konnte diesen Optimismus nicht teilen.

»Mein Gott! Tu es nicht!«, stieß ich hervor.

»Ich liebe religiöse Männer«, sagte sie und ihr Griff wurde härter.

Sie schob mir den Lauf hinein; ich spürte, wie der erhabene Rand meinen Schließmuskel anriss, und dann das Blut, das an meinem Oberschenkel hinunterlief.

»Wenn du mich umbringen willst, dann schieß mir in den Kopf, verdammt noch mal«, sagte ich. Mir versagte die Stimme, sie verweigerte sich einfach meiner aufgesetzten Tapferkeit.

»Du willst wirklich sterben, Tiger? Tut mir leid, den Gefallen kann ich dir nicht tun. Für deine Hinrichtung bin ich nicht eingeteilt. Fernie ist ziemlich eigen, was die Aufgabenverteilung betrifft. Victor Mellado wird sich um dich kümmern – das hat mit der Einstellung der Mexikaner in puncto Rache zu tun. Aber, hey, Unfälle passieren nun mal. Wenn guten Menschen Böses widerfährt.«

Ich zuckte unwillkürlich zurück, völlig unbeabsichtigt, aber die Waffe hätte losgehen können. »Pass auf das Ding auf!«, rief ich.

»Bleib cool, Junge«, sagte sie. »Das Ding geht nur los, wenn ich es will.«

Sie lachte und zog den Lauf heraus, vorsichtig wie eine Krankenschwester einen Katheter. Sie drehte mich herum. Irgendwie war es ihr in der Zwischenzeit gelungen, sich auszuziehen. Ihr Schamhaar war lila gefärbt und zu einem Rechteck von der Größe einer Dollarnote rasiert. Sie setzte sich auf mich und führte meinen Schwanz ein. Die dunklen Nippel ihrer festen Brüste waren steif und ihr Gesicht, das über mir hing, war ganz und gar Lächeln. Während sie mich ritt, drückten sich die Handschellen in meinen Rücken. Wir kamen zusammen, wie ein Paar, das sich ewig kannte und auch den Rhythmus und die Vorlieben des jeweils anderen.

Sie stand auf und zog sich an. »Und du hast gedacht, ich wär ’ne Lesbe, stimmt’s?«

»Das denke ich immer noch«, erwiderte ich und setzte mich auf in der Hoffnung, ihrer sadistischen Neigung sei jetzt Genüge getan.

»Da liegst du zur Hälfte richtig. Ich habe deine kleine Freundin gefickt.«

»Welche kleine Freundin?«

»Die zwischen dir und dem Grab steht.«

Ich verfolgte, wie Clara in ihre Laufschuhe schlüpfte, noch ein Löffelchen Koks nahm und hatte keine Ahnung, wovon sie sprach.

»Renseller«, sagte sie. »Jilly Renseller. Ab und an hab ich’s ihr anständig besorgt. Sie ist eine ruca loca en la cama. Bei mir ist sie mehrmals hintereinander gekommen. Frauen machen es Frauen eben besser als Männer.«

Sie hielt mir den Revolver an die Kehle, während sie mir die Handschellen abnahm. »Bin ich zu brutal, Walkinghorse? Hab ich dir einen kleinen susto eingejagt? Vielleicht hast du genau das gebraucht. Ich liebe sie, verstehst du. Sie gehört mir, du Scheißkerl. Bin ich eifersüchtig, bin ich nachtragend? Ein bisschen, ja. Auf jeden Fall ist ein anständiger Schrecken ein prima Abführmittel. Treibt den ganzen Mist raus. Fühlst du dich nicht gleich viel klarer im Kopf? So ein Schrecken lenkt den Blick wieder auf das Wesentliche. Und er bereitet einen auf künftige sustos vor.«

»Du bist total durchgeknallt«, sagte ich.

»Gesteh es dir doch ein, da war ein kleiner Nervenkitzel, oder? Muss dir überhaupt nicht peinlich sein. Hat nicht jeder tief in seinem Herzen einen Hang zur Perversion, was meinst du?«

Ich dachte an Clive, ich dachte an die Farnsworths. Ich stellte mir Jillian und Clara Howler im Bett vor. Bei diesem Gedanken fing es an, in meinen Schläfen zu pochen.

»Was hast du gemeint mit Jillian steht zwischen mir und dem Grab?«

»Du blickst absolut nicht durch, oder?«

»Momentan nur eingeschränkt.«

»Du bist ein naiver Typ, Walkinghorse. Im Grunde mag ich das an einem Mann, vorausgesetzt, er ist nicht dumm. Naivität gepaart mit Dummheit ist unerträglich.« Sie nahm die Kerze und ging damit durch den Raum. »Ist dir das Bild aufgefallen?«, fragte sie.

Sie hielt die Flamme unter ein miserabel gemaltes Porträt eines Mannes mit vollem schwarzem Haar. Es hing an der Wand gegenüber dem Tisch, aber ich hatte ihm bisher keine Beachtung geschenkt. Es war nicht unbedingt das, was großes Interesse hervorruft.

»Das ist der Schutzpatron der Drogenhändler, Jesús Malverde. Vor hundert Jahren hat er Marihuana und Kokain von Sinaloa in die Staaten gebracht. Es ist ein sehr altes, fest etabliertes Gewerbe. Man nimmt das hier sehr ernst.«

»Ein Schutzpatron?«, fragte ich.

»Für die Einwohner von Sinaloa genauso bedeutend wie Patrick für die Iren. Er war eine Art Robin Hood, der seine Beute mit den Armen geteilt hat. In Sinaloa waren schon immer alle arm wie Kirchenmäuse.«

»Ich werde ihn in mein Nachtgebet einschließen«, sagte ich.

»Spiel ruhig den Klugscheißer, das bringt dich en ninguna porte – nirgendwohin. War nett, mit dir zu ficken. Ich hoffe, sie ändern ihre Meinung. Aber das ist eher unwahrscheinlich. Ich befürchte fast, du brauchst un milagro. Bete zu Jesús Malverde, vielleicht geschieht ja eins. Adios, Tiger.«

»Gib mir bitte noch mal die Flasche, bevor du gehst«, bat ich.

Sie reichte mir den Flachmann, er war immer noch halb voll. Ich prostete dem Schutzpatron der Drogenhändler zu. Seine sanften schwarzen Augen sahen mich an. Tote haben kein Problem damit, in die Augen eines anderen Toten zu blicken. Ich sah zuerst weg. Dann leerte ich die Flasche.